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CB 2022, 137
Hess 

CB 2022, Heft 05, Umschlagteil S. 137 (I)

Produkt-Compliance im Visier des Gesetzgebers

„Ein Netz streng definierter Marktregularien“

Als wenn es aus dem Blickwinkel der Industrie nicht schon genug wäre, die Regelungen zur Produkt-Compliance werden nochmals in den nächsten zwei bis drei Jahren deutlich an Fahrt aufnehmen. Das mag primär den Verbraucherschutz erfreuen, gängelt aber die Unternehmen, führt zu weiter verschärften produktsicherheitstechnischen Maßnahmen und heizt die Kostenspirale aufs Neue an. Die Europäische Union hat sich bereits 2008 durch den sogenannten „neuen Rechtsrahmen“ für das gesamte harmonisierte technische Recht Maßstäbe gesetzt, die nun sukzessive umgesetzt werden. Es steht nicht nur eine neue Produktsicherheitsverordnung im Raum (COM (2021) 346 final), sondern auch die Maschinenbauer werden 16 Jahre nach der Revision der alten EU-Maschinenrichtlinie (2006/42/EG) mit neuen zahlreichen Verschärfungen zur Maschinensicherheit konfrontiert. Mit dem Vorschlag für eine Verordnung über Maschinenprodukte (COM (2021) 2020 final) und einem Vorschlag über eine Verordnung zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz (KI-Verordnung, COM (2021) 206 final) versucht der Europäische Gesetzgeber diejenigen Risiken in den Griff zu bekommen, die bereits heute das produktsicherheitstechnische Geschehen weitaus mehr beeinflussen als man es unter Experten erwartet hat. Der Entwurf zur neuen Maschinenverordnung sieht sinnvollerweise eine Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs um Maschinen vor, für deren bestimmungsgemäße Verwendung das Hochladen einer Software fehlt, die für ihre spezifische Anwendung von Nöten ist. Bei den „Sicherheitsbauteilen“ wird neben den physischen Produkten nun auch Software erfasst und endlich kann wohl die Gebrauchsanweisung künftig – allerdings unter gewissen einschränkenden Voraussetzungen – ausschließlich in digitaler Form bereitgestellt werden. Weiter soll unter Berücksichtigung der neuen KI-Verordnung die Maschinensicherheit an die Anforderungen einer vorausschauenden Digitalisierung im Internet der Dinge (IoT) sowie einer neuen Generation autonomer Roboter angepasst werden. Mit diesen Vorschriften werden teilweise veraltete Regelungen an den Stand der Technik angepasst und sogar zugunsten der Maschinenbauer vereinfacht. Wurden bei der Revision des Maschinensicherheitsrechts sicherlich auch vermehrt die Bedürfnisse der Industrie berücksichtigt, weht beim europäischen Verbraucherschutz ein eher eisiger Wind den Produzenten entgegen. Der Vorschlag für die neue EU-Produktsicherheitsverordnung umfasst zwar weiterhin lediglich die Non-Food-Verbrauchprodukte (einschließlich relevanter Migrationsprodukte und nunmehr auch lebensmittelähnliche Produkte gemäß der Richtlinie 87/357/EWG), allerdings gelten als „Bereitstellen dieser Produkte auf dem Markt“ in Zukunft alle Angebote online und über Fernabsatz. Darüber hinaus soll für die Bewertung der Einhaltung der Sicherheitsvorgaben außerhalb der Vermutungswirkung auf Basis technischer Normen ein umfassender Kriterien-Katalog geschaffen werden. In diesen sollen neben bekannten Aspekten der Cyber Security und der Künstlichen Intelligenz auch freiwillige Zertifizierungen, technische Standards und Good-Practice-Faktoren in die Bewertung einfließen. Die Hersteller haben nach dem Entwurf in Zukunft eine Pflicht zur fortlaufenden Information von Händlern, Importeuren und Online-Marktplätzen über identifizierte Sicherheitsprobleme zu beachten. Existieren Anhaltspunkte, dass das Produkt nicht sicher ist, tragen die Hersteller künftig die Verantwortung dafür, dass unverzüglich Korrekturmaßnahmen durchzuführen sind. Diskutiert und im Entwurf entsprechend verankert, aber noch nicht entschieden, wird auch, ob die Hersteller innerhalb von zwei Arbeitstagen bei Unfällen die Marktüberwachungsbehörden informieren müssen und ob im Falle eines Rückrufs eine kostenfreie Reparatur, Ersatzlieferung oder Rückzahlung des Kaufpreises angeboten werden müssen. Auch wenn dieser letztgenannte Vorschlag wohl eher als ein Wunschdenken verbraucherfreundlicher Kreise schon aus rechtspolitischen Gründen keine Mehrheit unter den EU-Staaten finden dürfte, wird eines durch diesen Vorstoß schon sehr deutlich, die Produkt-Compliance wird im Rahmen der öffentlich rechtlichen Produktsicherheitsvorgaben langsam zu einem Netz streng definierter Marktregularien, die den Unternehmen immer weniger Spielraum zu eigenverantwortlichem Handeln lassen.

Abbildung 1

Hans-Joachim Hess, Hess & Partner Rechtsanwälte, Küsnacht/ZH, Schweiz. Er berät Unternehmen in allen Fragen des Produktesicherheits- und Haftpflichtrechts. Ferner berät er deutsche und schweizerische Unternehmen zum europäischen und internationalen Haftpflicht-, Vertrags- und Organisationsrecht.

 
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