BFH: Übersetzer sind keine "Schriftsteller" i.S.d. Anlage zu den §§ 69 und 70 UStDV Abschn. A IV. Nr. 5
BFH, Urteil vom 23.7.2009 - V R 66/07
Vorinstanz: FG Baden-Württemberg vom 18.7.2007 - 3 K 93/03 (EFG 2007, 1914)
LEITSÄTZE
1. Die Vorsteuerpauschalierung zum Zwecke der Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens nach § 23 UStG i.V.m. § 70 UStDV für bestimmte Berufsgruppen erfordert, dass das FA den Unternehmer leicht und eindeutig einer der in § 70 UStDV genannten Berufsgruppe zuordnen kann.
2. Übersetzer sind keine "Schriftsteller" im Sinne der Anlage zu den §§ 69 und 70 UStDV Abschn. A IV. Nr. 5. Eine einzelfallorientierte Zuordnung von Übersetzern zu dieser Berufsgruppe oder von Untergruppen der Übersetzer (Literaturübersetzer, Fachübersetzer), je nach der Übersetzungstiefe oder dem wissenschaftlichen Gehalt der Übersetzung, widerspricht dem Vereinfachungszweck.
UStG 1999 § 23; UStDV § 70 Anlage zu den §§ 69 und 70 Abschn. A IV. Nr. 5
SACHVERHALT
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist selbständige Übersetzerin und hat im Streitjahr 2000 mehrere Bücher der Unterhaltungsliteratur aus dem Englischen und Französischen ins Deutsche übersetzt. Sie ermittelt ihre Gewinne nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
In ihrer Umsatzsteuererklärung 2000 machte die Klägerin Vorsteuern in Höhe von 965,54 DM geltend, die sie nach dem Durchschnittssatz von 2,6 % ihrer Umsätze berechnet hatte, der nach § 23 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) i.V.m. § 70 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) Anlage zu den §§ 69 und 70 UStDV Abschn. A IV. Nr. 5 für die Berufsgruppe der Schriftsteller gilt.
Demgegenüber berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Vorsteuern lediglich in der durch Rechnungen nachgewiesenen tatsächlichen Höhe von 417,30 DM.
Der hiergegen erhobenen Klage, mit der die Klägerin geltend gemacht hatte, ihr stehe als Übersetzerin ebenso wie einem Schriftsteller ein Vorsteuerabzug nach Durchschnittssätzen von
2,6 % zu, gab das Finanzgericht (FG) mit den in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2007, 1914 veröffentlichten Gründen statt.
Das FG führte aus, die Klägerin könne den für Schriftsteller geltenden Durchschnittssteuersatz geltend machen, weil sie geschriebene Werke mit unterhaltendem Inhalt "geschaffen" habe. Für die Auslegung des Begriffs "Werk" sei maßgeblich auf das Urheberrecht abzustellen. Nach § 3 des Urhebergesetzes (UrhG) würden Übersetzungen wie selbständige Werke geschützt, wenn sie persönliche, geistige Schöpfungen des Bearbeiters seien. Hiervon könne bei der Übersetzung von Belletristik ausgegangen werden. Urheberrechtlich komme es nicht auf ein besonderes literarisches Niveau des Ursprungstextes an (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. September 1999 I ZR 57/97, Neue Juristische Wochenschrift 2000, 140 zur Übersetzung von Comics). Im Unterschied zur urheberrechtlichen Sicht habe der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem zum pauschalierten Betriebsausgabenabzug ergangenen Urteil vom 30. Oktober 1975 IV R 142/72 (BStBl. II 1976, 192) für die Gleichsetzung eines Übersetzers mit einem Schriftsteller die Erfüllung bestimmter Mindestanforderungen verlangt. Hiernach genüge allein die Übertragung von Texten in eine andere Sprache nicht. Erforderlich sei vielmehr, dass die Übersetzung durch Elemente der Sprachschöpfung, der Nachschöpfung und des kongenialen Erfassens der inhaltlichen und formalen Gedanken des Autors geprägt sei. Diese Voraussetzungen seien erfüllt, wie sich aus einer von der Klägerin vorgelegten Textanalyse ergebe, in der sie näher erläutert habe, weshalb die möglichst authentische Übertragung eines Ursprungswerkes einen kreativen Umgang mit den Ursprungstexten erforderlich mache.
Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision. Das FG habe § 23 UStG i.V.m. der Anlage zu den §§ 69 und 70 UStDV unzutreffend ausgelegt, weil die Klägerin als Übersetzerin keine geschriebenen Werke mit überwiegend wissenschaftlichem, unterhaltendem oder künstlerischem Inhalt geschaffen habe. Auch unterscheide sich die Tätigkeit eines Übersetzers hinsichtlich der Aufwendungen von der eines Schriftstellers, der in vielen Fällen zur Literaturrecherche Reisekosten, Milieustudien oder Literaturrecherchen tätige. Nach der Gewinn- und Verlustrechnung der Klägerin seien nur in sehr geringem Umfang derartige Aufwendungen enthalten.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Voraussetzung für die Durchschnittsbesteuerung als Schriftsteller, die "Schaffung eines geschriebenen Werkes", sei erfüllt, weil § 3 UrhG Übersetzern denselben urheberrechtlichen Schutz wie Autoren gewähre. Die hierfür erforderliche Schöpfungstiefe sei zwar nicht bei Fachübersetzern, jedoch bei Literaturübersetzern gegeben, die deshalb auch als "Werkschaffende" anzusehen seien. Die in der Anlage zu den §§ 69 und 70 UStDV genannten Berufsgruppen seien weit auszulegen, da in den Umsatzsteuer-Richtlinien (Abschn. 261 Abs. 6) auch Komponisten als Schriftsteller anerkannt seien. Angesichts der "offenkundigen Gleichbehandlungsmaxime" des Gesetzgebers, insbesondere der Gleichstellung der Übersetzer mit den Schriftstellern in § 18 EStG, sei eine Ungleichbehandlung zwischen Literaturübersetzern und Schriftstellern nicht nachvollziehbar. Dies decke sich auch mit der Wertung des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG, wonach die Wahrnehmung von Rechten aus dem UrhG dem begünstigten Steuersatz unterliege. Damit übereinstimmend seien im Verband deutscher Schriftsteller sowohl Autoren als auch Übersetzer zur Mitgliedschaft berechtigt.
AUS DEN GRÜNDEN
II.
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG hat zu Unrecht den Vorsteuerabzug der Klägerin nach den Durchschnittssätzen für Schriftsteller bemessen, da die Berufsgruppe der Übersetzer nicht zu der Berufsgruppe der Schriftsteller im Sinne der Anlage zu den §§ 69 und 70 UStDV Abschn. A IV. Nr. 5 gehört.
1. Gemäß § 23 UStG kann das Bundesministerium der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrates zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens Gruppen von Unternehmern, bei denen hinsichtlich der Besteuerungsgrundlagen annähernd gleiche Verhältnisse vorliegen und die nicht verpflichtet sind, Bücher zu führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen regelmäßig Abschlüsse zu machen, durch Rechtsverordnung Durchschnittssätze für die nach § 15 UStG abziehbaren Vorsteuerbeträge festsetzen. Nach der Anlage zu den §§ 69 und 70 UStDV Abschn. A IV. Nr. 5 werden Durchschnittssätze in Höhe von 2,6 % bestimmt für freiberuflich tätige Schriftsteller, "die geschriebene Werke mit überwiegend wissenschaftlichem, unterhaltendem oder künstlerischem Inhalt schaffen".
2. Entgegen der Rechtsauffassung des FG gehören Übersetzer nicht zu der in der Anlage zu den §§ 69 und 70 Abschn. A IV. Nr. 5 UStDV genannten Berufsgruppe der Schriftsteller, denn Übersetzer schaffen keine eigenen Werke, sondern übertragen fremde Werke in eine andere Sprache. Auch ist die Berufsgruppe der Übersetzer hinsichtlich ihrer verschiedenartigen Tätigkeitsbereiche (Literaturübersetzer, Dolmetscher, Fachübersetzer) zu uneinheitlich, als dass sie ohne Regelung des Verordnungsgebers in der Anlage zu den §§ 69 und 70 UStDV im Rahmen einer Vereinfachungsregelung der Berufsgruppe der Schriftsteller zugeordnet werden könnte.
a) Bei der Ermächtigung des § 23 UStG an den Verordnungsgeber zur Festlegung von Durchschnittssätzen für bestimmte Berufsgruppen handelt es sich um eine Ausnahmeregelung zum allgemeinen Grundsatz, wonach Vorsteuerbeträge nach § 15 UStG durch Vorlage von Rechnungen im Einzelnen nachzuweisen sind. Ausnahmeregelungen sind grundsätzlich eng auszulegen (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 14. Juni 2007 Rs. C-434/05, Horizon College, Slg. 2007, I-4793, BFH/NV Beilage 2007, 389 Rdnr. 16).
b) Gegen die Zuordnung der Übersetzer zu den Schriftstellern spricht weiter, dass der Gesetzgeber in § 18 EStG in der Aufzählung der freien Berufe neben der Berufsgruppe der Schriftsteller die Berufsgruppen der "Dolmetscher und Übersetzer" gesondert benannt hat. Hätte er die Übersetzer bereits der Berufsgruppe der Schriftsteller zugerechnet, hätte es der gesonderten Nennung nicht bedurft. Wenn der Verordnungsgeber darüber hinaus in § 70 UStDV die Vorsteuerpauschalierung weiter einschränkt auf diejenigen Schriftsteller, die "geschriebene Werke mit überwiegend wissenschaftlichem, unterhaltendem oder künstlerischem Inhalt schaffen", kann --entgegen der Auffassung der Klägerin-- nicht davon ausgegangen werden, dass der Begriff "Schriftsteller" in der Anlage zu den §§ 69 und 70 UStDV im Gegensatz zu § 18 EStG auch die Übersetzer umfasst.
