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05.01.2004
: Die Pluralisierung des europäischen Gesellschaftsrechts

EinleitungNach einer längeren Phase der Stagnation ist in letzter Zeit erhebliche Bewegung in das europäische Gesellschaftsrecht geraten. Dabei zwingt die schiere Masse aktueller Entwicklungen zu einer gewissen Stilisierung. Da ist an allererster Stelle natürlich der Aktionsplan der EU-Kommission zur Reform des Europäischen Gesellschaftsrechts zu nennen, der am 21. 5. 2003 angenommen wurde1Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament, Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union - Aktionsplan, 21. 5. 2003, KOM(2003)284 endg., abgedruckt in: NZG 2003, Sonderbeilage 13.. Darin werden für die kommenden Jahre nicht weniger als 24 verschiedene legislative und nicht legislative Maßnahmen, Richtlinien, Verordnungen und Studien ins Auge gefasst. Hand in Hand damit hat die Kommission am selben Tag einen weiteren Aktionsplan, nämlich zur Stärkung der Abschlussprüfung angenommen2Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament, Stärkung der Abschlussprüfung in der EU, 21. 5. 2003, KOM(2003)286 endg.. Hier werden immerhin zehn Maßnahmen angekündigt. Beide Aktionspläne bauen auf den umfangreichen und grundlegenden Vorschlägen der hochrangigen Expertengruppe, der so genannten High Level Group of Company Law Experts um den Niederländer Jaap Winter vom 4. 11. 2002, auf3Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa, Brüssel, 4. 11. 2002, abgedruckt in: ZIP 2003, 863, und dazu Wiesner, ZIP 2003, 977.. Flankiert werden diese beiden gesellschaftsrechtlichen Aktionspläne vom Aktionsplan Finanzdienstleistungen, den der Europäische Rat in Lissabon gebilligt hat4Finanzdienstleistungen: Umsetzung des Finanzmarktrahmens: Aktionsplan, KOM(1999)232.. Er umfasst 16 Einzelprojekte, wiederum Richtlinien, Verordnungen und nicht legislative Maßnahmen. Weitere Beispiele ließen sich nennen, etwa das Dauerprojekt der Übernahmerichtlinie5Letzte Entwurfsfassung: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend Übernahmeangebote vom 2. 10. 2002, KOM(2002)534 endg. oder das Projekt der Richtlinien betreffend grenzüberschreitende Fusionen6Letzte Entwurfsfassung: Vorschlag einer 10. Richtlinie des Rates nach Art. 54 Abs. 3 lit. g des Vertrages über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Aktiengesellschaften, KOM(1984)727endg., das nach längerer Zeit in der Versenkung jüngst durch die Rechtsprechung des EuGH in Centros7EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 - Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1484 = RIW 1999, 447 - Centros, und dazu etwa Altmeppen, DStR 2000, 1061; Behrens, IPRax 2000, 384; Ebke, JZ 1999, 656; Kieninger, ZGR 1999, 724; Kindler, NJW 1999, 1993; Koppensteiner, in: Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion - Jahrestagung 1999 der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR), 2000, S. 152; Luttermann, ZEuP 2000, 907; Merkt, in: Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion - Jahrestagung 1999 der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR), 2000, S. 111; G. H. Roth, ZIP 1999, 861; W.-H. Roth, ZGR 2000, 311; Sandrock, BB 1999, 1337; Schön, JbFfSt 2000/2001, 34; Sonnenberger/Großerichter, RIW 1999, 721; Steindorff, JZ 1999, 1140; Ulmer, JZ 1999, 662; Zimmer, ZHR 164 (2000), 23., Überseering8EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 - Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-09919 = RIW 2002, 945 - Überseering, und dazu etwa Behrens, IPRax 2003, 193; Ebke, JZ 2003, 927; Eidenmüller, ZIP 2002, 82; Heiss, ZfRV 2003, 90; Hirte, EWS 2002, 573; Kindler, NJW 2003, 1073; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925; Lutter, BB 2003, 7; Merkt, RIW 2003, 458; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117; Zimmer, BB 2003, 1. und Inspire Art9EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 - Rs. C-167/01, RIW 2003, 957 - Inspire Art, und dazu Behrens, IPRax 2003, 193; W.-H. Roth, Int. Comp.L.Q. 2003, 177; Kindler, NJW 2003, 1073; Spindler/Berner, RIW 2003, 949; Merkt, RIW 2003, Heft 12, Die erste Seite; Micheler, Int.Comp.L.Q. 2003, 521. wieder auf die Agenda geraten ist.Es soll im Folgenden aber in erster Linie nicht um einen informatorischen Überblick über einzelne oder gar eine Vielzahl unterschiedlicher aktueller und geplanter Maßnahmen der Europäischen Kommission im Bereich des europäischen Gesellschaftsrechts gehen. Denn erstens entspräche ein dergestalt institutionell verengtes Verständnis des europäischen Gesellschaftsrechts als »Kommissions-Recht« nicht oder doch nicht mehr dem modernen pluralen Verständnis vom Entstehungs- und Gestaltungsprozess des europäischen Gesellschaftsrechts, an dessen Entwicklung sich neben der euro-päischen Normgebung zunehmend auch die einzelstaatlichen Einrichtungen, Parlamente, Aufsichtsbehörden, Kapitalmarktinstitutionen und gesetzgebungsberatende wie nicht legislative Expertengremien, aber auch die Judikative auf europäischer wie einzelstaatlicher Ebene beteiligen. Zweitens erscheint gerade aus dem weiteren Blickwinkel der europäischen Integration im Privat- und Wirtschaftsrecht eine stärker am Methodischen und Systematischen orientierte Betrachtung bzw. Analyse interessanter. Die aktuellen Entwicklungsströmungen im europäischen Gesellschaftsrecht sollen in sechs Punkten analysiert werden: Zunächst geht es um die Ziele, die mit dem europäischen Gesellschaftsrecht verfolgt werden, sodann um die Regelungsthemen bzw. -gegenstände des europäischen Gesellschaftsrechts, anschließend um die Hauptakteure, um die Wahl der Regelungsebenen, um den Regelungsansatz und schließlich um die geschützten Interessen.I. RegelungszieleBeginnen wir mit der zentralen Frage nach den Zielen europäischen Gesellschaftsrechts. Vor wenigen Jahren noch wurde als primäres, wenn nicht alleiniges Ziel der Bemühungen um ein europäisches Gesellschaftsrecht genannt, dass mit rechtlichen Mitteln auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse eines einheitlichen Marktes, eben des Binnenmarktes der EU, geschaffen werden sollen. Ziel sei die Gestaltung der wirtschaftlichen Daten so, wie wenn es sich um ein einheitliches Staatsgebiet handeln würde. Diesem Ziel entspricht, wenn europäisches Gesellschaftsrecht auf weitest mögliche Vereinheitlichung gerichtet ist, wie dies kennzeichnend war für zahlreiche ambitionierte Projekte aus früheren Phasen der Entwicklung europäischen Gesellschaftsrechts. Zu nennen wäre hier etwa der umfangreiche, ja perfektionistische Entwurf des SE-Statuts aus den 70er-Jahren oder die dem Gesamtkonzept der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien immer noch zu Grunde liegende Vorstellung von der Notwendigkeit einer systematischen Vollharmonisierung des Gesellschaftsrechts. Das Scheitern dieser Vorstellung ist vielleicht am deutlichsten geworden in den vergeblichen Anläufen zu einer Fünften Richtlinie betreffend die Struktur der Aktiengesellschaft oder in der offensichtlichen Abkehr vom Plan einer neunten Richtlinie betreffend den gesamten Bereich des Konzernrechts.In der Tat setzte sich im Laufe der Zeit die Erkenntnis durch, dass der EG-Vertrag angesichts der fortbestehenden Unabhängigkeit der Mitgliedstaaten nur beschränkte Ziele verfolgen kann und will. Damit ist das Subsidiaritätsprinzip angesprochen10Zum Subsidiaritätsprinzip im europäischen Gesellschaftsrecht Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672, 685; Schön, ZGR 1995, 1; ders., ZHR 160 (1996), 221; Hopt, ZHR 161 (1997), 368, 379; Merkt, RabelsZ 61 (1997), 647.. Die Kernfrage europäischer Gesellschaftsrechtsgebung lautet seither: Braucht es tatsächlich europäische Regeln, oder sollten Rechtsetzung und -fortbildung besser den Einzelstaaten bzw. den Unternehmen selbst überlassen bleiben? Hier hinein spielt die Erkenntnis, dass sich Systemunterschiede gerade im