Klimazielversprechen von Unternehmen – ein Fall für die Vertrauensfrage
Für ein Mehr an Vertrauen in versprochene Klimaziele bedarf es eines Referenzrahmens für die Berichterstattung und der Konnektivität mit den Finanzinformationen.
Kaum ein Unternehmen kann es sich aktuell leisten, kein ambitioniertes Klimaziel im Sinne einer Netto-Null-Strategie auszurufen. Als Netto-Null-Strategie gilt allgemein das Erstreben eines Zustands, in dem Treibhausgasemissionen aufgrund von Aktivitäten innerhalb der Wertschöpfungskette eines Unternehmens keine Netto-Auswirkungen auf das Klima haben. Eingewoben in die Unternehmensberichterstattung finden sich aktuell teils sehr ambitionierte Versprechen zur Reduzierung der verursachten Treibhausgasemissionen in naher oder ferner Zukunft. Entscheidend ist, ob und welchen Wert diese Versprechen haben: Handelt es sich nur um “heiße Luft” und im Ergebnis um “grüne Nullnummern”? Welchen Zielsetzungen kann der Adressatenkreis vertrauen, welches Unternehmensversprechen ist glaubhaft? Frei nach Nietzsche schlägt der Mensch, der heute ein Versprechen gibt, nicht nur eine Brücke in die Zukunft, er sieht sich vielmehr bereits in der Zukunft, legt sich also auf sein künftiges Handeln fest. Der Wert eines Versprechens bemisst sich insbesondere nach dem Grad der Verpflichtung und dem Vertrauen, welches das Gegenüber in das gegebene Wort haben darf. Die Glaubhaftigkeit von versprochenen Netto-Null-Strategien muss allerdings einigen Zweifeln standhalten, denn die Gefahr des “Greenwashing” ist selbst auferlegten Verpflichtungen ohne eine Referenzrahmen immanent. Die Mindestanforderungen für das Schaffen von Vertrauen sind das Vorlegen einer transparenten, öffentlichen Planung, eine nachvollziehbare kontinuierliche Treibhausgasemission-Reduktion, eine transparente Information über das Erreichen oder Verfehlen der Ziele und vor allem echte Reduktion und kein Freikaufen und damit nur eine rechnerische Minderung über wenig nachvollziehbare CO2-Zertifikate.
Die ausgeweiteten Berichtspflichten im Zusammenhang mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) fordern die Formulierung einer Klimaschutzstrategie, bedienen sich für die Vorgabe von Regeln an den etablierten Standards des Greenhouse-Gas-(GHG-)Protokolls, welches auch Pate für die internationalen Anforderungen der Nachhaltigkeitsstandards des International Sustainability Standards Board (ISSB) stand. Das GHG-Treibhausgasprotokoll setzt sich als Sammelsurium aus verschiedenen Veröffentlichungen zusammen, die insgesamt als Normativ den Referenzrahmen für die Ermittlung, Messung und Berichterstattung von Emissionen der sieben Treibhausgase bilden, deren Eindämmung im Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen als besonders relevant für die Reduzierung des Temperaturanstiegs festgelegt wurde. Nicht nur der Umfang der Regeln, sondern auch die bestehenden Wahlrechte, die bereits mit der Abgrenzung des Berichtssubjekts beginnen und sich dann auf die Analyse entlang der Wertschöpfungskette erstrecken, machen eine Analyse und damit eine Vergleichbarkeit verschiedener Klimaziele für einen ungeübten Leser schwierig, wenn nicht gar unmöglich.
Die Etikettierung des versprochenen Klimaziels inklusive der Bestätigung des Einklangs mit schlüssigen wissenschaftlichen Erkenntnissen, etwa durch Bestätigung der Annahmen durch die Science Based Targets initiative (SBTi), ist nur ein erster Schritt hin zu mehr Vertrauen. Hinter dem Label steht lediglich eine Ersteinschätzung der Unternehmensambition, basierend auf aus globalen Szenarien abgeleiteten Reduktionspfaden. Es fehlt an Verbindlichkeit, Vergleichbarkeit und damit auch an der Aussagekraft. Das Vertrauen in das Versprechen einer kommunizierten Netto-Null-Strategie setzt eine auf das Unternehmen und die individuellen Umstände ausgerichtete Bewertung der vorgelegten Transformationsmaßnahmen sowie eine Beurteilung der ausgerufenen Ziele und deren Erreichung im Zeitablauf voraus.
Vage Zielvorgaben und damit ein löchriger Referenzrahmen sowie die Verwendung von unklaren Gütesiegeln schaffen kein Vertrauen, sondern erhöhen vielmehr das Potential für (luft-)leere Versprechungen. Das Erreichen der Klimaziele ist zu wichtig, als dass ein Versprechen leichtfertig, berechnend oder gar falsch gegeben werden darf. Jedes Versprechen schlägt eine Brücke in die Zukunft vom Moment der Zusage bis zur Zeit der Erfüllung in den nächsten Stunden, Tagen, Monaten, Jahren, manchmal für den Rest des Lebens. Je weiter entfernt die Umsetzung des Versprechens ist, also je länger die Brücke gespannt werden muss, desto brüchiger ist das Fundament, umso fragiler das Vertrauen.
Das Runterbrechen des fernen Klimaziels in kleine Etappen sowie eine Verpflichtung auf Transparenz, wie der Fortschritt nachvollziehbar gemessen und kommuniziert wird, verhindern eine “grüne Nullnummer” und damit die Enttäuschung, wenn mit Ablauf der Zielsetzung die zu weit gespannte Brücke einstürzt. Mit der Partialisierung des großen Versprechens in mehrere kleine Schritte wird auch der Weg zur Konnektivität mit der Finanzberichterstattung geebnet. Mit Shakespeare gilt: “Ein gegebenes Versprechen ist eine unbezahlte Schuld.” Mit dem Versprechen, irgendwann in der Zukunft ein Klimaziel zu erfüllen, wird heute noch keine bilanzierungspflichtige Verbindlichkeit begründet. In den Bilanzen der Unternehmen findet sich daher auch (noch) keine Schuld. Je konkreter das Versprechen allerdings wird, desto einfacher findet das ausgerufene Klimaziel Eingang in die Bilanz und wird auch finanziell messbar. Es fehlen bislang noch das verbindliche Regelwerk und Vorgaben zu dessen Einhaltung, also die konkreten Vorgaben zum Bau der Brücke und die begleitende Aufsicht.
Dr. Jens Freiberg, WP, ist Mitglied des Vorstands der BDO AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Mitglied des IFRS Interpretation Committee und Mitglied im Beirat des “Betriebs-Berater”