EU-Beihilfenrecht in Zeiten von Corona
Das EU-Beihilfenrecht ist auch in der Corona-Krise ein wichtiges Instrument für den Erhalt des Binnenmarktes
Die größte Sorge in Zeiten von Corona gilt den Menschen und ihrer Gesundheit. Inzwischen hat sich aber auch die Wirtschaft mit diesem Virus infiziert und hängt am staatlichen Tropf. Bei vielen Maßnahmen dürfte es sich dabei um staatliche Beihilfen gem. Art. 107 Abs. 1 AEUV handeln. Zwar hat die Kommission in ihrer Mitteilung über eine koordinierte wirtschaftliche Reaktion auf die COVID-19-Pandemie vom 13. 3. 2020 eine Reihe von allgemeinen Maßnahmen wie Lohnzuschüsse und Steuerstundungen aufgeführt, die von den Mitgliedstaaten für alle Unternehmen außerhalb des Beihilfenrechts durchgeführt werden können. Dennoch ist die Anwendung des Beihilfenrechts nicht grundsätzlich ausgesetzt. Vielmehr bleibt es ein wichtiges Instrument zur Wahrung der Integrität des EU-Binnenmarktes und für den Erhalt fairer Wettbewerbsbedingungen. Daher dürfen auch in der Corona-Krise Beihilfen nur gewährt werden, wenn sie bei der Kommission angemeldet und von dieser auch genehmigt werden.
Zurückgehend auf ihre Erfahrungen in der Finanzkrise in den Jahren 2008/2009 hat die Kommission am 19. 3. 2020 zur Vereinfachung und Beschleunigung der Beihilfeverfahren einen befristeten Gemeinschaftsrahmen veröffentlicht und diesen bereits am 3. 4. 2020 das erste Mal modifiziert. Aufgrund der unübersehbaren Auswirkung des COVID-19-Ausbruchs auf das Wirtschaftsleben aller Mitgliedstaaten stützt sie den Beihilferahmen auf Art. 107 Abs. 3 lit b AEUV, der ihr die Genehmigung einer Beihilfe ermöglicht, wenn diese “zur Behebung einer beträchtlichen Störung des Wirtschaftslebens eines Mitgliedstaats beiträgt”.
Sie zeigt mit dem Rahmen den Mitgliedstaaten eine Reihe von Möglichkeiten auf, sich staatliche Beihilfen für Unternehmen als Einzelbeihilfen oder Beihilferegelungen genehmigen zu lassen. Dazu gehören nunmehr neben Zuschüssen und Steuererleichterungen auch die Gewährung von Bürgschaften, Darlehen und Eigenkapital bis zu 800 000 Euro, soweit eine nationale Beihilferegelung vorliegt. Auch bei der Gewährung von Bürgschaften und zinsreduzierten Darlehen zeigt die Kommission eine größere Flexibilität, soweit diese im Rahmen von Beihilferegelungen gewährt werden. Von dieser Möglichkeit haben bereits einige Mitgliedstaaten Gebrauch gemacht. Deutschland hat bislang drei Beihilferegelungen angemeldet: Die Bundesregelung Bürgschaften 2020, die die Gewährung von Bürgschaften für Investitions- und Betriebsmittelkredite erleichtern soll. Auf Grundlage der Sonderregelung für Investitions- und Betriebsmittelfinanzierung können zinsverbilligte Kredite unter Beteiligung der KfW gewährt werden. Seit dem 2. 4. 2020 können auch Bundesländer sowie die Investitions- und Förderbanken von dieser Möglichkeit Gebrauch machen.
Darüber hinaus können inzwischen auch u. a. COVID-19 betreffende Forschungsmaßnahmen sowie der Auf- und Ausbau von Kapazitäten für Medikamente und Medizinausrüstung genehmigt werden.
Mit diesen Flexibilisierungsmaßnahmen hat die Kommission kurzfristig auf Marktentwicklungen reagiert. Aktuelle Anträge auf Eröffnung von Insolvenz- und Schutzschirmverfahren haben gezeigt, dass der erste Wurf nicht ausgereicht hat, die erst beginnende Talfahrt der Wirtschaft zu stoppen. Hintergrund war die oftmals fehlende Bereitschaft der Hausbanken, kurzfristig ins Obligo zu gehen. Vor dem Hintergrund der Basel III-Kriterien werden Banken diesbezügliche Risiken auch weiterhin gut abwägen müssen.
Für kleine Unternehmen mit einem Finanzbedarf bis 800 000 Euro dürfte nunmehr ein Lösungsansatz zumindest bis zum Jahresende vorliegen, soweit die Bundesregierung zeitnah ein entsprechendes Programm notifiziert. Problematisch erscheint weiterhin die Finanzierung von mittelständischen und Großunternehmen mit umfangreicherem oder langfristigerem Finanzierungsbedarf. Staatliche Bürgschaften mit vorrangiger Inanspruchnahme und einer Laufzeit von bis zu 6 Jahren bedürfen eines Bankenobligos von mindestens 10 % bzw. von 65 %. Die Frage der Sicherheiten bzw. Nachrangigkeitserklärung bei einem zinsverbilligten Darlehen wird in dem befristeten Rahmen nicht adressiert.
Den Mitgliedstaaten bleibt die Möglichkeit, statt Beihilferegelungen einzelne Beihilfemaßnahmen bei der Kommission zu notifizieren. In Krisenzeiten sind Genehmigungen zwar innerhalb weniger Tage möglich – wie die ersten Verfahren zeigen – dennoch sollte der damit verbundene Aufwand nicht unterschätzt werden.
Neben der Notifizierung auf Grundlage des vorübergehenden Beihilferahmens kommt insbesondere Art. 107 Abs. 2 lit b AEUV als Rechtfertigungsgrundlage in Betracht. Die Kommission geht von der Anwendung dieser Rechtfertigungsalternative für den Ausgleich von unmittelbar durch die Corona-Krise entstandenen Schäden aus. Dies gilt insbesondere für stark betroffene Sektoren wie Verkehrsinfrastrukturen, Tourismus, Kultur, Gastgewerbe, Einzelhandel und Veranstalter. Einige Mitgliedstaaten haben bereits von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und entsprechende Beihilferegelungen notifiziert. Besonders charmant ist aus der Sicht der Mitgliedstaaten, dass die Kommission bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 2 lit b AEUV über kein Ermessen verfügt.
Einzeln notifiziert werden müssen auch Maßnahmen Deutschlands auf Grundlage des Wirtschaftsstabilisierungsfondsgesetzes (WStFG). Aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds können Bürgschaften bis zu einer Höhe von 400 Milliarden Euro gewährt und Rekapitalisierungsmaßnahmen z. B. durch Beteiligungen durchgeführt werden. Eine Beihilferegelung scheint nicht vorgesehen zu sein. Entgegen dem ursprünglichen Gesetzesentwurf, der von “marktgerechten Bedingungen” ausging, erfordert das verabschiedete Gesetz nunmehr nur noch “angemessene Bedingungen” für die Maßnahmen. Unabhängig davon wird im Einzelfall aber auch in der Krise auf den Market Economy Operator Test für die Frage der Beihilfenfreiheit zurückgegriffen werden können.
Gabriele Quardt, Rechtsanwältin, Müller-Wrede & Partner, Berlin