Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte im digitalen Raum
RA Dr. Simon Assion
Die letzten Jahre waren nicht nur Jahre der Corona-Pandemie, sie waren auch eine Zeit der Digitalisierung. Noch nie haben wir bei dem Versuch, unsere Leben so weit wie möglich normal weiterführen zu können, so stark auf digitale Dienste gesetzt. Wir haben unsere Freundschaften und Beziehungen digital gepflegt. Wir haben Vorträge und Konzerte digital gehört. Haben Videos gestreamt statt ins Kino zu gehen, und über Messenger gechattet statt abends auszugehen. Sehr vieles, was früher offline stattfand, hat sich ins Digitale, Virtuelle verlagert.
Dies lenkt, einmal mehr, den Blick auf die zentrale Herausforderung für unsere Rechtsordnung im einundzwanzigsten Jahrhundert: Wie schaffen wir es, dass wir Menschen unsere Persönlichkeit auch unter digitalen Bedingungen frei entfalten können? Und wie können wir gewährleisten, dass wir gemeinsam, als Gesellschaft, weiter gut zusammenarbeiten? Dies zu erreichen ist nicht einfach, das haben die letzten Jahre immer wieder gezeigt.
Die Digitalisierung betrifft alle Lebensbereiche, bis hinein in höchst intime Sphären. Und sie ändert die Spielregeln: Vieles, was früher ungefiltert und unmittelbar im zwischenmenschlichen Austausch stattfand, verlagert sich auf Plattformen und wird dort gefiltert, aufbereitet und durch Algorithmen beeinflusst. Vieles, was früher ein rein physikalischer Vorgang war, hinterlässt nun Datenspuren. Kein Aspekt der menschlichen Identität bleibt davon unberührt.
Wir Menschen, die analoge Lebewesen sind, können uns daran nicht einfach so anpassen. Stattdessen können und müssen wir verlangen, dass die digitale Welt sich an unsere menschlichen Bedürfnisse anpasst. Dafür bedarf es Regeln und Gesetzen.
Auch unter diesen Bedingungen sind die Menschenwürde und ihr stetiger Begleiter, das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, weiterhin nicht nur die höchsten Rechtsgüter unserer Rechtsordnung. Sie sind auch eine gute Leitschnur für die Setzung von neuem (und die Verbesserung von altem) “Digitalrecht”. Sie zu bewahren ist eine Kernaufgabe der Politik für die nächsten Jahre.
Unsere Rechtsordnung sollte – ja, muss – gewährleisten, dass die Menschen auch im digitalen Raum menschlich bleiben können. Menschen wollen sich selbstbestimmen, selbstbewahren und selbstdarstellen. Sie wollen sich (auch digital) präsentieren und kommunizieren, Beziehungen pflegen und ihren Hobbys und Berufen nachgehen. Das sind wichtige digitale Freiheiten, die es zu bewahren gilt. Und: Menschen wollen sich für manche Aktivitäten auch ins Private, Geheime und Intime zurückziehen können. Dies muss auch dann möglich sein, wenn es über Computer, Netzwerke und Plattformen erfolgt.
Aus rechtspolitischer Sicht führt dies zu der Frage: Welche Rahmenbedingungen sind für die menschliche Persönlichkeitsentfaltung so essenziell, dass wir sie rechtlich garantieren müssen? Diese Frage beschreibt letztlich den Auftrag des Gesetzgebers.
Wenn man gedanklich aus dieser Perspektive an die Problematik herangeht, dann zeigt sich recht schnell, dass die sehr komplexen Regelungen des Daten- und Verbraucherschutz wichtige Teile der Lösung sein können – aber eben doch nur Teile sind. Wichtiger sind für die Menschen bei ihrer Persönlichkeitsentfaltung einfache, leicht nachvollziehbare Regeln. Denn nur dann, wenn Regeln klar und eindeutig sind, können auch juristische Laien darauf vertrauen. Nur dadurch lassen sich die Einschüchterungseffekte vermeiden, die die digitale Sphäre heutzutage unweigerlich verursacht.
Wichtig ist deshalb, dass es juristische Regeln gibt, die auch juristische Laien zwanglos und einfach nachvollziehen können. Jeder muss verstehen können: Wenn ich A tue, passiert B. Solche simplen Regeln gibt es in unserer Rechtsordnung traditionell viele, denn die besten Rechtsregeln sind solche, die auch Nicht-Juristen intuitiv verstehen. Soweit es um die Selbstbewahrung geht, fallen beispielsweise das Kommunikationsgeheimnis (Brief-, Post- und Telekommunikationsgeheimnis) und das Wohnungsgrundrecht in diesen Bereich. Diese Grundrechte schützen Geheimsphären: Sie schaffen geschützte Räume bzw. Sphären, in denen Menschen sich unbeobachtet fühlen können. Genau solche klar umgrenzten rechtlichen Schutzräume sind für die Persönlichkeitsentfaltung unverzichtbar, und viel wichtiger als komplexe und häufig schwer nachvollziehbare Regelungen.
In den modernen informationsrechtlichen Gesetzen sind solche einfachen, klar konturierten und dadurch leicht nachvollziehbaren Regelungen allerdings Mangelware. Viele der heute geltenden Digitalgesetze – allen voran die DSGVO – sind so komplex aufgebaut und so vage formuliert, dass selbst hochspezialisierte Jurist*innen auf ihrer Basis nicht zu klaren rechtlichen Antworten kommen. Für professionelle Rechtsberater sind solche überkomplexen Gesetze noch erfassbar. Für juristische Laien entsteht aber der Eindruck eines undurchschaubaren Regelungsgewirrs. Der Schutz der digitalen Menschlichkeit bleibt bei solchen Gesetzen auf der Strecke.
RA Dr. Simon Assion*
* | ist Rechtsanwalt (Associate) im Frankfurter Büro von Bird&Bird. Redakteur bei Telemedicus, Mitglied im Fachausschuss Informationsrecht des DAV. Promotion am Leibnitz-Institut für Medienforschung (Hans Bredow Institut) in Hamburg. |