ARUG II – Überraschungen auf der Zielgeraden und Perspektiven
1. Das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) kann auf eine intensive Begleitung durch das Schrifttum zurückblicken. Dem Leser werden deshalb die mit dem Gesetz verbundenen Neuerungen hinlänglich bekannt sein. Auch er wird vermutlich den Eindruck des Verfassers teilen, dass sich die Diskussion vor allem auf zwei Bereiche, nämlich auf die Vergütung der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats sowie auf Geschäfte mit nahestehenden Personen konzentriert hat, während die für die Praxis der börsennotierten AG und KGaA nicht minder wichtigen Fragen im Zusammenhang mit der Identifikation der Aktionäre und der Kommunikaton mit den Aktionären sowie zu den Vorgaben für institutionelle Anleger, Vermögensverwalter und Stimmrechtsberater nur am Rande diskutiert worden sind. Dabei hätte namentlich der zuletzt genannte Aspekt größere Aufmerksamkeit verdient, und zwar sowohl in konzeptioneller Hinsicht (ist das AktG der richtige Ort, um das Verhältnis der institutionellen Anleger und Vermögensverwalter zu den “Endbegünstigten” zu regeln?) als auch in inhaltlicher Hinsicht (vermögen die bescheidenen Transparenzvorgaben des § 134d AktG das Phänomen der Stimmrechtsberatung hinreichend wirkungsvoll zu regulieren?, s. dazu Baums ZHR 183 [2019], 605 ff.). Wie dem auch sei: Die Praxis ist nun zunächst an der Neuregelung als solcher interessiert, und insoweit ist durchaus berichtenswert, was sich auf der Zielgeraden ereignet hat.
2. Zu beginnen ist mit den auf Empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zurückgehenden Änderungen und Ergänzungen gegenüber dem Regierungsentwurf.
a) Sieht man von nicht wenigen Änderungen redaktioneller und technischer Natur ab, so verdient gewiss Hervorhebung, dass das zur Vergütung der Vorstandsmitglieder zu beschließende Vergütungssystem (nicht dagegen das für die Aufsichtsratsvergütung, s. Begr. Beschlussempfehlung, BT-Drs. 19/15153, S. 64) nun nach § 87a Nr. 1 AktG zwingend die Maximalvergütung (entweder für den Gesamtvorstand oder für das einzelne Vorstandsmitglied, s. Begr. Beschlussempfehlung, S. 63 f., dort auch zum Vorbehalt des § 87a Abs. 2 S. 2 AktG) anzugeben hat und die Hauptversammlung nach § 87 Abs. 4 AktG auf Antrag gem. § 122 Abs. 2 S. 1 AktG berechtigt ist, die Maximalvergütung – für das konkrete Vergütungssystem und mit bindender Wirkung für den Aufsichtsrat – herabzusetzen. Die damit verbundene Relativierung der Kompetenz des (typischerweise mitbestimmten) Aufsichtsrats der börsennotierten Gesellschaft zur Festsetzung der Vorstandsvergütung erscheint durchaus angemessen und akzeptabel. Die Begründung der Beschlussempfehlung (a. a. O., S. 63) weist zwar darauf hin, dass laufende Anstellungsverträge durch einen Herabsetzungsbeschluss nicht berührt werden. Doch wird es dem Aufsichtsrat nicht nur obliegen, künftig bei Abschluss oder Änderung von Anstellungsverträgen Vorkehrungen im Hinblick auf ein etwaiges Herabssetzungsverlangen der Hauptversammlung zu treffen; im Hinblick auf bestehende Verträge wird der Aufsichtsrat vielmehr auch die Möglichkeit der Herabsetzung nach § 87 Abs. 2 AktG erwägen müssen.
Eher unscheinbar daher kommt die Änderung des § 87 Abs. 1 S. 2 AktG, der nun auf die “nachhaltige und langfristige Entwicklung der Gesellschaft” abstellt und damit nach Ansicht des Ausschusses (a. a. O., S. 62) zum Ausdruck bringen soll, dass der Aufsichtsrat künftig “auch soziale und ökologische Belange in den Blick zu nehmen hat”. Damit greift das ARUG II sanft in die Debatte über Recht und Befugnis der Organe der AG zur Verfolgung von Allgemeinbelangen ein (krit. Mutter, AG 2019, R340).
b) In Bezug auf Geschäfte mit nahestehenden Personen findet sich nun neben redaktionellen Präzisierungen des § 111a Abs. 2, 3 AktG eine nicht unerhebliche Herabsetzung des relevanten Schwellenwertes von zunächst 2,5 % auf 1,5 % der Summe aus Anlage- und Umlaufvermögen der Gesellschaft bzw. des Konzerns. Damit dürfte der Anwendungsbereich der §§ 111a ff. AktG nicht unerheblich ausgeweitet worden sein. Die Erwartung des Ausschusses (a. a. O., S. 64), die Unternehmen hierdurch nicht mit “zu hohen zusätzlichen Bürokratiekosten zu beschweren”, erscheint vor diesem Hintergrund recht optimistisch, zumal mit Blick auf diejenigen Unternehmen, die bislang davon ausgegangen waren, den noch im Regierungsentwurf vorgesehenen Schwellenwert zu unterschreiten, und sich nunmehr in Ermangelung einer Übergangsregelung sogleich auf die Neuregelung einzustellen haben (krit. Mutter, AG 2019, R340 f.).
2. Das den Aktionärsrechten gewidmete ARUG II hätte Anlass bieten können, um auch jenseits der Richtlinienvorgaben eine Reform des Rechts der Hauptversammlung anzugehen. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (a. a. O., S. 60) hat sich immerhin – wohl aus Anlass des Zusammenschlusses Linde/Praxair (LG München I, ZIP 2019, 266) – mit der Frage einer Hauptversammlungszuständigkeit für die Zustimmung zu bedeutenden Unternehmenstransaktionen befasst. Dass er von einer beiläufig erfolgenden Klärung dieser grundsätzliche Fragen der Gewaltenteilung innerhalb der AG berührenden Frage abgesehen hat, ist zwar zu begrüßen. Doch sei an dieser Stelle immerhin das ceterum censeo einer Reform des Beschlussmängelrechts in Erinnerung gerufen (zu sonstigen Reformanliegen s. namentlich Drinhausen, ZHR 183 [2019], 509 ff.).
Prof. Dr. Mathias Habersack lehrt Bürgerliches Recht und Unternehmensrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er ist Vorsitzender der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages e. V. und Mitglied des Vorstands der Wissenschaftlichen Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (VGR). Den Schwerpunkt seiner Veröffentlichungen bilden das Gesellschafts- und das Kapitalmarktrecht. Habersack ist u. a. Mitglied der Schriftleitung der in der dfv Mediengruppe, Fachbereich Recht und Wirtschaft, erscheinenden “Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht” (ZHR).