Handels- und Gesellschaftsrecht speziell wegen des internationalen Anpassungsdrucks, der auf die Unternehmen einwirkt, in zahlreichen Punkten durch Konvergenz und damit ohne staatliche oder regulatorische Einwirkung von außen auflösen11Hopt, in: FS Wiedemann, 2003, S. 1030.. Damit aber war zugleich ein ganz wichtiger Schritt weg von der anfänglichen Themenorientierung hin zu strikter Problemorientierung getan. Und so findet sich namentlich in der Einleitung des neuen gesellschaftsrechtlichen Aktionsplans12Siehe Fn. 1. natürlich das Oberziel der Herstellung eines effizienten und kompetitiven Marktes. Aber es wird sogleich hinzugefügt, dass dahinter die Aufgabe steht, Aktionärs- und Anleger- bzw. Gläubigerrechte zu stärken sowie nach den Corporate-Governance-Skandalen der jüngeren Vergangenheit das Vertrauen der Investoren in den europäischen Markt wiederherzustellen. Zutreffend wird dabei der Zusammenhang zwischen dem Wohlstand von Millionen von Europäern, ihrer Alterssicherung und ihrer Vermögensbildung einerseits und der funktionsfähigen und verantwortungsvollen Corporate Governance all jener Unternehmen hervorgehoben, in die das Investivkapital fließt oder fließen soll.Bedeutsam ist sodann das Hinzutreten einer weiteren, nämlich der internationalen Dimension. Wie zuvor schon für andere jüngere Projekte stellt die Kommission im gesellschaftsrechtlichen Aktionsplan klar, dass europäisches Gesellschaftsrecht auch und besonders das Ziel verfolgen muss, den europäischen Markt und seine Marktteilnehmer im internationalen Wettbewerb zu stärken. Dabei geht es zum einen darum, den europäischen Markt wettbewerbsfähig zu machen, also durch moderne Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen als Standort interessant zu werden. Aber es geht auch um ein Weiteres: Gesellschaftsrechtliche Normen werden gerade im Bereich der Corporate Governance zunehmend auf internationaler Ebene formuliert und praktiziert. Das lässt sich besonders anschaulich im Bereich des Bilanzrechts und der Abschlussprüfung, aber auch bei den Verhaltenspflichten der Leitungsorgane beobachten. Hier wächst dem europäischen Gesellschaftsrecht die Aufgabe zu, europäische Lösungen international einzubringen und dafür zu sorgen, dass europäische Unternehmen mit ihrem Regelungsregime außerhalb von Europa auf Akzeptanz stoßen. Die dringende Notwendigkeit eines solchen Gesellschaftsrechts-Marketings wird in der Umsetzung und Anwendung des US-amerikanischen Sarbanes-Oxley Act von 2002 überdeutlich. So will denn auch die Kommission den Aktionsplan und die in seiner Umsetzung vollzogenen Einzelmaßnahmen ausdrücklich als Antwort auf die in vielerlei Hinsicht für europäische Unternehmen überzogenen Anforderungen des Sarbanes-Oxley Act verstanden wissen.II. Regelungsthemen bzw. -gegenständeDies führt bereits zum zweiten Punkt unserer Entwicklungsbetrachtung, nämlich der Frage nach den Regelungsthemen bzw. -gegenständen.Wie schon gesagt, dominierte als Folge der Bestrebungen zu umfassender Rechtsharmonisierung lange Zeit ein themenorientierter Ansatz im europäischen Gesellschaftsrecht. Die Idealvorstellung einer Komplettharmonisierung ganzer Themenbereiche von der Gründung der Gesellschaft über ihre Kapitalstruktur, ihre Organisationsverfassung, ihr gesamtes Konzernrecht bis hin zum Unternehmensinsolvenzrecht oder die Schaffung völlig eigenständiger bzw. vom nationalen Recht losgelöster Gesellschaftsformen des europäischen Rechts wie namentlich die SE mit einem 400 Artikel starken SE-Statut, diese Idealvorstellung scheiterte - manche mögen sagen zum Glück - vor allem an der mangelnden politischen Durchsetzbarkeit. Positiv daran ist, dass Europa vor einer übereilten und inhaltlich nicht ausgereiften Rechtsvereinheitlichung bewahrt wurde, mit der man auf Jahre und Jahrzehnte hätte leben müssen. Denn es kann kein Zweifel daranbestehen, dass sich die Rückgängigmachung einmal erreichter Angleichung mindestens ebenso langwierig gestaltet wie die Harmonisierung selbst13So speziell mit Blick auf die 4., 7. und 8. gesellschaftsrechtliche Richtlinie Lutter, ZGR 2000, 1, 5 f..Gewichen ist dieses Konzept der themenorientierten Komplettangleichung einer problembezogenen Selektivangleichung, die zunächst möglichst genau jene Fragen und Probleme definiert, die zum einen europäischer Angleichung bedürfen und zum anderen realistischerweise einer Angleichung überhaupt zugänglich sind.Exemplarisch lässt sich das am Konzernrecht zeigen. Hier ist die Kommission seinerzeit beim Versuch eines »großen Sprungs« gescheitert. Der bestand einerseits aus der am deutschen Modell orientierten und ebenso umfassenden wie ausdifferenzierten organischen Konzernverfassung im ursprünglichen SE-Statut und andererseits aus den Vorarbeiten für die Konzernrechtsrichtlinie (9. Richtlinie), die ebenfalls am flächendeckenden deutschen System des Vertrags- und des faktischen Konzerns ausgerichtet war. Die Konzernrechtsharmonisierung aufgegriffen hat dann viele Jahre später das von wissenschaftlicher Seite initiierte Forum Europaeum Konzernrecht mit seiner im Jahre 1998 vorgelegten Untersuchung14Veröffentlicht in ZGR 1998, 672.. Hierin wird der oben bereits skizzierte Ansatz für das Konzernrecht umgesetzt, indem für bestimmte Kernproblembereiche europäische Mindestregeln vorgeschlagen werden, darunter die Gruppenpublizität, die ordnungsgemäße Geschäftsführung, die Sonderprüfung, das Pflichtangebot, das Auswahl- und Austrittsrecht bei Restminderheiten und schließlich die Haftung bei Krisen- und Insolvenzverschleppung.Der Winter-Bericht und ihm folgend der Aktionsplan der Kommission nehmen nun diesen Ansatz auf, indem festgestellt wird, dass ein eigenes und selbstständiges Regelwerk für Unternehmensgruppen nicht notwendig erscheint, sondern dass vielmehr bestimmte Einzelprobleme der Harmonisierung bzw. der Mindeststandardisierung bedürfen, nämlich die Versorgung des Publikums mit finanzbezogener wie sonstiger Information über die Struktur der Unternehmensverbindung und der inneren Gruppenstruktur, ferner nationale Rahmenbestimmungen für die Festlegung und Umsetzung einer abgestimmten Gruppenpolitik zum Ausgleich der konfligierenden Interessen und schließlich besondere Maßnahmen zum Schutz vor missbräuchlicher Verwendung von Unternehmens-Pyramidenstrukturen15Darunter versteht man Ketten von Holdinggesellschaften, bei denen die eigentliche Kontrolle dank übermäßig vieler Minderheitsaktionäre auf einer insgesamt niedrigen Investition beruht. und vergleichbaren Konstruktionen16Aktionsplan (Fn. 1), 3. 3..Betrachtet man nun Winter-Bericht und Aktionsplan in der Gesamtheit ihres gesellschaftsrechtlichen Regelungsprogramms, so wird wiederum sehr deutlich, dass es sich hier um einen stark problemorientierten Ansatz handelt. So geht es um unterschiedliche Maßnahmen der inneren Leitung und Überwachung der Kapitalgesellschaft, Modernisierung der Regelungen zu Kapitalaufbringung und -erhaltung, Optimierung von Bilanz und Abschlussprüfung sowie um Steigerung der Transparenz und der Publizität sowohl im Einzelunternehmen als auch in der Gruppe, um nur einige zentrale Punkte zu nennen. Es sind dies, wie unschwer zu erkennen ist, zu einem erheblichen Teil Maßnahmen, mit denen man ganz gezielt die bei den jüngsten Bilanzmanipulationen und Unternehmenszusammenbrüchen zutage getretenen Schwächen und Defizite beheben will.Damit hat die Kommission aufbauend auf den Vorschlägen der Winter-Gruppe den Corporate-Governance-Ansatz in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen gestellt, also ein ganzheitliches Konzept, das sich die Grundfrage nach sachgerechter Leitung und Kontrolle in der Kapitalgesellschaft stellt. Von daher beurteilen sich alle Einzelfragen des Gesellschaftsrechts von der Gründung, den Organen, den Rechten der Aktionäre bis hin zum Konzern. Dabei kommt der Problemorientierung mehr Gewicht zu als der Zuordnung einzelner Regelungen zu bestimmten