Digitalisierung des Schuldrechts – Doppelschlag zum Ausklang des Corona-Jahres
RA Dr. Sascha Vander
Der deutsche Gesetzgeber hat zum Jahresende zu einem Doppelschlag für die Umsetzung der RL (EU) 2019/770 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen sowie der RL (EU) 2019/771 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs ausgeholt. Im Fokus stehen umfangreichere Eingriffe in das allgemeine wie besondere Schuldrecht, welches zwar naturgemäß nicht selbst digitalisiert wird, gleichwohl eine ganze Reihe neuer Algorithmen und Schaltkreise für den Umgang mit digitalen Waren und Dienstleistungen erhalten soll.
Der Rechtsanwender darf sich verbraucherrechtlich bekannter Regelungsunart folgend im Zuge des geplanten Gesetzes für die Umsetzung der Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen auf eine wahre Flut von Buchstaben-Vorschriften von §§ 327 bis 327u BGB-E freuen. Beim Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags fällt die Regelungsflut etwas gebremster aus. Einige zentrale Schlaglichter aus der Masse der Neuregelungen seien hier adressiert.
Eine Erneuerung erfährt unter beiden Referentenentwürfen der gesetzliche Sachmangelbegriff. Sprachlich nehmen die Definitionen zwar beachtlichen Raum ein und differenzieren trennschärfer zwischen subjektiven und objektiven Beschaffenheitsanforderungen. Inhaltlich ändert sich auf den ersten Blick hingegen wenig. Eine neue Vorgabe sticht allerdings heraus. So ist für digitale Inhalte ebenso wie für “Sachen mit digitalen Inhalten” vorgesehen, dass Verbrauchern “Aktualisierungen” bereitgestellt werden müssen, die für den Erhalt der Vertragsmäßigkeit der Sache bzw. des digitalen Produkts erforderlich sind. Zu diesen Aktualisierungen sollen insbesondere Sicherheitsaktualisierungen zählen, womit gerade im kaufvertraglichen Bereich die bis dato auf den Zeitpunkt des Gefahrübergangs bezogene Beschaffenheitsverantwortlichkeit zur Makulatur wird.
Auch im Hinblick auf die Dauer einer Pflicht zur Aktualisierung beschreitet der Gesetzgeber im kaufrechtlichen Kontext Neuland. Insoweit wird nämlich nicht etwa primär an Gewährleistungsfristen angeknüpft, sondern vielmehr auf einen unbestimmten Zeitraum abgestellt, den der Verbraucher aufgrund der “Art und des Zwecks des digitalen Produkts” und unter Berücksichtigung der Umstände und der Art des Vertrags “erwarten” darf. Das kann abhängig vom betroffenen Produkt eine ganz erhebliche Dauer sein, für welche Verkäufer – und mittelbar natürlich Hersteller – entsprechende Aktualisierungen vorhalten und bereitstellen müssen. Man denke hier an Smart-TV, moderne KFZ oder den Trend, alle denkbaren Gerätschaften vom Kühlschrank bis zur Waschmaschine mit mehr oder oftmals weniger sinnvollen smarten Funktionalitäten auszurüsten. Gerade bei hochpreisigen Produkten fällt – geplante Obsoleszenz ausgeblendet – die Nutzungsdauer und damit auch die Erwartungshaltung der Verbraucher regelmäßig lang aus. Für Hersteller dürfte es eine Herausforderung darstellen, auch mit Blick auf das sich rasch ändernde IT-Umfeld längerfristig Aktualisierungen bereitzuhalten. Betroffene Produkte werden damit sicherlich nicht billiger (der Gesetzgeber geht für den Handel von Mehrkosten für Aktualisierungen von knapp 138 Mio. jährlich aus), aber vielleicht durch einen Zugewinn der Nutzungsdauer unter dem Strich gleichwohl preiswerter. Diesen Befund dürfte auch die von beiden Entwürfen vorgesehene und im Vergleich zum kaufrechtlichen Status Quo verlängerte Frist von einem Jahr für die Umkehr der Beweislast für das Vorliegen eines Mangels befördern.
Mehr oder weniger nebenbei brechen die Gesetzesentwürfe scheinbar mit dem von den Datenschutzbehörden bislang überwiegend verfolgten Postulat, wonach personenbezogene Daten keine vertragliche Gegenleistung sein dürfen. Jedenfalls knüpfen die Regelungen zum Anwendungsbereich für die neuen “Verträge über digitale Produkte” auch an solche Verträge an, bei denen der Verbraucher dem Unternehmer personenbezogene Daten bereitstellt oder sich hierzu verpflichtet, sofern die Daten nicht allein für die Vertragserfüllung und keine sonstigen Zwecke vorgesehen sind. Für den Verbraucher eröffnet dieses Konzept ein bislang allenfalls halb geöffnetes Exit-Fenster. So ist für den Widerruf einer erteilten datenschutzrechtlichen Einwilligung oder den Widerspruch gegen eine weitere Verarbeitung personenbezogener Daten vorgesehen, dass der Unternehmer einen Vertrag über die Bereitstellung eines digitalen Produkts ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen kann, wenn ihm unter Berücksichtigung des weiterhin zulässigen Umfangs der Datenverarbeitung und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht weiter zugemutet werden kann. Jedenfalls mittelbar dürfte der Verbraucher damit in vielen Fällen ein Mittel in der Hand haben, um eine vertragliche Beziehung unabhängig von Leistungsstörungen zu beenden.
Die Richtlinien sehen vor, dass Umsetzungsvorschriften bis zum 1. 7. 2021 zu erlassen und ab dem 1. 1. 2022 anzuwenden sind. Noch bleibt also Zeit, sich mit den Entwürfen auseinanderzusetzen und den ein oder anderen Aspekt gerade zu rücken. Dass hier insgesamt noch erheblicher Diskussionsbedarf besteht, wird durch die zahlreichen Stellungnahmen aus Fachkreisen belegt. Vielleicht schaffen wir es in den Endfassungen noch bis § 327z BGB-E.
RA Dr. Sascha Vander, LL.M.