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ZHR 187 (2023), 581-593
Krause 

Was liegt im Interesse der Gesellschaft?

I. Skizzen aus der alten Welt

1. Jeder, der sich mit dem Recht der Kapitalgesellschaften befasst hat, kennt die Kali + Salz-Entscheidung des BGH von 1978 zum Ausschluss des Bezugsrechts.1 Die materiellen Voraussetzungen, unter denen es rechtens ist, Aktionäre von ihrem grundsätzlichen Recht auf Teilnahme an einer Kapitalerhöhung auszuschließen, sind bekanntlich im AktG nicht ausformuliert. § 186 Abs. 3 AktG fordert lediglich einen Beschluss der Hauptversammlung mit qualifizierter Mehrheit. Nach der Kali + Salz-Entscheidung2 hat die Mehrheit kein freies Ermessen – anders als bei vielen anderen Beschlüssen der Hauptversammlung.3 Der Bezugsrechtsausschluss bedarf vielmehr sachlicher Rechtfertigung. Dazu hat der BGH ausgeführt: “Da eine Erhöhung des Grundkapitals von der Sache her notwendigerweise auf den Zweck der Gesellschaft und damit auf deren Interessen bezogen ist, muss auch ein mit ihr verbundener Bezugsrechtsauschluss im Gesellschaftsinteresse seine Rechtfertigung finden.”

In der Sache ging es in Kali + Salz um die Zurückdrängung – durch Herstellung von Anfechtbarkeit – von Willkürmaßnahmen der Mehrheit. Deren Interessen an der Durchführung der Maßnahme sind abzuwägen mit den gegenläufigen Interessen der Minderheit. Konkret: Das Interesse am Erwerb des Gegenstandes und der damit angestrebte und allen Aktionären zugutekommende Nutzen muss den verhältnismäßigen Beteiligungs- und Stimmrechtsverlust der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre aufwiegen. Man kann das auch in den Zusammenhang von Treuepflichten stellen, denen die Mehrheit unterliegt,4 oder – im SinneZHR 187 (2023) S. 581 (582) Zöllners5 – als inhärente Grenzen von mitgliedschaftlichen Einwirkungsmöglichkeiten beschreiben. Einer Bezugnahme auf das “Gesellschaftsinteresse” hätte es dann möglicherweise gar nicht bedurft.

2. Ein zentraler Bereich, in dem das Gesellschaftsinteresse prominent als Resonanzfeld dient, sind Organpflichten. Der Vorstand ist dem Gesellschafts- oder Unternehmensinteresse verpflichtet.6 Er muss zum Wohle der Gesellschaft handeln. Korrespondierend haftet der Vorstand für unternehmerische Entscheidungen nicht, wenn er annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG). Entsprechendes gilt für die Mitglieder des Aufsichtsrats (§ 116 AktG). “Ein Handeln zum Wohle der Gesellschaft”, schreibt die UMAG-Gesetzesbegründung 2005, “liegt jedenfalls vor, wenn es der langfristigen Ertragsstärkung und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und seiner Produkte oder Dienstleistungen dient”.7 Das ist der Aspekt, der die (Kapital-) Gesellschaft – à la Milton Friedman – ganz in den Dienst ihrer Kapitalgeber und ihres Kapitals stellt (“the business of business is business”).

Interessant ist der Hinweis auf die langfristige Perspektive. Sie entschärft einerseits den sog. Zeitpräferenzkonflikt,8 bei dem gegenwartsnahe Effekte mit zeitlich entfernteren streiten. Andererseits wird so der Kreis der Kriterien, an denen unternehmerisches Handeln zu messen ist, enorm erweitert. Langfristig wirtschaftlich gut kann Vieles sein. Darauf wird zurückzukommen sein.

3. Im Gesellschaftsinteresse liegt es insbesondere, dass der Aufsichtsrat Schadensersatzansprüche, die der Gesellschaft wegen pflichtwidrigen Vorstandshandelns zustehen, gegen den Vorstand geltend macht. Seit ARAG/Garmenbeck (1997) ist klar, dass das Unternehmenswohl grundsätzlich die Wiederherstellung des geschädigten Gesellschaftsvermögens verlangt. Von der Anspruchsverfolgung darf der Aufsichtsrat nur dann, also ausnahmsweise, absehen, “wenn gewichtige Interessen und Belange der Gesellschaft dafür sprechen, den ihr entstandenen Schaden ersatzlos hinzunehmen. Diese Voraussetzung wird im Allgemeinen nur dann erfüllt sein, wenn die Gesell-ZHR 187 (2023) S. 581 (583)schaftsinteressen und -belange, die es geraten erscheinen lassen, keinen Ersatz des der Gesellschaft durch den Vorstand zugefügten Schadens zu verlangen, die Gesichtspunkte, die für eine Rechtsverfolgung sprechen, überwiegen oder ihnen zumindest annähernd gleichwertig sind.” 9

Auch hier sehen wir eine Interessenabwägung. Das Kriterium des Gesellschaftsinteresses hilft, ähnlich wie in der Kali + Salz-Entscheidung, die relevanten Abwägungsaspekte zu sortieren: Andere Gesichtspunkte als die des Unternehmenswohls, also etwa die Schonung eines verdienten Vorstandsmitglieds oder andere10 Rücksichtnahmen, sind grundsätzlich irrelevant. Wäre die Entscheidung auch ohne eine Berufung auf das Gesellschaftsinteresse ausgekommen? Sie hätte sich darauf beschränken können, sachliche Gründe, frei von Interessenkonflikten, für das nur ausnahmsweise zulässige Absehen von der Anspruchsverfolgung zu verlangen. Letztlich sind das aber nur semantische Unterschiede.

