Dreifach “Wumms” – das SanInsKG ist da!
Der gute Wille des Gesetzgebers ist erkennbar, die Grundprobleme vieler Unternehmen lösen die temporären Änderungen des SanInsKG allerdings nicht.
Die aktuelle Energiekrise zwingt den deutschen Staat zum Handeln – und das nicht nur in finanzieller Hinsicht. Wie so oft in Krisensituationen (ob Finanzkrise, Hochwasser oder Corona-Pandemie) bleibt auch das Sanierungs- und Insolvenzrecht nicht unangetastet. So hat der Gesetzgeber vor wenigen Tagen eine vorübergehende Anpassung des Sanierungs- und Insolvenzrechts beschlossen und das “Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen” (kurz: SanInsKG) verabschiedet. Das SanInsKG, welches auf dem im Jahr 2020 zur Bewältigung der Corona-Pandemie erlassenen CovInsAG beruht, hat zum erklärten Ziel, finanziell “in ihrem Kern gesunde” und langfristig überlebensfähige Unternehmen auch in rechtlicher Hinsicht zu entlasten. Zur Erreichung dieses Ziels sieht es folgende temporären Änderungen der bisherigen Rechtslage vor:
Erstens wird bis zum 31.12.2023 der für die Bewertung der Fortführungsprognose im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung (§ 19 InsO) maßgebliche Betrachtungszeitraum von aktuell zwölf auf vier Monate reduziert. Das bedeutet, dass ein Unternehmen künftig bereits dann nicht überschuldet im insolvenzrechtlichen Sinn ist, wenn seine Durchfinanzierung für zumindest vier Monate gesichert ist. Nach Ansicht des Gesetzgebers ist diese Verkürzung nötig, da aufgrund der aktuellen Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit den massiven Preisschwankungen auf dem Energiemarkt, viele Unternehmen nicht verlässlich über diesen Horizont hinaus in die Zukunft planen können. Ein vorsichtiger Geschäftsführer könnte sich andernfalls unter Umständen gezwungen sehen, vorschnell einen Insolvenzantrag zu stellen, obwohl das Unternehmen “im Kern gesund” ist. Das müsse zwingend vermieden werden. Interessant ist, dass der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang auf jegliche Kausalität zwischen den Auswirkungen der Energiekrise und der Unmöglichkeit der Zukunftsplanung verzichtet. Es kommen also auch Unternehmen in den Genuss der Privilegierung, deren Probleme gar nichts mit der Energiekrise zu tun haben und ggf. auf ganz anderen Ursachen beruhen (z. B. Missmanagement). Was vom Gesetzgeber gut gemeint ist, kann daher auch durch “im Kern ungesunde” Unternehmen ausgenutzt werden. Der Gesetzgeber könnte sich daher in Zukunft durchaus dem Vorwurf ausgesetzt sehen, “aktive Beihilfe zur Verlängerung des Todeskampfs” einiger Unternehmen geleistet zu haben. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang weiter, dass die beschlossene Änderung auch auf die Vergangenheit ausstrahlen kann. Ist ein Unternehmen aktuell bereits überschuldet, fällt die Überschuldung weg, sofern es jetzt zumindest vier Monate finanziell überbrücken kann. Unternehmen, die auf Basis einer Überschuldung bereits Insolvenzantrag gestellt haben und sich in einem Insolvenzeröffnungsverfahren befinden, können den selbst gestellten Antrag zudem zurücknehmen. Ein bemerkenswerter Nebeneffekt.
Flankierend zu der erstgenannten Maßnahme sieht das SanInsKG zudem eine Verlängerung der Insolvenzantragsfrist im Fall der Überschuldung von derzeit sechs auf acht Wochen vor. Der Charakter als Höchstfrist, die nur unter engen Voraussetzungen voll ausgeschöpft werden kann, bleibt dabei unberührt. Ob diese Verlängerung in der Praxis wirklich einen großen Unterschied macht, ist zu bezweifeln. Wer in sechs Wochen (während derer nach wie vor auf sogenannte “Notgeschäftsführung” umzustellen ist) seine Probleme nicht gelöst bekommt, wird es häufig auch nicht in acht Wochen schaffen. Den guten Willen des Gesetzgebers lässt die Änderung aber zweifelsfrei erkennen.
Als dritte Maßnahme hat sich der Gesetzgeber schließlich für eine Verkürzung der Finanzplanungszeiträume im Zusammenhang mit der Eigenverwaltung nach der InsO und der Anordnung einer Stabilisierungsanordnung (z. B. Vollstreckungssperre) nach dem StaRUG entschieden. Die Inanspruchnahme beider “Instrumente” ist derzeit nur möglich, wenn der dies beantragende Schuldner nachweist, dass seine Durchfinanzierung für mindestens sechs Monate gesichert ist. Dies muss er mit einem belastbaren Finanzplan zur Überzeugung des Gerichts darlegen. Durch das SanInsKG wird der Planungszeitraum auf vier Monate reduziert.
Abgesehen von diesen drei genannten Maßnahmen sieht das SanInsKG keine weiteren Änderungen vor. Insbesondere der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit bleibt unangetastet – anders noch das CovInsAG, welches unter bestimmten Voraussetzungen eine Pflicht zur Insolvenzantragstellung auch bei diesem ausschloss. Das ist zu begrüßen, da auf dem Markt auch nur solche Unternehmen agieren sollten, die ihre kurzfristigen Verbindlichkeiten bedienen können. Alles andere wäre fatal und könnte Vertrauen unter den Marktteilnehmern nachhaltig zerstören. Das wäre vermutlich ein noch größeres Übel als die Energiekrise selbst. Auch weitere Privilegierungen, wie sie das CovInsAG im Bereich der Kreditgewährung in der Krise oder bei der Insolvenzanfechtung vorsah, gibt es im SanInsKG nicht.
Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass der Gesetzgeber es gut meint. Erleichterungen beim zwingenden Insolvenzantragsgrund der Überschuldung, den es in vielen anderen Ländern in der Form nicht gibt, sind ohnehin grundsätzlich als “milderes Mittel” einzustufen und es ist zu begrüßen, dass der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit nicht angetastet wurde. Die aktuellen Probleme vieler Unternehmen liegen aber ohnehin tiefer. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass insbesondere aufgrund des fehlenden Kausalitätserfordernisses bei der Überschuldungsprüfung auch “im Kern ungesunde” und unrentable Unternehmen von den Gesetzesänderungen mit profitieren und sich dadurch die vermutlich ohnehin schon gestiegene Zahl von “Zombie-Unternehmen” auf dem Markt noch weiter erhöht. Der gute Wille des Gesetzgebers ist erkennbar, die Grundprobleme vieler Unternehmen lösen die temporären Änderungen allerdings nicht.
Prof. Dr. Artur M. Swierczok, LL.M. (UCL), MSt. (Oxford), RA, ist als Counsel in der Kanzlei Baker & McKenzie in Frankfurt a. M. im Bereich Restrukturierung & Insolvenz tätig. Er berät deutsche und internationale Unternehmen, Gesellschafter, Gläubiger und sonstige Stakeholder umfassend zu allen restrukturierungs- und insolvenzrechtlichen Fragestellungen. Er ist Professor für Recht an der IU Internationale Hochschule und Mitglied des Herausgeberbeirats der Zeitschrift International Corporate Rescue (ICR). Zudem ist er Autor zahlreicher Fachpublikationen zum Thema Restrukturierungs- und Insolvenzrecht.