BFH: Überschreitung der KMU-Schwelle durch verbundene Unternehmen
BFH, Urteil vom 3.7.2014 – III R 30/11
Amtliche Leitsätze
1. Die in § 2 Abs. 7 Satz 1 InvZulG 2005 zugrunde liegende Definition der KMU ist europarechtlich zu interpretieren.
2. Eine gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen i.S. von Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs zur KMU-Empfehlung setzt weder eine vertragliche Beziehung noch eine Umgehungsabsicht voraus.
Ob eine tatsächlich gemeinsam handelnde Gruppe vorliegt, ist anhand einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der im Einzelfall vorliegenden rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu prüfen.
3. Die bei der Gewährung von Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" getroffene Entscheidung der Behandlung als KMU ist für die Entscheidung über die erhöhte Investitionszulage nach § 2 Abs. 7 InvZulG 2005 nicht bindend.
Sachverhalt
I. Im Revisionsverfahren ist die Frage streitig, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) zusammen mit der X-GmbH als "verbundene Unternehmen" im Sinne der KMU-Empfehlung eine wirtschaftliche Einheit bildet und die Schwellenwerte wegen der dann vorzunehmenden Zusammenrechnung überschritten sind, mit der Folge, dass nur ein Anspruch auf eine Investitionszulage in Höhe der Grundzulage von 12,5 % nach § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 des Investitionszulagengesetzes 2005 (InvZulG 2005) besteht.
Die Klägerin, eine GmbH, stellt Platten, Folien, Schläuche und Profile aus Kunststoff her. Gesellschafter sind A mit einem Gesellschaftsanteil in Höhe von 24,8 %, seine Ehefrau B mit 62,8 % sowie C mit 12,4 %. Geschäftsführer der Klägerin mit Einzelvertretungsberechtigung sind A und C. A ist zusammen mit seiner Mutter zudem zu gleichen Teilen Gesellschafter der X-GmbH. Einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer der X-GmbH sind wiederum A und C.
In ihrer Anfangsphase wurde die Klägerin durch Bürgschaften der X-GmbH unterstützt. Des Weiteren schloss die Klägerin bei ihrer Gründung für die Dauer der Finanzierungen, mindestens aber für fünf Jahre mit Verlängerungsoption, einen "Geschäftsbesorgungsvertrag" mit der X-GmbH. Auf dessen Grundlage erhält die Klägerin --jedenfalls bis zur Entscheidung durch das Finanzgericht (FG)-- sämtliche Aufträge von der X-GmbH. Im Gegenzug übernimmt die X-GmbH das gesamte Produktionsvolumen zu einem marktüblichen Preis und vertreibt es. Am Markt --insbesondere im Internet-- tritt nur die X-GmbH in Erscheinung. Der Vertrag sieht weiter vor, dass ein Vertreter der X-GmbH die Betriebsleitung der Klägerin laufend fachlich anleitet. Die Klägerin hat zudem den kompletten Einkauf sowie EDV und Forschung auf die X-GmbH ausgelagert und nutzt eine von mehreren Bankverbindungen der X-GmbH für ihre Zwecke.
Für sich betrachtet überschreitet die Klägerin weder mit ihrer Mitarbeiterzahl noch mit ihren Umsatz- oder Bilanzzahlen die Schwellenwerte im Sinne der Empfehlung der Europäischen Kommission 2003/361/EG vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen --KMU-Empfehlung-- (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- 2003 Nr. L 124, S. 36). Die X-GmbH überschreitet die Schwellenwerte in den Jahren 2004 und 2005 sowohl mit der Mitarbeiterzahl als auch mit ihrem Jahresumsatz.
Die Investitionsbank Sachsen-Anhalt vertrat die Auffassung, bei der Klägerin handele es sich um ein KMU im Sinne der KMU-Empfehlung und bewilligte ihr deshalb erhöhte Zuschüsse im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GA-Förderung).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ging aufgrund der Verflechtungen mit der X-GmbH davon aus, dass die Klägerin ein mit der X-GmbH verbundenes Unternehmen im Sinne der KMU-Empfehlung bilde und demzufolge die KMU-Schwellenwerte überschritten seien. Er gewährte der Klägerin für das Streitjahr 2006 deshalb nur die Grundzulage (Zulagensatz 12,5 %) für das verarbeitende Gewerbe gemäß § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 2005 und nicht die mit einem Zulagensatz von 25 % beantragte erhöhte Investitionszulage für KMU nach § 2 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 2005. Der Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 22. November 2007).