ARAG/Garmenbeck zeigt interessante dogmatische Interferenzen des Gesellschaftsinteresses. Es erweckt den Eindruck eines zwar weiten, aber abgrenzungsfesten und vor allem justiziablen Kriteriums. Tatsächlich muss aber der Aufsichtsrat in der konkreten Situation definieren oder konkretisieren, was im Interesse der Gesellschaft liegt und wie die Vor- und Nachteile für die Gesellschaft zu gewichten und gegeneinander abzuwägen sind. Der Aufsichtsrat hat einen Beurteilungsspielraum bei der Ausfüllung dieses Merkmals, auch wenn er über die Anspruchsverfolgung als solche nicht frei disponieren kann. Diese Distinktion hat einerseits ihre Berechtigung. Ermessensausübung ist in der rechtlichen Feinzeichnung etwas anderes als die Ausfüllung eines Tatbestandsmerkmals. Diese ist inhaltlich grundsätzlich judizierbar, jene in bestimmten Grenzen nur prozeduraliter. Beim Merkmal “Gesellschaftsinteresse”, für das es keine allgemeingültigen Maßstäbe gibt, zeigt sich aber, dass die Unterscheidung etwas Künstliches hat.11 Selbst der BGH spricht dem Aufsichtsrat bei der Abwägung der für und gegen die Anspruchsverfolgung sprechenden Gründe, “in diesen engen Grenzen”, ein “Entscheidungsermessen” zu. Ihre Verankerung findet dieses Ermessen in der (tatbestandsmerkmal-auslegenden) Konkretisierung des Gesellschaftsinteresses.

4. Fast schon geadelt wurde ARAG/Garmenbeck vom UMAG-Gesetzgeber. Nach § 148 Abs. 1 AktG (sog. actio pro societate) können Aktionäre nur dann Ansprüche ihrer Gesellschaft gegen Organmitglieder geltend machen, wenn ihre Klage in einem ersten Schritt gerichtlich zugelassen wird. § 148 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 AktG macht diese Zulassung von der negativen Vorausset-ZHR 187 (2023) S. 581 (584)zung abhängig, dass der Geltendmachung der Ansprüche keine überwiegenden Gründe des Gesellschaftswohls entgegenstehen.

Die im Klagezulassungsverfahren vorzunehmende Abwägung entspricht – bis auf den geänderten Maßstab: überwiegende Gründe statt gewichtige Gründe – derjenigen, die der Aufsichtsrat bei seiner Verfolgungsentscheidung nach ARAG/Garmenbeck vorzunehmen hat. Diese Abwägung wird in § 148 Abs. 1 AktG allerdings dem Gericht überantwortet. Damit wird eine Aufgabe externalisiert, die an sich nur unternehmensintern durch die dazu berufenen Organe gelöst werden kann, nämlich die Konkretisierung des Gesellschaftsinteresses durch Abwägung der relevanten unternehmensspezifischen Aspekte.

5. Erwähnenswert ist schließlich die Mannesmann-Entscheidung des BGH.12 Sie stammt wie das UMAG aus dem Jahr 2005 und liegt ebenfalls ganz auf der Linie von ARAG/Garmenbeck. Mitglieder des Aufsichtsrats haben die Pflicht, sich auch bei Entscheidungen über Sonderzahlungen ausschließlich am Unternehmensinteresse zu orientieren. Sie müssen “den Vorteil der Gesellschaft wahren und Nachteile von ihr abwenden”. Eine dienstvertraglich nicht vereinbarte Sonderzahlung ist danach noch zulässig, wenn sie Führungskräften signalisiert, dass sich außergewöhnliche Leistungen lohnen, “von ihr also eine für das Unternehmen vorteilhafte Anreizwirkung ausgeht”. Unzulässig und als treupflichtwidrige Verschwendung des anvertrauten Gesellschaftsvermögens strafbar ist die Sonderzahlung aber dann, wenn sie “ausschließlich belohnenden Charakter hat und der Gesellschaft keinen zukunftsbezogenen Nutzen bringen kann”. Dreh- und Angelpunkt ist auch hier die Angemessenheit – der Höhe nach, aber auch den Umständen nach.

6. Schon die gewählten Beispiele zeigen, dass das Gesellschaftsinteresse als Topos der gesellschaftsrechtlichen Argumentation vielschichtig und wandelbar ist. Man muss auf der Hut sein, im Gesellschaftsinteresse nicht etwas zu suchen, was es als solches gar nicht gibt, oder etwas zu finden, was man vorher hineingelegt hat. Richtig ist daher der Hinweis, dass das Gesellschaftsinteresse nicht am Anfang einer juristischen Analyse stehen kann, sondern ihr Endpunkt ist.13

Man wird aber sagen können, dass sich im Gesellschaftsinteresse bündelt, was das zuständige Organ – in vielen Zusammenhängen der Vorstand, in anderen der Aufsichtsrat – tun muss, sollte und darf. In konzentrischen Kreisen kann man von einem inneren harten Kern des Müssens über den weiteren Kreis des Sollens hin zum noch weiteren Kreis des Dürfens schreiten. Der einfache Satz, dass nicht alles erlaubt ist, was keinem Verbot unterliegt, gilt auch hier.

