R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
 
 
K&R 2025, I
Rauer 

Digital Fairness

Abbildung 1

RA Dr. Nils Rauer, MJI

Fairness ist ein großes Wort. Es ist ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen, fair behandelt zu werden. Wer von Fairness spricht, der denkt schnell auch an Gerechtigkeit. Es bestehen ähnliche Konnotationen. Dass unser Recht nicht immer in der Lage ist, Gerechtigkeit zu schaffen, ist kein Geheimnis. Es handelt sich um verwandte, aber nicht identische Konzepte.

Wendet man sich vor diesem Hintergrund den aktuellen Bestrebungen des europäischen Gesetzgebers zu, einen „Digital Fairness Act“ aus der Taufe zu heben, so muss man zwangsläufig zu dem Schluss gelangen, dass man in Brüssel Großes vor hat. Was in der analogen Welt nicht zu gelingen vermag, soll nun in der digitalen Welt seine Umsetzung und Realisierung finden – ein fairer Umgang miteinander. Der Titel verspricht viel, vielleicht zu viel. Es dürfte dabei zu unterstellen sein, dass in ihm auch ein gewisses Maß an (bewusster) Symbolik mitschwingt. Doch es lohnt an dieser Stelle sicherlich auch bereits ein Blick hinter die Kulissen und auf das, was dieser Digital Fairness Act erreichen und wie dies geschehen soll.

Im Mittelpunkt der Initiative steht der Verbraucherschutz im Internet. Eine 2024 durchgeführte Erhebung förderte die – letztlich wenig überraschende – Erkenntnis zu Tage, dass dieser Schutz derzeit noch lückenhaft ist. Dabei wurden insbesondere vier Bereiche ausgemacht, die einer eingehenderen Betrachtung bedürfen: (1) Dark Patterns, (2) Influencer Marketing, (3) Suchtpotentiale digitaler Produkte und (4) unlautere Personalisierungspraktiken. Zudem besteht das Bestreben, ausgewogene Wettbewerbsbedingungen für Onlinehändler zu gewährleisten.

Bis zum 24. 10. 2025 läuft noch eine von der EU-Kommission initiierte Sondierung zu der geplanten Gesetzesinitiative. Dabei nimmt die Kommission explizit Bezug auf die Ergebnisse einer früheren Eignungsprüfung des europäischen Verbraucherschutzrechts, welche im Oktober 2024 veröffentlicht wurde (SWD(2024) 231 final). Nach seinerzeitiger Schätzung beläuft sich der „Verbraucherschaden aufgrund von Problemen im digitalen Raum in der EU auf 7,9 Mrd. EUR pro Jahr“. Besonders betroffen sind jüngere Altersgruppen.

Obgleich in den letzten Jahren bereits eine substanzielle Anzahl von europäischen Rechtsakten erlassen wurden, die zumindest auch dem Verbraucherschutz dienten und dienen, sieht die Kommission die Gefahr, dass sich die Lage der Verbraucher ohne ein neuerliches Tätigwerden der EU gerade angesichts des raschen Wachstums des elektronischen Handels und der technologischen Entwicklungen noch verschlechtern würde.

An dieser Stelle sollte man jedoch kurz innehalten. Der Digitale Binnenmarkt innerhalb der Union steht bereits heute nicht im Verdacht, chronisch unterreguliert zu sein. Der Gesetzgeber war gerade in der letzten Dekade sehr aktiv und die Liste der Verordnungen und Richtlinien ist lang.

Nimmt man das Beispiel der Dark Patterns, so haben Spielarten solcher manipulativen Verhaltensweisen bereits in diversen Kodifikationen eine Regulierung erfahren, so etwa in Art. 25 des Digital Services Acts, in Art. 4 des Data Acts und jüngst auch in Art. 5 des AI Acts. Hinzu kommen die lauterkeitsrechtliche Bestimmung des Art. 5 Abs. 2 der UCP Directive und deren Umsetzung in den nationalen Rechtsverordnungen. Bereits im bestehenden Recht ergeben sich nicht unerhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten, wie nicht zuletzt die Entscheidung des OLG Bamberg vom 5. 2. 2025 zeigt (GRUR-Prax 2025, 434 (nicht rechtskräftig)). Richtigerweise haben die Richter den lauterkeitsrechtlichen Regelungen hier den Vorrang eingeräumt.

Die Bestandsaufnahme als solches und damit der Befund, dass Verbraucher im Netz besser vor erkennbar unfairen Praktiken geschützt und der Missbrauch von technischen Anwendungen beschränkt werden muss, ist ohne Frage zutreffend. Inwieweit diese „Lücken“ jedoch durch weitere Partikularregulierung zu schließen sind, darf mit einem Fragezeichen versehen werden. Die Technologie entwickelt sich kontinuierlich weiter. Es muss daher ein stetes Bestreben sein, zwei Dinge zu verzahnen: (1) eine konstante und verlässliche Marktregulierung, welche technologieneutral auf das Unterbinden unfairer Verhaltensweisen abzielt, und (2) eine am technologischen Fortschritt orientierte Produktregulierung, die (auch) verhindert, dass moderne Technologien missbraucht werden, um Menschen zu täuschen und deren Schwächen auszunutzen. Der EU AI Act ist ein gutes Beispiel für letztere, die UCP Directive eines für erstere Kategorie.

Im Ergebnis lassen sich Lücken beim digitalen Verbraucherschutz schon mittels einer konsequenteren Anwendung und Durchsetzung des bestehenden Lauterkeitsrechts deutlich reduzieren. Umfänglicher neuer Verordnungen zu Einzelthemen bedarf es dazu kaum – in all fairness!

RA Dr. Nils Rauer, MJI*

*

Jahrgang 1975. Studierte in Gießen und Warwick. Promotion zum europäischen Warenverkehr. Rechtsanwalt seit 2004. Partner der international beratenden Kanzlei Pinsent Masons, Beratungsschwerpunkte: Künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Urheberrecht sowie Plattformstrukturierung und Entwicklung von Datenkonzepten.

 
stats