Das FG wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2011, 1921 veröffentlichten Urteil vom 24. März 2011 1 K 1725/07 ab.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, das FG habe zunächst für die Frage, ob A, B und D als Gesellschafter der Klägerin bzw. der X-GmbH eine "gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen" i.S. von Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs der KMU-Empfehlung darstellen und der dabei vorzunehmenden Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs zu Unrecht auf über den Wortlaut der KMU-Definition der KMU-Empfehlung hinausgehende europarechtliche Rechtsgrundlagen oder Entscheidungen zurückgegriffen. Insoweit sei vielmehr allein auf deutsches Recht bzw. die Rechtsprechung deutscher Gerichte abzustellen, wonach aber gerade keine "gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen" vorliege. Insbesondere seien die in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs der KMU-Empfehlung aufgezählten Kriterien nicht durch zusätzliche Kriterien zu erweitern, sondern vielmehr abschließend. Weiterhin habe sich das Gericht bei seiner Begründung der Vermutung gleichgerichteter Interessen allein auf Indizien gestützt, ohne dass der Beklagte einen konkreten Beweis für die Gleichrichtung der Interessen innerhalb des Familienverbundes erbracht hätte. Sie, die Klägerin, könne jedoch nachweisen, dass zwischen den Mitgliedern der Familie teilweise erhebliche Interessengegensätze vorliegen würden.
Zudem habe das Gericht die Bindungswirkung der Einstufung der Klägerin als KMU durch die Investitionsbank des Landes Sachsen-Anhalt für Zwecke der GA-Förderung nicht beachtet. Angesichts der in der Gesetzesbegründung formulierten Absicht, eine regelmäßige Bindung der Finanzverwaltung anzunehmen, sollten divergierende Verwaltungsentscheidungen auf Fälle offensichtlicher Fehlerhaftigkeit beschränkt bleiben. Eine offensichtlich fehlerhafte Einstufung durch die GA-Behörde habe aber nicht vorgelegen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 20. Dezember 2012 III R 30/11 (BFHE 239, 560, BStBl II 2013, 335) das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
"1. a) Welche Anforderungen sind an die Annahme eines gemeinsamen Handelns i.S. des Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs der Empfehlung der Kommission 2003/361/EG vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU-Empfehlung) zu stellen: Genügt insoweit bereits jegliche unternehmensbezogene Kooperation der an beiden Unternehmen beteiligten natürlichen Personen, die ohne Streitigkeiten oder zu Tage tretende Interessengegensätze stattfindet, oder ist vielmehr ein erkennbar abgestimmtes Verhalten dieser Personen erforderlich?
b) Falls ein abgestimmtes Verhalten erforderlich ist: Folgt dieses bereits aus einer rein tatsächlichen Kooperation?
2. Ist, wenn kein Fall der Verpflichtung zu einem konsolidierten Abschluss besteht, bei der Frage, ob ein Unternehmen mit einem anderen Unternehmen über eine Person oder eine gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen verbunden ist, über die in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs der KMU-Empfehlung aufgeführten "Beziehungen" hinaus weiterhin eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei der Aspekte wie die Eigentumsverhältnisse --hierbei insbesondere die Zugehörigkeit der Anteilseigner zu einer Familie--, die Beteiligungsstruktur und die wirtschaftliche Integration --insbesondere auch die Identität der Geschäftsführer-- der betroffenen Unternehmen zu untersuchen sind?
3. Für den Fall, dass auch unter der Geltung der KMU-Empfehlung eine über die formale Betrachtung hinausgehende wirtschaftliche Gesamtbetrachtung möglich ist: Setzt dies die Absicht oder zumindest das Risiko der Umgehung der KMU-Definition voraus?"
