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ZHR 182 (2018), 105-113
Mülbert 

Rechtsschutzlücken bei Short Seller-Attacken – und wenn ja, welche?

I. Einleitung

Wirecard, Ströer, Aurelius1 und Anfang März 2018 ProSiebenSat 12 – gemein haben diese börsennotierten Gesellschaften, dass sie in den letzten Jahren jeweils das Ziel einer so genannten Short Seller-Attacke mit teils drastischen Auswirkungen auf ihren Börsenkurs wurden. In den Spekulationen nach den ersten drei Attacken darüber, ob es sich hierbei um ganz vereinzelt bleibende Vorgänge oder aber um ein neues Geschäftsmodell handeln würde, scheinen diejenigen das Richtige getroffen zu haben, die unter Hinweis auf das rigorosen Vorgehen der US-Aufsichtsbehörden gegenüber den – in den USA freilich häufig ganz anonym bleibenden3 – Akteuren prognostizierten, dass diese auf andere Aktienmärkte ausweichen würden.4

In der Tat erscheint das Geschäftsmodell der Short Seller-Attacken denn auch verlockend einfach, indem es lediglich drei Schritte erfordert: (i) Leerverkauf von Aktien der Zielgesellschaft, (ii) Veröffentlichung negativer Nachrichten über die Gesellschaft, (iii) Eindeckung mit den im Kurs gesunkenen Aktien der Gesellschaft zur Erfüllung der Verpflichtung aus dem Leerverkauf bzw. dem Deckungsgeschäft. Für die Short Seller können derartige Attacken aufgrund der teils heftigen Kursverluste äußerst profitabel sein, wogegen eine betroffene Zielgesellschaft schon im Vorfeld der Attacke mit einem höheren Leerverkaufsvolumen, gegebenenfalls begleitet von Gerüchten, umzugehen hat, und nach der Veröffentlichung eines negativen Research Reports gegebe¬ZHR 182 (2018) S. 105 (106)nenfalls an mehreren Fronten – Investor Relations, aber auch gegenüber Kreditgebern und Lieferanten/Abnehmern – kommunikativ stark gefordert ist.

Die Erfahrungen in den eingangs genannten vier Fällen waren aus Sicht der betroffenen Gesellschaften, was den derzeitigen Rechtsrahmen für ein derartiges Vorgehen angeht, wohl eher ernüchternd und haben den Wunsch nach zusätzlichen Restriktionen geweckt. Zutreffend ist hieran, dass nach geltendem Recht eine Short Seller-Attacke bei Einhaltung bestimmter Kautelen zulässig ist (III.). Für Verschärfungen dieses Rechtsrahmens (IV.) besteht bei näherem Zusehen aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben in Gestalt der Marktmissbrauchsverordnung5 aber nur wenig Raum und auch nur begrenzt Anlass. Nicht Defizite des geltenden Rechtsrahmens, sondern allenfalls Defizite bei der Wahrnehmung der bestehenden Möglichkeiten sind zu beklagen.

II. Aktivistische Short Seller als Gegenpol zu aktivistischen Aktionären

In der zunehmend intensiveren Diskussion um das Wirken aktivistischer Aktionäre wird zu Recht nach den jeweils verfolgten Zielen unterschieden, wobei neuerdings durchaus Überlappungen der Ziele – bei unterschiedlichen Motiven – zu verzeichnen sind:6

  • Shareholder Value-Maximierer, insbesondere Corporate Governance-Aktivisten und strategische Aktivisten

  • Socially Responsible Investment-Investoren (SRI-Investoren)

  • Gemeinwohl-Aktivisten, die etwa Umweltschutzbelange oder bspw. Belange wie den Ausstieg aus der Produktion oder dem Export von Kriegswaffen forcieren

  • Special Situations-Aktivisten, die sich insbesondere bei (bevorstehenden) Übernahmeangeboten und bei Strukturvorhaben wie Fusionen und dem Abschluss von Beherrschungsverträgen einkaufen.

Short Seller sind nach ihren Zielen und ihrem Instrumentenkasten nachgerade das Gegenstück zu diesem Kosmos der aktivistischen Aktionäre.7 Ihr Ziel ist die Herbeiführung eines möglichst niedrigen Kurses (Shareholder Va¬ZHR 182 (2018) S. 105 (107)lue Minimization) ohne Rekurs auf die Aktionärsstellung mit ihren Mitgliedschaftsrechten. In ihrer Bezeichnung als Activist Investors8 kommt diese ganz andere Verhaltensorientierung treffend zum Ausdruck.

