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BB 2020, I
Mayer 

#stayonboard: Vorschlag mit Signalwirkung – Warum die Diskussion um eine Mandatspause für Vorstandsmitglieder richtig ist

Abbildung 1

In den letzten Jahrzehnten haben sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Arbeitnehmer im Hinblick auf eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie stetig verbessert. An den Vorstandsetagen deutscher Aktiengesellschaften ging diese Entwicklung indes vorbei. Vorstandsmitglieder sind bekanntlich keine Arbeitnehmer – sie haben damit etwa nach der Geburt eines Kindes keinen Anspruch auf Mutterschutz oder Elternzeit. Das Aktiengesetz kennt keine entsprechenden Mandatspausen. Dass das ein Problem sein könnte, ist lange niemandem aufgefallen. Kein Wunder angesichts der Zusammensetzung deutscher Vorstände: Männer Mitte 50 dominieren die Führungsriegen deutscher Unternehmen. Die Vornamen Thomas, Stefan und Michael sind häufiger vertreten in den Vorständen börsennotierter Unternehmen als Frauen insgesamt. Aber vereinzelt gibt es sie doch: Zum Beispiel Delia Lachance, Vorstandsmitglied des E-Commerce-Unternehmens Westwing. Sie hat Anfang 2020 eine sechsmonatige “Babypause” begonnen und deswegen ihr Amt niedergelegt.

Ihr Fall war Anlass für die Gründung der Initiative #stayonboard (www.stayonboard.org). Die Initiatoren fordern ein Recht für Vorstandsmitglieder, ihr Amt bei längerfristiger Abwesenheit (z. B. Mutterschutz, Elternzeit, längerfristige Krankheit, Pflege von Angehörigen) temporär ruhen lassen zu können, ohne persönlichen Haftungsrisiken ausgesetzt zu sein.

Auf den ersten Blick erscheint eine gesetzliche Neuregung nicht erforderlich. Eine “Mandatspause” ließe sich auch im Wege der gesetzlich nicht geregelten, aber weitgehend anerkannten einvernehmlichen Dienstbefreiung realisieren. Das Vorstandsmitglied wird in diesem Fall für einen gewissen Zeitraum durch den Aufsichtsrat von seiner Dienstpflicht befreit; ein anderes Vorstandsmitglied übernimmt übergangsweise das Ressort. Aus Sicht des betreffenden Vorstandsmitglieds ist die einvernehmliche Dienstbefreiung allerdings unbefriedigend: Es hat keinen Anspruch auf die Dienstbefreiung und ist vom Wohlwollen des Aufsichtsrats abhängig. Und selbst wenn der Aufsichtsrat der Dienstbefreiung zustimmt, verbleibt ein entscheidendes Manko: Nach herrschender Auffassung wird das Vorstandsmitglied während seiner Abwesenheit nicht von der Gesamtverantwortung und den damit einhergehenden Überwachungspflichten entbunden. Kann oder will sich das Vorstandsmitglied während der Auszeit nicht weiter mit wesentlichen Fragen der Unternehmensleitung auseinandersetzen, kommt die Dienstbefreiung mit Blick auf die verbleibenden Haftungsrisiken nicht ernsthaft in Betracht.

Dasselbe gilt für die – ebenfalls nicht gesetzlich normierte – einseitige Suspendierung durch den Aufsichtsrat. Hier stellt sich zwar nicht das Problem von Haftungsrisiken: Das suspendierte Vorstandsmitglied wird zugleich von der Gesamtverantwortung entbunden. Nicht wirklich passend ist allerdings die Zielrichtung der Suspendierung; sie dient i. d. R. der weiteren Aufklärung von Vorwürfen bei drohender Abberufung aus wichtigem Grund. Zudem hat das Vorstandsmitglied auch hier keinen entsprechenden Anspruch. Hinzukommt, dass eine Suspendierung nur in sehr engen zeitlichen Grenzen zulässig ist.

Vor diesem Hintergrund kann die Diskussion über eine Ergänzung des Aktiengesetzes um die Möglichkeit haftungsbefreiender Mandatspausen jedenfalls nicht mit dem Hinweis darauf ausgebremst werden, dass es doch schon jetzt geeignete Instrumente gebe, um den betroffenen Vorständen – in der Regel Frauen – eine Auszeit wegen Mutterschutz oder Elternzeit zu ermöglichen.

Wenn wir es als Gesellschaft mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau wirklich ernst meinen und wenn wir die Anzahl von Frauen in Vorständen erhöhen möchten, müssen auch im Gesellschaftsrecht entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden. Weibliche Vorstandsmitglieder sollten im potenziellen Hauptanwendungsfall Mutterschutz und Elternzeit nicht vor die Entscheidung “Amtsniederlegung oder Haftungsrisiko” gestellt werden. Sie sollten im Gegenteil einen Anspruch darauf haben, ihr Mandat während eines überschaubaren Zeitraums von bspw. sechs Monaten ruhen zu lassen. Selbstverständlich dürfen dabei berechtigte Interessen und das Wohl des Unternehmens nicht aus dem Blick verloren werden. Insbesondere in Sonder- und Krisensituationen muss der Aufsichtsrat ein Verlangen nach einer Mandatspause ablehnen können.

Aktionäre und Aufsichtsräte mögen diese Vorschläge auf den ersten Blick als unangemessenen Eingriff betrachten und um die Wettbewerbsfähigkeit “ihres” Unternehmens fürchten. Diese Argumente sind aus der Diskussion um die Einführung von Frauenquoten in Aufsichtsräten hinlänglich bekannt. Und doch haben sich keine der damals beschworenen Risiken realisiert. Zudem kann es nicht im Interesse von Unternehmen liegen, wenn talentierte Führungskräfte den letzten Schritt auf der Karriereleiter nicht wagen oder erst gar nicht anstreben, weil die Kinderplanung noch nicht abgeschlossen ist. Das Eckpunktepapier der Initiative #stayonbaord weist in die richtige Richtung und sollte vom Gesetzgeber aufgegriffen werden.

Dr. Barbara Mayer, RAin/FAinHaGesR, ist Geschäftsführende Partnerin der Sozietät Friedrich Graf von Westphalen & Partner. Sie ist u. a. Herausgeberin eines Handbuchs zur Aktiengesellschaft sowie eines Kommentars zur SE und berät Unternehmen zu allen Fragen des Aktienrechts sowie im Rahmen von M&A-Transaktionen.

 
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