Im Folgenden soll gezeigt werden, dass alle drei Bereiche mit großer Geschwindigkeit expandieren. Das normative Netz wird breiter und feinmaschiger – mit der Folge, dass die vorstehend genannten Beispiele aus heutiger Per-ZHR 187 (2023) S. 581 (585)spektive fast schon ein wenig pittoresk wirken. Ihr Referenzrahmen waren die Interessen der unmittelbaren Stakeholder der Gesellschaft, also solcher Interessenträger oder -repräsentanten, deren Bezug zur Gesellschaft evident ist. Es ging vornehmlich um die Austarierung der innergesellschaftlichen “checks and balances”: Minderheitenschutz, Vermögensschutz, Schutz vor Interessenkollisionen.

II. Der Referenzrahmen der neuen Welt

In den letzten Jahren hat sich der Referenzrahmen dessen, was als Gesellschaftsinteresse bezeichnet werden kann, stark erweitert. In immer größeren Zusammenhängen wird gefragt, welche Rolle der Kapitalgesellschaft im Sozial- und Wirtschaftsgefüge zukommt oder besser: zukommen sollte.

1. Juristisch ist der Perspektivwechsel vor allem durch eine Erweiterung der Berichtspflichten eingeleitet oder jedenfalls sekundiert worden. Das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz von 2017 fordert in den §§ 289b ff. HGB von kapitalmarktorientieren Kapitalgesellschaften einer bestimmten Größe die Veröffentlichung von Angaben zu nichtfinanziellen Aspekten, zumindest zu Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelangen, zur Achtung der Menschenrechte und zur Bekämpfung von Korruption und Bestechung (§ 289c HGB). Darzulegen sind insbesondere, welche Konzepte (if any, insoweit gilt ein “comply or explain”, vgl. § 289c Abs. 4 HGB) die Gesellschaften insoweit verfolgen und welche Ergebnisse diese Konzepte haben.

Interessant sind hier weniger die Berichtspflichten als solche. Die Aspekte, über die nach der CSR-Richtlinie14 berichtet werden soll, sind hinlänglich abstrakt, und auch das, was als “Konzept” durchgeht, ist dehnbar – der Spielraum, der Berichtspflicht nachzukommen, war groß. Ebenso groß war aber von Anfang an der Druck auf die Unternehmen, etwas Vernünftiges und Konkretes zu präsentieren, und je nach Branche und Historie taten und tun sich einige Unternehmen leichter, andere schwerer. Und wo ein Bedarf ist, entstehen Märkte (auch für Kommunikationsabteilungen und -agenturen) und Usancen, was wiederum einerseits zu Austauschbarem und Floskelhaftem führt, andererseits aber auch zu Standards und Zertifizierungen, die die Anstrengungen der Unternehmen vergleichbar machen und zu bestimmten Mindestniveaus führen. Die EU-Kommission hatte dies durch Leitlinien für die Berichterstattung15 begleitet, die sich zum Teil noch sehr zurückgenommenZHR 187 (2023) S. 581 (586) lesen16 und die Unternehmen sogar ermutigt haben, die ihnen durch die Richtlinie gewährte Flexibilität bei der Offenlegung der nichtfinanziellen Informationen zu nutzen.17

2. Interessanter sind die Implikationen der Berichtspflicht. Von dem Druck, etwas zu leisten, was berichtenswert ist, war bereits die Rede. Er kommt von Investoren, Kunden, der Belegschaft und auch der (Wirtschafts-) Presse, damit verbunden auch vom Eigeninteresse des Unternehmens, ein “good corporate citizen” zu sein. Tu Gutes und rede darüber, oder besser: Tu Gutes und lass andere darüber reden. In den meisten Fällen wird das Gute auch irgendwie “der langfristigen Ertragsstärkung und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und seiner Produkte oder Dienstleistungen”18 dienen oder – so eine Formulierung des BGH in der Schloss-Eller-Entscheidung, in der beiläufig die Grenzen von gemeinwohlorientiertem Vorstandshandeln beleuchtet wurden – “vernünftigerweise langfriste Vorteile (. . .) erwarten”19 lassen. Dieser Bezug zur wirtschaftlichen Performance ist damit häufig ein mittelbarer und hat schnell etwas Beliebiges oder Konstruiertes. Quantifizieren lassen sich die Vorteile kaum. Nach der strengsten Lesart einer reinen Shareholder Value-Theorie wären die Maßnahmen dann sogar unzulässig. Diese Auffassung war allerdings noch nie satisfaktionsfähig und gilt heute als überwunden. Gemeinwohlbelange dürfen auch von Kapitalgesellschaften in Maßen verfolgt werden.