III. Short Seller-Aktivismus: die lex lata

1. Positive Anforderungen

Die positiven Anforderungen an die Tätigkeit von Short Sellern ergeben sich, was den Leerverkauf als solchen anbelangt, aus der Leerverkaufs-VO.9 Anknüpfend an die eingegangene Leerverkaufsposition müssen Halter einer Netto-Leerverkaufsposition in Aktien bzw. Verwaltungseinheiten oder bestimmte Unternehmen innerhalb einer Unternehmensgruppe nach Art. 6 VO Nr. 236/2012 ihre Netto-Leerverkaufspositionen in Aktien gegenüber der Öffentlichkeit offenlegen, wenn diese Position den Schwellenwert von 0,5 % des ausgegebenen Aktienkapitals des betreffenden Unternehmens erreicht, über- oder unterschreitet; oberhalb dieses Schwellenwerts sind Veränderungen in Intervallen von 0,1 % des ausgegebenen Aktienkapitals des betreffenden Unternehmens offenzulegen.10

Der Research Report als zweites zentrales Element einer Short Seller-Attacke darf negative Aussagen/Einschätzungen zur Lage der Gesellschaft und ihrer Geschäftstätigkeit enthalten. Leerverkäufer können allerdings nach Art. 20 Abs. 1 VO Nr. 596/2014, anknüpfend an die veröffentlichte Analyse, dazu verpflichtet sein, Interessenkonflikte – und so insbesondere ihre Short-Position – hinsichtlich der Finanzinstrumente, auf die sich die Informationen beziehen, offenzulegen. Dafür muss es sich – wie im Falle von ProSieben/Viceroy der Fall – bei den veröffentlichten Informationen um Anlageempfehlungen (Art. 3 Abs. 1 Nr. 35) oder Anlagestrategieempfehlungen (Art. 3 Abs. 1 Nr. 34) gemäß der VO Nr. 596/2014 handeln.

2. Verbot der Marktmanipulation

Das Verbot der Marktmanipulation aus Art. 15 i. V. m. 12 Abs. 1 lit. b) und lit. c) VO Nr. 596/2014 zieht Short Seller-Attacken zwar ohne weiteres eine rechtliche Grenze, wenn die verbreiteten Informationen falsch oder irreführend sind. Sind sie hingegen zutreffend oder bilden sie jedenfalls eine nachvoll¬ZHR 182 (2018) S. 105 (108)ziehbare Analyse bzw. eine plausible Bewertung oder Prognose, scheidet ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 lit. b) und lit. c) VO Nr. 596/2014 aus. Insbesondere gibt eine verbreitete Information nicht allein deshalb ein falsches Signal, weil genauere oder vollständigere Angaben möglich gewesen wären oder weil die Angaben tendenziös erscheinen. Allerdings können „an sich“ richtige Angaben irreführend sein, wenn sie so gefasst sind, dass das Anlegerpublikum sie missversteht. In dem bloßen Verschweigen offenlegungspflichtiger Tatsachen – wie etwa der Netto-Leerverkaufsposition nach Art. 6 VO Nr. 236/2012 – kann nach neuem Recht kein Verstoß gegen das Marktmanipulationsverbot liegen.11