Der EuGH hat diese Fragen mit Urteil vom 27. Februar 2014 C-110/13 (ABlEU 2014, Nr. C 112, S. 15) wie folgt beantwortet:
"Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen ist dahin auszulegen, dass Unternehmen als "verbunden" im Sinne dieses Artikels angesehen werden können, wenn die Prüfung der zwischen ihnen bestehenden rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen ergibt, dass sie, vermittels einer natürlichen Person oder einer gemeinsam handelnden Gruppe natürlicher Personen, eine einzige wirtschaftliche Einheit bilden, auch wenn sie formal nicht in einer der in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs aufgeführten Beziehungen zueinander stehen.
Als gemeinsam handelnd im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs sind natürliche Personen anzusehen, wenn sie sich abstimmen, um Einfluss auf die geschäftlichen Entscheidungen der betreffenden Unternehmen auszuüben, so dass diese Unternehmen nicht als wirtschaftlich voneinander unabhängig angesehen werden können. Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, und es ist nicht zwingend erforderlich, dass zwischen den fraglichen Personen vertragliche Beziehungen bestehen oder dass sie auch nur die Absicht haben, die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen im Sinne der genannten Empfehlung zu umgehen."
Die Beteiligten haben sich zu dem EuGH-Urteil nicht mehr geäußert.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung vom 22. November 2007 den Investitionszulagenbescheid 2006 vom 6. August 2007 dahingehend zu ändern, dass die Investitionszulage auf 10.694,26 EUR heraufgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. § 121 FGO).
Aus den Gründen
22 II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Klägerin lediglich einen Anspruch auf Investitionszulage in Höhe der vom FA im angefochtenen Investitionszulagenbescheid festgesetzten Grundzulage von 12,5 % nach § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 2005 hat.
23 1. Der Klägerin steht kein Anspruch auf eine erhöhte Investitionszulage nach § 2 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 2005 zu.
24 a) Nach § 2 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 2005 erhöht sich die Investitionszulage für den Teil der Bemessungsgrundlage, der auf Investitionen i.S. des § 2 Abs. 1 InvZulG 2005 entfällt, wenn die beweglichen Wirtschaftsgüter während des Fünfjahreszeitraums in einem begünstigten Betrieb verbleiben, der zusätzlich die Begriffsdefinition für kleine und mittlere Unternehmen im Sinne der Empfehlung 96/280/EG der Europäischen Kommission vom 3. April 1996 betreffend die Definition der kleinen und mittleren Unternehmen --Empfehlung 96/280/EG-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1996 Nr. L 107, S. 4, ersetzt durch die KMU-Empfehlung in ABlEU 2003 Nr. L 124, S. 36), erfüllt, auf 25 % der Bemessungsgrundlage bei Investitionen in Betriebsstätten, die --wie im Streitfall-- im übrigen Fördergebiet belegen sind. Bei dem InvZulG 2005 handelt es sich um eine von der Kommission genehmigte Beihilfe (ABlEU 2005 Nr. C 235, S. 3, 4) i.S. des Art. 87 Abs. 3 Buchst. a und c des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft - jetzt Art. 107 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
25 b) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die § 2 Abs. 7 Satz 1 InvZulG 2005 zugrunde liegende Definition der KMU europarechtlich zu interpretieren. Dies ergibt sich bereits aus dem gesetzlich verankerten Verweis auf die KMU-Empfehlung der Europäischen Kommission und entspricht dem Willen des Gesetzgebers, im Unterschied zu der Vorgängerregelung des § 2 Abs. 7 InvZulG 1999 den europarechtlichen KMU-Begriff zu übernehmen (BTDrucks 15/2249, S. 15, 16). Zwar ist die Verwendung der KMU-Definition für die Mitgliedstaaten freiwillig (Benutzerhandbuch der Europäischen Kommission zur neuen KMU-Definition --Benutzerhandbuch--, 2006, S. 6, abrufbar auf der Webseite der Europäischen Kommission unter www.ec.europa.eu/ enterprise/policies/sme). Entscheidet sich ein Mitgliedstaat --wie vorliegend die Bundesrepublik Deutschland (Deutschland)-- jedoch für die Übernahme, ist für eine Interpretation anhand nationaler Rechtsprechung --beispielsweise durch Übertragung der Kriterien für das Vorliegen einer personellen Verflechtung bei der Betriebsaufspaltung-- kein Raum mehr. Eine Lösung von Interpretationsproblemen anhand nationaler Rechtsprechung --wie von der Klägerin geltend gemacht-- würde insoweit dem mit der KMU-Empfehlung einhergehenden Zweck zuwiderlaufen, die Vielzahl der auf Gemeinschaftsebene verwendeten Definitionen von KMU und damit einhergehende Inkohärenzen zu reduzieren und eine einheitliche Ausrichtung von KMU-Maßnahmen auf der Ebene der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten zu gewährleisten und damit die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden (vgl. 1. Erwägungsgrund der KMU-Empfehlung). Dadurch, dass Deutschland dieser Empfehlung durch die explizite und unmittelbare Bezugnahme in § 2 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 2005 nachgekommen ist, wird eine unionsrechtliche Auslegung somit auch dann erforderlich, wenn es sich um einen rein innerstaatlichen Sachverhalt handelt (vgl. EuGH-Urteile vom 21. Dezember 2011 C-482/10, Slg. 2011, I-14139 Rz 19, m.w.N.; vom 18. Oktober 2012 C-583/10, ABlEU 2012, Nr. C 379, S. 5, ZESAR 2013, 235 Rz 47, m.w.N.).
