Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? – Verschärfung der Außenwirtschaftsverordnung
Mit Wirkung zum 18.7.2017 wurde der Rechtsrahmen für sektorübergreifende und sektorspezifische Investitionsprüfungen nach der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) verschärft. Künftig wird der Erwerb deutscher Unternehmen öfter in den Anwendungsbereich solcher Investitionsprüfungen fallen. Auch wenn der Verordnungsgeber nach der Verschärfung nur mit ca. 13 zusätzlichen Meldungen pro Jahr rechnet, dürfte die Zahl der tatsächlichen, rein vorsorglich eingereichten Meldungen deutlich höher liegen.
Im Rahmen der sektorübergreifenden Prüfung nach §§ 55–59 AWV wurde zunächst der sachliche Anwendungsbereich erheblich erweitert. Nunmehr ist von einer Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen, wenn das zu erwerbende deutsche Unternehmen Betreiber einer sog. “Kritischen Infrastruktur” ist. Die entsprechende Definition wird sehr weit ausgelegt und umfasst unter anderem Einrichtungen in den Sektoren Energie, IT und Telekommunikation, Transport und Verkehr, Gesundheit, Wasser, Ernährung sowie Finanz- und Versicherungswesen. Vom Anwendungsbereich der sektorübergreifenden Prüfung sollen ferner auch solche deutschen Unternehmen erfasst sein, die branchenspezifische Software zum Betrieb einer “Kritischen Infrastruktur” anbieten oder aber auch in den Bereichen der Telekommunikationsüberwachung, Cloud-Computing oder Telematikinfrastruktur tätig sind.
Neu eingeführt wurde außerdem eine Meldepflicht für Erwerbsvorgänge, die von der sektorübergreifenden Prüfung erfasst sind. Damit soll sichergestellt werden, dass das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) Kenntnis von den entsprechenden Erwerbsvorgängen erlangt. Denn erst ab dem Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntniserlangung läuft die dreimonatige Frist, innerhalb derer das BMWi das eigene Prüfrecht ausüben kann. Sofern eine entsprechende Meldung unterbleibt, kann das Prüfrecht sogar innerhalb von fünf Jahren nach dem Abschluss des schuldrechtlichen Vertrags ausgeübt werden.
Die Parteien haben zwar grundsätzlich nach wie vor durch die Beantragung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung die Möglichkeit, die Prüffrist zu verkürzen und schneller Rechtssicherheit zu erlangen. Allerdings hat der Verordnungsgeber die Prüffrist in diesem Fall von ehemals einem auf zwei Monate verlängert. Hinzu kommt, dass die Prüffrist im Falle einer vertieften Prüfung anstatt zwei nunmehr vier Monate beträgt. Bedenkt man, dass es im Ermessen des BMWi liegt, weitere für die Prüfung erforderliche Unterlagen anzufordern, kann der fristauslösende Vollständigkeitszeitpunkt und damit auch die Prüfungsdauer weiter hinausgezögert werden.
Auch in Bezug auf die sektorspezifische Prüfung nach §§ 60–62 AWV wurde der sachliche Anwendungsbereich erweitert und um bestimmte Güter der Ausfuhrliste ergänzt. So werden nunmehr auch Güter erfasst, die in den Bereichen der Feuerleiteinrichtungen, elektronischen Ausrüstung für militärische Zwecke, Ausbildungs- und der Bildausrüstung sowie der Datenbanken angewandt werden. Darüber hinaus wurden auch hier die Prüffristen verlängert. Während die Prüffrist einer sektorspezifischen Meldung nach der alten Rechtslage einen Monat betrug, wurde sie nach der neuen AWV auf nunmehr drei Monate erweitert. Sofern das BMWi eine vertiefte Prüfung durchführt, verlängert sich die Frist der sektorspezifischen Prüfung um weitere drei Monate. Auch hier gilt, dass die Frist im Rahmen der vertieften Prüfung erst nach Eingang vollständiger Unterlagen zu laufen beginnt.
Weitere Änderungen betreffen unter anderem etwaige Umgehungsmöglichkeiten, die Kostentragungslast des Erwerbers bei Rückabwicklung von Transaktionen sowie die Hemmung der Prüffrist, sofern Verhandlungen über vertragliche Regelungen zur Gewährleistung der wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland geführt werden.
Die Verschärfung der Verordnung ist wohl als eine Reaktion auf die zunehmende Anzahl ausländischer Investitionen, insbesondere aus Asien, in deutsche Unternehmen zu verstehen. Doch auch wenn die politische Zielsetzung durchaus legitim erscheint, dürfte die Verschärfung der AWV zu weniger Rechtssicherheit führen. Dies liegt zum einen daran, dass der sachliche Anwendungsbereich der Investitionsprüfungen erheblich erweitert wurde. Insbesondere bei der sektorübergreifenden Prüfung sind die Industriezweige, die für eine “Kritische Infrastruktur” relevant sein sollen, sehr allgemein formuliert. Zu befürchten ist daher, dass der neue Rechtsrahmen zu einer deutlich höheren Anzahl von rein vorsorglichen Meldungen führen wird. Zum anderen dürfte auch die Verlängerung der Prüffristen die Transaktionsplanung nicht unerheblich erschweren, insbesondere da es nunmehr keinen Gleichlauf mit der Prüffrist des Bundeskartellamtes gibt.
Es bleibt abzuwarten, ob sich der neue Rechtsrahmen in der Praxis bewähren wird. Mangels öffentlich zugänglicher Entscheidungspraxis wären Leitlinien (Verwaltungsvorschriften), etwa im Hinblick auf die Auslegung bestimmter Begriffe aus Sicht des BMWi, sicherlich hilfreich.
Dr. Dimitri Slobodenjuk, LL.M., RA, ist Counsel im Düsseldorfer Büro der Rechtsanwaltskanzlei Clifford Chance. Er berät Unternehmen aus verschiedenen Industriesektoren zum europäischen bzw. deutschen Kartellrecht, insbesondere im Hinblick auf Fusionskontrolle, Kartell- und Missbrauchsverfahren, Compliance sowie Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen. Er ist außerdem auf außenwirtschaftsrechtliche Fragestellungen im Zusammenhang mit Unternehmenskäufen spezialisiert.