Der Corona-Krimi – Wer wusste was?
Zu Beginn der so genannte Corona-Krise in China berichteten die Medien in Deutschland eher mitleidig über eine Art neuer “China-Grippe” – so etwas kam ja schon öfter aus China, und insbesondere im Winter. Ungläubig sahen wir im Januar im Fernsehen den total lock-down der Stadt Wuhan, immerhin halb so groß wie Nordrhein-Westfalen. Menschen auf Balkonen sangen sich Mut zu. Eine Epidemie, die aber nicht nach Deutschland kommen könne. Sie kam nach Italien, Belgien, Frankreich, dann auch Deutschland und dann ins Vereinigte Königreich, dann in die USA und am 11.3.2020 verkündete die WHO, dass aus der Epidemie nun doch leider eine Pandemie geworden sei. “Eine Katastrophe unvorhersehbaren Ausmaßes”, “damit konnte nun wirklich niemand rechnen”, “völlig unvorbereitet wurden wir auf das härteste getroffen” hallte es aus allen Rohren der deutschen Politik und der Medien. Ach wirklich?
Ein kleiner Blick in die (wissenschaftliche) Literatur und in die nähere Geschichte hilft hier weiter. Das “neuartige” Virus trägt den Namen SARS-Cov-2. Gibt es auch ein altartiges SARS-Cov-1? Ja, das gibt es. Im Winter 2002/2003 gab es in SO-Asien einen SARS-Cov-Ausbruch (severe acute respiratory syndrome) mit 774 Toten. Dieses Ereignis führte zum Einsatz einer hochrangigen Arbeitsgruppe des Bundesamts für Bevölkerungsschutzschutz und Katastrophenhilfe sowie des Landes Baden-Württemberg, der im Ergebnis zur Herausgabe des Handbuch Betriebliche Pandiemieplanung (Stand 2010) führte.1
Hier werden dezidiert genau diejenigen Maßnahmen beschrieben, die Unternehmen im Falle eine Pandemie zu ergreifen haben – in Form von Checklisten der zu ändernden Betriebsabläufe bis zur rechtzeitigen Beschaffung von Schutzmaterial werden alle Forderungen dezidiert beschrieben.
Im Jahr 2012 schlug erneut ein Coronavirus unter dem Namen MERS (middle east respiratory syndrom-related coronavirus) im Mittleren Osten mit rund 850 Toten zu. Dieses und weitere Influenza-Ereignisse in den Folgejahren führten dazu, dass das Robert Koch-Institut im Jahr 2017 den Nationalen Pandemieplan Teil I, im Jahr 2018 den Teil II und am 4.3.2020 den Teil III (mit Schwerpunkt CoVid 19) publizierte. Hier werden exakt alle diagnostischen und infektionshygienischen Maßnahmen, die medizinischen Versorgungsmöglichkeiten, Verlaufsszenarien, mögliche Impfungen und zu verwendende Arzneimittel, Pandemieplanungen in Unternehmen und in der
Doch es kommt noch besser. Auch die Bundesregierung hat sich mit den politischen Auswirkungen einer Pandemie nach SARS und MERS intensiv beschäftigt. In der Bundestagsdrucksache 17/120561 vom 3.1.2013 berichtet die Bundesregierung in einer selten deutlichen Ausführlichkeit, was in Deutschland passiert, wenn ein virales Infektionsgeschehen sich großflächig ohne Korrekturmaßnahmen ausbreitet: 7,5 Mio Tote, vollständiges Erliegen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Plünderung von Lebensmittelgeschäften und Apotheken, Einsatz der Bundeswehr zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit (die aber nicht sicherzustellen ist) bis hin zur Anarchie. Alles wird – genau wie die zu ergreifenden Gegenmaßnahmen – detailliert beschrieben.3 Perfekt – hat aber niemanden interessiert.
Heute zeigt sich eine erstaunliche Kongruenz der skizzierten Szenarien und Maßnahmen aus den vorgenannten Papieren mit dem derzeitigen Covid-19-Ausbruch. Oder anders herum ausgedrückt: Verdammt – alle haben alles gewusst und keiner hat an sein Wissen geglaubt.
Und – lernen wir wenigstens jetzt daraus? Leider sehr begrenzt. Der Cov-19-Ausbruch ist inzwischen ein weltweites Geschehen, daher übrigens der Name Pandemie. Die WHO müsste den “leadership” übernehmen, klappt aber aus politischen Gründen nicht. Die EU ist weltweit als Staatengemeinschaft am stärksten betroffen. Die EU-Kommission müsste hier den “leadership” übernehmen, klappt aber aus politischen (und rechtlichen) Gründen nicht. Deutschland ist mit dramatischen wirtschaftlichen Einschnitten scharf betroffen, eigentlich müsste die Bundesregierung den “leadership” übernehmen, klappt aber aus Gründen des Föderalismus nicht. Die Bundesländer sind unterschiedlich je nach Bevölkerungsdichte betroffen. Die jeweiligen Landesregierungen müssten eigentlich den “leadership” für das jeweilige Bundesland übernehmen, klappt aber aus kommunalpolitischen Gründen auch nicht. Die Stadtstaaten sind aufgrund der hohen Einwohneranzahl von der neuen “re-lock down-Grenze” von 50 Neuinfektionen/100.000 Einwohner besonders betroffen. Eigentlich müssten die Regierungen der Stadtstaaten den “leadership” übernehmen, doch was haben die Gaststätten im Bezirk Wedding mit denen im Bezirk Schönefeld zu tun? Klappt also auch nicht.
Herrje nochmal, jetzt ist mir das Ganze auch egal, Hauptsache, ich habe meine “community-Maske” auf.
Lebensmittelchemiker Prof. Dr. Ulrich Nöhle, Braunschweig/Otterndorf
1 | Https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/GesBevS/HandbuchBetriebl_Pandemieplanung_2_Auflage.pdf;jsessionid=35785189CCB45F3561EFD97DF980E5F8.1_cid330?__blob=publicationFile. |
2 | Https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/187/28Zz7BQWW2582iZMQ.pdf?sequence=1&isAllowed=y https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/I/Influenza/Pandemieplanung/Downloads/Pandemieplan_Teil_II_gesamt.pdf?__blob=publicationFile https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Ergaenzung_Pandemieplan_Covid.pdf?__blob=publicationFile. |
3 | Https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/120/1712051.pdf. |