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EWS 2017, I
Ludwigs/Remien 

ISDS im Disput: Aktuelle Probleme der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit

Abbildung 1

Abbildung 2

Seit US-Präsident Trump das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP gestoppt hat, ist es um die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit in den Medien stiller geworden. Die Problemfragen sind aber von ungebrochener Aktualität. Im Rahmen der 23. Würzburger Europarechtstage zum Thema “Investitionsschutz, Schiedsgerichtsbarkeit und Rechtsstaat in der EU” wurden sie diskutiert. Dabei entwickelte sich ein konstruktiver Disput zu neun Problemschwerpunkten.

1. Zwischen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit und Verfassungsgrundsätzen wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wird zunehmend ein Spannungsverhältnis konstatiert, das auch Gegenstand der Verfahren gegen CETA beim BVerfG ist. Das Verhältnis des “Fair and Equitable Treatment”-Standards zum nationalen Staatshaftungsrecht scheint noch nicht abschließend ausgelotet. Manche sorgen sich, der Rechtsstaat werde hierdurch in Frage gestellt. Zu Recht?

2. Investitionsschutz verfügt zwar schon über eine beachtliche Tradition – seit 1959 –, doch haben die staatlichen Regulierungsbedürfnisse der Industriegesellschaft international zugenommen. In der späteren Investitionsschiedsgerichtsbarkeit (mit Klagerecht der Investoren) sind die westlichen Industriestaaten heute immer öfter Beklagte. Der dabei lauter werdenden Forderung nach mehr Transparenz sind schon einige Bemühungen gefolgt. Mindestens ebenso wichtig ist es aber, die Konkretisierung der generalklauselartigen Schutzstandards voranzutreiben.

3. Kontrovers diskutiert wird, ob ein multilateraler Investitionsgerichtshof die Kritik am System der Investor-Staat-Streitbeilegung entschärfen könnte. Die Empfehlung der Kommission vom 13. 9. 2017 zur Aufnahme von Verhandlungen strebt eine stärkere Legitimität, Kohärenz und Transparenz an. Kritiker fordern hingegen Vereinfachung, Beschleunigung und Kostensenkung oder negieren schlicht die Notwendigkeit eines Sondergerichts für Investoren.

4. Paradigmatisch für Wechselwirkungen zwischen Investitions- und nationaler Gerichtsbarkeit stehen die Folgerungen aus dem Atomausstiegsurteil des BVerfG für das Vattenfall II-Verfahren vor dem ICSID. Zwar mag das partielle Obsiegen in Karlsruhe prima facie auf Erfolgschancen in Washington hindeuten. Näherliegend erscheint es aber, das Urteil als Beleg für die Verlässlichkeit der deutschen Rechtsordnung zu begreifen, was die Aussichten eher mindern würde.

5. Mit der Micula-Entscheidung der Kommission vom März 2015 ist die Sprengkraft des EU-Beihilferechts in den Fokus gerückt: Rumänien wurde die Erfüllung eines ICSID-Schiedsspruchs als staatliche Beihilfe verboten. Vor dem Hintergrund der beim EuG anhängigen Klagen (u. a. T-704/15) fragt sich, ob Art. 107 AEUV tatsächlich eine derartige Durchschlagswirkung zukommt und was dies für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit bedeutet.

6. Konfliktträchtig ist auch die Kompetenzverteilung bei Freihandelsabkommen. Im Singapur-Gutachten 2/15 vom Mai 2017 hat der EuGH zwar private Schiedsgerichtsbarkeit und Portfolioinvestitionen der geteilten Zuständigkeit zugeordnet. Diese könnten den Mitgliedstaaten aber womöglich durch Erlass eines internen Unionsrechtsakts wieder “entzogen” werden. Für die Investor-Staat-Streitverfahren gilt allerdings dann etwas anderes, soweit sie nicht in eine geteilte Zuständigkeit im technischen Sinne, sondern in eine ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen. Es mehren sich im Übrigen die Anzeichen für einen Strategiewechsel der Kommission zur Aufspaltung von Freihandelsabkommen.

7. Nicht minder streitig ist, ob bilaterale Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Staaten ein unionsrechtswidriges Relikt darstellen. Von der Kommission wird die Unzulässigkeit bereits seit Längerem postuliert. Indes hat GA Wathelet in seinen Schlussanträgen vom 19. 9. 2017 in der Rs. Achmea (C-284/16) die Gegenansicht vertreten. Sollte der EuGH dem folgen, wäre dies von grundlegender Bedeutung für die rund 200 Intra-EU-BITs. Die vom Generalanwalt bejahte Vorlageberechtigung von Investitionsschiedsgerichten wäre eine bedeutende, aber nicht unproblematische Innovation.

8. Bei ICSID-Fällen ist die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit weitgehend gegen staatliche Kontrolle abgeschirmt. Es besteht nur eine sehr beschränkte Kontrollmöglichkeit durch Ad-hoc-Ausschüsse des ICSID selbst. Im Übrigen sind die Staaten zur Vollstreckung verpflichtet. Dagegen bedürfen Schiedssprüche, die dem New Yorker Übereinkommen unterfallen, der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung. Die in diesem Rahmen bestehende Verweigerungsmöglichkeit wegen des ordre public könnte ein Modell sein, um den Bedenken gegen die ICSID-Verfahren Rechnung zu tragen.

9. Wenn Investitionsschutzfälle heute im Kern öffentlich-rechtliche Streitigkeiten sind, liegt aus internationaler Sicht die Zulassung des amicus curiae nahe. Dies hat sich in der Praxis bereits entwickelt. Aus der Sicht der klassischen Handelsschiedsgerichtsbarkeit mag es erstaunen und viele Einzelfragen bleiben klärungsbedürftig. Aber der Schritt geht in die richtige Richtung und könnte vorbildlich sein, auch wenn amicus-Schriftsätze Geld kosten und nicht immer sachlich neutral sind.

Die skizzierten Problemkreise wurden auf der Tagung aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Referate und Impulsstatements werden durch einen Tagungsbericht (EWS 2017, 334) nachgezeichnet und in einem Sammelband dokumentiert. Die Vielzahl offener Fragen und entwickelter Lösungsansätze bietet Anreiz zur weiteren Diskussion.

Prof. Dr. Markus Ludwigs(re) und Prof. Dr. Oliver Remien(li), Julius-Maximilians-Universität Würzburg

 
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