Rechtsgebieten, zu bestimmten Regelungsebenen (Einheitsrecht oder Wettbewerb der Regelgeber), zu bestimmten Regelungstypen (hard law oder soft law) oder zu bestimmten Regelungsinstrumenten. Gerade daraus aber folgt, dass sich die Problemlösung zunehmend verteilt auf ebendiese Rechtsgebiete, Regelungsebenen, Regelungstypen und Regelungsinstrumente. Damit tritt neben die ursprünglich eigentliche Aufgabe des genuin europäischen Gesellschaftsrechts in Gestalt namentlich der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien und Empfehlungen mehr und mehr die wichtige Aufgabe der Koordination der unterschiedlichen Gebiete, Ebenen, Typen und Instrumente, während die originäre Regelgebung zunehmend punktuell bzw. problembezogen beschränkt wird.Man mag das gegenwärtige Ergebnis dieser Entwicklung, das natürlich nur ein Zwischenergebnis ist, resignierend als Torso bezeichnen17So Lutter, ZGR 2000, 1, 2.. Doch entspricht dieser fragmentarische Charakter des europäischen Gesellschaftsrechts dem modernen pluralistischen Grundkonzept, welches seinerseits eine Reaktion oder Antwort auf die zunehmende Komplexität eines wirtschaftlichen Aktions- und Bezugsfelds darstellt, das sich für die betroffenen Unternehmen von der überschaubaren nationalen Dimension zunächst in die europäische und schließlich in die weltumspannend internationale Dimension ausgeweitet hat. Man kann es auch anders formulieren: In dem Maße, in dem sich die Initiative der gesellschaftsrechtlichen Entwicklung vom Staat auf quasistaatliche oder nicht staatliche Institutionen oder Träger verlagert, in dem Maße muss die staatliche Regelgebung die Kompetenz mit privaten Institutionen teilen, und in demselben Maße verliert auch der staatliche Gestaltungsanspruch die Möglichkeit und die Legitimation zu schlüssigen und umfassenden Konzepten.III. AkteureDas führt zum dritten Punkt, nämlich der Frage nach den Akteuren. Traditionell im Mittelpunkt stand und steht hier die Kommission, die herkömmlicherweise beinahe eine Monopolstellung genossen hat, was sich wiederum damit erklärt, dass über lange Strecken ein themenbezogener, auf weit gehende Harmonisierung ausgerichteter und richtlinienzentrierter Ansatz verfolgt wurde.Indessen treten in jüngerer Zeit weitere Akteure hinzu. Das betrifft zunächst die Zuarbeit der Kommission. So wurden und werden wichtige Gebiete durch Expertengremien aufbereitet, die ihrerseits darum bemüht sind, die betroffenen Wirtschaftskreise in ihre Überlegungen einzubeziehen. Genannt seien nur die bereits erwähnte Gruppe des Forum Europaeum Konzernrecht und insbesondere die von der Kommission selbst eingesetzte Winter-Gruppe, deren Empfehlungen auf einer breiten schriftlichen Befragung der Pra-xis18Moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa: Ein Konsultationspapier der Hochrangigen Expertengruppe auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts, 2002. sowie auf einer mündlichen Anhörung der wichtigsten europäischen Industrie- und Wirtschaftsverbände basieren. Zunehmend werden darüber hinaus Expertengutachten eingeholt, so jüngst zum neuen Vorschlag der Übernahmerichtlinie19Dauner-Lieb/Lamandini, Der neue Kommissionsvorschlag einer EU-Übernahmerichtlinie - Stellungnahme der Gutachter des EU-Parlaments, BB 2003, 265. und zu den in Europa geltenden Corporate-Governance-Kodizes20Weil, Gotshal & Manges, Comparative Study of Corporate Governance Codes Relevant to the European Union and Its Member States, Januar 2002.. Ferner sind im Maßnahmenkatalog des Aktionsplans für vier Maßnahmen vorbereitende Expertenstudien vorgesehen, nämlich für die Folgen einer vollständigen Aktionärsdemokratie bei börsennotierten Unternehmen, für Alternativkonzepte zum bestehenden Kapitalerhaltungssystem und für die Frage nach der Notwendigkeit einer Europäischen Privatgesellschaft sowie weiterer europäischer Rechtsformen21Aktionsplan (Fn. 1) Anhang 1.. Aber auch nachsorgende bzw. umsetzende Expertengremien werden zunehmend eingesetzt. So will die Kommission nach dem Aktionsplan ein neues Beratungsgremium in Gestalt des European Corporate Governance Forums einsetzen, das sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten, Aufsichtsbehörden, Emittenten, Anleger, anderer Marktteilnehmer und Wissenschaftler zusammensetzt und die Corporate-Governance-Entwicklung koordinieren soll22Maul/Lanfermann/Eggenhofer, BB 2003, 1289, 1293..Darüber hinaus hat in jüngerer Zeit der EuGH in bislang ungeahnter Weise aktiv gestaltend in die Entwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts eingegriffen. Verdeutlichen lässt sich das eindrucksvoll anhand der Entscheidungskette, die von Daily Mail23EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988 - Rs. 81/87, Slg. 1988, 5483 = RIW 1989, 304 - Daily Mail, und dazu etwa Behrens, IPRax 1989, 354; Ebenroth/Auer, GmbHR 1994, 16; Ebke/Gockel, Int. Lawyer 1990, 239; Großfeld/Luttermann, JZ 1989, 386; Sandrock/Austmann, RIW 1989, 249. über Centros und Überseering zu Inspire Art führt. Neben anderem lässt sich diese Kette deuten als Beleg für ein gewandeltes Rollenverständnis des Gerichtshofs. Hat der Gerichtshof seinerzeit in der Daily Mail-Entscheidung noch klar respektiert, dass die Entwicklung und Beförderung des Europäischen Gesellschaftsrechts vor allem Sache der Gemeinschaft bzw. der Mitgliedstaaten sei, so scheint in Centros schon deutlich die Kritik am geringen Tempo der gemeinschaftlichen Harmonisierung auf: Soweit die dänische Regierung die Ausnutzung unterschiedlicher mitgliedstaatlicher Regelungsniveaus als Missbrauch qualifizieren will, entgegnet der Gerichtshof:»Es bleibt dem Rat jederzeit überlassen, aufgrund der ihm durch Art. 54 Abs. 3 Buchst. g EG-Vertrag überlassenen Befugnisse diese Harmonisierung zu vervollständigen.«24EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 - Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1484 = RIW 1999, 447 - Centros, Rdnr. 28.Nicht minder deutlich fällt die Kritik des Gerichtshofs in der Überseering-Entscheidung aus. Hier ging es unter anderem um das Argument einzelner mitgliedstaatlicher Regierungen, die Berufung auf die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 und 48 EG-Vertrag setze den Abschluss entsprechender Anerkennungsübereinkommen der betreffenden Mitgliedstaten untereinander gemäß Art. 293 EG-Vertrag voraus. Auch hier fällt die Kritik des EuGH am langsamen Tempo der Gemeinschaft in Sachen gegenseitiger Anerkennung von Gesellschaften deutlich aus:»[Es] kann kein Rechtfertigungsgrund für eine Beschränkung der vollen Wirksamkeit dieser Artikel [über die Niederlassungsfreiheit] daraus hergeleitet werden, dass bis heute keine Übereinkunft über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften auf der Grundlage des Art. 293 EG-Vertrag geschlossen worden ist.«25EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 - Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-09919 = RIW 2002, 945 - Überseering, Rdnr. 60.Der EuGH übernimmt hier erkennbar die Funktion eines Motors der europäischen Gesellschaftsrechtsangleichung, wobei das eigentlich Treibende in beiden Fällen die Konsequenzen der Entscheidung für den betreffenden nationalen Gesetzgeber sind: Unübersehbar gerät nämlich das jeweilige dänische bzw. deutsche sitzstaatliche Kapital- und Gläubigerschutzsystem unter gewaltigen, möglicherweise existenzbedrohenden Druck. Unter diesem Gesichtspunkt ist es nur zu verständlich, wenn die Kommission im Aktionsplan nunmehr die Frage nach Alternativen zum überkommenen kontinentaleuropäischen Kapitalschutzsystem zum Gegenstand einer geplanten Studie macht26Aktionsplan (Fn. 1), 3. 