Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Perfektes Timing für eine Reform der Kontrollinstanzen
Dr. Frederik Ferreau
Schlechtes Timing, werden sich die Regierungschefs der Länder gedacht haben: Gerade erst hatten sie Anfang Juni nach jahrelangem Ringen eine (wenig ambitionierte) Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch Unterzeichnung eines Dritten Medienänderungsstaatsvertrags auf den Weg gebracht, als die ersten Enthüllungen über Patricia Schlesingers Führungsstil beim RBB auftauchten. Inzwischen ist Schlesinger als Intendantin Geschichte, die gegen sie erhobenen Vorwürfe haben jedoch eine Dynamik entfacht, die immer mehr Rundfunkanstalten erfasst. Beim NDR steht gar der Vorwurf politisch motivierter Einflussnahme auf die Berichterstattung im Raum – und damit womöglich die Glaubwürdigkeit des gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf dem Spiel.
Dass die anstaltsinternen Kontrollsysteme im Fall Schlesinger versagt haben, bestätigt die Kritiker, die seit langem für eine Stärkung der Gremien eintreten. Im Angesicht der jüngsten Vorwürfe wird die Medienpolitik diese Rufe nicht länger überhören können. Freilich darf die Wirkung des Rechts dabei nicht überschätzt werden: Wo Personen unlautere Absichten hegen, werden sie sich durch Ge- und Verbote nicht aufhalten lassen. Aber das Recht muss es ihnen so schwer wie möglich machen, ihre Pläne in die Tat umzusetzen. Dazu bedarf es organisationsrechtlicher Sicherungsvorkehrungen, die Unabhängigkeit, Integrität und Kompetenz der Kontrollinstanzen gewährleisten.
Der Gesetzgeber besitzt bei der Ausgestaltung der anstaltsinternen Organisation einen weiten Spielraum. Nicht einmal das sonst in Rundfunkfragen wenig zurückhaltende Bundesverfassungsgericht leitet aus der Rundfunkfreiheit ein bestimmtes Organisationsmodell für die Anstalten ab: Ihre binnenpluralistische Struktur sei “verfassungsrechtlich weiterhin nicht zu beanstanden” (BVerfGE 136, 9, 30 Rn. 33). Allerdings öffnet das Gericht im ZDF-Urteil selbst ein Einfallstor für erhebliche politische Einflüsse, indem es bis zu einem Drittel Staats- und staatsnaher Vertreter in Rundfunk- und Verwaltungsrat akzeptiert. Die Begründung, auch solche Vertreter trügen zur Vielfalt der Perspektiven in den Gremien bei (vgl. BVerfGE 136, 9, 32 f. Rn. 36), überzeugt bereits deshalb nicht, weil der grundrechtsverpflichtete Staat im gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess nicht auf gleicher Stufe steht wie die grundrechtsberechtigten Kräfte der Gesellschaft. Eine derartige “Perspektiverweiterung” erfordert auch kein Drittel aller Sitze. Und in Bezug auf die Verwaltungsräte versagt dieser Begründungsansatz gänzlich: Dort kann es nicht auf pluralistische Gesellschaftsrepräsentanz ankommen, sondern auf Sachkompetenz in Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten. Denn nur so werden sie ihren Aufgaben (vgl. exemplarisch § 18 RBB-StV) gerecht werden können.
Gerade der Verwaltungsrat hat sich beim RBB als Achillesverse erwiesen. Wie die Mehrzahl der Anstaltsorganisationsgesetze, verlangt der RBB-StV von den Mitgliedern keine spezifische Sachkompetenz (Ausnahmen finden sich unter anderem in § 20 Abs. 2 WDR-G und Art. 9 Abs. 1 BR-G). Und bei der Sicherung der Staatsferne folgen die Gesetze lediglich dem ZDF-Urteil: Weder reduzieren sie den zulässigen Staatsanteil unter ein Drittel noch schließen Inkompatibilitätsvorschriften die Mitgliedschaft hochrangiger Politiker aus; mitunter sitzen deshalb – wie bei ZDF und SWR – führende Medienpolitikerinnen in den Verwaltungsräten. Eine Reform der Verwaltungsräte muss darauf abzielen, ein Höchstmaß an Unabhängigkeit und Expertise zu sichern. Sachkunde muss für alle Mitglieder das wesentliche Auswahlkriterium sein. Umfangreichere Inkompatibilitätsvorschriften sollten potenzielle Interessenkonflikte mit der Politik, aber auch mit gesellschaftlichen Organisationen, die regelmäßig Gegenstand der Berichterstattung sind, von vornherein unterbinden. Und selbstverständlich muss zentralen Entscheidungen – wie der Abschluss des Dienstvertrags mit dem Intendanten – eine umfassende Information aller Ratsmitglieder vorausgehen; dies war beim RBB offenbar nicht der Fall.
Der Reformbedarf erstreckt sich auch auf die Rundfunkräte: Da auch hier Sachkunde der Mitglieder nicht vorgeschrieben ist (Ausnahme: § 10 Abs. 1 Nr. 13 RB-G), verfestigt sich in der Praxis mitunter der Eindruck, die Mitglieder begriffen sich mehr als Interessenvertreter der entsendenden Organisationen denn als Sachwalter der Allgemeinheit (so aber BVerfGE 136, 9, 31 Rn. 35). Hinzu kommt, dass eine unzureichende organisatorische und finanzielle Unabhängigkeit der Rundfunkräte von der Anstaltsleitung einer wirksamen Kontrolle zuwiderläuft und das europäische Medienrecht “angemessene finanzielle und personelle Mittel” für die Aufsichtsinstanzen verlangt (Art. 30 Abs. 4 AVMD-RL). Wenn der Gesetzgeber den Rundfunkräten nun noch zusätzliche Aufgaben zur Auftragskonkretisierung übertragen will (vgl. § 31 Abs. 2a und 2b, § 32a Abs. 2 MStV-E), steigt ihr Professionalisierungsbedarf weiter. Sie benötigen deshalb mindestens eigene, aufgabenadäquat besetzte Geschäftsstellen sowie Budgethoheit. Zusätzlich sollten aufgabenspezifische Sachkenntnisse bei den Rundfunkräten vorgeschrieben werden; dazu zählen auch Kenntnisse in Haushalts- und Finanzfragen, obliegt doch den Rundfunkräten der Beschluss des Haushaltsplans. Und eine gewisse Entkoppelung der Mitglieder von Partikularinteressen könnte durch neuartige Besetzungsverfahren – beispielsweise eine öffentliche Ausschreibung einiger Ratssitze – erreicht werden.
Zwar liegt es primär an den Anstalten, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Doch die Länder sind als “Ausgestalter” der Rundfunkordnung verpflichtet, durch Stärkung der Gremien die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Systems zu bewahren. Das laufende Gesetzgebungsverfahren bietet dazu Gelegenheit. Das Timing ist also perfekt.
Dr. Frederik Ferreau*
* | Jahrgang 1983. Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Mainz; erstes Staatsexamen 2009. Anschließend u. a. wiss. Mitarbeiter am Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht der Universität Köln und Rechtsreferendar am LG Duisburg; zweites Staatsexamen 2015. Anschließend Referent Medienpolitik bei der Mediengruppe RTL. Seit 2016 wiss. Mitarbeiter und Habilitand am Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht der Universität Köln. |