Wo bleibt die Diskussion zum LkSG?
„Ist das LkSG verfassungswidrig?“
Derzeit bereiten der Wirtschaft die Probleme in der Lieferkette massive Schwierigkeiten. Demnächst kommen die ersten Anwendungsfragen aus dem Lieferkettensorgfaltspflichengesetz (LkSG) hinzu. Das LkSG begründet umfangreichste unternehmerische Pflichten zum Schutz von Umwelt und Menschenrechten und lässt dabei einen grundlegenden Aspekt jeder freien Wirtschaftsordnung außer Acht: Die Entscheidungshoheit darüber, wie rechtliche Vorgaben im Unternehmen umzusetzen sind. Dies ist seit langem in der Business Judgement Rule geregelt. Auch die Entwicklung von Compliance in den letzten Jahrzehnten hat sich aus den Anforderungen der Praxis und deren Würdigung durch Justiz und Wissenschaft entwickelt. Diese Evolution aus Praxis und Wissenschaft führt zu einer kontinuierlichen und gesunden Entwicklung der Rechtsanwendung. Mit dem LkSG werden Unternehmen nicht nur zur Zielerreichung des LkSG verpflichtet, sondern es wird ihnen ein in der Gesetzgebung einmaliger Katalog an Vorgaben auferlegt, wie genau dies zu erfolgen hat. Dies wird in der Praxis scheitern, wie es immer der Fall ist, wenn Politiker meinen, die besseren Unternehmer zu sein. Umso mehr überrascht es, dass sich die Compliance Literatur bisher weitgehend auf eine zusammenfassende Darstellung des LkSG beschränkt und auf eine kritische Auseinandersetzung verzichtet hat.
So zeichnen sich bereits jetzt zahlreiche Widersprüche und Unstimmigkeiten von grundlegender Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des LkSG ab. Im Folgenden möchte ich diese kurz anreißen und zur tieferen Auseinandersetzung und Diskussion aufrufen:
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Ist das LkSG verfassungswidrig, da Bußgelder an viele unklare Vorgaben und unbestimmte Rechtsbegriffe geknüpft werden und somit gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßen könnten?
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Stellen die zahlreichen Vorgaben von Compliance-Maßnahmen einen Eingriff in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit (insbesondere die Abkehr von der Business Judgement Rule und dem risikobasierten Ansatz) dar und verstoßen möglicherweise gegen Art. 12 und 14 GG?
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Wie genau ist zu verfahren, wenn Zulieferer nicht eindeutig identifizierbar sind? Dies ist insbesondere beim Handel mit Rohstoffen der Fall, wenn diese bei Zwischenhändlern vermengt werden.
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Bei sorgfältiger Betrachtung der Regelung zum Anwendungsbereich im Konzern wird sich in Deutschland keine Obergesellschaft mit mehr als 1.000 oder 3.000 Mitarbeitern finden. Bei ernsthafter Anwendung des Gesetzes, ist dies faktisch nicht anwendbar.1
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Berichts- und Dokumentationspflichten finden zu Recht ihre Grenze bei Geschäftsgeheimnissen. In der Praxis wird nahezu jedes Unternehmen seine Lieferanten als Geschäftsgeheimnis verstehen und vor dem Zugriff durch Dritte schützen. Gerade in spezialisierten Branchen können über die Kenntnis von Zulieferern umfangreiche Erkenntnisse über Kostenstruktur, Produktion und Produktentwicklung abgeleitet werden. Werden diese öffentlich zugänglich, so freut sich der Wettbewerber und der Kunde. Für das betroffene Unternehmen ist dies wenig erfreulich, es wird die vom LkSG geforderten Informationen zu Recht nicht veröffentlichen. In welcher Tiefe muss das Unternehmen hierüber berichten und dies begründen?
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Welche Folgen wird die Ultima Ratio der Abhilfemaßnahmen, die Beendigung der Geschäftsbeziehung, haben? Der Lieferant in Bangladesch hält sich nach wie vor an die lokalen Regelungen und den (möglicherweise seit Jahren) bestehenden Rahmenvertrag. Wird der Vertrag nach § 7 Abs. 3 LkSG gekündigt, drohen evtl. erhebliche Schadenersatzanasprüche des Lieferanten, wenn es an einer Pflichtverletzung aus dem bestehenden Vertrag heraus fehlt?
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Ausweislich des Wortlautes soll kein eigener Schadensersatzanspruch einzelner Personen bestehen. Die Regelung in § 11 LkSG zur Prozessstandschaft von NGOs und Gewerkschaften ist dann aber wenig zweckmäßig: ohne Anspruch kein(e) Prozess(standschaft). Es drängt sich der Verdacht auf, dass die in den ursprünglichen Entwürfen vorgesehenen Schadensersatzansprüche mit einer späteren Gesetzesänderung, oder über eine Hintertür eingeführt werden sollen.
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Nimmt man Ziel und Zweck des LkSG ernst, müsste angesichts der Produktionsbedingungen von Coltan und Lithium umgehend ein Lieferstopp von Mobiltelefonen und Elektroautos verhängt werden. Ist das so ernst gemeint?
Ich freue mich auf eine angeregte Diskussion!
Dr. Malte Passarge ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht und Partner in der Kanzlei HUTH DIETRICH HAHN Rechtsanwälte PartGmbB, Vorstand des Instituts für Compliance im Mittelstand (ICM) und Geschäftsführer von Pro Honore e. V. sowie Chefredakteur des Compliance-Beraters.
1 | Ausführlicher hierzu Passarge, CB 2021, 332. |