Mit Dringlichkeit zu diskutieren – das 13. Presserechtsforum
RA Prof. Dr. Roger Mann
BILD-Chefredakteure machen Schlagzeilen, auch nach ihrem Abschied vom Chefsessel. Während Kai Diekmann u. a. damit für Furore sorgte, dass er Walter Kohl nach dem Tod seines Vaters den Zutritt zu dessen Haus verwehrte, tauschte sein Nachfolger Julian Reichelt im Jahr 2023 die Rollen und wurde zum Informanten. Als er dem Verleger der Berliner Zeitung Material über seinen alten Arbeitgeber anbot, informierte dieser angesichts des Inhalts die Kollegen bei Axel Springer, was in einem Rechtsstreit über den Quellenschutz vor dem LG Berlin mündete. Das entschied nüchtern: Es gibt keine grundsätzliche Verpflichtung von Medien zur Geheimhaltung von Informanten, jedenfalls keine justiziable. Und eine Vertraulichkeitsvereinbarung könne man nicht feststellen. Vertraulichkeitsvereinbarung? Da war doch noch etwas. Richtig, das OLG Köln wird im Februar dieses Jahres nach Einvernahme u. a. von Walter Kohl darüber entscheiden, ob es nun eine Vertraulichkeitsvereinbarung zwischen Helmut Kohl und seinem Memoirenautor Heribert Schwan gab. Vorher aber wird die Frage, ob der Informantenschutz für Medien verpflichtend ist oder einer vorherigen Vereinbarung bedarf, beim nächsten Pressrechtsforum diskutiert.
Die – von ihm bestrittenen – Vorwürfe gegen Julian Reichelt, die dazu geführt haben, dass sich die Wege zwischen ihm und Springer-Vorstand Matthias Döpfner getrennt haben, lassen sich bekanntermaßen zwanglos der „me too“–Debatte zuordnen. Diese Debatte wollen wir auch beim diesjährigen Pressrechtsforum führen, denn die Gerichte tun sich mit dem vorhandenen Instrumentarium schwer beim Umgang mit veröffentlichten Vorwürfen sexuellen Missbrauchs. Es liegt in der Natur der Sache, dass die zu entscheidenden Sachverhalte häufig nur in Gegenwart der zwei betroffenen Personen stattfinden. Bei Anwendung der üblichen Beweislastregeln führt dies grundsätzlich zur Unzulässigkeit öffentlicher Anschuldigungen. Aber es gibt ja noch die Verdachtsberichterstattung. Nur, wie hoch sind die Anforderungen an die erforderlichen Beweistatsachen in solchen Fällen? Entsprechende Vorwürfe können existenzvernichtend sein, die Konsequenz, über einen Missbrauch schweigen zu müssen, ggf. auch. Als Juristinnen und Juristen tun wir häufig so, als würden wir die Fälle nach einem klaren Regelwerk entscheiden, aber machen wir uns nichts vor: Hier geht es am Ende um Wertungsfragen, die man je nach Perspektive mal so und mal so sehen kann. Es ist eine Crux und deshalb ist sie Thema der Podiumsdiskussion.
Apropos Verdachtsberichterstattung: „Ausgewogen“ soll sie sein, auch nach der Rechtsprechung des BGH. Heißt das im Wortsinn, dass sich belastende und entlastende Gesichtspunkte die Waage halten müssen? Und wie realisiert man das, wenn es wenig Entlastendes gibt und der Betroffene sich nicht äußert? Oder geht es bei dem Erfordernis der Ausgewogenheit nur darum sicherzustellen, dass der Beitrag nicht vorverurteilend ist? Nach der Rechtsprechung des OLG Hamburg kann der Verdacht so dargestellt werden, wie es die Beweistatsachen rechtfertigen und die Journalistinnen und Journalisten dürfen zum Ausdruck bringen, wem sie mehr Glauben schenken oder Sympathie entgegenbringen. Die Bandbreite der Ausgewogenheit ist also groß und vielleicht gelingt es uns, in der Diskussion die Konturen zu schärfen.
Konturen müssen auch bei der Dringlichkeit im Verfügungsverfahren geschärft werden. Nachdem das BVerfG der allzu großzügigen Praxis einseitig erlassener einstweiliger Verfügungen ein Ende bereitet hat, besteht erneut Anlass, dem Gebot der prozessualen Waffengleichheit Geltung zu verschaffen. Vereinzelt ist zu beobachten, dass Pressekammern aus dem einstweiligen Verfügungsverfahren ein regelrechtes schriftliches Verfahren machen, in dem den Parteien über Wochen wechselseitig ihre Schriftsätze zugestellt werden – jeweils mit der Möglichkeit der Stellungnahme binnen zwei bis drei Tagen. In dem vom BVerfG entschiedenen Fall hatte das LG Hamburg nach acht Wochen dann „wegen Dringlichkeit“ ohne mündliche Verhandlung entschieden. Auch hier sah sich das BVerfG genötigt, darauf hinzuweisen, dass eine mündliche Verhandlung anzuberaumen ist, wenn damit der Dringlichkeit des Verfahrens besser gedient ist. In derselben Entscheidung hat das BVerfG auch gleich noch die Praxis von „Regelfristen“ im Rahmen des Verfügungsgrundes kassiert. Genug Anlass also, sich darüber – auch mit der Richterschaft – auszutauschen.
Im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbar ist auch der Gegendarstellungsanspruch. Die ganze Komplexität dieses sehr deutschen Rechtsinstituts, das zum Beispiel dem anglo-amerikanischen Rechtskreis völlig fremd ist, macht der Umfang des Standardwerks des inzwischen leider verstorbenen Walter Seitz deutlich. Gestritten wird häufig genug um Formalien. Beim Presserechtsforum wollen wir das Thema ganz grundsätzlich angehen: Braucht es den Gegendarstellungsanspruch eigentlich noch?
Es ist wieder Januar, es ist wieder Zeit für das Presserechtforum.
RA Prof. Dr. Roger Mann*
* | Rechtsanwalt in Hamburg und Honorarprofessor an der Georg-August-Universität Göttingen. |