Investitionskontrolle in Deutschland – eine kritische Bestandsaufnahme
Die Investitionskontrolle in Deutschland hat in den letzten Jahren eine Wandlung erfahren, die man kaum für möglich gehalten hätte.
Das zunächst freiwillige Regime wurde sukzessive verschärft und erreichte mit dem Leifeld-Fall in 2018, als das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) durch die Bundesregierung ermächtigt wurde, die Transaktion zu untersagen, seinen vorläufigen Höhepunkt. Die vermeintliche Bedrohung durch asiatische Erwerber, insbesondere aus China, sowie durch staatlich kontrollierte Investoren wurde mittlerweile, vermutlich nicht ganz ohne negative Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft, durch strengere Regeln abgewendet. Dennoch soll die Investitionskontrolle in Deutschland, auch im Zuge der Corona-Krise, erneut und gleich mehrfach verschärft werden.
Nach dem aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Außenwirtschaftsgesetz (AWG) soll zum einen der materiell-rechtliche Prüfungsmaßstab von derzeit “tatsächlicher und hinreichend schwerer Gefährdung” der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auf eine lediglich “voraussichtliche Beeinträchtigung” abgesenkt werden. Zwar entspricht diese Änderung dem Prüfungsmaßstab nach der Screening-Verordnung der EU (VO 2019/452). Allerdings ist zu bedenken, dass das BMWi bereits nach der jetzigen Gesetzeslage einen sehr weiten Ermessensspielraum beansprucht. Es ist daher zu befürchten, dass dem Leifeld-Fall ziemlich bald weitere Untersagungsentscheidungen folgen werden.
Zudem beabsichtigt die Bundesregierung, im AWG für sämtliche Transaktionen, die in den Anwendungsbereich der Investitionskontrolle fallen, ein Vollzugsverbot einzuführen. Dies ist für sich genommen nicht zu beanstanden und dürfte in der Praxis ohnehin wenig Auswirkungen haben. In der Transaktionspraxis hat sich in den letzten Jahren die Gestaltung der außenwirtschaftsrechtlichen Genehmigung als eine Vollzugsbedingung ohnehin bereits etabliert. Deutlich gravierender ist vielmehr der Umstand, dass bestimmte vorsätzliche Verstöße gegen das Vollzugsverbot, wie etwa eine vorzeitige Stimmrechtsausübung durch den Erwerber, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden können. Nur zum Vergleich: Dies entspricht dem Strafmaß eines Betrugs nach § 263 StGB. An dieser Stelle sei daher die Frage erlaubt, ob die Einordnung als eine Ordnungswidrigkeit mit Androhung einer Geldbuße, ähnlich wie in der Fusionskontrolle, nicht verhältnismäßiger wäre.
Auch die Außenwirtschaftsverordnung (AWV) bleibt von den aktuellen Entwicklungen nicht verschont. Zwar soll die derzeitige Schwelle von 10 % der Stimmrechte bestehen bleiben. Allerdings soll nach dem derzeitigen Entwurf der 15. Verordnung zur Änderung der AWV der sachliche Anwendungsbereich, insbesondere im Zuge der Corona-Krise, auf deutsche Zielunternehmen ausgeweitet werden, die in bestimmten Bereichen des Gesundheitssektors aktiv sind. Dies betrifft vor allem die Hersteller von Arzneimitteln, Medizinprodukten und In-Vitro-Diagnostika, die für lebensbedrohliche und hochansteckende Infektionskrankheiten bestimmt sind. Weitere Bereiche, die von der AWV erfasst werden sollen, betreffen etwa kritische Rohstoffe oder Dienstleistungen, die zur Sicherstellung der Störungsfreiheit der Funktionsfähigkeit staatlicher Kommunikationsinfrastrukturen erforderlich sind.
Doch dies ist noch nicht das Ende. Bereits im Zusammenhang mit der Industriestrategie 2030 kündigte das BMWi an, dass der Anwendungsbereich der AWV auch auf bestimmte kritische Technologien, wie etwa künstliche Intelligenz, Robotik, Halbleiter, Bio- und Quantentechnologie, ausgeweitet werden soll. Die Änderungen wurden im Zuge der Corona-Krise zunächst zurückgestellt, sollen jedoch spätestens im Herbst 2020, wenn die Screening-Verordnung der EU ihre volle Wirkung entfaltet, nachgeholt werden.
Nur um Missverständnisse zu vermeiden: Es spricht absolut nichts dagegen, wenn ein Staat versucht, seine vermeintlichen Schlüsseltechnologien vor Übernahmen zu schützen. Dies entspricht auch im Wesentlichen dem globalen Trend. Es ist ebenfalls zu begrüßen, dass die Bundesregierung bemüht ist, einen Gleichlauf mit der Screening-Verordnung der EU herzustellen, auf die einige der oben genannten Änderungen zurückzuführen sind.
Es stellt sich jedoch die berechtigte Frage, welche Auswirkungen diese Änderungen auf das Investitionsklima in Deutschland haben werden. Man kann sicherlich davon ausgehen, dass künftig deutlich mehr Transaktionen in den Anwendungsbereich der Investitionskontrolle fallen dürften. Von 2018 auf 2019 stieg etwa die Anzahl der Prüffälle von 78 auf 106. Das BMWi geht im Zuge der geplanten Änderungen davon aus, dass für die kommenden Jahre mit einem jährlichen Anstieg von weiteren ca. 40 Prüffällen zu rechnen ist. Vor dem Hintergrund der Tragweite der geplanten Änderungen scheint diese Schätzung jedoch eher konservativ zu sein. Nicht zuletzt aufgrund der geplanten Sanktionen und des relativ weit gefassten Rechtsrahmens dürften die ausländischen Investoren bereits aus Rechtssicherheitsgründen in Zweifelsfällen zu einem Antrag beim BMWi tendieren, auch wenn eine Transaktion möglicherweise nicht in den Anwendungsbereich der AWV fällt. Dies setzt allerdings voraus, dass sich die ausländischen Investoren überhaupt für Deutschland, auch vor dem Hintergrund der relativ langen Verfahrensfristen von bis zu sechs Monaten, als einen Investitionsstandort entscheiden.
Es bleibt – wie immer – abzuwarten, wie die Änderungen in der Praxis umgesetzt werden. Kürzere Verfahrensfristen und eine transparentere Verfahrensgestaltung wären sicherlich hilfreich, um die geplanten Verschärfungen abzufedern und den Investitionsstandort Deutschland nicht zu gefährden.
Dr. Dimitri Slobodenjuk, LL.M., RA, ist Counsel im Düsseldorfer Büro von Clifford Chance. Er berät in allen Bereichen des deutschen und europäischen Kartellrechts und ist außerdem auf Investitionskontrolle spezialisiert.