26 2. Die KMU-Schwelle ist im Streitfall nach Art. 2 des Anhangs der KMU-Empfehlung sowohl mit der Mitarbeiterzahl als auch mit dem Jahresumsatz überschritten, weil die Klägerin und die X-GmbH als "verbundene Unternehmen" i.S. des Art. 3 Abs. 3 des Anhangs der KMU-Empfehlung der Kommission anzusehen sind.
27 a) Die KMU-Empfehlung unterscheidet bei der Berechnung der Mitarbeiterzahlen und der finanziellen Schwellenwerte drei maßgebliche Unternehmenstypen, die das vormalige sog. Unabhängigkeitskriterium ersetzen, das formal auf die Einhaltung einer Beteiligungsschwelle von bis zu 25 % abstellte. Maßgeblich ist, ob ein Unternehmen eigenständig ist oder ob es mit anderen Unternehmen --als verbundene Unternehmen oder Partnerunternehmen-- eine wirtschaftliche Gruppe bildet.
28 Nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs der KMU-Empfehlung sind Unternehmen dann verbunden, wenn ein Unternehmen am anderen Unternehmen die Mehrheit der Stimmrechte hält, die Befugnis zur Bestellung und Abberufung der Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsgremiums des anderen Unternehmens hat, aufgrund eines Vertrags oder einer Satzungsklausel einen beherrschenden Einfluss auf das andere Unternehmen hat oder kraft einer Vereinbarung die alleinige Kontrolle über die Mehrheit der Stimmrechte in dem anderen Unternehmen ausüben kann. Unternehmen, die durch eine gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen miteinander in einer der vorstehend aufgeführten Beziehungen stehen, gelten nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs der KMU-Empfehlung als verbundene Unternehmen, sofern sie ganz oder teilweise in demselben Markt oder in benachbarten Märkten tätig sind.
29 b) Vorliegend ist keiner der in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs genannten Fälle gegeben. Die Klägerin gilt aber nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs der KMU-Empfehlung über die "gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen" als ein mit der X-GmbH verbundenes Unternehmen.
30 aa) Nach dem Urteil des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren (in ABlEU 2014, Nr. C 112, S. 15) können auch Unternehmen, die zueinander in keiner der in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs der KMU-Empfehlung genannten Beziehungen stehen, aber wegen der Rolle, die eine natürliche Person oder eine gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen spielt, eine einzige wirtschaftliche Einheit darstellen und damit als verbundene Unternehmen im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden, sofern sie ganz oder teilweise in demselben Markt oder in benachbarten Märkten tätig sind (Rz 34). Da als KMU-Unternehmen nur tatsächlich unabhängige Unternehmen erfasst werden sollen, ist die Struktur von KMU zu untersuchen, die eine wirtschaftliche Gruppe bilden, deren Bedeutung über die eines solchen Unternehmens hinausgeht, und es ist darauf zu achten, dass die Definition der KMU nicht durch eine rein formale Erfüllung der Kriterien umgangen wird (Rz 33).
31 bb) An dieses EuGH-Urteil im Vorabentscheidungsverfahren ist das nationale Gericht bei seiner Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits gebunden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. Mai 2013 XI R 11/09, BFHE 242, 84, m.w.N.). Der erkennende Senat ist daher nicht befugt, die Auslegung des KMU-Begriffs abweichend vom EuGH zu entscheiden.
