Caveat venditor – Augen auf beim Unternehmensverkauf!
Das Risiko, die maßgeblichen Umstände für die Kaufentscheidung nicht zu erfassen und innerhalb des vertraglich vereinbarten Haftungsregimes abzusichern, trägt partiell der Verkäufer.
Der Unternehmenskauf ist eine Domäne der Kautelarjurisprudenz. Wochen- oder monatelange Verhandlungen der Parteien münden in den Unternehmenskaufvertrag. In ihm vereinbaren die Parteien das von ihnen gewünschte Haftungsregime. Kernbestandteile dieses Regimes sind insbesondere Garantien und Freistellungen, dazu maßgeschneiderte Rechtsfolgenregelungen und ein weitest möglicher Ausschluss der gesetzlichen Ansprüche; der Käufer trägt typischerweise das Risiko, im Rahmen des M&A-Prozesses die für seine Kaufentscheidung maßgeblichen Umstände zu erfassen. Hierfür führt er eine Due Diligence durch. Caveat emptor!
Eine Reihe von Entscheidungen, zuletzt die des BGH vom 15.9.2023 (V ZR 77/22, BB 2023, 2573 mit BB-Komm. Schöne/Laufenburg), verdeutlichen, wie schnell dieses privatautonome Regime durchbrochen zu werden droht. Einfallstor sind “gesteigerte” Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten, die bei ihrer vorsätzlichen Verletzung zu einer unbeschränkten Haftung des Verkäufers und schlimmstenfalls zum “GAU” – einer Rückabwicklung des Kaufvertrags – führen können. Der vertraglich vereinbarte Ausschluss gesetzlicher Ansprüche kommt bereits dann nicht zum Tragen, wenn sich der Verkäufer bedingt vorsätzlich verhält. Die Grenze zum bedingten Vorsatz kann rasch überschritten sein, manchmal schneller, als es einem Verkäufer bewusst ist. Das Feld möglicher Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten ist schon bislang weit und wurde durch die BGH-Entscheidung vom 15.9.2023 noch einmal erweitert:
1. So muss, auch bislang, der Verkäufer zunächst auf ausdrückliche Nachfragen des Käufers (etwa im Rahmen der Q&A) – wenn er sich für deren Beantwortung entscheidet, wozu er grundsätzlich nicht verpflichtet ist – die richtige Antwort geben (Louven, Unternehmenskaufvertrag, 2021, Rn. 283 m. w. N.). Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, erfordert angesichts der in einem M&A-Verkaufsprozess typischerweise zu beobachtenden Flut von Informationen und der schnell unübersichtlich großen Zahl involvierter Personen aber eine besonders sorgfältige Behandlung von mündlichen oder schriftlichen Informationsanfragen des Käufers.
2. Der Verkäufer muss, auch das ist nicht neu, ungefragt aufklären, wenn der Käufer nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung redlicherweise Aufklärung erwarten durfte. Er unterliegt beim Unternehmenskauf einer “gesteigerten Aufklärungspflicht”. Das ist der Fall, wenn die offenzulegenden Umstände den Vertragszweck des Käufers vereiteln können und daher für dessen Kaufentschluss von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er die Aufklärung nach der Verkehrsauffassung redlicherweise erwarten konnte. Die Konturen dieser Aufklärungspflicht sind für den Verkäufer gefährlich unscharf. Auch zum Schutz vor unbegrenzter Haftung ist es jedem Verkäufer grundsätzlich zu empfehlen, im Zweifel aufzuklären.
3. Aufklärungspflichten können, was die Entscheidung des BGH vom 15.9.2023 in Erinnerung ruft, auch durch im Unternehmenskaufvertrag abgegebene Wissenserklärungen oder vertragliche Garantien zu spezifischen Themen des Verkäufers begründet werden. Denn durch solche Wissenserklärungen oder Garantien kann, über ihren Wortlaut hinaus, bei dem Käufer ein überschießender falscher Eindruck erweckt werden, den der Verkäufer durch Aufklärung zu beseitigen hat (so im Fall OLG München, 13.6.2012 – 20 U 5102/11, BeckRS 2013, 7076 der Eindruck, an die Mitarbeiter der Zielgesellschaft würden ausschließlich offizielle, durch schriftliche Unterlagen belegbare Gehälter gezahlt). Der Verkäufer ist daher gut beraten, sich bei der Formulierung und Verhandlung der Garantien zu fragen, welches Ziel der Käufer mit der Garantie erreichen will und ob der Wortlaut der Garantie, vor dem Hintergrund dieses Zieles, einen falschen Eindruck erwecken kann.
4. Seine Aufklärungspflichten kann der Verkäufer grundsätzlich auch dadurch erfüllen, dass er dem Käufer die Gelegenheit gibt, eine Due Diligence durchzuführen. Das war bislang zwar schon herrschende Meinung, aber nicht unumstritten (vgl. Louven, Unternehmenskaufvertrag, 2021, Rn. 289 ff. m. w. N.). Auch dem setzt der BGH in seiner Entscheidung vom 15.9.2023 allerdings Grenzen. Ob ergänzende Aufklärungspflichten bestehen, wird maßgeblich durch die Umstände des Einzelfalls bestimmt. Dadurch werden die Konturen für den Verkäufer unscharf. Die Eckpfeiler der Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen:
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Die bloße Offenlegung im Datenraum genügt nicht per se.
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Vielmehr muss der Verkäufer prüfen, ob seine Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Käufer den offenbarungspflichtigen Umstand wahrnehmen und in seine Kaufentscheidung einbeziehen wird (BB 2023, 2573, Rn. 33).
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Kriterien für diese Prüfung sind insbesondere: die Geschäftserfahrenheit des Käufers (Rn. 38), die Geschäftserfahrenheit des Beraterteams des Käufers (Rn. 38), die Qualifikation und Sachkunde der vom Käufer für die Due Diligence hinzugezogenen Personen (Rn. 37), die Funktionalität des Datenraums (z. B. Benachrichtigung über neu eingestellte Dokumente, Suchfunktion, etc.) (Rn. 38) und der Umfang und die inhaltliche Struktur des Datenraums (Systematik, Name der Dateien, etc. (Rn. 38).
Damit begründet der BGH letztlich neue Sorgfaltspflichten für den Verkäufer, der, will er sicher (also auch für den Fall eines späteren Vorwurfs zumindest bedingt vorsätzlichen Verhaltens) seine Aufklärungspflichten erfüllen, insbesondere zu Beginn der Due Diligence Umfang, Struktur und Funktionalität des Datenraums und während der Due Diligence fortwährend prüfen muss, welche Personen mit welcher Qualifikation vom Käufer eingesetzt werden und in welchen Umfang diese Personen relevante Bereiche des Datenraums einsehen. Caveat venditor!
Dr. Christoph Louven, RA, praktiziert im Düsseldorfer Büro der Hogan Lovells International LLP. Er berät, neben seiner Begleitung von Unternehmenskäufen und gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen, Unternehmen und Unternehmensorgane in Fragen der Corporate Governance. Der Beitrag gibt seine persönliche Auffassung wieder.