Ein zu ehrgeiziges Ziel?
Die immer noch nicht absehbaren rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen des BREXIT bewegen mittlerweile auch deutsche Rechtspolitiker. In Düsseldorf bemüht sich die Landesregierung, aus dem BREXIT Vorteile für den Rechtsstandort Deutschland zu generieren: Ein früheres, freilich gescheitertes Vorhaben wird neu aufgegriffen: Englisch als Gerichtssprache ist das Thema. Dahinter steht der Versuch – auch die Frankfurter Gerichte haben sich dem gleichen Ziel verschrieben – die unbestreitbaren Vorzüge des deutschen Prozessrechts, vor allem seine Kosteneffizienz und die zeitnahe Streiterledigung für internationale Rechtsstreitigkeiten fruchtbar zu machen. Anstelle der deutschen Sprache (§ 184 GVG) soll für Gericht und Parteien die englische Sprache treten. Dem Gerichtsort London, der gegenwärtig noch großrahmige internationale Streitigkeiten – auch im Rahmen der Schiedsgerichtsbarkeit – weithin monopolisiert, soll mutig Paroli geboten werden. Eingewoben ist dieses rechtspolitische Vorhaben in die seit längerem laufenden Bemühungen um “Law made in Germany”.
Doch bei allem Verständnis für diese rechtspolitischen Initiativen stellen sich verschiedene Fragen, die Zweifel erwecken, ob dieses Projekt nicht zu ehrgeizig ist. Der erste Einwand liegt offen auf der Hand: Die am OLG Köln vor Jahren eingeführte – freiwillige – Alternative, Gerichtsverhandlungen auf übereinstimmenden Wunsch der Parteien in englischer Sprache zu führen, hat so gut wie keine Resonanz in der Praxis gefunden. Das sollte indessen nicht schrecken. Diese keineswegs überwältigend positiven Erfahrungen könnte man sicherlich unter Hinweis auf die jetzt nach dem BREXIT sich vermutlich einstellenden größeren Chancen, Englisch als Gerichtssprache innerhalb des deutschen Verfahrensrechts wirksam zu nutzen, überwinden. Auch der Rechtsmarkt gehorcht ja den Gesetzmäßigkeiten des Geldes. Die Parteien wollen kalkulierbare und überschaubare Kostenlasten, wenn sie schon die Gerichte bemühen. Und in diesem Punkt ist das deutsche Prozessrecht dem englischen in hohem Maß überlegen.
Aber ein weiterer – gravierender – Einwand stellt sich ein. Die deutschen Gerichte haben praktisch keine Erfahrungen in großrahmigen internationalen Streitigkeiten. In den Datenbanken sucht man in der Regel – und das schon seit Jahren – vergeblich nach Beispielsfällen, die Schule machen könnten, die vor allem belegen, dass die deutsche Richterschaft hier wirklich einen Erfahrungsschatz verwaltet, den sie weithin nutzbar machen kann. Im Gegenteil. Das Kleinteilige regiert, Streitigkeiten im mittleren Streitwertbereich sind die Regel. An keiner Stelle wird dieses Defizit so auffallend wie bei den ständig – und dies seit Jahren – in allen Gerichtsbezirken zurückgehenden Fallzahlen der Kammer für Handelssachen.
Niemand hat bislang eine plausible Antwort darauf, was denn die entscheidenden Gründe für dieses Absinken der Fallzahlen gerade in den Bereichen sind, welche das Urgeschäft des Kaufmanns und die sich daraus ergebenden Streitigkeiten betreffen. Die Vermutung, dass die Fälle zu den Schiedsgerichten abwandern, lässt sich nicht belegen. Die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e. V. (DIS), deren Schiedsgerichtsbarkeit oft von den Parteien gewählt wird, berichtet für das Jahr 2017 gerade mal schmale 152 Fälle, davon entfallen auf die Sportgerichtsbarkeit immerhin 27 Streitigkeiten.
Mehr noch: Analysiert man die Präjudizien des BGH, wie sie das neue Kaufrecht auf Grund der Schuldrechtsmodernisierung geprägt haben, dann landet man im klassischen Verbraucherrecht: Hunde, Katzen, Gebrauchtwagen und Pferde – das waren die Fälle, die maßgebenden. Ein markanter Fall aus dem Bereich des Unternehmenskaufs ist da nicht zu finden. Würden also Parteien im Rahmen einer bevorstehenden internationalen Streitigkeit nach einschlägigen Präjudizien der BGH-Judikatur im Kaufrecht Ausschau halten, so würden sie sich mit einiger Sicherheit die Augen reiben. Im englischen Recht ist das grundlegend anders. Hier herrschen die Präjudizien auf Grund großrahmiger Streitigkeiten, was schon deswegen verständlich ist, weil sich nur bei solchen Verfahren der oft immense Aufwand an Anwaltsgebühren und Kosten lohnt. Streitigkeiten des Mittelstandes finden daher vor den englischen Gerichten aus eben diesem Grund nur wenig Resonanz: Die Kostenbremse im Kopf der Partei wirkt sehr effektiv.
Aber auch im Bereich des deutschen Gesellschaftsrechts ist es kaum anders. Vor Jahren schon klagte der ehemalige Vorsitzende des II. Senats, Dr. Wulf Goette, dass sich das deutsche Gesellschaftsrecht nur im Rahmen von “Aschenputtel-Fällen” fortentwickelt. Er verwies dabei auf Streitigkeiten in Sozietäten, die den Regeln der §§ 705 ff. BGB folgen. Das Großrahmige, das Internationale – Fehlanzeige.
All das wird man bedenken müssen, weil nicht nur das Kostenrecht ein Vorteil des deutschen Verfahrensrechts ist. Balanciert wird dieser Vorteil leider durch den schwerwiegenden Nachteil: Das deutsche materielle Recht hat sich bislang nicht in ein international anerkanntes Recht entwickelt, das auch belastbare Leitlinien entwickelt hat, wie großvolumige Streitigkeiten mit internationalem Bezug behandelt und beurteilt werden. Dafür fehlt den Richtern der Erfahrungshorizont und den Parteien die Verlässlichkeit einschlägiger Präjudizien.
Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Rechtsanwalt, Köln