Die CSR-Berichtspflicht hat diesen Befund gestärkt. Die Berichtspflicht besteht ja nicht um ihrer selbst willen. Ihr zugrunde liegt die Intention des europäischen und deutschen Gesetzgebers, über das Instrument der Transparenz und eines von wachsender allgemeiner Wertschätzung für Nachhaltigkeit getragenen Wettbewerbsdrucks eine Verhaltensänderung herbeizuführen. “Durch die neuen Vorgaben für die Berichterstattung kann mittelbar auch das Handeln der Unternehmen beeinflusst und ein Anreiz geschaffen werden, nichtfinanziellen Belangen und damit verbundenen Risiken, Konzepten und Prozessen stärkeres Gewicht in der Unternehmensführung beizumessen.”20 Das rechtliche Dürfen wird durch die Berichtspflicht mittelbar erweitert,21 und es wird ein gewisser (“sanfter”) Druck22 ausgeübt, der vom NormgeberZHR 187 (2023) S. 581 (587) intendiert ist. Er führt in die rechtlich kaum ausgeleuchtete Kategorie des rechtlichen “Sollens”23.

Das Gesellschaftsinteresse verschiebt sich entsprechend.24 Wem die Diktion des Verschiebens zu stark ist, wird sich vielleicht mit dem Schluss anfreunden können, dass das Gesellschaftsinteresse heute entsprechend angereichert ist – ohne dass gleich befürchtet werden muss, dass “Unternehmen zu einer staatlich kontrollierten Gemeinwohlveranstaltung mutieren”25. In vielen Unternehmen spiegeln sich diese Veränderungen heute wider. Es gibt verbreitet die Position eines Chief Sustainability Officer (CSO) mit dem Verantwortungsbereich, sämtliche Nachhaltigkeitsziele des Unternehmens zu erarbeiten, zu kommunizieren und methodisch zu begleiten.

3. Ein weiterer Schritt ist die bis 2024 in nationales Recht umzusetzende EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung vom 14. 12. 202226 (im Folgenden “CSRD 2022”), die die CSR-Berichterstattung ausbauen und tiefgreifend verändern wird.

Die Informationen müssen künftig (ab Geschäftsjahr 2024) anhand einheitlicher EU-Berichtsstandards offengelegt werden und an Kennziffern ausgerichtet sein, um die Messbarkeit und Vergleichbarkeit der Angaben zu erhöhen. Diese sog. European Sustainability Reporting Standards (ESRS) hat die EU-Kommission am 31. 7. 2023 in einem delegierten Rechtsakt veröffentlicht. Vorbild waren die Standards der Taxonomie-VO vom 18. 6. 2022.

Die Berichtsinhalte werden wesentlich erweitert und verändern ihren Schwerpunkt hin zu Nachhaltigkeitsbelangen (insbesondere Klima- und Ressourcenschutz). Relevante Unternehmen müssen darüber informieren, wie sie beabsichtigen sicherzustellen, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 °C im Einklang mit dem Ziel der Verwirklichung der Klimaneutralität bis 2050 vereinbar sind, insbesondere über welche Maßnahmen und zugehörigen Finanz- und Investitionspläne sie insoweit verfügen und welche zeitgebundenen, mindestens auf 2030 und 2050 bezogenen Nachhaltigkeitsziele zur Verringerung von Treibhausgasemissionen sie sich gesetzt haben (im Einzelnen Art. 19a der geänderten RL 2013/34/EU, sog. “Nachhaltigkeitsberichterstattung”) – dies alles ohne comply or explain-Vorbehalt und für einen gegenüber der CSR-Berichtspflicht von 2017 erheblich (“dramatisch”27) erweiterten Kreis von Unternehmen.

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Diese neuen Berichtspflichten verändern den rechtlichen Rahmen, an dem Unternehmen ihre Geschäftsaktivitäten ausrichten. Man kann dies an tradierten Kategorien messen und konstatieren, dass Gesellschaften in die Pflicht genommen werden, an sich unternehmensfremde Ziele, Nachhaltigkeit und vor allem Klimaschutz, zu verfolgen.28 Das ist die These vom Antagonismus zwischen Unternehmensinteresse und Gemeinwohl. Anders klingt es schon, von einer “Dichotomie” oder einem “Spannungsverhältnis” zwischen Wirtschaftlichkeit und Gemeinwohl zu sprechen, die für Kapitalgesellschaften charakteristisch sei,29 und insoweit auf die ohnehin interessenpluralistische Ausrichtung von Kapitalgesellschaften hinzuweisen.30 Auch Kapitalgesellschaften, so würde die Folgerung lauten, sind Teil der ganz realen (Wirtschafts-, Sozial- und Klima-)Welt und daher selbstverständlich mitverhaftet, nicht nur die von ihnen verursachten Umweltbelastungen zu reduzieren, sondern auch darüber hinaus am klimainduzierten Umbau der Wirtschaft mitzuwirken.

4. Damit einher wird – nolens volens – eine Neujustierung des Gesellschaftsinteresses gehen. Die Verfolgung essentieller Nachhaltigkeitsziele wird, so die These, in den kommenden Jahren zu einem integralen Bestandteil des Interesses auch von Kapitalgesellschaften werden. Die Diskussion darüber ist längst angestoßen.31 Sie ist die Folge eines sich verdichtenden (europäischen) Normengefüges mit klarer Stoßrichtung, die die EU-Kommission als European Green Deal beschreibt.32 Unter diesen Vorzeichen ist Nachhaltigkeit keine Modeerscheinung und kein Thema des Zeitgeistes33, auch wenn es keine einheitliche und finale Definition von Nachhaltigkeit gibt34 und ange-ZHR 187 (2023) S. 581 (589)sichts der Vielgestaltigkeit der Wirkzusammenhänge35 auch nicht geben kann.