2..An vierter Stelle der Akteure zu nennen sind die Mitgliedstaaten. Die Aufwertung ihrer Rolle bei der Schaffung europäischen Gesellschaftsrechts folgt prinzipiell bereits aus dem Subsidiaritätsgrundsatz. Je mehr sich die Harmonisierung auf konkrete Problembereiche konzentriert, je mehr sie mit bloßer Rahmensetzung bzw. mit bloßen Mindeststandards arbeitet und je mehr sie auf Appelle und Empfehlungen anstelle von Rechtsvorschriften setzt, desto bedeutsamer wird automatisch der Anteil, den die einzelnen Mitgliedstaaten an der Schaffung eines funktionierenden Binnenmarktes übernehmen.Weitere zunehmend bedeutsame Akteure im Bereich des Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts sind die nationalen Aufsichtsbehörden27Hierzu Hopt, in: FS Wiedemann (Fn. 11), S. 1013, 1028; Wymeersch, ZGR 2001, 294, 312 ff.. Sie übernehmen besonders für den Bereich der kapitalmarktorientierten Gesellschaften in wachsendem Umfang die Aufgabe eines unter- oder quasigesetzlichen Regelgebers. So wird den Aufsichtsbehörden in zahlreichen Fällen die Abfassung von Grundsätzen ordnungsgemäßer Unternehmensführung übertragen, bisweilen sogar ohne die entsprechende gesetzliche Kompetenzgrundlage. Die Jahresberichte verschiedener Aufsichtsbehörden für den Wertpapierhandel zeugen von einem erheblichen Maß an quasistaatlicher Intervention. Dabei greifen die behördlichen Regeln oder auch Einzelfallentscheidungen bisweilen weit in das materielle Gesellschaftsrecht hinein28Beispiel bei Merkt, AG 2003, 126.. Aus europäischem Blickwinkel ist das nicht zuletzt deshalb bemerkenswert, weil die jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden die Börsen- bzw. Kapitalmarktaktivitäten auch jener Gesellschaften beaufsichtigen, die aus anderen Mitgliedstaaten kommen. Das hat weit reichende Folgen für den europaweiten Anwendungsbereich des jeweiligen Aufsichtsrechts. Letztlich treten die Regeln über die aufsichtsbehördliche Zuständigkeit an die Stelle des Internationalen Privatrechts.Aber auch die Börsen bzw. die Träger von Handelssystemen oder -plattformen treten zunehmend als Regelgeber in europäischem Rahmen in Erscheinung, was auch hier rein faktisch daraus resultiert, dass sich kapitalsuchende Unternehmen aus der gesamten Union den jeweiligen Regeln der Börse oder des Handelssystems unterwerfen müssen. So enthielt das »listing agreement« in der bis vor kurzem an der Londoner Börse gebräuchlichen Form bemerkenswerte Re-gelungen zum Einfluss des herrschenden Aktionärs auf die börsennotierte Gesellschaft, ein Regelungsregime, das inhaltlich deutliche Ähnlichkeit mit dem deutschen Konzernrecht aufweist, das allerdings aus dem genannten Grund im Unterschied zum deutschen Konzernrecht nicht an der nationalen Grenze Halt macht, sondern unter Umständen quer durch Europa gilt. Auch in dem überaus bedeutsamen Bereich des Übernahmerechts sind die europaweit führenden Vorschriften das Ergebnis von börsenautonomer Regulierung. Das Londoner Takeover Panel als Übernahmegremium setzt Standards sowohl in materieller Hinsicht als auch bei Offenlegungs- und Mitteilungspflichten und inspiriert auf diese Weise sehr erfolgreich sowohl Gesetzgeber auf nationaler wie europäischer Ebene als auch Aufsichtsbehörden und sogar die Rechtsprechung.Als wichtige Akteure zu nennen sind schließlich jene in aller Regel privaten Institutionen, die sich mit dem Formulieren von Corporate-Governance-Kodizes befassen. Es sind dies entweder die Unternehmen selbst bzw. ihre Branchen- oder Industrieverbände oder aber besondere Gremien bzw. Kommissionen, zum Teil mit staatlichem Auftrag. Hier sei nur angemerkt, dass diese Gremien mit ihrer Arbeit bereits insoweit in das europäische Gesellschaftsrecht integriert sind, als die Kommission in ihrem Aktionsplan unterschiedliche teils flankierende Regelungen ins Auge fasst, mit denen die Arbeit der Kodex-Gremien in gewisse Bahnen geführt werden soll. So soll es für börsennotierte Gesellschaften je Mitgliedstaat nur einen maßgeblichen Kodex geben, dessen Nichtanwendung im Rahmen des »comply-or-explain« offen gelegt werden soll. Ferner sollen die Bemühungen der Mitgliedstaaten um eine gemeinsame Weiterentwicklung der Kodizes aktiv koordiniert werden.IV. RegelungsebenenDas Thema Corporate-Governance-Kodizes führt sogleich zum vierten Punkt unserer Betrachtung, nämlich der mit den Akteuren untrennbar verbundenen Frage nach der Regelungsebene.Bleiben wir zunächst bei den Corporate-Governance-Kodizes: Hier wie auch in anderen Zusammenhängen stellt sich die grundsätzliche Frage, ob eine einheitliche Regelung auf europäischer Ebene, eine dezentrale Regelung auf nationaler Ebene oder aber eine vollständige Liberalisierung den Vorzug verdient. Die Kommission selbst hat die Frage im Aktionsplan überzeugend beantwortet: Gegen einen europaweit einheitlichen Corporate-Governance-Kodex (Super-Kodex)29Formulierung bei Wiesner, BB 2003, 213. spricht zunächst, dass die gegenwärtig auf nationaler Ebene geltenden Kodizes ein bemerkenswert hohes Maß an Übereinstimmung aufweisen30Einen europäischen Code of best Practice befürwortet hingegen Lutter, ZGR 2000, 1, 17.. Zudem böte, so die Kommission, ein europäischer Kodex keine Gewähr dafür, dass die Anleger umfassend über alle wichtigen europäischen Corporate-Governance-Regeln für Gesellschaften informiert werden, da diese Regeln auf zum Teil sehr unterschiedlichen nationalen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften beruhen und Teil des mitgliedstaatlichen Rechts sind. Schließlich würde ein solcher Kodex nicht wesentlich zur Verbesserung der Unternehmensleitung und -überwachung beitragen, da er entweder viele verschiedene Optionen zulassen oder sich auf abstrakte Grundsätze beschränken müsste. Der Versuch, einen umfassend harmonisierten europäischen Kodex zu verfassen, würde außerdem Jahre in Anspruch nehmen. Eine gewisse Bestätigung findet diese Prognose in den Erfahrungen, die mit der gescheiterten Strukturrichtlinie gesammelt wurden. Es mag in der Tat so sein, dass europaweit angeglichene Rechtsregeln über die innere Verbandsstruktur eher überflüssig und störend wirken31Differenzierend Lutter, ZGR 2000, 1, 18, der gesetzliche Regeln ablehnt, aber einen europäischen Kodex befürwortet..Da aber umgekehrt ein auf völlige Selbstregulierung des Marktes setzendes Konzept, das ausschließlich auf unverbindlichen Empfehlungen beruht, nicht immer ausreichen wird, um die Anwendung angemessener Corporate-Governance-Praktiken zu gewährleisten, will sich die Kommission auf ein gewisses Maß an gezielten Vorschriften und Grundsätzen beschränken, die ein Funktionieren des Marktes sicherstellen. Im Übrigen aber wird die Weiterentwicklung der Kodizes dem Wettbewerb überantwortet.Den Wettbewerb der unterschiedlichen Modelle auf mitgliedstaatlicher Ebene favorisiert die Kommission auch als Antwort auf die Frage nach einer monistischen oder einer dualistischen Leitungsstruktur. Börsennotierte Unternehmen sollen grundsätzlich die Wahl zwischen den beiden Systemen haben32Aktionsplan, 3. 1. 