Ende der Kameralistik: spannendster Zukunftsmarkt der Wirtschaftsprüferbranche
Nie gab es in der Bundesrepublik eine vergleichbare Situation: Bis 2011 müssen alle kommunalen Körperschaften in Deutschland ihr Rechnungswesen erneuern. Laut Beschluss der ständigen Innenministerkonferenz der Länder vom 21. 11. 2003 müssen die Kommunen spätestens bis 2011 von der Kameralistik auf die erweiterte Kameralistik oder die Doppik umzustellen (vgl. dazu Kußmaul/Henkes, StB 2005, 59 ff., 91 ff., 218 ff., 261 ff., 422 ff.). Ziel der Reform ist die wirtschaftliche Steuerung der öffentlichen Haushalte. Die “Jahrhundertreform” betrifft deutschlandweit 12 431 Gemeinden, 439 Landkreise und 26 Regierungsbezirke.
Für die deutschen Wirtschaftsprüfer ist die Doppik ein Glücksfall: Denn alle 13 000 Körperschaften müssen ihr Rechnungswesen reformieren, Eröffnungsbilanzen für ihre ehemals kameralen Haushalte aufstellen und prüfen lassen. Dazu kommt die Einführung von neuen EDV-Systemen in der Rechnungslegung, die modernen Anforderungen entsprechen, und nicht zuletzt die Einführung der Konzernrechnungslegung ab 2011 (vgl. dazu Kußmaul/Henkes, BB 2005, 2062 ff.). Der Reformprozess wird in einem Großteil der Gemeinden und Körperschaften von Wirtschaftsprüfern begleitet werden. Hier sind Prüfer mit einem speziellen Fachwissen für das kameralistische und kaufmännische Rechnungswesen gefordert. Die Umstellung auf die Doppik wird die IFRS-Einführung in den Schatten stellen.
Die Beratung bei der Umstellung stellt besondere Herausforderungen an die Wirtschaftsprüfer. Dazu gehören:
Erfahrung im Changemanagement,
ein ausgeprägtes IT-Verständnis und Know-how in der IT-Systemprüfung,
Fachwissen über den Steuerungsbedarf in Verwaltungen und deren Eigen- und Beteiligungsgesellschaften,
Erfahrung im Umfeld der Bilanzstrategie und der Haushaltssicherung und
Wissen über die kommunaltypischen Geschäftsvorfälle, die in der Privatwirtschaft nicht vorkommen/anzutreffen sind.
Nur wenige Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sind auf diese Herausforderung vorbereitet. Dabei geht es um den spannendsten Zukunftsmarkt der Branche. Eine Qualifizierungsoffensive ist notwendig, um für die kommunalen Körperschaften bundesweit eine qualitativ hochwertige Betreuung sicherzustellen. Auch WP-Praxen, die bisher keine Kommunen als Kunden haben, können hier tätig werden, denn der Konversionsprozess basiert weitgehend auf dem HGB. Dieses Feld darf nicht den Unternehmensberatungen überlassen werden, die derzeit oft ohne das notwendige Know-how in den Markt drängen.
Nach Berechnungen von Experten entsteht bundesweit ein Beratungsbedarf allein im Bereich der Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung mit einem Marktwert von 1,15 Mrd. Euro. Zu Grunde gelegt wurden die Größe der Gemeinden und der mit der Umstellung verbundene Beratungsaufwand. Zusätzlich kommen auf die Gemeinden Kosten für das interne Projektmanagement zu, die auf etwa denselben Betrag geschätzt werden, sowie Kosten für die Umstellung der IT-Systeme und der Software.
Den größten Hemmschuh der Reform bildet der Föderalismus. Jedes Bundesland entwickelt seinen eigenen Fahrplan. Während Nordrhein-Westfalen in der Umstellung auf die Doppik schon weit fortgeschritten ist, gibt es in Bundesländern wie Bayern und Baden-Württemberg noch nicht mal den dafür notwendigen gesetzlichen Rahmen. Dabei wäre eine einheitliche Vorgehensweise ein weiterer Meilenstein hin zu mehr Transparenz und interkommunaler Vergleichbarkeit.
Mit dem kaufmännischen Rechnungswesen erhalten die deutschen Gemeinden die modernste wirtschaftliche Steuerung, die derzeit möglich ist.
Die Gemeinden bekommen damit erstmalig einen Überblick über ihr Vermögen und ihre Schulden. Für die wirtschaftliche Steuerung der Gemeinden sind diese Informationen von größter Bedeutung. Viele Gemeinden, vor allem Städte, haben schon heute konzernähnliche Strukturen. Ein aktives Beteiligungscontrolling ist aber nur möglich, wenn die Bilanzen der öffentlichen Unternehmen und der öffentlichen Haushalte zusammenpassen. Die Einführung der Doppik ist damit der erste Schritt zur kommunalen Konzernrechnungslegung.
Wichtigster Schritt ist die Umstellung von der Input- zur Outputorientierung, um die Gemeinden zu befähigen, ihren Ressourcenverbrauch zu ermitteln. Nur so sind Gemeinden zukünftig in der Lage, für intergenerative Gerechtigkeit zu sorgen. Denn mit der Doppik kann vermieden werden, dass die öffentlichen Haushalte auf die Kosten der nachfolgenden Generation leben.
Die Umstellung auf die kaufmännische Buchführung ist wesentlicher Teil der in den 90er Jahren begonnenen Verwaltungsreform. Sie ist eine Reaktion auf die Krise der öffentlichen Haushalte.
Diese Entwicklung können die deutschen Wirtschaftsprüfer aktiv mitgestalten. Dabei steht der Fortschritt für die Gemeinden im Vordergrund. Für mich persönlich ist die Einführung der Doppik eine echte Revolution. Es steht zu hoffen, dass viele Wirtschaftsprüfer die Chance ergreifen, diesen Prozess zum Wohle der Kommunen aktiv mitzugestalten.
Martin Wambach, Rödl & Partner, Nürnberg