Fünf Jahre Geschäftsgeheimnis-Richtlinie – eine Erfolgsgeschichte?
„Im Großen und Ganzen ein gelungenes Projekt der EU“
Die Richtlinie (EU) 2016/943 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen ist seit fünf Jahren in Kraft. Das zu ihrer Umsetzung geschaffene neue Stammgesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen – das GeschGehG – gilt seit Ende April 2019, muss sich also seit gut eineinhalb Jahren in der Praxis beweisen.
Auf europäischer Ebene war und ist die Harmonisierung des Rechts der Geschäftsgeheimnisse ein ambitioniertes Vorhaben. Angesichts einer zunehmend datenbasierten und durch digitale Prozesse geprägten Wirtschaft bestand (und besteht) ein unabweisbares Bedürfnis nach einem wirksamen Schutz von vertraulichen Informationen in allen Geschäftsbereichen. Ein solcher Schutz ist ein wichtiger Teil der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Unternehmenstätigkeit im Binnenmarkt und ein nicht zu unterschätzender Standortfaktor. Europa ist nur dann für innovative Unternehmen attraktiv, wenn deren Innovationstätigkeit und die dabei hervorgebrachten Ergebnisse einen möglichst einheitlichen rechtlichen Schutz genießen. Die Richtlinie leistet hierzu einen wichtigen Beitrag.
Die Entstehung der Richtlinie fand in Deutschland noch vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit. Viele Unternehmen, aber auch andere Betroffene (z. B. Medienschaffende), nahmen die Richtlinie und ihre Vorgaben erst näher wahr, als sie bereits in Kraft getreten war und die Umsetzung in das deutsche Recht näher rückte. Für inhaltliche Einflussnahmen war es zu diesem Zeitpunkt bereits zu spät, zumal dem deutschen Gesetzgeber vielfach nur ein eingeschränkter Umsetzungsspielraum zur Verfügung stand.
Positiv zu bewerten ist das Bestreben des Unionsgesetzgebers, die Grundstrukturen des Geschäftsgeheimnisschutzes an dem Schutz des geistigen Eigentums auszurichten. Wenngleich die Richtlinie die Unterschiede zwischen Geschäftsgeheimnissen und Rechten des geistigen Eigentums betont, unterstreicht vor allem das Rechtsdurchsetzungssystem der Richtlinie die unverkennbare Verwandtschaft und Nähe dieser beiden Bereiche. Das ist sachgerecht, weil geistiges Eigentum und Geschäftsgeheimnisse in der Praxis Hand in Hand gehen.
Ebenfalls zu den Stärken gehört die Regelungstechnik der Richtlinie, die zwischen stets erlaubten Verhaltensweisen, Rechtsverletzungen und ausnahmsweise zulässigen Handlungen differenziert. Gerade der Erlaubniskatalog des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie erschien zunächst sehr ungewöhnlich. Dass ein solcher Regelungsansatz sinnvoll ist, zeigt das Beispiel Deutschlands, wo seit vielen Jahrzehnten das Reverse Engineering – wenngleich mit Differenzierungen – als unzulässig galt. Art. 3 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie beendete diesen Irrweg und führte zu klaren Verhältnissen.
Die Richtlinie weist aber auch strukturelle Schwächen auf. So resultiert aus der merkwürdigen Mischung aus Voll- und Mindestharmonisierung manche Unklarheit: Ist beispielsweise der zentrale Begriff des Geschäftsgeheimnisses vollharmonisierend? Dagegen spricht, dass Art. 2 Nr. 1 in Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 der Richtlinie, dem Katalog der vollharmonisierenden Bestimmungen, nicht ausdrücklich erwähnt ist. Dafür spricht, dass der Begriff des Geschäftsgeheimnisses in vollharmonisierenden Bestimmungen (etwa in Art. 3 und 5 der Richtlinie) vorausgesetzt wird.
Unbefriedigend ist weiterhin, dass sich die Richtlinie zu einigen wichtigen Themen des Geschäftsgeheimnisschutzes überhaupt nicht äußert. So lässt sie offen, welche Rechtsnatur Geschäftsgeheimnisse haben; sehr vage spricht EwGr. 2 von einer „Ergänzung“ oder „Alternative zu Rechten des geistigen Eigentums“. Es fehlen nähere Aussagen zum praktisch sehr bedeutsamen Schutz von Geschäftsgeheimnissen innerhalb von Arbeitsverhältnissen und nach deren Beendigung. Auch zu Rechtsgeschäften über Geschäftsgeheimnisse schweigt die Richtlinie.
In der Rechtsprechung des EuGH spielt die Richtlinie bislang nur eine untergeordnete Rolle. Die Datenbank des Luxemburger Gerichts weist nur wenige Einträge zur Richtlinie auf. Aufschlussreich könnten aber Aussagen in der aktuellen Rechtssache C-54/21 sein, die den Schnittbereich von Vergaberecht und dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen betrifft.
Ist die Richtlinie also eine Erfolgsgeschichte? Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Richtlinie gewiss nicht über jeden Zweifel erhaben ist und auch in Zukunft Fragen und Probleme aufwerfen wird. Im Großen und Ganzen darf man sie aber zu den gelungenen Projekten der EU zählen.
Prof. Dr. Christian Alexander ist Universitätsprofessor für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Medienrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.