Als Verbotstatbestand kommen deshalb bei zutreffenden bzw. plausiblen Analysen nur die Art. 15, 12 Abs. 2 lit. d) VO Nr. 596/2014 in Betracht. Das vorwerfbare und von Art. 12 Abs. 2 lit. d) VO Nr. 596/2014 als Regelbeispiel einer Marktmanipulation verbotene Verhalten kann danach in der unterlassenen Offenlegung eines Interessenkonflikts durch den Leerverkäufer liegen.12 Sofern die durch den Leerverkäufer veröffentlichte Analyse zum Zielunternehmen sich nämlich – wie regelmäßig – als Stellungnahme i. S. des Art. 12 Abs. 2 lit. d) VO Nr. 596/2014 qualifiziert, ist der Stellungnehmende verpflichtet, gleichzeitig mit seiner Stellungnahme zu dem Zielunternehmen mitzuteilen, dass er eine Short-Position in dem Unternehmen hält. Nicht hingegen muss er mitteilen, dass er diese Positionen kurz nach der Stellungnahme wieder schließen möchte.13 Genauso wenig muss er zur Erfüllung seiner Pflicht aus Art. 12 Abs. 2 lit. d) VO Nr. 596/2014 mitteilen, welchen Umfang seine Short-Position hat. Zwar kann sich eine solche Pflicht aus Art. 6 VO Nr. 236/2012 ergeben. Die Verletzung von Art. 6 VO Nr. 236/2012 ist aber mit Blick auf das Marktmanipulationsverbot unerheblich. Art. 12 VO Nr. 596/2014 und insbesondere dessen Abs. 2 lit. d) ist insgesamt die Wertung zu entnehmen, dass Short Seller-Attacken grundsätzlich zulässig sind, solange nur dem Markt hinreichend deutlich gemacht wird, welche eigenen wirtschaftlichen Interessen der Leerverkäufer durch seine Informationsverbreitung verfolgt. Diese Wertung stimmt auch mit den Anforderungen an eine Anlageempfehlung oder Anlagestrategieempfehlungen i. S. des Art. 20 VO Nr. 596/2014 überein (III. 1.).

3. Schranken aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht?

Leerverkäufer sind in aller Regel im Zeitpunkt der Informationsverbreitung keine Anteilseigner.14 Mit Blick darauf, dass die Leerverkäufer vor dem Settle¬ZHR 182 (2018) S. 105 (109)ment ihrer Short-Positionen jedenfalls für einen kurzen Zeitraum Aktionäre werden können oder aber zur Deckung ihres Leerverkaufs zumindest schon einen unbedingten Anspruch auf Übertragung des Eigentums an den leerverkauften Aktien haben können, ist allenfalls an eine vorwirkende Treuepflicht zu denken. Im Ergebnis ist auch bei deren grundsätzlicher Anerkennung15 jedoch Zurückhaltung geboten, insbesondere weil weder ein tatsächlicher Eigentumserwerb vor der Erfüllung, noch ein unbedingter Eigentumsübertragungsanspruch zwingend notwendig sind.16 Der Leerverkäufer kann seinen Leerverkauf nämlich auch durch eine so genannte Lokalisierungszusage eines geeigneten Dritten decken (Art. 12 Abs. 1 lit. c) VO Nr. 236/2012). In diesem Fall braucht er keinen unbedingten Anspruch auf Übertragung des Eigentums an den leerverkauften Aktien innezuhaben, sondern kann den Dritten zur Lieferung unmittelbar an seinen Käufer anweisen, weswegen er zu keinem Zeitpunkt Eigentümer der Aktien und damit Anteilseigner des Zielunternehmens sein wird.

4. Schadensersatzpflichten

Aus Schadensersatzansprüchen ergeben sich für Short Seller-Attacken, die sich im vorstehend umrissenen Pflichtenrahmen halten, grundsätzlich keine engeren Grenzen, und zwar unabhängig davon, ob man dem Verbot der Art. 15 i. V. m. Art. 12 und/oder Art. 20 VO Nr. 596/2014 nunmehr Schutzgesetzeigenschaft zumisst. Bei derart „rechtskonformen“ Attacken kommt zudem auch ein Anspruch aus § 826 BGB nicht in Betracht.

IV. Short Selling-Aktivismus: Überlegungen de lege ferenda

Im Ausgangspunkt werden Leerverkäufe in der finanzökonomischen Forschung unter vielen Gesichtspunkten als wohlfahrtsfördernd betrachtet. Dem hat sich auch der europäische Gesetzgeber – jedenfalls unter normalen Marktbedingungen – mit der VO Nr. 236/2012 insbesondere hinsichtlich der Förderung der Genauigkeit und Schnelligkeit der Marktpreisbildung angeschlossen (Erwägungsgrund 5 VO Nr. 236/2012). Ohne die Möglichkeit von Leerverkäufen würden negative Informationen entweder überhaupt nicht oder nur ZHR 182 (2018) S. 105 (110)verzögert in den Kurs einfließen.17 Zur Untermauerung dieser Zusammenhänge wird gerade darauf abgehoben, dass die Möglichkeit von Leerverkäufen Informationshändlern einen zusätzlichen und erwünschten (!) Anreiz gibt, auch nach negativen Informationen aktiv zu suchen. Theoretisch erfüllen Short Seller-Aktivisten daher eine wichtige Aufgabe zur Steigerung der Informationseffizienz des Marktes.

