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Steuerrecht
27.10.2022
Steuerrecht
BFH: Übersehen einer Rechtsnorm

BFH, Urteil vom 19.7.2022 – IX R 17/20

ECLI:DE:BFH:2022:U.190722.IXR17.20.0

Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2022-2536-1

Amtlicher Leitsatz

NV: Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht, wenn eine eindeutig einschlägige Rechtsnorm des materiellen Rechts vom FG übersehen und deshalb nicht angewandt worden ist.

FGO § 118 Abs. 1 S. 1, § 126 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, § 96 Abs. 1; EStG § 2 Abs. 5b, § 32d Abs. 1

Sachverhalt

In ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre machten die Kläger und Revisionskläger (Kläger) bei den Einkünften der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung des Objekts in H u.a. Darlehenszinsen in Höhe von jeweils 36.000 € für die Jahre 2012 und 2013 und 18.000 € für das Jahr 2014 geltend und erläuterten die Aufwendungen in Anlagen mit den Kurzbezeichnungen „Ex-Spk …/B ...“ (2012 und 2013) oder „Ex-Spk …/ExA/B ...“. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde.

Der Kläger war u.a. Betreuer für seinen nach einem ärztlichen Behandlungsfehler schwerbehinderten Bruder (A). Daneben war er aufgrund rechtsgeschäftlich erteilter Generalvollmacht zu dessen Vertretung umfassend ermächtigt. Die Versicherung des Schädigers leistete zum Ausgleich eine Zahlung von 1,2 Mio. € an A.

Die Kläger verwendeten das Geld dazu, um zwei Darlehen, mit denen die Klägerin die Anschaffung des Objekts in H finanziert hatte, abzulösen. Die Klägerin zahlte seitdem „Darlehenszinsen“ in Höhe von 3.000 € monatlich an A und setzte die Zahlungen auch nach dessen Tod im Dezember 2011 fort. Erst zu Beginn des Jahres 2014 reduzierte sie die Zahlungen auf 1.500 € monatlich. Nach den Angaben des Klägers dienten die Zahlungen nach dem Ableben des A (jedenfalls seit dem 01.01.2012) der Versorgung der Schwester (B), die nach einem Schlaganfall in einem Pflegeheim untergebracht werden musste und für deren Unterbringung die Kläger wie für A vereinbarungsgemäß hätten aufkommen müssen. B sei unter der Belastung der Pflege des A zusammengebrochen. Die Kläger gehen deshalb von einem einheitlichen Geschehensablauf aus.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) versagte den Abzug der Schuldzinsen. Durch das im zweiten Rechtsgang ergangene, angefochtene Urteil ist für die rechtskräftig gewordenen Jahre 2010 und 2011 geklärt, dass die „Schuldzinsen“ als Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung abzuziehen sind.

Für die im Revisionsverfahren nur noch offenen Jahre 2012 bis 2014 hat das Finanzgericht (FG) in dem angefochtenen Urteil erkannt:

„Unter Änderung der Einkommensteuerbescheide [2012 und] 2013 vom 25. August 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. November 2016 wird die Einkommensteuer der Kläger

- für 2012 auf den Betrag herabgesetzt, der sich bei Anwendung des gesonderten Steuertarifs auf ihre Kapitaleinkünfte nach § 32d Abs. 1 EStG ergibt,

- für 2013 auf den Betrag herabgesetzt, der sich bei zusätzlicher Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen an die gemeinsame Tochter […] in Höhe von 8.130 € und ferner der Anwendung des gesonderten Steuertarifs auf ihre Kapitaleinkünfte nach § 32d Abs. 1 EStG ergibt.

Die Steuerberechnung wird dem beklagten Finanzamt übertragen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.“

Mit der Revision erheben die Kläger die Sachrüge. Sie begehren vor allem den Abzug der Zahlungen, die der Kläger durch Übernahme der Heimunterbringungskosten für B aufgewandt haben will.

