Aufhebung des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe
Zur Beschleunigung und Erhöhung der weltweiten Impfstoffproduktion haben Hilfsorganisationen und mehrere Staaten (u. a. Indien und Südafrika) vorgeschlagen, den Patentschutz für Corona-Impfstoffe aufzuheben. Auch die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika hat die Absicht geäußert, sich im Rahmen der Welthandelsorganisation (WHO) für entsprechende Sonderregelungen im Patentrecht einzusetzen.
In Bezug auf den Patentschutz von Arzneimitteln kollidieren seit jeher das Recht auf Eigentum (vgl. Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) und das Recht auf Leben sowie körperliche Unversehrtheit (vgl. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG). Im Hinblick auf Arzneimittel, zu denen auch Impfstoffe gehören, stehen sich die genannten Grundrechte jedoch nicht nur gegenüber. Die Formel „Entweder wir haben einen umfassenden Schutz des Lebens und der Gesundheit ODER einen umfassenden Schutz des geistigen Eigentums“ greift zu kurz und muss ergänzt werden durch die Formel: „Wir können einen umfassenden Schutz des Lebens und der Gesundheit gerade auch DURCH den umfassenden Schutz des geistigen Eigentums erreichen“. Denn einer der wichtigsten Grundgedanken des geistigen Eigentums – insbesondere des Patentrechts – besteht darin, Innovationen zu fördern, indem auf gesetzlicher Ebene durch die (potenzielle) Gewährung eines Ausschließlichkeitsrechts Ansporn und Belohnung für technische Erfindungen und technischen Fortschritt geschaffen werden. Vor diesem Hintergrund stellt das Ausschließlichkeitsrecht des Patentinhabers eine zentrale Voraussetzung für privatwirtschaftliche Innovationstätigkeiten dar.
Es wird wohl davon ausgegangen werden dürfen, dass gerade der Pharmabereich bei weitem nicht so weit entwickelt wäre, wenn es in der Vergangenheit keinen Patentschutz gegeben hätte. Besonders typisch für diesen Bereich ist, dass die Entwicklung und Erforschung eines neuen Arzneimittels i. d. R. um ein Vielfaches kostspieliger ist als die reine Herstellung desselben. Ein großer Teil dieser Tätigkeiten würde sich ohne Patentschutz schlicht nicht lohnen.
Mit der pauschalen Forderung nach einer Aufhebung oder Aussetzung des Patentschutzes von Impfstoffen macht man es sich daher nicht nur zu einfach. Zusätzlich bewegt man sich in einem verfassungsrechtlich nur schwer zu rechtfertigenden Bereich. Am Ende ist sogar umstritten, ob sich das Impftempo durch eine Aufhebung des Patentschutzes überhaupt erhöhen ließe und die Qualität des Impfstoffes gesichert werden könne (vgl. Uken/Zacharakis, Was bringt eine Aufhebung des Patentschutzes, Zeit Online 6.05.2021).
Mehrere Regierungen – darunter auch die Regierung der Bundesrepublik Deutschland – haben sich zu der Aufhebung bzw. die Aussetzung des Patentschutzes für Impfstoffe zurückhaltend oder sogar kritisch geäußert. Da die Entscheidungen der Welthandelsorganisation (WHO) Einstimmigkeit voraussetzen, ist mit einer Aufhebung bzw. Aussetzung des Patentschutzes für Impfstoffe daher vorerst nicht zu rechnen.
Nichtsdestotrotz sollten Regierungen, Politiker*innen und die Wissenschaft den Anstoß nutzen, um nachhaltige Konzepte zu entwickeln und rechtliche Hindernisse der Impfstoffproduktion zu minimieren. Außerdem sollte die Betrachtung über das Patentrecht hinausgehen. Denn auch das allgemeine Privatrecht, das Wettbewerbsrecht, das Steuerrecht, die rechtlichen Rahmenbedingungen staatlicher Förderung, internationale Handelsabkommen sowie weitere Rechtsgebiete bieten relevante rechtliche Stellschrauben.
Zu einem optimalen Schutz von Eigentum, Leben und Gesundheit kommt man am Ende nur im Rahmen einer rechtlichen, technischen und ökonomischen Gesamtbetrachtung. Also wieder einmal ein Fall, für die das Innovations- und Technologierecht prädestiniert erscheint.
Dr. Martin S. Haase, LL.M., LL.M.