3.. Dies bedeutet, dass alle Mitgliedstaaten beide Modelle in ihrem nationalen Gesellschaftsrecht vorhalten müssen. Insoweit wird man mit der Europäischen Aktiengesellschaft wichtige Erfahrungen sammeln können. Letztlich verbirgt sich hinter dem Wettbewerb der Regelgeber natürlich immer die Erwartung, dass die weniger erfolgreichen Gesetzgeber ihre eigenen Lösungen durch eine Kopie der erfolgreichen Lösung ersetzen, wodurch dann eine faktische Rechtsvereinheitlichung33»De-facto-Harmonisierung«, Wymeersch, ZGR 2001, 294, 307. eintritt, die zudem für sich in Anspruch nehmen kann, den Bedürfnissen der Nachfrager am besten zu entsprechen34Unklar ist aber immer noch, ob und in welchem Umfang sich ein Wettbewerb der Regelgeber in Europa überhaupt einstellen könnte, dazu Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545; SchönZHR 160 (1996), 221, 232 ff.; DreherJZ 1999, 105..V. RegelungsansatzKommen wir zum fünften Punkt, zur Frage nach dem Regelungsansatz. Hier geht es zum einen um die eher formale Entscheidung zwischen Vollharmonisierung, die eigentlich besser als vollständige Rechtsvereinheitlichung bezeichnet wird, und der bloßen Mindestharmonisierung durch Vorgabe von Mindeststandards. Wir haben bereits gesehen, dass sich die Entwicklung vom Ersten zum Zweiten vollzogen hat, was letztlich ganz wesentlich mit der Einwirkung der Subsidiaritätsidee zu erklären ist35Näher Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545.. Prinzipiell die gleiche Entscheidung ist zwischen Vollregelung und bloßer Rahmenregelung zu treffen. Und auch hier ist die Entwicklung vom Ersten zum Zweiten verlaufen, wie das eben ausgeführte Beispiel der europäischen Rahmenregelung für Corporate-Governance-Kodizes im Aktionsplan zeigt.Bei der Frage nach dem Regelungsansatz geht es aber noch um eine weitere wichtige Entscheidung, nämlich diejenige zwischen materieller Regelung in Gestalt von direkten oder unmittelbaren Verhaltensge- oder -verboten auf der einen Seite und bloßen Offenlegungspflichten auf der anderen Seite36Zu den Offenlegungspflichten im Handels- und Gesellschaftsrecht Merkt, Unternehmenspublizität - Offenlegung von Unternehmensdaten als Korrelat der Marktteilnahme, 2001.. Auch hier lässt sich eine eindeutige zeitliche Zuordnungvornehmen. Während über lange Zeit das europäische Gesellschaftsrecht von materiellen Ge- und Verbotsregelungen dominiert war37Wenn man einmal von den klassischen Einsatzgebieten für Offenlegungspflichten absieht, wie namentlich der Publizitäts- (1.) und der Kapitalrichtlinie (2.) sowie der beiden Bilanzrichtlinien (4. und 7.)., leitete der EuGH in seinen Entscheidungen in Centros und Überseering eine bemerkenswerte Wende ein.Schon in Centros ließ der EuGH deutliche Sympathien für ein an Publizitätsgeboten orientiertes Regelungsregime erkennen. Der Gerichtshof wies darauf hin, dass in Fällen wie dem vorliegenden wirksamer Gläubigerschutz durch Publizität und nicht etwa durch ein gesetzlich vorgeschriebenes Mindestkapital zu gewährleisten sei. In den Worten der deutschen Urteilsfassung:»Da die Gesellschaft als Gesellschaft des englischen Rechts, nicht als Gesellschaft des dänischen Rechts auftritt, ist den Gläubigern [...] bekannt, dass sie nicht dem dänischen Recht über die Errichtung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung unterliegt; sie können sich auf bestimmte gemeinschaftsrechtliche Schutzvorschriften berufen.«38Entscheidungsgründe EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 - Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1484 = RIW 1999, 447 - Centros, Rdnr. 36.Hier führt der Gerichtshof jene beiden Richtlinien an, die sozusagen das Herzstück des Publizitätskonzepts des europäischen Unternehmensrechts bilden, die Bilanz-39Vierte gesellschaftsrechtliche Richtlinie vom 25. 7. 1978 (78/660/EWG), ABlEG Nr. L 222 vom 14. 8. 1978, S. 11. und die Zweigniederlassungsrichtlinie40Siebente gesellschaftsrechtliche Richtlinie vom 13. 6. 1983 (83/349/EWG), ABlEG Nr. L 193 vom 18. 7. 1983, S. 1.. Diese Betonung des informationellen und damit kapitalmarktrechtlichen Gläubigerschutzes geht damit einher, dass der EuGH dem verbandsrechtlichen Gläubigerschutz durch gesetzliche Kapitalvorschriften einen erkennbar geringen Stellenwert einräumt. Insoweit nimmt das Gericht das Plädoyer des Generalanwalts in Bezug, der daran zweifelt, dass das Mindestkapital ernsthaften Gläubigerschutz gewährleiste. Da das Mindestkapital unversehens verbraucht sein könne, sei es aus Gläubigersicht gewiss klüger, auf aktuelle Bilanzdaten bzw. auf Sicherheiten zu bauen41Schlussantrag, Entscheidungsgründe EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 - Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1484 = RIW 1999, 447 - Centros, Rdnr. 21..Auf ähnlicher Linie liegen die Urteilsgründe in der Überseering-Entscheidung42Oben Fn. 8.. Der EuGH stellt zunächst im konkreten Fall eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit fest und prüft sodann den Einwand der deutschen Bundesregierung, diese Verletzung sei in concreto durch zwingende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Die Bundesregierung hatte insgesamt vier solcher Gründe geltend gemacht:1. den Gläubigerschutz durch ein gesetzliches Mindestkapital,2. den Schutz der Minderheitsgesellschafter,3. den Arbeitnehmerschutz durch die Mitbestimmung und schließlich4. das Fiskalinteresse an der Verhinderung doppelter Ansässigkeit (mit der Folge der parallelen Beanspruchung von Steuervorteilen).Dazu führt der Gerichtshof aus: Es lässt sich zwar nicht ausschließen, dass zwingende Gründe des Gemeinwohls wie der Schutz der Interessen der Gläubiger, der Minderheitsgesellschafter, der Arbeitnehmer oder auch des Fiskus unter bestimmten Umständen unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen können. Solche Ziele können es jedoch nicht rechtfertigen, die Niederlassungsfreiheit in einem Fall wie Überseering vollständig zu versagen. Soweit die Argumentation des EuGH.Und auch in Inspire Art favorisiert der Gerichtshof nunmehr - in Fortsetzung seiner Rechtsprechung in Centros und Überseering - das Publizitäts- oder Informationsmodell gegenüber dem Konzept des gesetzlichen Kapitalschutzes. Dabei lässt sich der EuGH nicht einmal im Ansatz auf eine Prüfung der schwierigen und auch zunehmend diskutierten Frage ein, ob die Vorschriften über das Mindestkapital als solche einen geeigneten bzw. geeigneteren Schutzmechanismus bilden. Vielmehr stellt der EuGH fest, dass Inspire Art als Gesellschaft englischen Rechts und nicht als niederländische Gesellschaft auftritt. Die potenziellen Gläubiger von Inspire Art seien dadurch hinreichend darüber unterrichtet, dass die Gesellschaft anderen Rechtsvorschriften als denen unterläge, die in den Niederlanden die Gründung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung regeln, etwa was die Vorschriften über das Mindestkapital und die Haftung der Geschäftsführer betrifft. Ergänzend weist der EuGH darauf hin, dass die Gläubiger auch durch bestimmte gemeinschaftsrechtliche Publizitätsregeln aus der Vierten (Bilanzrichtlinie) und der Elften (Zweigniederlassungs-)Richtlinie geschützt werden. Hier stellt sich zudem die Frage, ob sich im europäischen Kapitalgesellschaftsrecht an einer ganz fundamentalen Stelle ein Riss bildet zwischen der auf dem Informationsmodell ruhenden Kapitalverfassung der GmbH und der auf dem Konzept des gesetzlichen Kapitalschutzes aufbauenden Kapitalverfassung der AG.Allerdings macht der Gerichtshof umgekehrt ebenso klar, dass die Publizitätsvorgaben der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien nicht durch einzelstaatliches Recht verschärft werden dürfen, um den nach Einschätzung des einzelnen Mitgliedstaates unzureichenden Schutz durch ergänzende Publizität zu verbessern. Das Publizitätskonzept des Richtlinienrechts ist danach also abschließend.Mit dieser Rechtsprechung des EuGH stimmt insoweit auch die Position der Winter-Gruppe und ihr folgend der Aktionsplan überein: So heißt es im Winter-Bericht, dass Offenlegungspflichten ein günstigeres regulatorisches Umfeld schaffen und durch größere Flexibilität und Anpassungsfähigkeit gekennzeichnet sind. Obgleich der regulatorische Effekt von Offenlegungsgeboten jedenfalls in der Theorie indirekter und mittelbarer sei als im Fall von direkter materieller Regulierung, gestalte sich die Durchsetzung von Offenlegungsgeboten normalerweise einfacher. Daher sei bei der Regelsetzung grundsätzlich der Frage nachzugehen, ob Offenlegungsvorschriften möglicherweise besser als materielle Regelungen geeignet seien, das angestrebte Ziel zu erreichen43Winter-Bericht (Fn. 3), sub II 3..Hier sei aus der Sicht des deutschen Gesellschaftsrechts eine Anmerkung gestattet: Dem tradierten deutschen Kapital- und Gläubigerschutz bläst derzeit auf europäischer wie internationaler Ebene ein eisiger Wind ins Gesicht. Der EuGH favorisiert, ähnlich wie die Winter-Gruppe und die EU-Kommission, das Informationsmodell. An diesem Befund kommt niemand vorbei. Die eigentliche Frage lautet, wie das deutsche (materielle) Gesellschaftsrecht darauf