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EWS 2021, I
Frenz 

Kohleausstiegsentschädigungen als verbotene Beihilfe?

Abbildung 1

Am 2. 3. 2021 hat die EU-Kommission das förmliche Prüfverfahren eingeleitet, ob die im Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG vom 8. 8. 2020, BGBl. I 2020, 1818) vorgesehenen Entschädigungszahlungen von insgesamt 4,35 Mrd. Euro für die vorzeitige Stilllegung von Braunkohlekraftwerken von RWE und LEAG mit dem EU-Beihilfenverbot nach Art. 107 AEUV vereinbar sind. Sie geht von einer staatlichen Beihilfe aus und bezweifelt auch die Vereinbarkeit mit den EU-Beihilfevorschriften. Dabei hat die EU-Kommission in ihrem Green Deal die weitere Dekarbonisierung des Energiesystems postuliert und die Förderung eines beschleunigten Ausstiegs durch Beihilfen für zulässig erachtet, indem den Betreibern ein Ausgleich für entgangene Gewinne gewährt wird, weil diese keinen Strom mehr am Markt absetzen können. Indes gilt es dabei weiterhin die Verhältnismäßigkeit zu prüfen, um eine Überkompensation zu vermeiden. Die Mitgliedstaaten müssen daher nachweisen, dass eine Entschädigung den wegen der bevorstehenden Schließung der Anlage voraussichtlich entgangenen Gewinn nicht übersteigt (Mitteilung der Kommission zum Green Deal, KOM(2020) 21 endg., Ziff. 4.3.4).

Genau hieran setzen nunmehr die Zweifel der EU-Kommission an: Ist die Entschädigung von 4,35 Mrd. Euro als das erforderliche Mindestmaß zu betrachten, weil die entgangenen Gewinne sehr weit in die Zukunft reichen? Die EU-Kommission hat Bedenken unter anderem wegen der angesetzten Brennstoff- und CO2-Preise, und ihr fehlen Informationen für die einzelnen Anlagen (https://ec.europa.eu/ger many/news/20210302-deutschland-braunkohlekraftwerke_de). Dies erinnert an die Kommissionsgenehmigung des öffentlich-rechtlichen Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung, wo gleichfalls eine Beihilfe daraus abgeleitet wurde, dass die Kosten trotz anerkannter sorgfältiger und gründlicher Berechnung der Vorsorgekosten nicht genau prognostiziert werden konnten (Kommission, 16. 6. 2017 – SA.45296). Indes verlangte das EuG im Apple-Urteil (Rs. T-778/16 und T-892/16, Irland, Apple Sales International u. a./Kommission, ECLI:EU:T: 2020:338) gerade, dass die EU-Kommission den Nachweis erbringt, dass die Elemente einer Beihilfe vorliegen (näher Frenz, EWS 2020, 222 f.).

Damit können zwar Informationen nachgefordert werden. Bei Zweifeln ist aber gerade keine Beihilfe anzunehmen. Immerhin wurde der Atomentsorgungsfonds genehmigt, weil so der Ausstieg unter finanzieller Beteiligung der Unternehmen gewährleistet wurde. So lässt sich auch beim Kohleausstieg argumentieren – zumal vor dem Hintergrund der ehrgeizigen EU-Zwischenziele bis 2030 (Reduktion von Treibhausgasemissionen um 55 % gegenüber 1990). Dass sich in Zukunft die Energiepreise anders entwickeln, liegt in den dann bestehenden Gegebenheiten begründet. Nur so konnte aber ohne großen Streit der Kohleausstieg rasch auf den Weg gebracht werden, doch die Höhe der Entschädigungen ist auch aufgrund der jahrelangen Auseinandersetzungen beim Atomausstieg schwierig zu bemessen.

Ein weiterer Kritikpunkt der EU-Kommission ist der Ausgleich für zusätzliche Tagebaufolgekosten. Zwar räumt die EU-Kommission Zusatzkosten durch die vorzeitige Stilllegung der Braunkohleanlagen ein, äußert aber Zweifel bezüglich der übermittelten Informationen und vor allem des kontrafaktischen Szenarios, welches für die LEAG zugrunde gelegt wurde. Hier ergibt sich das grundsätzliche Problem, dass die rein vom Bergbau hervorgerufenen Folgekosten von den Braunkohleunternehmen als Verursacher selbst zu tragen sind und damit nur die auf dem Kohleausstieg beruhenden Kosten ersetzt werden dürfen. Immerhin wurde die Öffnung der Verwendung der Entschädigungen für die bergbaubedingte Wiedernutzbarmachung (§ 42 Abs. 2 Nr. 5 KVBG-E) gestrichen.

Es bleibt also spannend mit dem Kohleausstieg und den dafür gewährten Entschädigungen. Sie könnten tatsächlich noch am Beihilfenverbot scheitern, jedenfalls aus Sicht der EU-Kommission. Ob das EuG eine solche Ablehnung mittragen würde, ist aber äußerst fraglich. Jedenfalls befreien der Klimaschutz und der ihn auf EU-Ebene ehrgeizig vorantreibende Green Deal nicht von der Respektierung des Beihilferechts. Das ist auch gut so. Die elementaren Grundsätze des Wettbewerbs müssen auch angesichts der geplanten stärkeren Ökologisierung des Beihilferechts intakt bleiben. Sie gilt es ohnehin mit zentralen umweltrechtlichen Prinzipen zu versöhnen – hier mit dem Verursacherprinzip. Die daraus folgende Kostenanlastung ist ein zentrales Element eines effektiven Umweltschutzes, wie etwa die erweiterte Herstellerverantwortung im Abfallbereich zeigt, um eine wirksame und damit gleichfalls klimaschützende Kreislaufwirtschaft sicherzustellen. Daher kann auch beim Kohleausstieg nicht vom Verursacherprinzip abgewichen werden.

Umso sorgfältiger gilt es die Verwendung der Entschädigungen für den Kohleausstieg zu kontrollieren. Damit müssen aber nicht die Entschädigungen selbst in Frage gestellt werden. Die Förderung des Kohleausstiegs als solche kann im Interesse des für die EU elementaren Klimaschutzes (Art. 107 Abs. 3 lit. b) AEUV) bleiben. Bezogen auf die Steinkohle hat die EU-Kommission (SA.58181) schon Ende November 2020 die Vereinbarkeit mit den Beihilfevorschriften konstatiert.

Prof. Dr. Walter Frenz RWTH Aachen University

 
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