Kein Steuermissbrauch durch Cum-Cum-Transaktionen
Am 17.7.2017 hat das BMF ein Schreiben zu sog. Cum-Cum-Transaktionen veröffentlicht und diese als Missbrauch nach § 42 AO eingestuft – mit der Folge, dass Kapitalertragsteuer (KESt) auf deutsche Dividenden nur i. H. v. 15 % angerechnet werden kann. Diesem Schreiben war eine politische Auseinandersetzung u. a. im Untersuchungsausschuss zu sog. Cum-Ex-Geschäften vorausgegangen. Daneben hatte der BFH in zwei Urteilen zu Cum-Cum-Geschäften bei Wertpapierdarlehen entschieden, dass es u. U. zu keinem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums kommt und schon deshalb keine KESt-Anrechnung erfolgen kann. Das BMF hatte diese Urteile bereits mit Schreiben vom 11.11.2016 aufgegriffen und seine Rechtsansicht im Hinblick auf Cum-Cum-Transaktionen nun verschärft.
Im Gegensatz zu Cum-Ex-Transaktionen bezwecken Cum-Cum-Transaktionen nur die einmalige und nicht die mehrmalige Anrechnung einmalig gezahlter KESt. Somit stellt sich die Frage, weshalb Letztere nunmehr als missbräuchlich angesehen werden. Verständlich wird das nur, wenn man die Position einer ausländischen Gegenpartei einbezieht. Diese verkauft oder überlässt Aktien vor dem Dividendenstichtag an den deutschen Steuerpflichtigen und realisiert die Dividenden als Bestandteil des Kaufpreises oder durch eine Ausgleichzahlung. Weder der Kaufpreis noch die Ausgleichzahlung unterliegen einer Besteuerung in Deutschland; somit fällt keine KESt an. Zu einer Steuerarbitrage kommt es, wenn der ausländischen Gegenpartei bei Direktbezug der Dividenden kein KESt-Erstattungsanspruch zugestanden hätte.
Selbst die Verwaltung muss aber zugeben, dass die Dividendenbesteuerung zumindest bis 28.2.2013 unionswidrig war und ein KESt-Erstattungsanspruch grundsätzlich bestand. Dass dieser für Streubesitzdividenden beseitigt wurde, wie vom BMF unterstellt, ist m. E. zweifelhaft. Auch seither gibt es in Bezug auf die KESt eine Ungleichbehandlung von Inländern (Anrechnungsverfahren mit Berücksichtigung von Betriebsausgaben) und Ausländern (Abgeltungswirkung ohne Berücksichtigung von Betriebsausgaben). Der EuGH hatte aber im Urteil vom 17.9.2015 (verb. Rs. C-10/14, C-14/14, C-17/14, EWS 2015, 218, RIW 2016, 615) zumindest dann einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit festgestellt, wenn bei der Quellenbesteuerung in unmittelbarem Zusammenhang mit den Dividenden stehende Betriebsausgaben nur bei Inländern berücksichtigt werden. Ein solcher Zustand besteht auch nach Einführung des § 8b Abs. 4 KStG fort.
Nimmt man trotz dieser Bedenken eine nicht vorgesehene Steuerarbitrage beim Ausländer an, ist fraglich, wie dies konzeptionell zu einem Missbrauch auf Seiten des Inländers führen soll. Nach ständiger BFH-Rechtsprechung ist § 42 AO personenbezogen anzuwenden, so dass eine Gestaltung für einen Steuerpflichtigen einen Missbrauch darstellen kann, für einen anderen Steuerpflichtigen aber nicht (BFH, 4.12.2014 – IV R 28/11, BFH/NV 2015, 495). Das BMF möchte von einem Überspringen des Missbrauchsvorwurfs ausgehen, wenn das Gesamtentgelt des Inländers auch am Steuervorteil des Ausländers bemessen ist. Hingegen hat der BFH entschieden, dass selbst bei modellhaften Gestaltungen allein in der Tatsache, dass ein Steuervorteil über vertragliche, fremdübliche Vereinbarungen aufgeteilt wird, keinen Missbrauch bei dem Steuerpflichtigen indiziert, bei dem der missbilligte Steuervorteil nicht eingetreten ist (BFH, 28.6.2006 – I R 97/05, BFHE 214, 276, BB 2006, 2620). Vorliegend ist aber festzuhalten, dass der deutsche Steuerpflichtige nur von seinem guten Recht zur Steueranrechnung Gebrauch macht, weshalb ihm bereits konzeptionell kein Missbrauchsvorwurf gemacht werden kann.
Was konzeptionell gilt, bewahrheitet sich auch bei den einzelnen Geschäften. Bei Wertpapierdarlehen und Pensionsgeschäften ist zu beachten, dass die Ausgleichzahlungen in unmittelbarem Zusammenhang mit den Dividenden stehen und daher bei einem Ausländer nach dem o. g. EuGH-Urteil m. E. auch seit 1.3.2013 weiterhin ein KESt-Erstattungsanspruch bestehen muss. Mangels eines nicht vorgesehenen Steuervorteils aufseiten des Ausländers muss dann auch außer Frage stehen, dass die Verteilung der Steuer zu keinem Missbrauch beim Inländer führen kann. In Bezug auf Kassa-Geschäfte ist zusätzlich zu beachten, dass sich der Steuereffekt (Anrechnung der KESt auf die Dividenden) unabhängig von einer Absicherung ergibt. Weshalb dann nur dieser zweite Teil einer Transaktion zum Missbrauch führen soll, bleibt unverständlich. Denn der Steuerpflichtige schützt sich hierdurch nur gegen einen wirtschaftlichen Nachteil, sichert sich aber keinen Steuervorteil. M. E. unvertretbar ist schließlich die Auffassung des BMF, dass auch bei NV- und Dauerüberzahlerbescheinigungen Missbrauchsfälle gegeben sein sollen, da hier entweder eine Steuerbefreiung (z. B. Investmentfonds) bzw. eine Dauerüberzahlerposition (z. B. bei Versicherern) vorliegt, was unabhängig vom Eintritt in Cum-Cum-Transaktionen ist. Im Ergebnis läuft die Ansicht des BMF auf eine zeitlich vorgezogene Anwendung von § 36a Abs. 4 EStG bzw. die Einführung einer partiellen Steuerpflicht (vor 2018 durch § 6 InvStG 2018) oder eine Versagung des Betriebsausgabenabzugs hinaus.
Vor diesem Hintergrund ist Steuerpflichtigen, die in Zukunft negativ vom Schreiben betroffen werden, dringend zu raten, die Rechtlage genau zu prüfen und gegebenenfalls KESt-Nachforderungen gerichtlich überprüfen zu lassen. Dem Vernehmen nach stehen mögliche erste Kläger bereits in ihren Startlöchern.
Dr. Martin Haisch, RA, ist Partner im Fachbereich Steuerrecht & Private Clients bei Noerr LLP, Frankfurt a. M. und Mitherausgeber der RdF. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt im Finanzsteuerrecht.