Die Kläger haben keinen Antrag angekündigt.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es bezieht sich ‑‑bei Zweifeln an einer ordnungsgemäßen Revisionsbegründung‑‑ auf das angefochtene Urteil.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Aus den Gründen

Die Revision ist zulässig und begründet

12        II. Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur erneuten Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

Keine steuerliche Auswirkung

13        1. Zur Begründung seines Urteils hat das FG u.a. ausgeführt, zwar seien die von der Klägerin in den Folgejahren (gemeint: 2012 bis 2014) geleisteten Zinszahlungen in Höhe von jeweils 36.000 € in den Jahren 2012 und 2013 sowie 18.000 € im Jahr 2014 bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als Werbungskosten abzugsfähig. Sie führten jedoch beim Kläger zu Kapitaleinkünften in gleicher Höhe. Ursprünglich habe der Kläger die Darlehensmittel für A verwaltet. Mit dessen Tod sei die Darlehensforderung jedoch auf den Kläger übergegangen, da er Alleinerbe von A geworden sei. Seitdem habe deshalb er die Kapitaleinkünfte erzielt. Aufwendungen für die Unterbringung der B könnten steuerlich schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil sie nicht nachgewiesen seien. Da den Zinszahlungen der Klägerin (bisher nicht berücksichtigte) Kapitaleinkünfte des Klägers in gleicher Höhe gegenüberstünden, wirke sich die steuerliche Anerkennung des Darlehensvertrages auf den Gesamtbetrag der Einkünfte der Eheleute nicht aus und seien die Einkünfte in den Streitjahren 2012 bis 2014 im Ergebnis zutreffend ermittelt.

Das Urteil kann keinen Bestand haben

14        2. Diese Ausführungen sind rechtsfehlerhaft. Das FG hat nicht berücksichtigt, dass die dem gesonderten Steuertarif nach § 32d Abs. 1 EStG unterliegenden Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 2 Abs. 5b EStG nicht in die Einkünfte- und Einkommensermittlung einzubeziehen sind; insbesondere ist ein lediglich aus der Familienangehörigkeit abgeleitetes persönliches Näheverhältnis der Klägerin zu dem Darlehensgeber nicht ausreichend, um ein Näheverhältnis i.S. des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG zu begründen (Urteile des Bundesfinanzhofs vom 28.09.2021 – VIII R 12/19, BFHE 274, 450, BStBl II 2022, 260 [BB 2022, 548], und vom 29.04.2014 – VIII R 44/13, BFHE 245, 361, BStBl II 2014, 992 [StB 2014, 295 Ls]). Das FG hätte deshalb die dem Regeltarif unterliegenden Einkünfte der Kläger um den Betrag der anerkannten Werbungskosten vermindern müssen. Das kommt im Tenor der angefochtenen Entscheidung nicht zum Ausdruck. Das Urteil kann deshalb keinen Bestand haben.

Die Sache ist nicht spruchreif

15        3. Die Sache ist nicht spruchreif. Offenbar haben die Kläger die Aufwendungen des Klägers zugunsten von B nur deshalb nicht nachgewiesen, weil sie auf Anforderung des Gerichts die falschen Kontoauszüge vorgelegt haben. Es bedarf keiner Entscheidung, ob das FG verpflichtet gewesen wäre, die Kläger in der mündlichen Verhandlung auf diesen Fehler hinzuweisen. Jedenfalls ist nach Aktenlage nicht auszuschließen, dass der Kläger B in Bezug auf die Kosten der Heimunterbringung zum Unterhalt verpflichtet war. Immerhin hatte sich der Kläger zur Betreuung und Unterbringung von B verpflichtet. Auch das FG hat die Aufwendungen nicht von vornherein als unerheblich erachtet. Sonst hätte es die Kläger nicht unter Setzung einer Ausschlussfrist zur Vorlage von Zahlungsnachweisen aufgefordert.

16        Im dritten Rechtsgang werden die Kläger nun erneut Gelegenheit haben, den Zahlungsnachweis zu erbringen und ergänzend dazu vorzutragen, inwiefern die Aufwendungen für B, sofern nachweisbar, als Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind.

17        4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

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