Man kann natürlich hinterfragen, ob der Topos des Gesellschaftsinteresses geeignet ist, diese Entwicklungen abzubilden – wenn es so etwas wie der “Kopf” der Gesellschaft ist, muss sie denselben ohnehin schon für allerhand hinhalten, wie die bisherigen Überlegungen gezeigt haben. Ganz abwegig scheint es aber nicht, den notwendigen juristischen Diskurs auch entlang des Gesellschaftsinteresses zu führen. Von diesem Ansatz aus gelingt zum Beispiel das schöne Bild, dass die Aktiengesellschaft zwar dem Formalziel der Rendite verpflichtet ist, welches aber der immanenten Schranke unterliegt, Drittbelastungen zu vermeiden.36 Auch der Deutsche Corporate Governance Kodex geht von einem modifizierten Verständnis des Gesellschaftsinteresses aus. Das ist zwar unverbindlich, zeigt aber, wie die Praxis denkt oder was sie tendenziell gutheißt. In der Präambel der am 22. 6. 2022 bekanntgemachten Fassung vom 28. 4. 2022 heißt es lyrisch, wie vergleichbar schon in den Fassungen seit 201037: “Der Kodex verdeutlicht die Verpflichtung von Vorstand und Auf-ZHR 187 (2023) S. 581 (590)sichtsrat, im Einklang mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, der Belegschaft und der sonstigen mit dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder) für den Bestand des Unternehmens und seine nachhaltige Wertschöpfung zu sorgen (Unternehmensinteresse).”38

5. Abschließend ein kurzer Blick auf die Corporate Sustainability Due Diligence-Richtlinie (EU-Richtlinie zu nachhaltigkeitsbezogenen Sorgfaltspflichten). Die EU-Kommission hatte im Februar 2022 einen Entwurf veröffentlicht,39 zu dem das EU-Parlament am 1. 6. 2023 Änderungsvorschläge unterbreitete (diese Fassung im Folgenden “CSDD-E”). 40 Derzeit ist der Entwurf Gegenstand interinstitutioneller Verhandlungen. Diese Richtlinie stellt den Berichtspflichten der CSRD 2022 entsprechende Verhaltenspflichten zur Seite. Unternehmen einer bestimmten Größe (250 Beschäftigte, 40 Mio. Euro weltweiter Netto-Umsatz) unterliegen sog. Due Diligence- oder Sorgfaltspflichten, sich zu bemühen, bestimmte negative Auswirkungen zu vermeiden und gegebenenfalls zu beheben (Artt. 4–11 CSDD-E). Ferner müssen sie einen Übergangsplan ausarbeiten und umsetzen, mit dem sie sicherstellen, dass das Geschäftsmodell und die Strategie des Unternehmens mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft, der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5°C und dem in der VO (EU) 2021/1119 (Europäisches Klimagesetz) festgelegten Ziel, in Bezug auf ihre Geschäftstätigkeit in der Union Klimaneutralität zu erreichen, in Einklang stehen (Art. 15 Abs. 1 CSDD-E). Dazu gehört u.a. eine Beschreibung der Art und Weise, wie die Strategie des Unternehmens im Hinblick auf den Klimaschutz, einschließlich der damit verbundenen Finanz- und Investitionspläne, umgesetzt wurde und künftig umgesetzt werden soll (Art. 15 Abs. 1 Buchst. e CSDD-E). Diese Pflichten lassen sich wiederum in den Kontext des Gesellschaftsinteresses stellen – nach antagonistischer Lesart als regulatorischer Eingriff in das “eigentliche Gesellschaftsinteresse”41 oder – alternativ – als Referenzrahmen, der das Selbstverständnis von Kapitalgesellschaften neu ausrichtet.

ZHR 187 (2023) S. 581 (591)

Dies gilt erst recht für die weitergehende Regelung im CSDD-Entwurf, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass “die Mitglieder der Unternehmensleitung (. . .) bei Ausübung ihrer Pflicht, im besten Interesse des Unternehmens zu handeln, die kurz-, mittel- und langfristigen Folgen ihrer Entscheidungen für Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen” (Art. 25 CSSD-E). Welche Implikationen sich daraus ergeben, ist Gegenstand einer lebhaften Diskussion, die auf verschiedenen Ebenen und von unterschiedlichen Ausgangspunkten geführt wird – bis hin zu einem sinngemäßen “how dare you”.42

Es lässt sich mit beachtlichen rechtlichen Argumenten vertreten, dass eine EU-konforme Umsetzung lediglich verlangt, dass die genannten Nachhaltigkeitsaspekte von der Unternehmensleitung im Sinne der bekannten Business Judgement Rule in die Abwägung eingestellt werden.43 Der Vorstand kann sich also – im sonstigen überwiegenden Gesellschaftsinteresse – stets über die Nachhaltigkeitsaspekte hinwegsetzen. So richtig es ist, dass sich die EU-Vorgabe auf diese Weise nahtlos in die tradierte Bindung des Vorstands an das Gesellschaftswohl einfügen lässt, so richtig ist auch, dass sie dann möglicherweise keine – oder kaum eine44 – Wirkung entfaltet.

