Befristungsrecht: Warten auf den Gesetzgeber
Die Zahl befristeter Arbeitsverträge hat sich trotz Fachkräftemangel erhöht. Nach der aktuellen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hatten im Jahr 2017 rund 3,15 Mio. oder 8,3 % der Beschäftigten einen befristeten Arbeitsvertrag. Gegenüber 2016 betrug der Zuwachs knapp 300 000. Davon ist die Hälfte sachgrundlos befristet. Steigt die Zahl der befristeten Arbeitsverträge, nimmt auch die Zahl gerichtlicher Auseinandersetzungen zu. Das entspricht der Lebenserfahrung und wäre an sich keiner Erwähnung wert.
Bedeutung erhält die dargestellte Datenlage jedoch durch die Rechtsprechung. Höchstrichterliche Entscheidungen sorgen für Unsicherheiten in der Beurteilung der Erfolgsaussicht in diesen Rechtsstreitigkeiten. Die arbeitsrechtliche Praxis benötigt jedoch eine klare Orientierung.
Nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG ist eine sachgrundlose Beschäftigung nicht zulässig, “wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat”. Dieses an sich eindeutige Verbot der Anschlussbeschäftigung legte der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts 2011 korrigierend aus. Danach stünde “eine frühere Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht entgegen, wenn diese mehr als drei Jahre zurückliegt”. Die Rechtswissenschaft kritisierte diese die Grenzen der “Auslegung” überschreitende Rechtsprechung. Viele Instanzgerichte schlossen sich der Kritik an. Dem folgte am 6.6.2018 auch das Bundesverfassungsgericht (1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14). Es entschied über eine Verfassungsbeschwerde, die gegen eine vom BAG verweigerte Zulassung der Revision eingelegt worden war. Außerdem entschied es über eine vom Arbeitsgericht Braunschweig vorgelegte konkrete Normenkontrolle. Das BVerfG fand deutliche Worte: “richterliche Rechtsfortbildung (dürfe) den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht übergehen und durch ein eigenes Regelungsmodell ersetzen”. Damit gilt wieder der Wortlaut des Gesetzes: Eine Vorbeschäftigung als Arbeitnehmer steht einer sachgrundlosen Befristung entgegen.
Allerdings hat das BVerfG den Fachgerichten noch einen Prüfauftrag erteilt. Die starre gesetzliche Regelung wäre überschießend, wenn in das Vorbeschäftigungsverbot auch frühere Arbeitsverhältnisse einbezogen werden würden, die sehr lang zurückliegen, ganz anders geartet waren oder nur von sehr kurzer Dauer gewesen sind. Das kann auf insbesondere geringfügige Nebenbeschäftigungen während der Schul- und Studienzeit zutreffen. Offengelassen wurde, ob Arbeitgeber sich bei Altfällen bereits abgeschlossener Befristungen nach mehr als drei Jahren zurückliegender Vorbeschäftigung auf den Schutz ihres Vertrauens auf die beanstandete Rechtsprechung berufen dürfen. Das wird demnächst das BAG zu entscheiden haben. Nach Einlegung der ersten Verfassungsbeschwerde war nämlich der 7. Senat der BAG zurückhaltender geworden. Er stellte die eingehenden Revisionen bis zur BVerfG-Entscheidung terminlos. Nachdem jetzt Karlsruhe gesprochen hat, arbeitet der 7. Senat die aufgelaufenen Fälle ab. Auf Vertrauensschutz dürfen dabei die Arbeitgeber kaum hoffen. Angesichts der offenen Kritik der Instanzgerichte und der Offensichtlichkeit der Grenzüberschreitung dürfte der Vertrauensschutz der Arbeitgeber nur gering zu gewichten sein.
Angesichts der offenen Fragen ist der Gesetzgeber zum sofortigen Handeln aufgerufen. Dazu besteht auch schon aus einem anderen Grund ein Anlass. Im Koalitionsvertrag haben die Koalitionspartner der Bundesregierung einen konkreten Handlungsauftrag erteilt. Dort ist detailliert aufgelistet, wie das Befristungsrecht neu zu regeln ist: Unternehmen mit mehr als 75 Beschäftigten sollen “nur noch maximal 2,5 % der Belegschaft sachgrundlos befristen” dürfen. Bei “Überschreiten dieser Quote (soll) jedes weitere sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis als unbefristet zustande gekommen” gelten. Schließlich wird die gesetzliche Beschränkung des Vorbeschäftigungsverbots auf eine dreijährige Karenzzeit für geboten erachtet. Das ist von der Sache her sinnvoll. Insoweit ist die vom BVerfG beanstandete Rechtsprechung nicht zu kritisieren. Allerdings ist diese Entscheidung dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber vorbehalten.
Trotz des klaren Handlungsauftrags existiert bislang noch kein Referentenentwurf. Das zuständige Arbeitsministerium vertröstet auf das Jahr 2019. Die Zeit drängt! Ob das auch in Berlin von allen in der Koalition so gesehen wird? Das ist nach dem zweiten Anlauf zur Lösung der “Causa Maaßen” zu hoffen. Zutreffend brachte es BDI-Präsident Dieter Kempf (Bundesverband der Deutschen Industrie e. V.) auf dem Tag der Deutschen Industrie zum Ausdruck: Eine große Koalition, die sich vor allem mit hausgemachten Krisen beschäftigt, nützt niemandem. An die Arbeit! Wir brauchen eine klare und praktikable Neuregelung.
Für Altfälle gilt allerdings: Sind gerichtliche Entscheidungen bereits rechtskräftig geworden, profitieren Arbeitnehmer weder von der Neuregelung noch von der BVerfG-Rechtsprechung. Das Wiederaufgreifen eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens scheidet aus, weil § 79 Abs. 2 BVerfGG dem Bestand eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens ein höheres Gewicht einräumt als dem Restitutionsinteresse. Nur wer als unterlegener Arbeitnehmer rechtzeitig Verfassungsbeschwerde eingelegt hat, kann auf “Nachbesserung” hoffen.
Professor Franz Josef Düwell war bis 2011 Vorsitzender Richter des Neunten Senats des Bundesarbeitsgerichts, hält eine Gast-Professur an der Chuo-University Tokyo und veröffentlicht regelmäßig in zahlreichen Fachbüchern und -zeitschriften. Er arbeitet zudem als Sachverständiger für den Deutschen Bundestag.