reagiert. Hier sind noch viele wichtige Fragen unbeantwortet. Stehen sich Informations- und Kapitalschutzkonzept wirklich unversöhnlich gegenüber, oder dürfte nicht die überlegene Lösung in einer Verbindung beider Ansätze liegen? Wie könnte eine solche Synthese aussehen? Was folgt für jene Rechtsfiguren, die aufdem Konzept des gesetzlichen Kapitalschutzes fußen wie etwa das Eigenkapitalersatzrecht oder die Grundsätze zur verdeckten Sacheinlage? Letztlich muss das deutsche Gesellschaftsrecht darum bemüht sein, durch Entwicklung einer überzeugenden Gläubigerschutzlösung international hinreichend attraktiv zu sein. Das heißt aber nicht, dass wir uns vom gesetzlichen Kapitalschutz einfach verabschieden müssen.VI. SchutzinteressenDie Diskussion um das Verhältnis von materiellem Gebot und Offenlegungspflicht führt schließlich geradewegs zum sechsten und zugleich letzten Punkt unserer Betrachtung, nämlich der Entwicklung im Bereich der Schutzinteressen. Auch hier treten deutliche Entwicklungslinien zutage. Traditionell im Mittelpunkt standen und stehen immer noch die Gläubigerinteressen, und dies sogar dort, wo man eigentlich auch die Berücksichtigung des Informationsinteresses der Eigenkapitalgeber erwarten würde, nämlich im Bilanzrecht der Vierten Richtlinie. Es ist und bleibt ein im anglo-amerikanischen und internationalen Bereich schlicht nicht vermittelbarer Umstand, dass die veröffentlichte Rechnungslegung nach der kontinentaleuropäisch gefärbten Konzeption der Vierten Richtlinie den Kapitalmarkt nicht möglichst exakt über die tatsächliche Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens informieren möchte, sondern dass sie durch systematische Vorsichts- und Niederstbewertung dafür sorgt, dass Anteilseigner und Fiskus nicht zu viel erhalten.Es ist vielfach gesagt worden, dass sich das europäische Gesellschaftsrecht mit seiner Öffnung bzw. Hinwendung zum Kapitalmarktrecht vom traditionellen Gläubigerschutz abwende und unangemessen stark auf den Eigenkapitalanlegerschutz beschränke. Dieses Urteil bedarf der Differenzierung, denn Gläubigerschutz wird nicht aufgegeben, sondern es wird die Frage nach den Instrumenten gestellt, mit denen Gläubigerschutz am besten gewährleistet werden kann. In dieser Diskussion tritt neben den Kapitalschutz durch zwingende Ge- und Verbotsnormen nunmehr verstärkt der Schutz durch Offenlegung und Information. Dabei ist der letztgenannte Schutz keineswegs per definitionem schlechter oder schwächer. Voraussetzung ist allerdings, dass man lernt, mit einer an realistischen Werten orientierten Bilanzierung umzugehen, also mit den tatsächlichen und nicht mit schlecht gerechneten Werten und Erträgen zu arbeiten. Die Gemeinschaft geht hier mit der IAS-Verordnung einen mutigen Schritt in Richtung einer objektiven und an den Erwartungen internationaler Kapitalmärkte orientierten Rechnungslegung.Im Übrigen trifft es nicht zu, dass die Notwendigkeit der Informationsorientierung der Rechnungslegung eine Besonderheit börsennotierter Gesellschaften sei. Schon heute sind zahlreiche mittlere und kleinere Unternehmen gewillt, nach IAS zu bilanzieren, um auf diese Weise die Erschwerung der Fremdmittelaufnahme nach den neuen Eigenkapitalrichtlinien von Basel II zu kompensieren, indem sie ihren Vermögens- und Ertragsausweis nicht künstlich niedrig, sondern realistisch gestalten.VII. SchlussWas ist am Schluss festzuhalten? Es lassen sich in allen behandelten Punkten deutliche Entwicklungen feststellen, und wenn man ein freundlicher Mensch ist, wird man von Fortschritten sprechen. Sicher tragen alle die aufgezeigten Korrekturen dazu bei, dass sich das europäische Gesellschaftsrecht an den Bedürfnissen der Hauptbetroffenen, der Unternehmen und der an ihnen in irgendeiner Form Beteiligten, orientiert und damit markt- bzw. bedarfsgerecht bleibt. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass der Druck auf die kontinentalen Gesellschaftsrechtsordnungen und besonders auf das deutsche Gesellschaftsrecht gegenwärtig erheblich zunimmt. Die spannende Frage ist, wie wir damit umgehen werden. Wahrscheinlich dürfte jedenfalls sein, dass derjenige, der sich jeder Anpassung widersetzt, von der Entwicklung überrollt werden wird.

05.01.2004
: Die RIW - stets am Puls der Zeit

Auf die »RIW« wurde ich erstmals im Sommer des Jahres 1986 aufmerksam. Ich war damals Referendar in einer Anwaltskanzlei in Washington D.C. Ich saß im Büro eines Partners, der sich gerade im Urlaub befand. Es war das Büro des leider viel zu früh verstorbenen Anwalts Professor Dr. Heribert Golsong, des früheren General Counsel der Weltbank. Auf einer Anrichte neben dem Besprechungstisch lag ein Exemplar der Zeitschrift mit dem berühmten (damals noch) roten Einband. Ich habe die Ausgabe sofort verschlungen. Seitdem bin ich der RIW treu geblieben und das nicht nur als Leser. Mein erster eigener Aufsatz zum internationalen Wirtschaftsrecht wurde in der RIW veröffentlicht (RIW 1989, 850). Darauf musste ich lange warten. Nicht nur bei den Lesern, auch bei den Autoren war und ist die RIW sehr beliebt. Die »Manuskriptpipeline«, die sich beim Vater der RIW, Reinhold Trinkner, aufgestaut hatte, war daher sehr lang. Umso größer die Freude, das Heft mit dem ersten eigenen Aufsatz in den Händen halten zu können. Die Freude war noch größer, als ich zehn Jahre später zum Mitglied des Gremiums der Ständigen Mitarbeiter der RIW ernannt wurde.Heute ist mir klar, warum ein Jurist wie Heribert Golsong, der selbst im Zentrum der Entwicklung des internationalen Wirtschaftsrechts stand, ja sie maßgeblich mitprägte, auf die RIW nicht verzichten wollte. Für jeden deutschsprachigen internationalen Wirtschaftsjuristen ist die RIW ein »Muss«. Mit ihren abwechslungsreichen Beiträgen treffen die Autoren den Nerv der Zeit. Das Kürzel »RIW« ließe sich auch als »Recht Im Wandel« übersetzen. Die RIW ist stets am Puls der Zeit und der neuesten Rechtsentwicklung des internationalen Wirtschaftsrechts. Zuverlässig, pragmatisch und zeitnah berichten die Autoren in jeder Ausgabe über neueste Rechtsentwicklungen auf dem Gebiet des internationalen Wirtschaftsrechts. Diese Eigenschaften machen die RIW gerade im Zeitalter der Globalisierung so wertvoll. »RIW« könnte man auch als »Recht In der Welt« verstehen. Die Bandbreite der Beiträge ist wahrhaft global. Das neue vietnamesische Joint-Venture-Gesetz wird ebenso abgedeckt wie die neue Steuergesetzgebung in Spanien und neue Entwicklungen in der internationalen Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit. Allein im Jahrgang 2002 findet man Aufsätze über Rechtsentwicklungen aus fast 30 Ländern. Die RIW versinnbildlicht daher wie keine andere juristische Fachzeitschrift das Zusammenwachsen der Märkte und der Rechtsordnungen. Der Leser erhält alle Informationen aus einer Hand, in einem Heft. Auch heute, in der Welt der »Internet-Chatrooms« und »Mailing Lists«, bleibt die RIW damit unverzichtbarer Bestandteil der Pflichtlektüre für jeden, der sich als Praktiker oder Wissenschaftler mit dem internationalen Wirtschaftsrecht befasst. Vielleicht entschließt sich ja die Redaktion dazu, demnächst auch englischsprachige Beiträge zu veröffentlichen. Wer die RIW liest, kann auch Englisch!Für mich persönlich ist und bleibt die RIW meine Lieblingszeitschrift. Der Griff zur neuen Ausgabe ist seit den Tagen des Sommers 1986 zur lieben Gewohnheit geworden. Mit der RIW verbinde ich zugleich den Beginn meiner Arbeit im internationalen Wirtschaftsrecht. Für mich steht das Kürzel »RIW« für die Eigenschaften, die eine juristische Fachzeitschrift von Rang heute auszeichnen muss: Rundherum Informativ und Wegweisend. »Ad multos annos, RIW!«

05.04.2004
: Die steuer- und zollrechtlichen Rahmenbedingungen der Beitrittskandidaten im Vergleich

