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BB 2018, I
Weitzmann 

ESUG-Evaluation: Umfangreiche Ansätze zur Verbesserung des Gesetzes

Abbildung 1

Bei Inkrafttreten des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) hatte der Gesetzgeber bereits angekündigt, das Gesetz nach fünf Jahren evaluieren zu lassen. Die Aufarbeitung der Erkenntnisse der jetzt vorgestellten ESUG-Evaluation in ihrer Langfassung bedeutet das “Bohren dicker Bretter”. Die Verbesserung des Sanierungsrechts ist es wert, sich dieser Aufgabe zu stellen.

Insolvenzrecht ist “Kollisionsrecht”. Wenn der Schuldner nicht mehr in der Lage ist, alle seine Verpflichtungen ordnungsgemäß zu erfüllen, kann die Befriedigung der Gläubiger nicht mehr im Wege der Einzelzwangsvollstreckung erfolgen. Es erfolgt der Übergang in die Gesamtvollstreckung. Auch wenn die Abwicklung nun nach dem Insolvenzzweck erfolgen muss, heißt dies nicht, dass die Beteiligten gleichgerichtete Interessen haben. Im Gegenteil: Sie verfolgen häufig unterschiedliche, in der Regel höchst eigensinnige Interessen. Das Insolvenzrecht führt als Kollisionsrecht zur Ordnung und zum Ausgleich der unterschiedlichen, nun nicht mehr vollständig zu berichtigenden Ansprüche.

Die Aussage der ESUG-Evaluation, dass “sich die Gesellschafter und Geschäftsleiter strategisch zu Ungunsten der Gläubiger verhalten”, ist deshalb für die einen eine “Binse”, für die anderen eine an “political incorrectness” grenzende Aussage. Gleichwohl beleuchtet sie den wesentlichen Kern der rechtspolitischen Auseinandersetzung. Krise und Insolvenz bewirken einen “Rule Change”. Es stellt sich die Frage, wer an diesem “Rule Change” wie partizipieren kann, soll und darf, also wer Teil des Problems und wer Teil der Lösung ist.

Volkswirtschaftlich effiziente Märkte setzen voraus, dass ein Marktpreis auf Grundlage der allen Beteiligten zur Verfügung stehenden Informationen transparent und diskriminierungsfrei gebildet werden kann. Tatsächlich sind die Distressed-Debt-Märkte häufig höchst ineffiziente Märkte in dem Sinne, dass der Marktpreis nicht alle vorhandenen Informationen widerspiegelt, und die Akteure nicht unbedingt rational handeln.

Dies ist die Grundlage für die Forderungen nach der Bestellung eines unabhängigen Sachwalters, der mit weitergehenden Befugnissen ausgestattet wird und der weitere Einbindungs- und Prüfungsmöglichkeiten erhält, und der Stärkung der Insolvenzgerichte.

Bei primär “schuldner(berater)getriebenen” Insolvenzen und/oder denen, die nur knapp die Mindestwerte des § 22a Abs. 1 InsO (6 Mio. Bilanzsumme, 12 Mio. Umsatzerlöse, 50 Arbeitnehmer) überstiegen, stellt die Studie vermehrt auch Missbräuche oder “Fehlvorstellungen” fest.

Will ein Unternehmen die Gläubiger davon überzeugen, dass es selbst in der Lage ist, den Turnaround zu schaffen und die erforderliche Ertragskraft wiederherzustellen, muss es in der Vergangenheit unter Beachtung des Legalitätsprinzips geführt worden sein. Dazu gehört insbesondere, dass die Unternehmensführung den handels- und steuerrechtlichen Pflichten nachgekommen ist, Löhne und Sozialabgaben pünktlich gezahlt hat und das Unternehmen planmäßig, d. h. unter Einbeziehung von Planrechnungen, Forecast etc. geführt wird.

Das Unternehmen muss belegen, dass Eigenverwaltungswürdigkeit, -eignung und -wille gegeben sind. Dabei hat es sich als zweckmäßig erwiesen, wenn es zuvor einen sanierungserfahrenen Chief Restructuring Officer (CRO) mit umfassender Bevollmächtigung in die Geschäftsleitung aufgenommen hat. Nur wenn die Krisenursachenanalyse (ergebnis)offen, schonungslos und belastbar ist und nicht nur die wirtschaftlichen Verursachungsbeiträge, sondern auch soziale und gesellschafter-/stakeholderbezogene Einflüsse einbezogen werden, kann sie Grundlage für eine entsprechende Beordnung sein. Neben der Professionalität und Fachkunde ist deshalb auch die Unabhängigkeit der Beteiligten gefordert.

Eigenverwaltung bedeutet Restrukturierung unter dem Rechtsrahmen der Insolvenzordnung, insbesondere mit dem Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung.

Die Gläubigerbefriedigung wird nicht nur über eine Realisierung der leistungswirtschaftlichen Wertschöpfungspotenziale, sondern auch durch aufwandseffiziente und -effektive Abwicklung gesteigert. Hier weist die Studie darauf hin, dass es im Schrifttum teilweise als ausgemacht gelte, dass die Eigenverwaltung teurer als die Regelverwaltung sei. Vieles was an Know-how beim Insolvenzverwalter vorliege, müsse eingekauft werden. Darüber hinaus könne eine gewisse Neigung bestehen, zu Lasten der Masse Beratungsaufträge zu erteilen, die sonst bei der Regelverwaltung im Insolvenzverwalterbüro inhouse erledigt würden. Absprachen über die Kosten könnten Zweifel an der erforderlichen Unabhängigkeit begründen, insbesondere wenn es an Transparenz und Nachvollziehbarkeit fehlt.

Für die erforderlichen Änderungen gibt die Evaluation die Roadmap.

Aus den Ergebnissen der Evaluation ist daher insbesondere festzuhalten:

  • Informationsasymmetrien müssen durch eine entsprechende Transparenz und Unabhängigkeit vermieden werden.

  • Die Anforderungen an das schuldnerische Unternehmen, nachzuweisen, dass die Beteiligten auch Teil der Lösung und nicht nur Teil des Problems sein können, müssen konkretisiert werden.

  • Die Stellung des (vorläufigen) Sachwalters sollte vor dem Hintergrund der erkannten Defizite angepasst und erweitert werden können, insbesondere wenn die Schuldnerin nicht über einen fachkundigen CRO verfügt.

  • Die Gläubigerrechte sollten durch eine Verstärkung der Rechte der einzelnen Gläubigerausschussmitglieder erweitert werden.

  • Das Insolvenzgericht als wesentliches Aufsichts- und Kontrollorgan sollte personell und sachlich entsprechend ausgerüstet und gestärkt werden. Dieses gilt auch für die Beschwerdekammern, von denen zeitnahe Entscheidungen erwartet werden müssen.

Jörn Weitzmann, RA/FAInsR/FAStR, ist Partner der Kanzlei Kilger & Fülleborn. Seine Tätigkeitsschwerpunkte bilden u. a. die Sanierungs- und Restrukturierungsberatung, CRO Management, Insolvenzverwaltung, Betriebsfortführung und die Vertretung von Gläubigern, auch in Gläubigerausschüssen. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein (DAV).

 
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