Andererseits wird Short Seller-Attacken – wie Leerverkäufen im Allgemeinen – aber auch das Potenzial zur Herbeiführung von Marktverwerfungen zugesprochen.18 Insbesondere im Umfeld „nervöser“ Kapitalmärkte haben sie durchaus das Potenzial, einen übertriebenen, weil durch die Informationen nicht gerechtfertigten, Abwärtstrend auszulösen.

1. Ursachen

Fragt man nach den Ursachen für das vermehrte Auftreten von Short Seller-Attacken, so ist aus systematischer Sicht in den letzten Jahren auf die rasante Digitalisierung der Kapitalmärkte, und insbesondere die Informationsverarbeitung im algorithmischen Handel zu verweisen. Die Veröffentlichung eines Negativreports wird von Algorithmen erkannt und unmittelbar in entsprechende Leerverkäufe übersetzt. Die Kursreaktionen auf den Bericht treten dadurch deutlich schneller ein und ein potenzieller Gewinn des Short Sellers lässt sich schneller realisieren. Auf der Ebene der einzelnen Gesellschaften erhöhen verschiedene Faktoren die Gefahr, das Opfer einer Short Seller-Attacke zu werden. Insbesondere können vorangegangene starke Kursanstiege, Zweifel an der Bilanzierungspraxis, eine undurchsichtige Unternehmensstruktur und ein allgemein eher intransparentes Kommunikationsverhalten des Unternehmens sowie schließlich die Zusammensetzung des Aktionärskreises (Hedgefonds, Algotrader etc.) eine gefahrverstärkende Rolle spielen.

2. Rechtspolitische Desiderata

De lege ferenda werden ganz unterschiedliche, das Auftreten von Short Seller-Attacken begrenzende Regulierungsansätze in der Diskussion vorgebracht. Zum einen sollen strengere Anforderungen an die Darstellung auch ZHR 182 (2018) S. 105 (111)zutreffender Informationen bzw. an die durch die Leerverkäufer veröffentlichten Bewertungen gestellt werden oder die Kommunikation zutreffender Informationen/Bewertungen gewissen Restriktionen – etwa durch das Erfordernis einer Vorab-Kenntnisgabe gegenüber der Gesellschaft – unterworfen werden. Zum anderen soll unter dem Stichwort des private enforcement das Zivilrecht für eine Eindämmung fruchtbar gemacht werden, insbesondere, indem die Anspruchsgrundlagenpalette durch mehr Schutzgesetze oder eine problemorientierte Auslegung des § 826 BGB erweitert wird.

Nationalen Alleingängen in diesem Zusammenhang sind aber durch die maximalharmonisierende Wirkung der VO Nr. 596/2014 (MAR)19 durchaus Grenzen gezogen. Jedenfalls aufsichtsrechtlich kommen Verschärfungen mit Blick auf zutreffende Berichte unter Offenlegung bestehender Interessenkonflikte nicht in Betracht, da der MAR – wie oben dargelegt (III. 2.) – die Wertung zu entnehmen ist, dass zutreffende Informationen und Berichte – jedenfalls bei Offenlegung etwaiger Interessenkonflikte – hinzunehmen sind. Inwieweit die Maximalharmonisierung im Aufsichtsrecht auch auf das allgemeine Zivilrecht (§§ 823 Abs. 2, 826 BGB) oder gar auf das Gesellschaftsrecht (Treuepflicht) einwirkt, ist freilich noch immer nicht abschließend geklärt. Jedenfalls im Zivilrecht spricht ganz ähnlich wie im MiFID/Bond-Judikatur-Sachverhalt20 viel dafür, dass es, jedenfalls ohne das Vorliegen qualifiziert zusätzlicher, die Sittenwidrigkeit begründender Umstände, keine strengeren Verhaltensstandards auferlegen kann. Der Rekurs auf Bestimmungen der MAR als Schutzgesetze im Sinne des § 823 BGB ist demgegenüber schon deshalb nicht weiterführend, weil es bei den hier in Rede stehenden Short Seller-Attacken gerade auch um MAR-konforme Verhaltensweisen geht. Eine andere Frage ist, ob im Falle eines Verstoßes gegen das Marktmanipulationsverbot private Schadensersatzansprüche zu einer effektiveren Rechtsdurchsetzung führen würden und ob dies unionsrechtlich zwingend entsprechende nationale Schadensersatzansprüche erfordert.21 Schadensersatzansprüche sind zudem schon wegen Schwierigkeiten der Prozessführung und Vollstreckung in typischerweise grenzüberschreitenden Sachverhalten nicht zielführend, vor allem auch, weil konkret handelnde Akteure, die gegebenenfalls auch netzwerkartig organisiert sind und agieren, unbekannt sind. Und auch eine Erstreckung auf das Gesellschaftsrecht, insbesondere durch eine Ausweitung der Treuepflicht, wäre allenfalls eine Partiallösung. Statt über Leerverkäufe können ähnliche Strategien nämlich auch über andere Instrumente (CFDs, Derivate wie Knock-Out-Optionen) verfolgt werden, die ihrerseits von vornherein keine Begründung einer Aktionärsstellung erfordern.

