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INTER 2023, 161
Müller 

Nachhaltigkeit im Innovations- und Technikrecht

Abbildung 1

Im Windschatten von „Klimaklebern“ und 1,5-Grad-Zielen: Der Nachhaltigkeitsdiskurs hat mittlerweile auch die gesamte Bandbreite des Privat- und Wirtschaftsrechts erreicht. Während Corporate Social Responsibility und Lieferkettenverantwortung bereits zu Zielbestimmungen des Unternehmensrechts gereift sind und auch in diesem Medium kritisch reflektiert werden (zum LkSG zuletzt Ensthaler, InTeR 2023, 120 ff.), finden Ausprägungen eines Nachhaltigkeitsrechts nunmehr auch Eingang in das Innovations- und Technikrecht. Dies zeigt sich etwa an der Produktreparatur. Generationen von Jurastudenten haben gelernt, der Erwerber eines Produkts könne im Falle von Defekten die Reparatur regelmäßig nur von seinem Vertragspartner, namentlich dem Verkäufer, verlangen. Grund: Die außervertragliche Produkthaftung umfasst nicht die Produktreparatur, die vielmehr als Ausprägung des kaufvertraglichen Nacherfüllungsrechts im vertraglichen Gefüge zwischen Käufer und Verkäufer daherkommt. Zwar kann das Reparaturanliegen im Verhältnis zwischen Verkäufer und Hersteller relevant werden, doch von einer unmittelbaren Inanspruchnahme auf Reparatur durch den Produktnutzer bleibt der Hersteller regelmäßig verschont – bisher. Denn mit dem Vorschlag einer Richtlinie vom 22.03.2023 (Dokument COM 2023(155) final) hat die Kommission auf Grundlage ihres Politikprogramms „Green Deal“ konkrete Instrumente zur Verbesserung der Nachhaltigkeit der Produktion und zur Förderung eines nachhaltigen Konsums vorgelegt, welcher in seinem Art. 5 einen Anspruch auf Reparatur gegen den Hersteller auch jenseits der vertraglichen Gewährleistungsrechte vorsieht. Regulatorische Vorgaben zur Nachhaltigkeit der Produktion sowie zur geeigneten Produktinformation sind an sich nicht neu, wie bereits die Öko-Design-Richtlinie 2009/125/EG sowie erst recht der Entwurf einer neuen Öko-Design-Verordnung zeigen. Neu ist der primär an den Hersteller gerichtete Reparaturanspruch, dessen Durchführung freilich auf Unterauftragnehmer übertragen werden darf, sowie die implizite Vorbedingung seiner Existenz: Die nach der Produktkonzeption zu gewährleistende „Reparierbarkeit“ des Produkts. Der Richtlinienvorschlag geht indes in der Verfolgung seines Ziels, die Sicherstellung der Reparierbarkeit, über die Person des Herstellers hinaus: Reparaturdienstleistungen sollen auch durch sonstige Reparaturbetriebe bis hin zum Do-ityourself-Stellen in Reparaturcafés erfolgen können, die vom Verbraucher ggfs. unter Zuhilfenahme von Online-Reparaturplattformen gesucht und gefunden werden können. Die – politisch verfochtene – Dezentralisierung der Produktwiederherstellung durch ein weit angelegtes kreislaufwirtschaftliches Ökosystem an Wirtschaftsakteuren wird klar erkennbar. Diese für das Technikrecht bedeutsame Entwicklung bleibt nicht ohne Auswirkung auf den Kern des Innovationsrechts, dem Recht des geistigen Eigentums. Die Kommission hat zur Modernisierung des Muster- und Modellerechts aufgerufen, vgl. dazu Dokument COM(2022) 667 final vom 28.11.2022, wo in Art. 19 einer geplanten Neufassung der Design-Richtlinie eine sektorunabhängig gefasste designrechtliche Reparaturklausel für Bauelemente von komplexen Erzeugnissen vorgesehen ist. Im Schrifttum werden bereits – folgerichtig – Auswirkungen auch auf das Patentrecht, bis hin zur nachhaltigkeitssensiblen Interpretation der Zwangslizenz nach § 24 PatG, sowie zu gesetzlichen Ansprüchen auf Zugang zu notwendigen Reparaturdaten zugunsten Dritter des geplanten EU Data Acts erörtert (vgl. Mehnert, ZRP 2023, 9, 11). Hin zu einer umfassenden wirtschaftsrechtlichen Einbettung des produktrechtlichen Reparaturanspruchs wird auch die politische Diskussion gehen, wenn die jüngste Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 14.06.2023 zum eingangs genannten Richtlinienvorschlag als Gradmesser gelten darf: Darin wird der Vorschlag nicht nur befürwortet, zugleich sollen die Grundlagen für Reparierbarkeit ausgebaut werden, etwa indem Hersteller von 3D-Komponenten unter bestimmten Voraussetzungen zur Veröffentlichung der 3D-Pläne verpflichtet werden sollen. Wir erkennen: Der Nachhaltigkeitstopos durchzieht tatsächlich das gesamte Privat- und Wirtschaftsrecht unter Einschluss des Innovations- und Technikrechts.

Prof. Dr. Stefan Müller, Paderborn*

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