Im Blickpunkt
Von dem Grundsatz, dass Leiharbeitnehmer für die Dauer einer Überlassung Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt wie vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers haben (“equal pay”), kann nach § 8 Abs. 2 AÜG ein Tarifvertrag “nach unten” abweichen mit der Folge, dass der Verleiher dem Leiharbeitnehmer nur die niedrigere tarifliche Vergütung zahlen muss. Ein entsprechendes Tarifwerk hat der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) mit der Gewerkschaft ver.di geschlossen. Die Klage einer Leiharbeitnehmerin auf Zahlung einer Differenzvergütung blieb, ebenso wie jüngst die Revision vor dem Fünften Senat des BAG, erfolglos. Um unionsrechtliche Fragen zu klären, hatte der Senat zunächst mit Beschluss vom 16.12.2020 – 5 AZR 143/19 (A) – das Revisionsverfahren ausgesetzt und den EuGH um Vorabentscheidung von Rechtsfragen im Zusammenhang mit der von Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG (Leiharbeits-RL) verlangten, aber nicht näher definierten “Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern” ersucht. Diese hat der EuGH mit Urteil vom 15.12.2022 (C-311/21 – TimePartner Personalmanagement) beantwortet. Der Senat hat mit Urteil vom 31.5.2023 die Revision als unbegründet zurückgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf ein Arbeitsentgelt, wie es vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers erhalten. Aufgrund des, wegen beiderseitiger Tarifgebundenheit, auf das Leiharbeitsverhältnis Anwendung findenden Tarifwerks von iGZ und ver.di, war die Beklagte nach § 8 Abs. 2 S. 2 AÜG und § 10 Abs. 4 S. 1 AÜG a. F. nur verpflichtet, die tarifliche Vergütung zu zahlen. Dieses Tarifwerk genügt – im Zusammenspiel mit den gesetzlichen Schutzvorschriften für Leiharbeitnehmer – den Anforderungen der Leiharbeits-RL. Eine Schlechterstellung ist unter “Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer” zulässig. Dazu müssen, nach der Vorgabe des EuGH, Ausgleichsvorteile eine Neutralisierung der Ungleichbehandlung ermöglichen. Ein möglicher Ausgleichsvorteil kann die Fortzahlung des Entgelts auch in verleihfreien Zeiten sein, was das deutsche Recht und das in Rede stehende Tarifwerk berücksichtigen.
Prof. Dr. Christian Pelke, Ressortleiter Arbeitsrecht