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BB 2020, I
Rath 

Das COVID-19-Insolvenz-Aussetzungsgesetz – wichtige Erleichterungen in der coronabedingten Krise, aber kein Allheilmittel

Abbildung 1

Nachdem Deutschland zunehmend von der COVID-19-Pandemie betroffen ist, benötigt nicht nur die Medizin dringend ein Gegenmittel, sondern auch die Wirtschaft. Das rückwirkend zum 1. März 2020 in Kraft getretene COVID-19-Insolvenz-Aussetzungsgesetz (COVInsAG) soll die Folgen der Pandemie im Bereich des Insolvenzrechts abmildern.

Durch den faktischen Stillstand des Wirtschaftslebens sind die negativen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Liquiditätslage auch gesunder Unternehmen mit solidem Geschäftsmodell bereits jetzt gravierend. Die konkreten konjunkturellen Entwicklungen können aktuell noch nicht ansatzweise abgesehen werden. Diese Unwägbarkeiten sind mit der straf- und haftungsbewährten Insolvenzantragspflicht für Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Gesellschaften von max. drei Wochen ab Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung schwer vereinbar.

Zentrale Regelung des COVInsAG ist daher die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September 2020. Die Aussetzung gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Vielmehr besteht die Antragspflicht weiterhin, wenn die Insolvenz nicht auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht oder wenn keine Aussicht auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit besteht. Den Geschäftsleitern kommt allerdings die gesetzliche Vermutung zugute, dass bei bestehender Zahlungsfähigkeit zum 31. Dezember 2019 davon auszugehen ist, dass die spätere Insolvenzreife pandemiebedingt war und Aussichten auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestehen. Diese gesetzliche Vermutung hilft, die Unschärfen hinsichtlich des Nachweises der Kausalität und der Prognostizierbarkeit der weiteren Entwicklungen zu relativieren. Sie ist im Lichte der ausdrücklich erwähnten Intention des Gesetzgebers zu sehen, den Antragspflichtigen von Nachweis- und Prognoseschwierigkeiten effektiv zu entlasten und an die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung “höchste Anforderungen” zu stellen. Zudem werden flankierend Gläubigerinsolvenzanträge eingeschränkt. Ein zwischen dem 28. März und dem 28. Juni 2020 gestellter Gläubigerantrag setzt voraus, dass der Eröffnungsgrund bereits am 1. März 2020 vorlag.

Die Suspendierung der Antragspflicht wird ergänzt durch weitergehende Regelungen, um die vielschichtigen Haftungs- und Insolvenzanfechtungsrisiken von Geschäftsleitern, Finanzierern und sonstigen Vertragspartnern einzugrenzen und so die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs zu erleichtern. So wird das Haftungsrisiko für Geschäftsleiter dadurch begrenzt, dass Zahlungen während des Aussetzungszeitraums, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar gelten. Finanzierer werden entlastet, indem die Rückgewähr sowie Besicherung von Neudarlehen als nicht gläubigerbenachteiligend gelten soll und die Neukreditvergabe und Besicherung auch nicht als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung zu qualifizieren ist. Auch Gesellschafterdarlehen genießen in gewissem Umfang Schutz. Um schließlich die Bereitschaft von Geschäftspartnern betroffener Unternehmen zur Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung zu erhöhen, ist eine Anfechtung von Rechtshandlungen während des Aussetzungszeitraums ausgeschlossen. Das gilt aber nur, sofern nicht dem anfechtenden Insolvenzverwalter der Nachweis gelingt, dass dem Empfänger der Leistung die fehlende Geeignetheit der Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bekannt war.

Ohne dieses Gesetz wäre bereits jetzt eine Welle von Insolvenzanträgen an sich gesunder Unternehmen zu befürchten. Insofern ist die Suspendierung der Antragspflicht im aktuellen Umfeld eine sinnvolle Maßnahme, zumal auch viele Gerichte aktuell zu einem eingeschränkten Betrieb übergegangen sind. Die nun umgesetzten Maßnahmen dürfen jedoch nicht als Freifahrtschein missverstanden werden, bis zum 30. September 2020 ohne Haftungsrisiko agieren zu können. Vielmehr ist eine kontinuierliche kritische Bewertung der Handlungsoptionen unumgänglich. Dies betrifft Geschäftsleiter, Finanzierer und Vertragspartner gleichermaßen. Für Lieferanten mag es auf den ersten Blick trotz der anfechtungsrechtlichen Erleichterungen sicherer erscheinen, Vorkasse zu fordern. Allerdings bindet das bei betroffenen Unternehmen zusätzlich Liquidität und könnte künftige Aufträge gefährden. Für Geschäftsleiter ist eine realistische Einschätzung der Liquiditätsentwicklung unverzichtbar. Wer etwa Verpflichtungen eingeht in Kenntnis der Unfähigkeit, diese später erfüllen zu können, dem droht eine Haftung wegen Betruges. Unter Umständen kann es daher trotz Aussetzung der Antragspflicht empfehlenswert sein, den Weg eines (Schutzschirm-)Insolvenzverfahrens zu wählen, um z. B. vom Insolvenzgeld zu profitieren und vor Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen geschützt zu sein.

Es wäre illusorisch zu glauben, dass durch das COVInsAG “COVID-19-bedingte” Insolvenzen per se vermieden werden können. Es wird zu vielen zeitlich verzögerten Insolvenzen kommen. Aber einigen Unternehmen gibt das Gesetz den nötigen zeitlichen Spielraum, um sich wieder zu erholen und damit die Kurve coronabedingter Insolvenzen abzuflachen.

Regina Rath, RAin, ist Partnerin in der Restrukturierungs- und Insolvenzrechtspraxis bei Norton Rose Fulbright in Frankfurt a. M. Sie berät zu allen Bereichen des deutschen und europäischen Insolvenzrechts, häufig mit grenzüberschreitendem Bezug. Zu ihren Mandanten zählen insbesondere Schuldnerunternehmen und deren Vertretungsorgane, Darlehensgeber und sonstige Gläubiger, Gesellschafter, strategische Investoren sowie Debt- und Hedge-Fonds.

 
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