DSA, DSC & Trusted Flagger: Ein Plädoyer für den demokratischen Diskurs in digitalen Zeiten
Tabea Rößner
In den Ruinen der antiken Stadt Teos wurde kürzlich eine 2500 Jahre alte Inschrift entdeckt – ein wütender Angriff auf eine Frau namens Eunomie. Über den Autor dieser Schmähschrift wird noch gerätselt. Man kann daraus ziehen, erstens: Nicht nur das Internet vergisst nicht. Zweitens: Wir haben die Verantwortung, es heute besser zu machen.
Bereits im antiken Griechenland sah man die freie Rede als Grundpfeiler der Demokratie, setzte ihr gleichzeitig harte Grenzen, um die soziale Ordnung zu wahren. So wurde etwa bestraft, wer fremden Göttern huldigte. Die Grenzen haben sich erfreulicherweise verschoben. Wer heute andere Götter verehrt, verstößt nicht gegen die Meinungsfreiheit – im Gegenteil. Das BVerfG stellt seit Jahrzehnten klar, dass die Meinungsfreiheit das Herzstück unserer demokratischen Gesellschaft bildet. Die Grenzen setzt die Verfassung fest: die persönliche Ehre, Schutz der Jugend sowie allgemeine Gesetze wie das Strafgesetzbuch.
In der analogen Welt hatten wir ein vergleichsweise harmonisches Gleichgewicht zwischen diesen Interessen gefunden – auch wenn vor Gericht gelegentlich spektakulär gestritten wurde, wie beim „Soldaten sind Mörder“-Verfahren. Die digitale Welt fordert dieses System heraus: unermüdlich, grenzenlos, ein ständiger Strom von Informationen, in dem jeder und jede auf Plattformen und sozialen Medien senden und empfangen kann. Eigentlich ein Schlaraffenland für die freie Rede leidet paradoxerweise ausgerechnet der gesunde Diskurs: Illegale Inhalte wie Verleumdungen, Gewaltaufrufe und gezielte Falschinformationen vergiften mittlerweile unser Debattenklima und spalten unsere Gesellschaft. Immer mehr Menschen fühlen sich im digitalen Debattenraum unwohl – einem Raum, der doch essenziell für unsere politische Diskussion geworden ist.
Deutlich zeigt sich, dass man die Moderation von Inhalten nicht wie bisher weitgehend den Plattformen überlassen kann. Es gibt zahllose Beispiele fraglicher Entscheidungen, genannt sei nur die Löschung öffentlich-rechtlicher Beiträge wie des satirischen „Datteltäter“-Videos auf YouTube oder des ikonischen Napalm-Fotos von Facebook. Und das war nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Wie viele ungerechtfertigte Löschungen und Sperrungen sind unentdeckt geblieben? Wie viele Nutzer erhielten keine Rückmeldung auf ihre Beschwerden?
Gerade der Schutz der Meinungsfreiheit erfordert, dass wir handeln und unsere Rechtsordnung auch online durchsetzen. Hier setzt der Digital Services Act (DSA) an – flankiert vom Digital Services Coordinator (DSC), einer Art unabhängigem Schiedsrichter und Koordinator. Wichtig vorab: DSA und DSC geben und haben keinerlei Entscheidungskompetenz über den Inhalt eines Posts. Darüber entscheiden weiterhin Plattformen sowie zuständige unabhängige Instanzen wie die Landesmedienanstalten, Strafverfolgungsbehörden und Gerichte. Der DSA sorgt indes dafür, dass Plattformen Strukturen für Transparenz und Nutzerschutz schaffen, u. a. mit leicht zugänglichen Beschwerdewegen, zügiger Bearbeitung und Begründung ihrer Entscheidungen sowie Einblick in Plattform-Moderation und Algorithmen für Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Der DSC wacht darüber, dass die Plattformen diesen Pflichten nachkommen (auch bußgeldbewährt), und koordiniert die Zusammenarbeit der (immer schon) zuständigen Behörden.
Große Aufmerksamkeit ernteten jüngst die sogenannten Trusted Flagger. Dabei arbeiten diese schon seit Jahren mit den Plattformen zusammen. Fälschlicherweise wurde behauptet, diese „vertrauenswürdigen Hinweisgeber“ seien parteipolitisch beeinflusst, könnten sogar Zensur ausüben. Das ist Humbug und würde Art. 5 des Grundgesetzes widersprechen. Der DSA bettet deren Arbeit lediglich in ein verbindliches und transparentes Verfahren ein. Sie werden nach objektiven Kriterien zugelassen (u. a. Unabhängigkeit!), bündeln wie zuvor Meldungen von Nutzer, geben diese an die Plattformen weiter, welche diese zwar priorisiert prüfen, inhaltlich aber völlig frei und nur an das Recht gebunden sind. Zudem müssen Trusted Flagger nun jährlich über ihre Arbeit berichten – was zusätzliche Transparenz schafft.
Alles in allem sind die festgelegten Verfahren mit der Herstellung von Transparenz ein großer Gewinn für unsere Gesellschaft. Dies ist gerade jetzt von entscheidender Bedeutung. In Zeiten extremer Polarisierung muss sichergestellt werden, dass der digitale Raum nicht zum Ort willkürlicher Löschungen oder privater Einflussnahme verkommt. Die Plattformen sind gefordert, Raum für vielfältige Meinungen zu schaffen und gleichzeitig sicherzustellen, dass illegale Inhalte und gezielte Falschinformationen nicht unkontrolliert verbreitet werden.t
Wir stehen vor einer Herausforderung: Werden wir den digitalen Raum so gestalten, dass er ein Ort des respektvollen Austauschs bleibt? Werden wir wachsam bleiben und sicherstellen, dass unsere Rechtsordnung auch im digitalen Zeitalter gewahrt bleibt? Klar ist: Regulierung in diesem Bereich ist ein sensibles Thema. Dass der Schutz der Meinungsfreiheit weit gefasst und stets unabhängig und vor allem staatsfern reguliert werden muss, bleibt weiterhin nicht verhandelbar.
Tabea Rößner, MdB*
* | studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Journalistik, arbeitete knapp 20 Jahre als Journalistin und Redakteurin, u. a. beim ZDF und Hessischen Rundfunk. Seit 2009 ist sie für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bundestag und leitet den Ausschuss für Digitales. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind der Ausbau der digitalen Infrastruktur, Verbraucher:innenrechte sowie Nachhaltigkeit und demokratische Prozesse im digitalen Raum. |