ZHR 182 (2018) S. 105 (112)

3. Bewertung

Aktivistische Investoren sind – auch bei rechtskonformem Verhalten – für Unternehmen lästig, können aber gleichwohl insgesamt effizienzsteigernd wirken. Zum einen erhöhen sie – wie schon betont – die Informationseffizienz des Marktes.22 Zum anderen können sie ex ante einen disziplinierenden Effekt auf das Management haben.23 Die Gefahr eines durch die Short Seller-Attacke ausgelösten Herdeneffekts,24 wird durch die Anforderungen an die Veröffentlichung und die Darstellung zur eigenen Leerverkaufsposition (Interessenkonflikt) zudem abgemildert.

Das Vorgehen der Viceroy Research Group im Falle ProSiebenSat 1 illustriert, wie schwer eine zeitnahe Bewertung des Tuns fällt: Gewicht und Richtigkeit der Vorwürfe sind für externe Dritte nämlich nur schwer einzuschätzen. Das Wirken desselben aktivistischen Investors im Falle Steinhoff ist aber eine klare Illustration der theoretischen Vorteile. Der Fall Steinhoff mahnt deshalb jedenfalls zur Vorsicht vor einer vorschnellen Verurteilung entsprechenden Verhaltens. Vielleicht in diesem Sinne liest sich die Warnung der BaFin vom 6. 3. 2018 mit Blick auf die Aktivitäten der Viceroy Research Group eher zurückhaltend (Hinweis auf fehlende Anzeige nach § 86 WpHG).25

4. Die Rolle der BaFin

Problemadäquate Lösungen sind daher nicht in der Schließung vermeintlicher Rechtsschutzlücken durch Gesetzgeber oder qua Richterrecht zu suchen, insbesondere nicht in einer zweifelhaften Schärfung von Schadensersatzansprüchen. Aussichtsreicher ist vielmehr ein effektives Krisenmanagement im Falle eines ungerechtfertigten oder übersteigerten Kursverfalls. Das notwendige Instrumentarium dafür steht bereits de lege lata bereit. Nach § 6 Abs. 2 S. 4 WpHG hat die BaFin das Recht, den Handel mit einzelnen oder mehreren Finanzinstrumenten vorübergehend zu untersagen oder die Aussetzung des Handels in einzelnen oder mehreren Finanzinstrumenten an Märkten, an denen Finanzinstrumente gehandelt werden, anzuordnen, soweit dies zur Durchsetzung der Verbote und Gebote des WpHG oder der VO Nr. 596/2014 oder zur Beseitigung oder Verhinderung von Missständen nach § 6 Abs. 1 ZHR 182 (2018) S. 105 (113)WpHG (z. B. die ordnungsgemäße Durchführung des Handels mit Finanzinstrumenten) geboten ist. Zum anderen kann die BaFin bzw. die jeweilige Börsenaufsicht im Falle eines signifikanten Kursverfalls innerhalb eines Handelstages gegenüber der Schlussnotierung des Vortages nach Art. 23 VO Nr. 236/2012 sogar gedeckte Leerverkäufe von Finanzinstrumenten befristet beschränken (sog. circuit breaker).