Man kann den Akzent aber auch anders setzen und die Klarstellung begrüßen, dass Nachhaltigkeitsaspekte bei allen unternehmerischen Entscheidungen in die Abwägung einzubeziehen sind. Dann darf erwartet werden, dass diese Aspekte künftig neben anderen vom Unternehmensinteresse erfassten Belangen mit mehr Selbstbewusstsein, Selbstverständlichkeit und Transparenz eingebracht, diskutiert und damit faktisch auch stärker gewichtet werden. In diese Richtung mitwachsen muss allerdings auch die Irrtumstoleranz in der justiziellen Nachlaufkontrolle des “business judgement”. Dann verbreitert sich der Ermessensspielraum des Vorstands, entsprechend ergeben sich neue Entscheidungs- und Handlungsspielräume. Einige Unternehmen werden als Vorbild vorangehen, andere werden folgen, wieder andere müssen folgen, um Nachteile für die Gesellschaft abzuwenden – aus Reputationsgründen und/oder um sich stärker auffächernden Anlagepräferenzen der Investoren entgegenzukommen.

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Diese Marktmechanismen, regulatorisch flankiert u.a. durch die Offenlegungs-VO45 und Delegierte Rechtsakte zum Rahmenwerk der MiFiD II46, die das Nachhaltigkeitsprofil von Finanzprodukten transparenter machen, spielen sich zum Teil außerhalb des Regulierbaren ab. Dennoch gibt es vielfältige normative Steuerungen. Diese spannen sich von konkreten produktbezogenen Ge- und Verboten über gezielte Impulse durch Steuern und Abgaben, die Vorgabe quantitativer Kontingente (mit potentiell massiven Preiseffekten wie derzeit beim CO2-Emissionshandel) bis hin zu den bekannten Vorgaben für die Vergütungsstruktur börsennotierter Gesellschaften.47 So verändern sich insgesamt die Sorgfaltspflichten von Vorstand und Aufsichtsrat und das Eigeninteresse der Gesellschaft.48Shifting the baseline” nennen das die Soziologen und Ökonomen. Ob sich das “Shifting” eher allmählich, also im bisherigen langsamen Tempo vollzieht, oder in einem dynamischen Prozess mit Tipping Points (hier nicht als Beschreibung des fortschreitenden Klimawandels, sondern der sozialen und kulturellen und der damit einhergehenden wirtschaftlichen Veränderungen) und sich potenzierenden, zumindest nicht-linearen Effekten, wird sich zeigen.

6. Zurück zum CSDD-Entwurf: Vielleicht kann bereichs- oder sektorübergreifende Normgebung, soweit sie am unternehmerischen Leitungsverhalten ansetzt, derzeit nicht mehr leisten, angesichts der Dimension der Herausforderung: Es geht darum, unterschiedlichste Kausal- und Verantwortungsbeiträge auf Mikro- und Makroebenen in eine neue Richtung – die (globale) Transformation in eine klimaneutrale Wirtschaft – zu lenken und dafür unternehmerische Initiative und Freiheit nutzbar zu machen. Dass sich diese bisher in einem Umfeld entfalten konnten, das es in weitem Maße erlaubte, die Kosten eines exzessiven Ressourcenverbrauchs zu externalisieren, d.h. auf die globale Allgemeinheit einschließlich kommender Generationen abzuwälzen, muss dabei immer mitgedacht werden.49 In diesem Transformationsprozess müssen Kapitalgesellschaften neu ausloten, was ihre “licence to operate” – bildlich gesprochen, wohl wissend, dass wir uns gesellschaftsrechtlich undZHR 187 (2023) S. 581 (593) ordnungspolitisch nicht in einem Konzessionssystem befinden – von ihnen verlangt. Das “Interesse der Gesellschaft” wird mehr denn je geprägt werden durch einen Veränderungsdruck, der von normativer und wirtschaftlicher, aber auch von gesellschaftlicher und kultureller Seite kommt.

Aber damit habe ich längst einen Punkt erreicht, der das diszipliniert Juristische verlässt und ins Politische geht, und darf dieses Editorial schließen.

Rainer Krause

1

BGHZ 71, 40.

2

Anders noch das Reichsgericht, RGZ 68, 235, 244 ff. (Hibernia-Entscheidung).

3

Vgl. BGHZ 138, 71 (Sachsenmilch), Leitsatz 1: “Ein Hauptversammlungsbeschluss über die Herabsetzung des Grundkapitals bedarf keiner sachlichen Rechtfertigung. Eine solche folgt bereits aus der gesetzlichen Regelung, die auf einer Abwägung der Aktionärsbelange und des Interesses der Gesellschaft an der Maßnahme beruht.”

4

Zu Treuepflichten der Aktionäre gegenüber der Gesellschaft RGZ 146, 385, 395 (1935) mit der Aussage, der Aktionär habe sich “bei allen seinen Maßnahmen als Glied der Gemeinschaft zu fühlen, der er angehört”; ferner u.a. BGHZ 129, 136, 143 (“Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Gesellschaft und die gesellschaftsbezogenen Belange der Mitgesellschafter”) und BGHZ 142, 167, 170 (“Pflicht, auf die Interessen der Mitgesellschafter angemessen Rücksicht zu nehmen”).

