Litigation-PR am Limit
RA Thomas Stadler
Der Begriff der Litigation-PR dürfte den meisten Juristen in Deutschland noch vor 20 Jahren gänzlich unbekannt gewesen sein. Mittlerweile ist er längst in aller Munde. Wer als Anwalt das Instrument der Litigation-PR bespielt, tut dies, um die Berichterstattung und öffentliche Debatte über eine juristische Auseinandersetzung im Sinne seines Mandanten zu beeinflussen. Wohlwollend betrachtet, stellt dies den Versuch einer Prozesspartei dar, ihre Position öffentlich klarzustellen. Am Ende geht es allerdings stets auch darum, die mediale Berichterstattung und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Der Medienanwalt schwingt sich damit zum Meinungsmacher auf. Er ist nicht mehr länger nur noch im Gerichtssaal das Sprachrohr des Mandanten, sondern auch in den (sozialen) Medien. Die Führung des Verfahrens erscheint demgegenüber in manchen Fällen nur noch von untergeordneter Bedeutung zu sein. Im Vordergrund steht es, in der öffentlichen Debatte die Deutungshoheit zu erringen.
Einen besonders ausgeprägten Fall einer solchen Litigation-PR konnte die interessierte Öffentlichkeit im Nachgang zu der aufsehenerregenden Berichterstattung des Medienhauses „Correctiv“ über den Artikel „Geheimplan gegen Deutschland“ mitverfolgen. Correctiv hatte bekanntlich über ein Treffen rechter Kreise in Potsdam berichtet, auf dem u. a. über einen „Masterplan, um Zuwanderer loszuwerden“ gesprochen worden sein soll. Diese Berichterstattung hat nicht nur zu einem Medienecho von enormem Ausmaß geführt, sondern auch zu Massendemonstrationen in Deutschland, an denen Millionen von Menschen teilnahmen.
Naheliegenderweise hatte diese Berichterstattung dann auch ein juristisches Nachspiel, in allerdings eher bescheidenem Umfang. Zwei Teilnehmer bzw. Unterstützer dieses Treffens störten sich an ihrer namentlichen Nennung im Artikel bzw. fühlten sich unzutreffend wiedergegeben und beantragten beim LG Hamburg den Erlass einstweiliger Verfügungen. Die Kernaussagen von „Correctiv“ wurden von den Antragstellern aber erst gar nicht angegriffen, so dass der Artikel selbst im Falle eines prozessualen Erfolgs nur geringfügig hätte geändert werden müssen. Zudem war die prozessuale Ausbeute am Ende eher dürftig. Ein Antrag wurde vollständig abgewiesen, dem zweiten Antragsteller gelang es zumindest, eine von drei Einzelaussagen, die er beanstandet hatte, zu untersagen. Die Verfügungsverfahren sind zwischenzeitlich auch abgeschlossen, das OLG Hamburg hat die Entscheidungen des LG bestätigt.
Die bemerkenswerte, flankierende Litigation-PR der von den Antragstellern mandatierten Medienrechtskanzlei beschränkte sich nicht darauf, die weitgehende Niederlage vor Gericht in einen Sieg umzudeuten, sondern thematisierte vor allen Dingen Aspekte der Correctiv-Berichterstattung, die von den Antragstellern gar nicht angegriffen worden sind und damit überhaupt nicht Streitgegenstand der Verfahren vor dem LG Hamburg waren. Die Kanzlei hatte eine Reihe eidesstattlicher Versicherungen eingeholt und auch veröffentlicht, die prozessual nicht notwendig waren und mit denen vor allem das außerprozessuale Ziel der Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung verfolgt wurde. In der Pressemitteilung der Kanzlei wurde hierzu u. a. behauptet, Correctiv habe durch überspitzt inszenierte Wertungen den falschen Eindruck erweckt, Thema des Treffens sei auch die Ausweisung deutscher Staatsbürger nach rassistischen Kriterien gewesen. Tatsächlich heißt es in dem Artikel von Correctiv aber auch weiterhin unbeanstandet, einer der Redner, der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner, habe von drei Zielgruppen gesprochen, die Deutschland verlassen sollen, nämlich Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und „nicht assimilierte Staatsbürger“. Letztere seien aus seiner Sicht das größte „Problem“.
Über soziale Medien wie X (vormals Twitter) hat die Medienrechtskanzlei zudem ebenfalls die fragwürdige These verbreitet, die Berichterstattung von Correctiv sei deshalb nicht angreifbar, weil Correctiv gar keine Fakten mehr berichten würde, sondern nur noch Meinungen äußere. Das ist allerdings insoweit unzutreffend, als die (unbeanstandeten) Kernaussagen des Artikels Tatsachenbehauptungen darstellen.
Es zeigt sich hier insgesamt ein bedenkliches Muster. Diejenigen Aussagen der Correctiv-Berichterstattung, die die Mandanten der Anwaltskanzlei offenbar am meisten störten, die man allerdings gerichtlich, wohl mangels Erfolgsaussicht nicht angegriffen hatte, wurden in das Zentrum der Litigation-PR gestellt. Die Motivation hierfür ist klar. Correctiv sollte in ein schlechtes Licht gerückt und öffentlich diskreditiert werden. Was vor Gericht von vornherein nicht erfolgsversprechend schien, sollte die Litigation-PR erledigen. Die Berichterstattung sollte als unseriös dargestellt werden.
Ob derart irreführende Litigation-PR wettbewerbsrechtlich relevant sein kann, soll hier nicht vertieft werden, bedarf aber sicherlich einer eingehenderen Betrachtung. Die sich stellenden Fragen sind aber nicht nur rechtlicher Natur, sondern betreffen das anwaltliche Selbstverständnis und Selbstbild.
RA Thomas Stadler*
* | Jahrgang 1969; Studium der Rechtswissenschaften von 1989-1994 an der Universität Passau. Zum Referendariat wechselte er nach Regensburg und schloss dort 1996 mit dem Zweiten Staatsexamen ab. Mit den Kollegen Frösner und Alavi gründete er 1997 die Kanzlei AFS. FA für Informationstechnologierecht, FA für gewerblichen Rechtsschutz. |