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BB 2017, I
Berger 

Neuer IFRS zur Bilanzierung von Versicherungsverträgen – die Unvollendete des IASB?

Abbildung 1

Lassen Sie uns eine kleine Zeitreise in das Jahr 1997 machen. An was erinnern Sie sich? Vielleicht an die Berliner Rede von Roman Herzog (die mit dem “Ruck”), an den dramatischen Tod von Prinzessin Diana oder an den Kometen Hale-Bopp? Ein Ereignis dürfte es jedoch bei den meisten nicht in das Langzeitgedächtnis geschafft bzw. die wenigsten Leser dürften damals Kenntnis davon erlangt haben: Das Jahr 1997 markierte den Beginn des Versicherungsprojekts des International Accounting Standards Board (IASB), der damals noch als IASC firmierte.

Wir springen wieder in die Gegenwart. Am 18.5.2017 hat der IASB den neuen Standard zur Bilanzierung von Versicherungsverträgen IFRS 17 veröffentlicht. Es hat also stolze 20 Jahre gedauert, und bis zur verpflichtenden Anwendung 2021 sind es weitere dreieinhalb Jahre. Warum eigentlich? Zum einen ist dies auf die weltweit äußerst unterschiedliche und national jeweils tief verwurzelte Versicherungsbilanzierung zurückzuführen, zum anderen auch auf den daraus resultierenden langwierigen Konsensfindungsprozess – immerhin waren ein Diskussionspapier, zwei Entwürfe und unzählige öffentliche und nicht-öffentliche Diskussionen vonnöten. Zwischenzeitlich hatte der IASB mit IFRS 4 sogar eine Interimslösung schaffen müssen, um die bestehenden Bilanzierungsmethoden im Rahmen der Übernahme der IFRS in der EU “IFRS-kompatibel” zu machen.

Für die überwiegende Mehrheit, die sich nicht täglich mit Versicherungsbilanzierung beschäftigt, sei der Standard kurz zusammengefasst: Es geht um die Bilanzierung der Verpflichtungen aus Versicherungsverträgen und betrifft im Wesentlichen Versicherungsunternehmen. Ziel des IASB war immer eine einheitliche Bilanzierung von Versicherungsverträgen, die auch den “wahren” Verpflichtungsgrad in der Bilanz widerspiegelt. Die Bewertung der Erfüllungs-Cashflows aus den Versicherungsverträgen erfolgt teilweise auf Basis aktueller Marktbedingungen (z. B. für Zwecke der Abzinsung), ist aber bei weitem kein Fair Value. Eine Gewinnmarge wird bei Zugang zunächst abgegrenzt. Auch werden Wertänderungen nicht durchgängig in der GuV erfasst, sondern in Teilen im sonstigen Ergebnis (other comprehensive income). Diese Aufteilung ist auch Ausfluss der Konsensbemühungen des IASB und der damit verbundenen Komplexitätssteigerung. Dem Willen zum Kompromiss geschuldet sind dann auch zahlreiche Ausnahmeregelungen, deren Erläuterung hier den Rahmen sprengen würde. Abschließend wird das Ganze mit umfangreichen neuen Anhangangaben garniert. Es muss betont werden, dass trotz einheitlicher Vorgaben erhebliche explizite und implizite Bilanzierungswahlrechte verbleiben, die eine Vergleichbarkeit zwischen den Versicherungsunternehmen weiterhin erschweren.

Nun sollte man erwarten dürfen, dass nach 20 Jahren Standardentwicklung, unter enger Einbindung der Versicherungsbranche, das Endprodukt einen sehr hohen Reifegrad hat. Das kann man vielleicht sogar noch unterschreiben, aber die Akzeptanz ist mitnichten so hoch, wie sich der IASB dies wünschen würde. Als hätte man in London Angst vor der eigenen Courage, hat der IASB schon im Vorfeld keinen Zweifel daran gelassen, dass sein Beitrag mit Veröffentlichung von IFRS 17 nicht beendet ist. Diverse Aktivitäten sollen die Implementierungsphase von IFRS 17 flankieren, einschließlich einer eigenen Transition Resource Group, die Implementierungsfragen diskutieren soll. Auch vor nachträglichen Änderungen an IFRS 17 vor dessen Erstanwendungszeitpunkt wird nicht zurückgeschreckt. Dies bedeutet einen Strategieschwenk im Vergleich zur Implementierung des Finanzinstrumentestandards IFRS 9, bei dem es der IASB fast drei Jahre geschafft hat, jeden Änderungswunsch abzublocken.

Woher kommt diese Nervosität? Ein Blick nach Europa dürfte dies klar machen, denn die Übernahme in EU-Recht, das Endorsement, ist bei weitem kein Selbstläufer. Die Versicherungslobbyisten laufen sich schon warm, um die bislang unerfüllten “Wünsche” noch nachträglich durchzusetzen. Druckmittel ist die vollständige Nichtübernahme. Dabei bleibt eigentlich keine Zeit zu verlieren: Für die Versicherungswirtschaft ist IFRS 17 nach Solvency II, dem aufsichtsrechtlichen Rahmenwerk, ein weiterer großer regulatorischer Brocken, der auch noch zusammen mit IFRS 9 zu verdauen ist (Versicherer können IFRS 9 und IFRS 17 gemeinsam erstmalig 2021 anwenden).

Ist man kein Versicherer, so könnte man sich eigentlich entspannt zurücklehnen, das Popcorn auspacken und das politische Spektakel ähnlich wie damals bei IFRS 9 aus der Distanz beobachten. Doch zwei Dinge sollen an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Erstens ist IFRS 17, wenngleich auch nicht “perfekt”, so doch ein großer Schritt in Richtung einer einheitlichen Bilanzierung und somit einer grenzüberschreitenden Vergleichbarkeit von Versicherungsunternehmen. Und zweitens hat das Endorsement-Verfahren zu IFRS 17 genug Sprengkraft, die IAS-Verordnung (ergo, die IFRS-Anwendung) in Europa aus den Angeln zu heben. Daher kann den Beteiligten nur geraten werden, einen kühlen Kopf zu bewahren und das große Ganze nicht zu vergessen. Auch hier zeigt der Blick 20 Jahre zurück, wie die europäische Bilanzierungslandschaft vor IFRS ausgesehen hat – ein Flickenteppich ähnlich dem der Versicherungsbilanzen heute. IFRS 17 ist also ein Schritt in die richtige Richtung.

Dipl.-Kfm. Jens Berger, CPA, ist Leiter des deutschen IFRS Centre of Excellence des Prüfungs- und Beratungsunternehmens Deloitte in Frankfurt a. M. und Mitglied im Global IFRS Leadership Team des internationalen Deloitte-Verbunds. Er ist darüber hinaus Mitglied in diversen Arbeitsgruppen und -kreisen bei EFRAG, DRSC und IDW. Der Beitrag stellt seine persönliche Meinung dar.

 
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