5

Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 349 ff.

6

Beispielhaft Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015, § 14 Rdn. 14. Der Referentenentwurf (RefE) des AktG 1965 sah folgende Formulierung für den heutigen § 76 Abs. 1 AktG vor, damals als § 71 Abs. 1: “Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft so zu leiten, wie das Wohl des Unternehmens, seiner Arbeitnehmer und der Aktionäre sowie das Wohl der Allgemeinheit es fordern.” Der Regierungsentwurf reduzierte die Vorschrift (als § 73 Abs. 1 RegE) auf den heutigen Wortlaut des § 76 Abs. 1 AktG und begründet diese Kürzung damit, dass die Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, der Arbeitnehmer und der Allgemeinheit selbstverständlich sei und deshalb nicht ausdrücklich im Gesetz aufgeführt werden müsse.

7

Begr. RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 11.

8

BeckOGK AktG/Fleischer, 5. Aufl. 2022, § 87 Rdn. 34 zur Langfristigkeit von Vergütungselementen.

9

BGHZ 135, 244, 255 f.

10

Vgl. BGHZ 202, 26, 32 f. Rdn. 20: “Der Aufsichtsrat kann daran ein besonderes Interesse haben, um zu vermeiden, dass mit dem Bekanntwerden der dem Vorstand vorgeworfenen Pflichtverletzungen eine unzureichende Kontrolle durch den Aufsichtsrat aufgedeckt wird.”

11

Hierzu auch Paefgen, AG 2008, 761, 763 f.; ders., AG 2014, 554, 572; ähnlich Reichert, FS Hommelhoff, 2012, S. 907, 922 f.

12

BGHSt 50, 331.

13

Vetter, ZGR 2018, 338, 348.

14

RL 2014/95/EU des Europäischen Parlaments und Rates vom 22. 10. 2014 zur Änderung der RL 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen.

15

Mitteilung der Kommission vom 5. 7. 2017, Leitlinien für die Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen (Methode zur Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen), ABl. EU 2017/C 215/1.

16

Etwa der Hinweis in den Leitlinien für die Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen (Fn. 15), S. 13: “Die Adressaten der Informationen schätzen quantitative Informationen oft besonders, weil sie damit leichter die Fortschritte messen, die Konsistenz im Zeitverlauf prüfen und Vergleiche ziehen können.”

17

Leitlinien für die Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen (Fn. 15), S. 3.

18

So Begr. RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 11 zu § 93 Abs. 1 S. 2 AktG.

19

BGHZ 219, 193, 214 Rdn. 54 (Schloss Eller).

20

Erwägungsgrund (12) der CSR-Richtlinie; gleichlautend Begr. Regierungsentwurf BT-Drs. 18/9982, S. 26.

21

Zum Ganzen auch Vetter, ZGR 2018, 338, 355; Harbarth, ZGR 2018, 379, 390 f.

22

Habersack, ACP 220 (2020) 594, 629.

23

Vetter, ZGR 2018, 338, 343 f. spricht von “faktischer Pflichtenbindung”.

24

So besonders prominent Hommelhoff, etwa in FS Kübler, 2015, S. 291 ff.

25
26

RL (EU) 2022/2464 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. 12. 2022 zur Änderung der VO (EU) Nr. 537/2014 und der RL 2004/109/EG, 2006/43/EG und 2013/34/EU hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen.

27

Schön, ZfPW 2022, 207, 218.

28

BeckOGK/Fleischer (Fn. 8), § 76 Rdn. 42, spricht im Zusammenhang mit dem Gedanken der Corporate Social Responsibility von der “Indienstnahme des Aktienrechts für gesellschaftspolitische Anliegen”, Schön, ZHR 180 (2016) 279, 286 sah den Aspekt einer “staatlich veranlassten Unterwerfung der AG unter politisch geprägte Gemeinwohlanliegen”.

29

Harbarth, ZGR 2022, 533, 534.

30

Harbarth, ZGR 2022, 533, 550.

31

Beispielhaft Harbarth, ZGR 2022, 533, 555: “. . . dass die Grenzen zwischen Wirtschaftlichkeit und Gemeinwohl verschwimmen und voraussichtlich weiter verschwimmen werden.”; Habersack, ACP 220 (2020), 594 ff. passim; Schön, ZfPW 2022, 207 ff. passim; Dörrwächter, NZG 2022, 1083 ff.; Hübner/Habrich/Weller, NZG 2022, 644, 650; Vetter, ZGR 2018, 338, 346 ff.

32

Europäische Kommission, Der europäische Grüne Deal v. 11. 12. 2019, Comm(2019) 640 final.

33

So der Unterton, mit dem Wellerdt seinen Überblick über europäische Entwicklungen zur Förderung einer nachhaltigen Unternehmenstätigkeit in NZG 2021, 1344 aufmacht: “Der Zeitgeist veranlasst Unternehmen zunehmend zu nachhaltiger Führung.”