32 cc) Das FG hat die vom EuGH vorgegebenen Grundsätze bereits im ersten Rechtsgang zutreffend angewandt. Es hat zu Recht nicht allein auf die rein formale Erfüllung des Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs der KMU-Empfehlung abgestellt, sondern im Rahmen einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise das Vorliegen einer KMU-Eigenschaft der Klägerin verneint. Hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen zwischen der Klägerin und der X-GmbH hat es dabei "die mehrheitliche Beteiligung der Familie, ... die identische Geschäftsführung in beiden Unternehmen, ... den Geschäftsbesorgungsvertrag als auch die komplette Auslagerung von Einkauf, EDV und Forschung" sowie die "gemeinsame Bankverbindung und nicht zuletzt ... die Mitverpflichtung der ... (X-GmbH) bei Mietkauf- und Darlehnsverträgen" berücksichtigt. In der Gesamtschau dieser tatsächlichen Umstände hat das FG, da weder ein erkennbar abgestimmtes Verhalten bezüglich einzelner Geschäfte noch eine über die tatsächliche Kooperation hinausgehende vertragliche Bindung erforderlich ist, auf ein als wirtschaftliche Einheit zu betrachtendes verbundenes Unternehmen zwischen der Klägerin und der X-GmbH geschlossen und damit zu Recht eine Überschreitung der Schwellenwerte angenommen.
33 dd) Diese vom FG aufgrund der Gesamtwürdigung vorgenommene Schlussfolgerung, die verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen ist und nicht durch Denkfehler oder die Verletzung von Erfahrungssätzen beeinflusst ist, ist für das Revisionsgericht bindend, auch wenn sie nicht zwingend, sondern nur möglich ist (§ 118 Abs. 2 FGO; vgl. BFH-Urteile vom 1. April 1971 IV R 195/69, BFHE 102, 85, BStBl II 1971, 522; vom 6. März 2007 IX R 38/05, BFH/NV 2007, 1281). Zu den der Bindung unterliegenden Feststellungen gehören auch die Schlussfolgerungen tatsächlicher Art (BFH-Urteil vom 28. Februar 2008 V R 44/06, BFHE 221, 415, BStBl II 2008, 586; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 118 FGO Rz 140 ff.).
34 ee) Es ist revisionsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass das FG bei seiner Gesamtwürdigung dem pauschalen Bestreiten von gleichgerichteten Interessen innerhalb der Familie keine besondere Bedeutung beigemessen hat. Soweit die Klägerin vorträgt, dass sie die teilweise zwischen den Familienmitgliedern bestehenden erheblichen Interessengegensätze anhand von einzeln aufgeführten Streitfällen nachweisen könne, kann der Senat offenlassen, ob die erstmals im Revisionsverfahren dargestellten Differenzen zwischen den Familienangehörigen und der X-GmbH das FG zu einer anderen Gesamtbetrachtung veranlasst hätte. Denn der BFH muss seiner Entscheidung die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen zugrunde legen (§ 118 Abs. 2 FGO) und darf deshalb Tatsachen, die von den Beteiligten erstmals im Revisionsverfahren vorgetragen werden, grundsätzlich nicht berücksichtigen (BFH-Urteile vom 17. Dezember 1997 X R 88/95, BFHE 185, 40, BStBl II 1998, 343; vom 18. November 1998 X R 143/95, BFH/NV 1999, 915), es sei denn, es wären dagegen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht oder Gegenrügen des Revisionsbeklagten erhoben worden (BFH-Urteil vom 13. August 2002 VIII R 54/00, BFHE 200, 204, BStBl II 2002, 869). Das ist hier nicht der Fall.
35 3. Soweit die Klägerin für Zwecke der Förderung nach der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" von der Investitionsbank des Landes Sachsen-Anhalt (GA-Behörde) als KMU-Unternehmen behandelt worden ist, hat diese Entscheidung keine Bindungswirkung.