c) Auch die Regelung des § 3 UrhG, wonach Übersetzungen als "Bearbeitung" eines Werkes und nicht --wie nach § 70 UStDV erforderlich-- als "Schaffung" eines Werkes bezeichnet werden, zeigt, dass der Gesetzgeber die Übersetzer nicht der Berufsgruppe der Schriftsteller zurechnet. Inwieweit Übersetzungen unter den Schutz des UrhG fallen, ist für die hier zu entscheidende Frage, ob Übersetzer der Gruppe der Schriftsteller zuzurechnen sind, unerheblich.
d) Die Unterscheidung zwischen der Berufsgruppe der Übersetzer und der Schriftsteller durch den Verordnungsgeber ist auch nicht willkürlich. Denn nach § 23 UStG setzt die Anwendung der Durchschnittssätze voraus, dass bei einer Berufsgruppe hinsichtlich des Vorsteuerabzugs annähernd gleiche Verhältnisse vorliegen. Wie das FA zutreffend ausführt, kommen bei Schriftstellern, die eigene Werke schaffen, in vielen Fällen Vorsteuerbeträge im Zusammenhang mit einer Reisetätigkeit, bei Milieustudien oder bei der Literaturrecherche in Betracht, die bei einer Übersetzungstätigkeit regelmäßig fehlen.
e) Entgegen der Rechtsauffassung des FG ergibt sich auch aus dem BFH-Urteil vom 30. Oktober 1975 IV R 142/72 (BFHE 117, 456, BStBl. II 1976, 192, BB 1976, 215) für die Anwendung des Durchschnittssatzes beim Vorsteuerabzug nichts anderes. Die Entscheidung betrifft die Frage, ob ein Übersetzer die im Erlass eines Bundeslandes geregelte Betriebsausgabenpauschale für eine hauptberufliche, selbständige schriftstellerische oder journalistische Tätigkeit beanspruchen kann. Dies bejaht die Entscheidung mit der Begründung, zwar sei eine Übersetzungstätigkeit grundsätzlich keine schriftstellerische Tätigkeit. Ausnahmsweise könne jedoch die Tätigkeit als international anerkannter Übersetzer wichtiger, insbesondere lyrischer Werke der Weltliteratur der eigenschöpferischen, schriftstellerischen Tätigkeit vergleichbar sein.
Eine einzelfallorientierte Entscheidung widerspräche Inhalt und Zweck der Ermächtigung in § 23 UStG. Denn danach dürfen nur "zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens für Gruppen von Unternehmern, bei denen hinsichtlich der Besteuerungsgrundlagen annähernd die gleichen Verhältnisse vorliegen", Durchschnittssätze für den Vorsteuerabzug festgesetzt werden. Die Pauschalierungen in Abschn. A der Anlage zu den §§ 69 und 70 UStDV sind Schätzungen i.S. von § 162 der Abgabenordnung, die auf den Erfahrungen der Finanzbehörden für die benannten Berufsgruppen beruhen. Denn es würde dem in § 23 UStG ausdrücklich genannten Vereinfachungszweck widersprechen, wenn die Anwendung der Vereinfachungsvorschrift des § 23 UStG i.V.m. § 70 UStDV von Textanalysen oder dem im BFH-Urteil in BFHE 117, 456, BStBl. II 1976, 192, BB 1976, 215 genannten Gutachten zur Übersetzungstiefe abhinge.
f) Da in § 23 UStG die Durchschnittssatzbesteuerung auf bestimmte Berufsgruppen beschränkt ist, kann der Senat entgegen der Rechtsansicht der Klägerin auch nicht bestimmte Untergruppen von nicht genannten Berufen einer in § 70 UStDV genannten Berufsgruppe gleichstellen. Die Unterscheidung zwischen Literaturübersetzern, die die Klägerin regelmäßig den Schriftstellern gleichstellen will, und Fachübersetzern, denen die Klägerin nur ausnahmsweise die nach dem UrhG erforderliche Schöpfungstiefe zuerkennt, würde im Übrigen schon wegen der zusätzlichen Abgrenzungsschwierigkeiten dem Vereinfachungszweck der Vorschrift widersprechen.
3. Da das FA die von der Klägerin tatsächlich nachgewiesenen Vorsteuerbeträge berücksichtigt hat, war das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.