34

Es gibt aber zahlreiche Begriffsfestlegungen für bestimmte Regelungszwecke. So ist nach Art. 2 Nr. 17 der VO (EU) 2019/2088 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (Offenlegungs-VO) eine “nachhaltige Investition eine Investition in eine wirtschaftliche Tätigkeit, die zur Erreichung eines Umweltziels beiträgt, gemessen beispielsweise an Schlüsselindikatoren für Ressourceneffizienz bei der Nutzung von Energie, erneuerbarer Energie, Rohstoffen, Wasser und Boden, für die Abfallerzeugung, und Treibhausgasemissionen oder für die Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und die Kreislaufwirtschaft, oder eine Investition in eine wirtschaftliche Tätigkeit, die zur Erreichung eines sozialen Ziels beiträgt, insbesondere eine Investition, die zur Bekämpfung von Ungleichheiten beiträgt oder den sozialen Zusammenhalt, die soziale Integration und die Arbeitsbeziehungen fördert oder eine Investition in Humankapital oder zugunsten wirtschaftlich oder sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen, vorausgesetzt, dass diese Investitionen keines dieser Ziele erheblich beeinträchtigen und die Unternehmen, in die investiert wird, Verfahrensweisen einer guten Unternehmensführung anwenden, insbesondere bei soliden Managementstrukturen, den Beziehungen zu den Arbeitnehmern, der Vergütung von Mitarbeitern sowie der Einhaltung der Steuervorschriften”.

35

Anschauliche praktische Beispiele bei Möllers, ZHR 185 (2021) 881, 895 ff. Der sogleich unter 5. behandelte Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der RL (EU) 2019/1937 (COM(2022) 71 final) versucht, die gesamte Wertschöpfungskette zu erfassen und stellt insoweit auf “etablierte Geschäftsbeziehungen” ab. Diese sind definiert als “direkte oder indirekte Geschäftsbeziehung, die in Anbetracht ihrer Intensität oder Dauer beständig ist oder sein dürfte und die keinen unbedeutenden oder lediglich untergeordneten Teil der Wertschöpfungskette darstellt” (Art. 3 Buchst. f).

36

Bachmann, ZHR 187 (2023) 166, 180 f. Das trifft ziemlich genau die bekannte Sustainability-Definition der Brundtland-Kommission von 1987: “Meeting the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.”

37

Die Kodex-Fassung von 2009 war noch unentschlossener und formulierte in Ziff. 4.1.1: “Der Vorstand leitet das Unternehmen mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöpfung in eigener Verantwortung und im Unternehmensinteresse, also unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder).” Seit 2010 heißt es in Ziff. 4.1.1: “Der Vorstand leitet das Unternehmen in eigener Verantwortung im Unternehmensinteresse, also unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder) mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöpfung.” Zum Kodex auch Habersack, AcP 220 (2020) 613 f.

38

Weitergehend schlägt der von der Bundesregierung eingesetzte Sustainable Finance-Beirat in seinem Abschlussbericht “Shiftung the Trillions” vom 25. 2. 2021, S. 96, vor, in § 76 Abs. 1 AktG klarstellend zu formulieren “Leitung im langfristigen Interesse der Gesellschaft unter angemessener Berücksichtigung von Nachhaltigkeitszielen”.

39

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der RL (EU) 2019/1937, COM(2022) 71 final. Hierzu ausführlich Spindler, ZIP 2022, 765 ff. und Hübner/Habrich/Weller, NZG 2022, 644 ff.

40

T9–0209/2023.

41

Vgl. Birkholz, DB 2022, 1306, 1312 f.

42

Tendenziell J. Schmidt, NZG 2022, 481: “schier unlösbare Aufgabe. Zielkonflikte sind vorprogrammiert. . . . Unternehmerisches Handeln wird gehemmt. Die ,sustainable directors’ duties’ könnten sich am Ende als ,unsustainable’ für die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen erweisen.”

43

Harbarth, AG 2022, 633, 638; Spindler, ZIP 2022, 765, 776; vorsichtiger Dörrwächter, NZG 2022, 1083, 1088.

44

Um dem effet utile-Einwand zu begegnen, konzediert Harbarth (AG 2022, 633, 639), dass Art. 25 Abs. 1 CSDD-E “nicht jede praktische Wirksamkeit” entbehre.

45

VO (EU) 2019/2088 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor.

46

Delegierte RL (EU) 2021/1269 der Kommission v. 21. 4. 2021 zur Änderung der Delegierten RL (EU) 2017/593 durch Einbeziehung von Nachhaltigkeitsfaktoren in die Produktüberwachungspflichten, sowie Delegierte VO (EU) 2021/1253 der Kommission v. 21. 4. 2021 zur Änderung der Delegierten VO (EU) 2017/565 im Hinblick auf die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsfaktoren, -risiken und -präferenzen in bestimmte organisatorische Anforderungen und Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit von Wertpapierfirmen.

47

Überblick bei Schön, ZfPW 2022, 207, 222 ff. und passim.

48

In diese Richtung wohl auch Habersack mit vielen Beispielen, ACP 220 (2020) 594, 630–633.

49

Dies ist von Ökonomen vielfach als “Marktversagen” beschrieben worden, aber natürlich längst in der juristischen Literatur angekommen, vgl. etwa Schön, ZfPW 2022, 207, 222.

 
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