Abzuwarten bleibt, ob der Mut zur Wahrnehmung dieser Aussetzungsbefugnis in der Zukunft bestehen wird. In der Sache ist die Entscheidung zur Aussetzung durchaus nicht trivial, da die Grenzen zwischen berechtigter Kurskorrektur und ungerechtfertigtem Kursverfall durchaus fließend sein können.26 Zugleich wirft auch die Dauer einer Aussetzung schwierige Bewertungsfragen auf. Im Rahmen von Short Seller-Attacken ist aus Sicht des betroffenen Unternehmens ein Zeitraum wünschenswert, bis zudem es in der Lage ist, eine fundierte Erwiderung zum Report vorzulegen. Eine Aussetzung, die über wenige Tage hinausgeht, wird allerdings weder den Aktionären des Unternehmens noch dem Kapitalmarkt insgesamt zumutbar sein. Dies unterstreicht, dass sich potenziell betroffene Unternehmen bereits im Vorfeld durch geeignete Maßnahmen auf Short Seller-Attacken vorbereiten sollten, um im Fall der Fälle durch eine koordinierte öffentlichkeitswirksame Informationspolitik – fundierte rasche Presseerklärungen, vertiefte Stellungnahmen im Nachgang, Flankierung durch Pressekonferenzen – zeitnah reagieren zu können. Dazu gehört auch, bereits im Vorfeld Organisationsstrukturen mit klaren Zuständigkeitsverteilungen auszuarbeiten (Defence Team) und konkrete Ablaufpläne für den Ernstfall vorzubereiten.27

Peter O. Mülbert

1

Zu den Fällen Wirecard/Zatarra, Stoer/Muddy Waters, Aurelius/Gotham City etwa Hasselbach/Peters, BB 2017, 2147, , 2150.

2

Zu ProSiebenSat1/Viceroy Research Group etwa Kalbhenn, ProSieben im Visier von Shortsellern, Börsen-Zeitung v. 7. 3. 2018, Nr. 46, 1.

3

Dazu Katz/Hancock, Short Activism: The Rise in Anonymous Online Short Attacks, v. 27. 11. 2017, abrufbar unter https://corpgov.law.harvard.edu/2017/11/27/short-activism-the-rise-in-anonymous-online-short-attacks/.

4

Als Reaktion hierauf s. auch die schwerpunktmäßig auf das Thema Short Seller-Attacken fokussierende Studie „Investor Activism 2018“ (BUJ e.V./CLI/CMS Deutschland) vom 19. 3. 2018 mit Antworten von 102 Rechtsabteilungen deutscher Aktiengesellschaften.

5

Im Folgenden VO Nr. 596/2014.

6

Siehe etwa Kocher, DB 2016, 2887, 2887.

7

Aus dem deutschen Schrifttum etwa Kocher, DB 2016, 2887; Hasselbach/Peters, BB 2017, 1347, , 1350 ff.; Graßl/Nikoleyczik, AG 2017, 49; Schockenhoff, ZIP 2017, 1785; Bayram/Meier, BKR 2018, 55; Schockenhoff/Culmann, AG 2016, 517; dies., ZIP 2015, 297; Heuser, Der Konzern 2012, 308; aus dem internationalen Schrifttum siehe etwa Wong/Zhao, Post-Apocalyptic: The Real Consequences of Activist Short-Selling, Working Paper 2017, abrufbar unter https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2941015; Zhao, Activist short-selling, Working Paper 2016, abrufbar unter https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2852041; Brunnermeier/Oehmke, 18 Review of Finance (2013) 2153; He/Tian, Do short sellers exacerbate or mitigate managerial myopia? Evidence from patenting activities, Indiana University Working Paper 2016, abrufbar unter https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2380352; Grullon/Michenaud/Weston, 28 Review of Financial Studies (2015) 1737.

8

Graßl/Nikoleyczik, AG 2017, 49, 51.

9

Im Folgenden VO Nr. 236/2012.