36 a) Der Einordnung der GA-Behörde kommt keine bindende Grundlagenfunktion zu. (Bindende) Grundlagenbescheide (§ 171 Abs. 10 der Abgabenordnung --AO--) liegen grundsätzlich nur vor, wenn die Bindungswirkung gesetzlich angeordnet ist (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 11. April 2005 GrS 2/02, BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679; BFH-Urteil vom 26. Oktober 2011 VII R 64/10, BFH/NV 2012, 712, m.w.N.; Banniza in HHSp, § 171 AO Rz 207). Im vorliegenden Fall fehlt es an einer gesetzgeberischen Verfahrensentscheidung.
37 b) Selbst wenn man eine Tatbestandswirkung ressortfremder Behördenentscheidungen auch ohne gesetzlich angeordnete Bindungswirkung für möglich halten würde, "wo Sachverhalte zu beurteilen sind, die die Finanzbehörde mangels eigener Sachkunde nicht selbst nachzuprüfen vermag" (so der erkennende Senat in den Urteilen vom 13. Dezember 1985 III R 204/81, BFHE 145, 545, BStBl II 1986, 245; vom 10. Juni 1988 III R 232/84, BFHE 154, 68, BStBl II 1988, 981; BFH-Beschlüsse vom 13. April 2005 VI B 197/04, BFH/NV 2005, 1231; vom 26. Oktober 2011 VII R 64/10, BFH/NV 2012, 712; zweifelnd der Große Senat des BFH in BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679), tritt eine solche im vorliegenden Fall nicht ein. Die Einordnung eines Unternehmens als groß oder klein, verbunden oder unverbunden kann die Finanzbehörde kraft eigener Sachkunde vornehmen.
38 c) Soweit nach dem Willen des Gesetzgebers (BTDrucks 15/2249, S. 16) die Finanzämter die Einstufung der Wirtschaftsbehörde übernehmen sollen, wenn diese nicht offensichtlich unzutreffend ist, reicht dies für eine Bindungswirkung nicht aus. Die gebotene und unverzichtbare Rechtsgrundlage kann nicht durch allgemeine Zweckmäßigkeitserwägungen oder vergleichbare Überlegungen --auch nicht durch Verwaltungsvorschriften-- ersetzt werden (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679; vgl. BFH-Urteil in BFHE 154, 68, BStBl II 1988, 981). Durch die Gesetzesbegründung (BTDrucks 15/2249, S. 16) hat der Gesetzgeber der GA-Behörde hinsichtlich der rechtlichen Einordnung eines Unternehmens auch kein nur eingeschränkt überprüfbares administratives Letztentscheidungsrecht eingeräumt. Der Gesetzgeber hat trotz seiner Gesetzesbegründung eine verfahrensrechtliche oder materiell-rechtliche Bindung gerade nicht in das InvZulG übernommen. Vielmehr hat er die Entscheidung über den Anspruch auf Investitionszulage ausdrücklich dem für die Besteuerung des Anspruchsberechtigten nach dem Einkommen zuständigen Finanzamt gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 2005 zugeordnet. § 3 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 2005 ist eine Bestimmung sowohl für die örtliche als auch die sachliche Zuständigkeit i.S. des § 17 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung i.V.m. § 16 AO. Selbst wenn sich aus der Gesetzesbegründung eine Bindung der Finanzbehörde an die Einordnung durch die GA-Behörde ergeben sollte, ändert dies nichts am Umfang der gerichtlichen Kontrolle. Die Interpretation der generell-abstrakten Rechtsnorm und der in ihr enthaltenen (unbestimmten) Rechtsbegriffe ist eine originäre Funktion der rechtsprechenden Gewalt, keine genuine Verwaltungsfunktion, so dass die Beurteilung der rechtlichen Maßstäbe, das heißt deren Auslegung und deren Rechtmäßigkeit, den Gerichten obliegt (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 10. Dezember 2009 1 BvR 3151/07, Deutsches Verwaltungsblatt 2010, 250). Darüber hinaus kann der erkennende Senat auch keinen tragfähigen Sachgrund (vgl. BVerfG-Beschluss vom 31. Mai 2011 1 BvR 857/07, BVerfGE 129, 1) für ein Letztentscheidungsrecht der GA-Behörde erkennen. Jedenfalls gelangen weder die Finanzbehörden noch die Gerichte bei der Überprüfung der Einstufung eines Unternehmens als KMU-Unternehmen an die Grenzen ihrer Funktionsfähigkeit.