Trilog-Einigung zum VO-Vorschlag politische Werbung
Kompromiss beim Targeting und Amplifizieren
Dr. Daniel Holznagel
Der Entwurf einer Verordnung über die Transparenz und das Targeting politischer Werbung ist nach der Trilog-Einigung Ende 2023 auf der Zielgeraden. Ein finaler Text ist zwar noch nicht veröffentlicht. Aus Verlautbarungen lässt sich aber – unter Vorbehalt – einiges ableiten, insbesondere zu einem Schwerpunkt des Vorhabens, den Einschränkungen für das Targeting bzw. Amplifizieren politischer Werbung (Art. 12), worauf ich mich vorliegend konzentriere. Bei diesem zwischen KOM, Rat und EP lange heftig umstrittenen Regulierungsansatz (hierzu Holznagel, VerfBlog, 23. 3. 2023) beschreitet die Trilog-Einigung nun einen Mittelweg:
Auf Tatbestandsseite hatte die weite, nicht an eine Gegenleistung anknüpfende Definition der „politischen Werbung“ zur Sorge geführt, dass auch politische Jedermann-Äußerungen, z. B. Rezos „Zerstörung der CDU“, künftig de-amplifiziert würden. Die Trilog-Einigung sucht den Konsens mittels Einschränkungen des Anwendungsbereiches: (unbezahlte) zur Beeinflussung von politischen Abstimmungsverhalten geeignete Jedermann-Inhalte sollen nunmehr (nur) dann als politische Werbung erfasst sein, wenn sie für diesen Zweck (Beeinflussung von Abstimmungsverhalten) entwickelt wurden („designed to influence“). Zudem sollen politische Inhalte in Medien unter redaktioneller Verantwortung grundsätzlich nicht vom Begriff der politischen Werbung erfasst sein.
Auf Rechtsfolgenseite wurde das Verbot des Targetings/Amplifizierens unter Verwendung persönlicher Daten hingegen gestärkt. Die Verwendung sensitiver Daten (z. B. politische Meinung, ethnische Herkunft usw.) ist insofern nunmehr uneingeschränkt verboten (Aufgabe der – ursprünglich vorgeschlagenen – Einwilligungslösung). Die Verwendung sonstiger (nicht-sensitiver) personenbezogener Daten zum Targeting/Amplifizieren soll nur erlaubt sein, wenn eine ausdrückliche und gesonderte Einwilligung erteilt wurde.
Was ist hiervon zu halten? Unterstellen wir einmal, dass Facebook & Co. hier „im Geiste“ des Gesetzes agieren und künftig ausdrücklich die Einwilligung für die Verwendung persönlicher Daten zum Targeting politischer Werbung abfragen: Die meisten Nutzer:innen werden dies wohl abwählen. Dann könnte politische Werbung nur noch eingeschränkt (nämlich z. B. noch kontextbasiert) gezielt ausgespielt werden. Z. B. dürfte Facebook künftig dann „politische Werbung“ nicht gezielt an Nutzer anhand ihres Wohnortes oder ihrer Einkommensgruppe ausspielen, schon gar nicht anhand deren politischer Einstellung, ethnischer Herkunft usw. (sensitives Datum). Dies erscheint im Grunde positiv.
Fragezeichen bleiben, weil die Definition politischer Werbung, d. h. der erfassten de-amplifizierten Inhalte, immer noch weit ausfällt. Hat Rezo die „Zerstörung der CDU“ zu dem Zweck veröffentlicht, Abstimmungsverhalten zu beeinflussen? Vielleicht! In der Praxis könnten die Plattformen (bzw. ihre Filter) hier vom Inhalt (politisch!) auf den Zweck (Beeinflussung!) schließen. Dann wäre Rezo nur noch eingeschränkt amplifizierbar (einem YouTube-Nutzer mit einer Suchhistorie zu CDU-Skandalen wird das Video nicht wahrscheinlicher angezeigt als Angel-Video-Fans). Im Ergebnis wird es dann – sollen Rezo & Co. vor der De-Amplifizierung „gerettet“ werden – entscheidend darauf ankommen, ob das vorgesehene Medienprivileg greift. Da sich viele Blogger usw. an die Allgemeinheit richten, können ihre Accounts sicherlich als „Medien“ betrachtet werden, wären also privilegiert, wenn sie Inhalte zugleich unter „redaktioneller Verantwortung“ verbreiten. Hier liegt ein Knackpunkt: Im Gesetzgebungsverfahren wurde für diesen Begriff eine Bezugnahme auf die Definition in der AVMD-RL vorgeschlagen. Die dortige Definition (Abstellen auf wirksame Kontrolle beim Zusammenstellen und Verbreiten von Inhalten anhand Sendeplan oder Katalog) scheint im hiesigen Kontext (Social Media) aber auslegungsbedürftig. Üblicherweise haben Jedermann-Nutzer zwar volle Kontrolle über die auf ihrem Account verbreiteten Inhalte, aber seltener verbreiten sie Inhalte anhand eines Sendeplans oder Katalogs. Im Lichte der Kommunikationsfreiheiten muss, so meine ich, die „redaktionelle Verantwortung“ daher hier offener verstanden werden. Jedenfalls wenn Jedermann-Nutzer unter Klarnamen auftreten oder sich intern gegenüber der Plattform (ggfs.: mit einer zustellfähigen Anschrift innerhalb der EU) identifizieren, so sollte dies regelmäßig für die Übernahme „redaktioneller Verantwortung“ sprechen. Ob der finale Verordnungstext eine solche Auslegung eröffnet, bleibt abzuwarten. Falls nicht, stünde eine m. E. eher schwer zu rechtfertigende Benachteiligung von Bloggern usw. bzw. UGC-Inhalten (der politische-Sonntags-Tweet „normaler“, unter Klarnamen auftretender X-Nutzer) gegenüber hergebrachten Medien (z. B. Teilen von Spiegel-Online-Kolumnen) im Raum.
Dr. Daniel Holznagel*
* | RiKG (Schwerpunkte zuletzt: Gewerblicher Rechtsschutz, Kartellrecht). Von 2017 bis 2021 war er als Referent im BMJ u.a. für das NetzDG zuständig. Er unterstützt zivilgesellschaftliche Organisation wie HateAid bei rechtspolitischen Positionierungen. Zudem unterrichtet er zum Recht der Plattformregulierung an der FU Berlin und veröffentlicht regelmäßig in diesem Bereich. |