Bettensperrungen in Krankenhäusern durch Gewerkschaften?
Eine Gewerkschaft ist nicht berechtigt, einseitig Bettensperrungen anzuordnen.
Streiks in Krankenhäusern sind Operationen am offenen Herzen. Jede Arbeitskampfmaßnahme hat Auswirkungen auf die Versorgung von Patienten und kann deren Gesundheit und Leben gefährden. Dementsprechend sind die Tarifvertragsparteien gehalten, sich vor Streikbeginn über Notdienstvereinbarungen zu verständigen. In diesen können die im Streikfalle aufrecht zu erhaltenden Mindestbesetzungen festgelegt werden. So kann – in verfassungsrechtlicher Diktion – den widerstreitenden Grundrechten aus Art. 9 Abs. 3 und Art. 2 Abs. 2 GG bestmöglich zur Geltung verholfen werden.
Nicht selten scheitern derartige Notdienstvereinbarungen allerdings. Dies ist bisweilen darauf zurückzuführen, dass man sich nicht auf erforderliche Besetzungsregelungen verständigen kann. Insbesondere kommen Notdienstvereinbarungen aber oft deshalb nicht zustande, weil die Gewerkschaft ver.di deren Abschluss regelmäßig davon abhängig macht, dass sich der Umfang der Patientenversorgung bei hoher Streikbereitschaft reduziert. In den ver.di-Mustervereinbarungen finden sich seit mehreren Jahren Regelungen, wonach bei erhöhter Streikbereitschaft in einzelnen Stationen oder Bereichen nach einer Vorankündigungsfrist von einzelnen Tagen die Bettenkapazitäten zu reduzieren und nach einer geringfügig längeren Vorankündigungsfrist ganze Stationen oder Bereiche zu schließen sind. Die zuvor vereinbarte Notdienstbesetzung soll sich dann entsprechend verringern.
Noch weiter ging ver.di jüngst im Rahmen von Streikmaßnahmen in einem Akutkrankenhaus im Nordosten Deutschlands. Hier verlangte die Gewerkschaft eine Regelung, wonach – unabhängig von der Streikbereitschaft – die Bettenanzahl deutlich vermindert wird, und zwar am ersten Streiktag um 10 %, am zweiten Streiktag um 30 % und am dritten Streiktag um 40 %.
Die Gewerkschaft meint, dass sie ohne derartige Beschränkungen nicht in der Lage sei, ausreichend Druck auf die Arbeitgeberseite auszuüben. Sie stört sich daran, dass – auch in Anbetracht des Pflegekräftemangels – die Zahl ihrer Mitglieder, die nicht für Notdienste benötigt werden und demnach streiken dürfen, ohnehin nur gering sei. Zudem verweist ver.di auf das Pflichtbewusstsein vieler Pflegekräfte, die auch in Streiksituationen ihre Patienten nicht im Stich lassen wollten. Ohne zusätzliche Maßnahmen seien Streikmaßnahmen demnach nicht ausreichend wirkungsvoll.
Hingegen ist eine Gewerkschaft nicht dazu berechtigt, einseitig Bettensperrungen anzuordnen.
Eine solche Bettensperrung ist nichts anderes als eine gewerkschaftsseitige Betriebs(teil)stilllegung. Im Rahmen der Unternehmerfreiheit nach Art. 12, 14 GG obliegt die Entscheidung, ob und inwieweit – ggf. als Reaktion auf Arbeitskampfmaßnahmen – Betriebe oder Betriebsteile geschlossen werden, ausschließlich der Arbeitgeberseite. Die Gewerkschaft kann und darf kein zusätzliches Druckpotential ausüben, indem sie sich die arbeitgeberseitigen Rechte aneignet. Ansonsten würde ein neues gewerkschaftliches Kampfmittel geschaffen, das völlig losgelöst von einer kollektiven Beteiligung wäre.
Dieser Begründung ist auch das LAG Mecklenburg-Vorpommern mit Urteil vom 9.7.2024 – 4 GLa 3/24, n. v., gefolgt, mit welchem es die erstinstanzliche Anordnung der gewerkschaftsseitig geforderten Bettensperrungen aufgehoben hat.
Damit besteht Klarheit dahingehend, dass die gewerkschaftlichen Versuche, Streikauswirkungen durch einseitige Betten- oder Stationsschließungen zu verschärfen, gescheitert sind.
Es bleibt aber bei sich regelmäßig wiederholenden Streitigkeiten über den Umfang von Notdiensten. Die Arbeitsgerichte sind hier in einer schwierigen Situation. Sie müssen zügig entscheiden, damit weitreichende Folgen während bereits laufender Streikmaßnahmen verhindert werden; kein Richter will gravierende Auswirkungen auf Patienten durch streikbedingt unterbliebene Versorgung zu verantworten haben. Sie können aber häufig in der Kürze der Zeit nur schwer beurteilen, welche konkreten Besetzungen zur Vermeidung von Gefährdungen erforderlich sind.
Andere Länder haben für Streikmaßnahmen in Krankenhäusern klare Regelungen zum Schutz von Patienten geschaffen. In Deutschland wagt sich der Gesetzgeber nicht einmal an eine Teilkodifizierung des Arbeitskampfrechts in diesem Bereich heran. Dabei ist es nicht schwierig, Rechtssicherheit in einer Weise zu schaffen die sowohl der Koalitionsfreiheit als auch der Gesundheit und dem Leben von Patienten Rechnung trägt:
So sollten die Tarifvertragsparteien dazu verpflichtet werden, sich vor Streikbeginn auf eine Notdienstvereinbarung zu einigen. Wo eine solche Einigung nicht gelingt, sollte eine neutrale Stelle in einem strukturierten Verfahren auf Antrag einer Seite verbindlich über Art und Umfang von Notdiensten entscheiden; dies könnte im Rahmen eines besonderen Notdienst-Schlichtungsverfahrens oder auch eines gerichtlichen Eilverfahrens geschehen. Erst nach Festlegung der Notdienste dürften Streikmaßnahmen eingeleitet werden.
Ergänzend wäre daran zu denken, eine obligatorische Schlichtung über den Tarifkonflikt selbst vor der Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen anzuordnen. Führt das Schlichtungsverfahren zu keiner Einigung, könnten darin zumindest die Notdienste für den bevorstehenden Arbeitskampf festgelegt werden.
Zuletzt könnten Ankündigungsfristen dazu genutzt werden, dringend notwendige Operationen oder Behandlungen vorzuverlegen oder Patienten an andere Krankenhäuser zu verlegen.
Bis auf Weiteres bleibt es aber dabei, dass jedenfalls im Gesundheitsbereich Streikmaßnahmen nahezu immer mit Streitigkeiten über Notdienste einhergehen.
Thomas Ubber, RA/FAArbR, ist Partner bei Allen Overy Shearman Sterling LLP in Frankfurt am Main und verfügt über langjährige Erfahrungen in allen Bereichen des Arbeitsrechts. Er berät Unternehmen insbesondere auf den Gebieten des Tarif- und Arbeitskampfrechts.