I. ErtragsteuerrechtDer steuerliche Handlungsbedarf, der sich für Unternehmen unmittelbar aus der EU-Erweiterung ergibt, wird in der Regel vorwiegend im Bereich der indirekten Besteuerung gesehen. Die Auswirkungen der EU-Erweiterungen bei den direkten Steuern sollten dennoch nicht unterschätzt werden. Das gilt zunächst für die Körperschaftsteuersätze in den Beitrittsstaaten, deren weitere Reduzierung in einigen Fällen bereits geplant ist:LandKörperschaftsteuer in %IstPlanPlanEstlandca. 35 %ca. 31,5 %ca. 28 %LettlandLitauenMaltaPolenSlowakeiSlowenienTschechienUngarn12 bis 1512 bis 15ZypernMit den gesondert zu behandelnden Ausnahmen Estland und Malta bieten die Beitrittsstaaten damit Körperschaftsteuersätze, die wesentlich niedriger sind als die der meisten der bisherigen Mitgliedsländer der EU. In Estland, für das die Steuersätze zwischen 28 % und 35 % eher hoch wirken, kommen diese nur bei einer Ausschüttung von Unternehmensgewinnen zur Anwendung. Für Malta wird die Bedeutung des nominalen Steuersatzes von 35 % durch ein Vollanrechnungssystem relativiert, durch das ausländische Investoren in bestimmten Konstellationen erhebliche Steuererleichterungen in Anspruch nehmen können. Die Attraktivität der Steuersätze wird allerdings aus deutscher Sicht insoweit eingeschränkt, als die Steuerbelastung in der Mehrzahl der Staaten nach den für 2006 geplanten Steuersätzen als Niedrigbesteuerung im Sinne von § 8 Abs. 3 AStG anzusehen ist.Neben den niedrigen Steuersätzen gewähren die meisten der Beitrittsstaaten zusätzliche Investitionsanreize sowohl in Form von weiteren Steuerbefreiungen oder -ermäßigungen als auch durch direkte Zuschüsse. Dabei »verdoppeln« sich die Möglichkeiten der Zuschüsse, denn zukünftig stehen auch über EU-Förderprogramme Mittel zur Verfügung. Die nachfolgenden Länderbeiträge geben einen Überblick über weitere Besonderheiten der Steuersysteme. Allgemein kann gesagt werden, dass die einzelnen Landesgesetze natürlich jeweils Besonderheiten aufweisen. Unter anderem ist eine steuerliche Konsolidierung im Rahmen einer Organschaft in wichtigen Ländern nicht möglich (z. B. Tschechien) oder an so restriktive Voraussetzungen geknüpft, dass sie in der Praxis nicht eingesetzt wird (z. B. Polen). Im Bereich des internationalen Steuerrechts resultieren in der Praxis nicht selten Unsicherheiten daraus, dass die Landesgesetze und -verwaltungen entsprechende Fragestellungen bisher noch nicht adressiert haben und verbindliche Auskünfte nur in Ausnahmefällen erteilt werden; dies wirkt umso schwerer, als vergleichsweise hohe Strafzuschläge und Zinsen anfallen können. Bei den Sozialabgaben kennt eine Reihe von Ländern keine Beitragsbemessungsgrenzen; daraus können bei der Beschäftigung von Führungskräften - insbesondere auch in Entsendungsfällen - erhebliche Zusatzkosten entstehen. In der Praxis spielt nicht nur bei Entsendungen die sozialversicherungsrechtliche Planung eine entscheidende Rolle.In allen Ländern ergeben sich Auswirkungen aus der Geltung der Mutter-Tochter-Richtlinie und der Fusionsrichtlinie ab dem 1. 5. 2004. Bisher unterlagen Gewinnausschüttungen aus einer Reihe von Staaten nach Deutschland nach den jeweils einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen einer Quellensteuerbelastung. Oft wurden daher Tochtergesellschaften deutscher Konzerne über Zwischenländer wie die Niederlande gehalten, wodurch insgesamt eine quellensteuerfreie Gewinnausschüttung nach Deutschland möglich war. Solche Konzernstrukturen können nun bereinigt werden. Weiterhin können ab dem 1. 5. 2004 Gewinne aus Vorjahren quellensteuerfrei ausgeschüttet werden, wenn der Ausschüttungsbeschluss erst nach dem EU-Beitritt gefasst wird, da eine Reihe von Beitrittsstaaten im Rahmen von Übergangsregelungen nicht zwischen Alt- und Neugewinnen unterscheidet. Nach der Geltung der Fusionsrichtlinie ändert sich zum einen die Rechtslage für Unternehmen in Deutschland,Tarifbelastung(Körperschaftsteuer/Gewerbesteuer)EffektivbelastungJe in %EstlandLettlandLitauenDeutschlandPolenTschechienSlowakeiUngarnSlowenienZypernMaltaQuelle: ZEW Mannheimdenen weitere Länder für grenzüberschreitende Umstrukturierungen (z. B. im Rahmen von § 23 Abs. 4 UmwStG) zur Verfügung stehen; soweit das ausländische Recht nicht im Einklang mit § 26 Abs. 2 UmwStG steht, ist bis August 2004 noch eine rückwirkende Aufstockung von Beteiligungsbuchwerten durch eine Teilwert-Einbringung in eine deutsche Zwischengesellschaft denkbar. Die Beitrittsstaaten selbst müssen bis zum 1. 5. 2004 ihr jeweiliges Umwandlungssteuerrecht an die Vorgaben der Fusionsrichtlinie angepasst haben.Im Grundsatz tritt auch die Zins- und Lizenzrichtlinie als »Gemeinschafts-acqui« am 1. 5. 2004 in den Beitrittsländern in Kraft. Allerdings haben einige Beitrittsstaaten unter Hinweis auf ihre Stellung als Nettokapitalimporteure und zu erwartende Haushaltsschwierigkeiten Anträge auf die Gewährung von Übergangsfristen gestellt. Gegenwärtig schlägt die EU-Kommission im Hinblick auf diese Anträge vor, Lettland und Litauen sowohl für Zinsen als auch für Lizenzgebühren und der Tschechischen Republik, Polen und der Slowakei für Lizenzgebühren die befristete Genehmigung zu erteilen, Quellensteuern von bis zu 10 % auch weiterhin nach nationalem Recht - allerdings nur im Rahmen der anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen - zu erheben. Die Übergangsfristen sollen von zwei Jahren für die Slowakei bis zu sechs Jahren für die anderen Staaten reichen; eine spätere Verlängerung der Übergangsfristen wird von der Kommission nicht ausgeschlossen.Last but not least für die Ertragsteuern: die mittlerweile umfangreiche Rechtsprechung des EuGH zu den direkten Steuern wird ab dem 1. 5. 2004 auch der Maßstab zur Prüfung der nationalen Steuersysteme von zehn weiteren Staaten sein. Bereits jetzt ist erkennbar, dass wesentliche Regelungen der Beitrittsstaaten - wie auch der bisherigen Mitgliederländer - diesem Maßstab nicht gerecht werden.Mag also durch den Wegfall der Zollgrenzen und die Einführung des EU-Binnenmarktes der unmittelbarere Handlungsbedarf für Unternehmen bei den indirekten Steuern bestanden haben bzw. noch bestehen, ergeben sich durch die EU-Erweiterung vielfältige ertragsteuerliche Änderungen, die teilweise Anpassungen erfordern, aber vor allem auch weitreichende Planungschancen eröffnen.II. UmsatzsteuerAlle zehn Beitrittsländer müssen die Sechste, die Achte und 13. EG-Richtlinie zum 1. 5. 2004 in ihr nationales Recht umsetzen.Obwohl die Umsatzsteuer die wohl am besten harmonisierte Steuer in der EU ist, erfahren bereits die Unternehmen in den 15 Mitgliedstaaten tagtäglich, welche Unterschiede in der Anwendung der lokalen Gesetze bestehen. Es liegt auf der Hand, dass mit dem Beitritt der zehn neuen Länder noch größere Herausforderungen auf die Unternehmen zukommen: einerseits im Verhältnis alte EU-Mitgliedstaaten und Beitrittsländer, andererseits im Verhältnis der Beitrittsländer untereinander.Nach derzeitigem Stand sind immerhin acht von zehn Beitrittsländern auf eine Registrierung ausländischer Unternehmen vorbereitet. Es ist allerdings noch nicht möglich, eine rein umsatzsteuerliche Registrierung in Slowenien und in Tschechien zu beantragen. Vereinfachungsregelungen für Konsignationslager werden wohl in Zypern und Ungarn möglich sein, könnten in Tschechien, Malta und in den baltischen Staaten eingeführt werden, sind aber definitiv nicht für Polen, Slowenien und Slowakei vorgesehen. Eine für die Unternehmen freundliche Importabwicklung wird es in Tschechien, in Ungarn und Malta geben, da dort die bei der Einfuhr zu entrichtende Einfuhr-Umsatzsteuer nicht bezahlt, sondern über das Reverse Charge Verfahren (Abzugsverfahren) nur gemeldet werden muss. Manche Beitrittsländer wie die Tschechei und Polen werden zusätzliche interne Abrechnungen für die Anmeldung der innergemeinschaftlichen Erwerbe verlangen (so wie dies teilweise auch in Italien und Spanien der Fall ist).Was den Warenverkehr betrifft, so werden die bisherigen Export- und Importregime durch das Binnenmarktkonzept der innergemeinschaftlichen Lieferungen und Erwerbe ersetzt. Auch die Besteuerung der Dienstleistungen muss in allen zehn Beitrittsländern den Bestimmungen der EG-Richtlinie angepasst werden.Es ist bereits heute abzusehen, dass die Umsetzung der maßgeblichen EU-Richtlinien in manchen Bereichen nicht pünktlich zum 1. 