10

Staub/Grundmann, HGB, Bankvertragsrecht 2, Bd. 11/2, 5. Aufl. 2018, 6. Teil, Art. 6 VO Nr. 236/2012; Fuchs/Weick-Ludewig, WpHG, 2. Aufl. 2016, § 30h WpHG, Rdn. 51; Just/Voß/Ritz/Becker/von Buttlar/Petersen, WpHG, 2015, § 30h WpHG, Rdn. 70; Moloney, EU Securities and Financial Markets Regulation, 3rd ed. 2014, VI. 3. 8., S. 563; Mülbert/Sajnovits, ZBB 2012, 266, 281.

11

Dies ziehen Schockenhoff/Culmann, AG 2016, 517, 520 f. in Betracht. Gegen die Möglichkeit einer Marktmanipulation durch reines Unterlassen ausführlich Sajnovits/Wagner, WM 2017, 1189, 1195.

12

Schockenhoff/Culmann, AG 2016, 517, 521 f.; Graßl/Nikoleyczik, AG 2017, 49, 55 f.

13

Graßl/Nikoleyczik, AG 2017, 49, 55.

14

Graßl/Nikoleyczik, AG 2017, 49, 51, die deshalb statt von shareholder activism von investor activism sprechen.

15

Ausführlich Mülbert/Kiem, ZHR 177 (2013) 819; krit. Cahn/Decher, Der Konzern 2015, 469.

16

So auch Schockenhoff/Culmann, AG 2016, 517, 525.

17

Theoretisch grundlegend Miller, 32 Journal of Finance (1977) 1151; Diamond/Verrecchia, 18 Journal of Financial Economics (1987) 277. Diese These ist durch zahlreiche empirische Studien belegt, siehe Bris/Goetzmann/Zhu, 62 Journal of Finance (2007) 1029; Beber/Pagano, 68 Journal of Finance (2013) 343; Boehmer/Wu, 26 Review of Financial Studies (2013) 287 ff.; Dechow/Hutton/Meulbroek/Sloan, 61 Journal of Financial Economics (2001) 77; Desai/Ramesh/Thiagarajan/Balachandran, 57 Journal of Finance (2002) 2263; Boehmer/Jones/Zhang, 63 Journal of Finance (2008) 491; a.A. etwa Shkilko/VanNess/VanNess, 41 Financial Management (2012) 345.

18

Wong/Zhao, Post-Apocalyptic: The Real Consequences of Activist Short-Selling, Working Paper 2017, abrufbar unter https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2941015, S. 8.

19

Klöhn, AG 2016, 423, 425; Poelzig, NZG 2016, 528, 529; Sajnovits/Wagner, WM 2017, 1189, 1195.

20

Dazu schon Mülbert, WM 2007, 1149, 1157, ders., ZHR 172 (2008) 171, , 172 ff.

21

So etwa Poelzig, ZGR 2015, 801, 829; Zetzsche, ZHR 179 (2015) 490, , 494; tendenziell auch Seibt, ZHR 177 (2013) 388, , 424; Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 607; Hellgardt, AG 2012, 154, 165 f.

22

Hirshleifer/Teoh/Yu, 24 Review of Financial Studies (2011) 2429; Karpoff/Lou, 65 Journal of Finance (2010) 1879.

23

Massa/Zhang/Zhang, 28 Review of Financial Studies (2015) 1701, 1702, ferner auch zu anderen – teils konfligierenden – Effekten von Leerverkäufen auf das Verhalten des Managements von potenziellen Zielunternehmen.

24

Wong/Zhao, Post-Apocalyptic: The Real Consequences of Activist Short-Selling, Working Paper 2017, abrufbar unter https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2941015, S. 8.

25

Abrufbar unter https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Meldung/2018/meldung_180309_viceroy_research.html. Der einleitende Hinweis auf die Anonymität der Akteure wegen Fehlens eines Impressums ist insofern etwas eigenartig, als die hinter Viceroy stehenden Individuen längst bekannt sind.

26

Im Zusammenhang mit Art. 23 VO Nr. 23/2012 etwa Howell, 16 Journal of Corporate Law Studies (2016) 333, 364.

27

Dazu Mayer-Uellner/Engelen, Die erfolgreiche Verteidigung gegen eine Short Attack, abrufbar unter: https://www.cmshs-bloggt.de/gesellschaftsrecht/aktienrecht/erfolgreiche-verteidigung-gegen-short-attack/. Die Autoren weisen zudem auf denkbare Kursstabilisierungsmaßnahmen durch Aktienkäufe des Managements hin.

 
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