5. erfolgen bzw. nicht in Konformität mit diesen erfolgen wird. Manche steuerbefreiten Dienstleistungen sind beispielsweise derzeit in Ungarn nicht EU-konform, was zu spürbaren Wettbewerbsverzerrungen führen dürfte.Die bisherigen Kontrollen an den Grenzen werden durch die Einführung neuer Meldepflichten für die Unternehmen ersetzt (Umsatzsteuervoranmeldung, Zusammenfassende Meldung, Intrastat). Besonders von diesen Änderungen betroffen: das Rechnungswesen und die Logistik. Die Umstellung erfordert insbesondere eine Anpassung der ERP Systeme an die neuen Gesetze und Meldepflichten. Unternehmen, die nicht oder ungenügend vorbereitet sind, werden dabei mit Strafzuschlägen rechnen müssen. Denn in den meisten Beitrittsländern ist nicht mit einer entgegenkommenden Haltung der Finanzverwaltung zu rechnen.Es ist elf Jahre her, dass die Grenzkontrollen zwischen den bereits bestehenden Mitgliedstaaten (am 1. 1. 1993) weggefallen sind. Die wenigsten der betroffenen Unternehmen haben die Binnenmarktregelungen als eine Erleichterung empfunden. Man darf gespannt sein, welche Auswirkungen die Erweiterung auf zehn zusätzliche Länder unter Berücksichtigung einer nicht ganz umgänglichen Haltung der Finanzverwaltung haben werden.Folgende Umsatzsteuersätze sind derzeit vorgesehen:StandardUmsatzsteuersatzErmäßigte UmsatzsteuersätzeEstlandLettlandLitauen5, 6 und 9 %Polen3 und 7 %MaltaSlowakeiSlowenienTschechienUngarnZypernIII. ZollrechtBis zum 1. 5. 2004 konnte die Zollpolitik von jedem der zehn Beitrittsländer - nach Maßgabe der GATT/WTO Regelungen - autonom ausgestaltet werden, sodass von Beitrittsland zu Beitrittsland ein unterschiedliches Zollrecht anwendbar war.Nach Artikel 2 der Beitrittsakte sind ab dem Tag des Beitritts die ursprünglichen Verträge und insbesondere die vor dem Beitritt durch die Organe der Gemeinschaft erlassenen Rechtsakte für die Beitrittsstaaten verbindlich und gelten nach Maßgabe der genannten Verträge und der Beitrittsakte. Hieraus ergibt sich sowohl der Grundsatz als auch die einzig zulässige Ausnahme, nämlich dass die Verträge und die sich auf sie beziehenden Rechtsakte nach Maßgabe der Beitrittsakte gelten.Nach dem in Art. 2 der Beitrittsakte enthaltenen Grundsatz ist ab dem 1. 5. 2004 das Gemeinschaftszollrecht auch in den Beitrittsstaaten unmittelbar anwendbares Recht, das im Kern aus dem Zollkodex (Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. 10. 1992, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 vom 16. 11. 2000) und der Zollkodex-Durch führungsverordnung (Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. 7. 1993, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1335/2003 der Kommission vom 25. 7. 2003) gebildet wird. Hieraus ergeben sich im Vergleich zu der Situation vor dem Beitritt eine Reihe von Änderungen.So bedeutet die Anwendbarkeit der Vorschriften des Zollkodex für die meisten Beitrittsstaaten, dass sich dadurch der Kreis der zur Verfügung stehenden Zollverfahren bzw. die Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb der Zollverfahren deutlich erweitern wird. So besteht beispielsweise für das Verfahren der aktiven Veredelung die Möglichkeit der Abwicklung im Nichterhebungsverfahren. Im Nichterhebungsverfahren können Nichtgemeinschaftswaren ohne Erhebung von Zöllen be- oder verarbeitet werden, wenn die hieraus entstandenen Veredelungserzeugnisse zur Wiederausfuhr aus dem Zollgebiet der dann erweiterten Gemeinschaft bestimmt sind. In den meisten Beitrittsstaaten erfolgte bisher - wohl auch aus fiskalischen Überlegungen - die Abwicklung der aktiven Veredelung im Rückvergütungsverfahren (»drawback«), wonach auf die zur Veredelung bestimmten Einsatzmaterialien zunächst Zoll zu entrichten war, der bei der Wiederausfuhr der Veredelungserzeugnisse erstattet werden konnte.Ferner wenden die Beitrittsstaaten ab dem 1. 5. 2004 die von der Europäischen Gemeinschaft mit anderen Staaten oder Staatengruppen geschlossenen Präferenzabkommen und autonomen Präferenzregelungen an, die eine einseitige oder gegenseitige Zollbegünstigung im Warenverkehr mit diesen Staaten vorsehen. Zum gleichen Zeitpunkt treten die Beitrittsstaaten von ihren mit Drittstaaten geschlossenen Präferenzabkommen zurück. Das bedeutet, dass der für die Beitrittsländer z. T. noch bestehende Präferenzstatus für Entwicklungsländer entfallen wird, z. B. für die Tschechische Republik im Warenverkehr mit den USA.Darüber hinaus werden die Beitrittstaaten ab dem 1. 5. 2004 in die handelspolitischen Schutzinstrumente der Gemeinschaft für Einfuhren aus Drittländern einbezogen. Hierzu gehören Antidumping-, Antisubventions- und Schutzmaßnahmen. Gleichzeitig treten die bis dato geltenden entsprechenden Regelungen der Beitrittsstaaten außer Kraft.Nach Artikel 2 der Beitrittsakte sind als einzig zulässige Ausnahme (»nach Maßgabe der Beitrittsakte«) Übergangsmaßnahmen vorgesehen, die den Übergang im Warenverkehr sowohl zwischen den alten Mitgliedstaaten und den Beitrittsstaaten als auch zwischen den Beitrittsstaaten und Drittländern erleichtern sollen. Diese ergeben sich aus Art. 22 der Beitrittsakte in Verbindung mit Anhang IV Nummer 5.Die Übergangsmaßnahmen betreffen im Wesentlichen Vorgänge, die vor dem Beitritt begonnen haben und nach dem Beitritt erledigt werden. So gilt unbeschadet der besonderen Übergangsmaßnahmen für landwirtschaftliche Erzeugnisse der Grundsatz, dass sich alle in einem Beitrittsland oder in einem alten Mitgliedstaat im zollrechtlich freien Verkehr befindlichen Waren zum Zeitpunkt des Beitritts im zollrechtlich freien Verkehr der erweiterten Gemeinschaft befinden. Dieser Grundsatz gilt auch für Waren, die vor dem Beitritt in ein Zollverfahren (z. B. Versandverfahren zum Transport der Waren aus einem alten Mitgliedstaat in einen Beitrittsstaat) überführt worden sind, das nach dem Beitritt beendet wird. In diesem Fall muss jedoch der Gemeinschaftscharakter der Waren nachgewiesen werden.Ferner betroffen: Vorgänge, die nach dem Beitritt erledigt werden, gleichzeitig aber z. B. zur Anwendung handelspolitischer Maßnahmen auf einen Zeitpunkt vor dem Beitritt abzustellen ist. Hiervon betroffen sind beispielsweise Nichtgemeinschaftswaren, die vor dem Tag des Beitritts in einem alten Mitgliedstaat in das Verfahren der aktiven Veredelung (Nichterhebungsverfahren) überführt worden sind. Zu diesem Zeitpunkt waren die in Frage stehenden Nichtgemeinschaftswaren Gegenstand einer in den alten Mitgliedstaaten anwendbaren Antidumping-Verordnung. Ungeachtet des Grundes ist für diese Waren, die sich weiterhin in dem genannten Zollverfahren befinden, nach dem 1. 5. 2004 in einem Beitrittsstaat eine Zollschuld entstanden. In diesem Fall wird das Verfahren nach den Gemeinschaftsvorschriften beendet, wobei hinsichtlich der Bemessungsgrundlagen (hier Ursprung) auf den Zeitpunkt der Überführung in das Verfahren der aktiven Veredelung abzustellen ist. Danach wäre ein Antidumpingzoll auf die Waren nebst Ausgleichszinsen entstanden.Überdies sind von den Übergangsmaßnahmen Verfahrenserleichterungen betroffen, für die von den Zollbehörden in denBeitrittsstaaten Bewilligungen erteilt worden sind, die nicht bis zum Stichtag des Beitritts den neuen Vorschriften angepasst werden können. Dies hat zur Folge, dass von den Zollbehörden in den Beitrittsstaaten bis zu diesem Datum erteilte Bewilligungen für das Zolllagerverfahren und die vorübergehende Verwendung mit dem Beitritt ungültig werden, während Bewilligungen über die aktive Veredelung, die passive Veredelung und das Umwandlungsverfahren bis zum Tag ihres Ablaufs, höchstens jedoch bis zu einem Jahr ab Beitritt gültig bleiben.