FG Hamburg: Zurechnung steuerfreier Einkünfte in der KGaA; versäumte einheitliche Gewinnfeststellung
FG Hamburg, Beschluss vom 9.7.2015 – 3 K 308/14
Leitsätze
1. Persönlich haftende Gesellschafter (Komplementäre) einer KGaA sind wie Mitunternehmer zu behandeln; die Einkünfte der Komplementäre werden – insoweit transparent – an der Wurzel abgespalten; das gilt einschließlich darin anteilig enthaltener steuerfreier oder steuerbegünstigter Betriebseinnahmen – hier Investitionszulage – ebenso wie nicht abziehbarer Betriebsausgaben.
2. Wurde die erforderliche einheitliche und gesonderte Feststellung durch das für den Sitz der KGaA zuständige Betriebsfinanzamt bestandskräftig abgelehnt, lädt das im Klageverfahren eines Komplementärs gegen sein Wohnsitzfinanzamt zuständige FG die KGaA auf Antrag des beklagten Wohnsitzfinanzamts gemäß § 174 Abs. 4-5 AO bei; das andere Finanzamt kann zur Effektivität beigeladen werden, wenn von den Finanzämtern systematisch unterschiedliche Auffassungen vertreten werden.
§ 174 Abs 4 AO, § 174 Abs 5 AO, § 180 Abs 1 Nr 2 Buchst a AO, § 182 AO, § 15 Abs 1 S 1 Nr 3 EStG 2009, § 60 FGO, Art 19 Abs 4 GG, § 8 KStG 2002
Aus den Gründen
1. Persönlich haftende Gesellschafter (Komplementäre) einer KGaA sind wie Mitunternehmer zu behandeln; die Einkünfte der Komplementäre werden - insoweit transparent - an der Wurzel abgespalten (Wurzeltheorie; BFH-Urteil vom 21.06.1989 X R 14/88, BFHE 157, 382, BStBl II 1989, 881; Kauffmann in Frotscher, EStG, § 15 Rd. 494; Witt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 15 Rd. 901; Bünning/Kaligin/Naujok in Lademann/Söffing EStG § 15 Rd. 490/1; Drüen/van Heek, DStR 2012, 541, 545; Bitz in Littmann/Bitz/Meincke, EStG, § 15 Rd. 116; Ellerbeck in Schnitger/Fehrenbacher, KStG § 9 Rd. 38, 50; Ernst & Young Wiss. Beirat Steuern, DB 2014, 147, 149; Glanegger, DStR 2004, 1686 f.).
2. Das gilt einschließlich darin anteilig enthaltener steuerfreier oder steuerbegünstigter Betriebseinnahmen – hier Investitionszulage – (vgl. Kusterer, DStR 2008, 484 ff.) ebenso wie nicht abziehbarer Betriebsausgaben (Drüen in Herrmann/Heuer/Raupach, KStG § 9 Rd. 25), sei es nach deutschem oder nach internationalem Steuerrecht (vgl. BFH-Urteil vom 19.05.2010 I R 62/09, BFHE 230, 18, IStR 2010, 661).
3. Dementsprechend sind - spiegelbildlich zur Teiltransparenz – die jeweils auf die persönlich haftenden Gesellschafter und auf das gesamte Kommanditaktienkapital entfallenden Einkünfte gesondert und einheitlich festzustellen (h. M.; BFH-Urteil vom 21.07.1967 VI 270/65 m. w. N. der BFH-Rspr., n. v.; Bacher, DB 1985, 2117; Kunz in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 180 AO Rd. 32; Druen/van Heek, DStR 2012, 541, 547; Fischer, DStR 1997, 1519, 1522; Glanegger, DStR 2004, 1686, 1688; Hempel/Siebels/Uhl, DB 2001, 2268, 2270; Rätke/Witt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 15 EStG Rd. 115; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 180 AO Rd. 176; Kusterer, DStR 2012, 484, 487; Reiß in Kirchhof, 14. A., EStG § 12 Rd. 404; Mathiak, DStR 1989, 661, 667; Rohrer/Orth, BB 2007, 1594; Schaumburg, DStZ 1998, 525; Wehrheim, DB 2001, 947, 948; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 180 AO Rd. 17; Lambrecht in Gosch, KStG, 2. A., § 9 Rd. 21; entgg. u. a. Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 12.04.2011 5 K 136/07, EFG 2011, 2038; FG München, Urteil vom 16.01.2003 7 K 5340/01, EFG 2003, 670; bei nur einem Komplementär offengelassen in BFH-Urteil vom 21.06.1989 X R 14/88, BFHE 157, 382, BStBl II 1989, 881).
4. Wurde die einheitliche und gesonderte Feststellung i. S. d. § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO durch das für den Sitz der KGaA zuständige Betriebsfinanzamt bestandskräftig - d. h. für die Einkommensbesteuerung bindend - abgelehnt, lädt das im Klageverfahren eines Komplementärs gegen sein Wohnsitzfinanzamt - hier bezüglich steuerfreier Investitionszulage - zuständige FG die KGaA auf Antrag des beklagten Wohnsitzfinanzamts gemäß § 174 Abs. 4-5 AO bei; danach steht einer Änderung nach § 174 Abs. 4 AO die Bestandskraft eines ablehnenden oder unzureichenden Bescheids über eine gesonderte oder einheitliche Feststellung nicht entgegen (vgl. BFH-Urteil vom 28.02.2013 IV R 50/09, BFHE 240, 270, BStBl II 2013, 494, Juris Rz. 29); ebenso wenig wie die Unterlassung eines Bescheids binnen der Feststellungs- oder Festsetzungsfrist (vgl. BFH-Urteil vom 23.05.1996 IV R 49/95, BFH/NV 1997, 80) oder wie die Bestandskraft eines Körperschaftsteuerbescheids für die Beigeladene (vgl. BFH-Beschluss vom 29.11.2006 I R 78/05 u. a., BFH/NV 2007, 1091).
5. Das andere Finanzamt kann zur Effektivität beigeladen werden, wenn von den Finanzämtern systematisch unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (vgl. sinngemäß EuGH-Urteil vom 26.01.2012 C-218/10 "AdV Allround", DB 2012, 384, EuZW 2012, 219 Tz. 43 zum EU- bzw. USt-Recht, m. Anm. Weinschütz; vorgehend FG Hamburg, Beschluss vom 20.04.2010 3 K 3/09, Vorlagefrage 2, Juris Rd. 95-97, 102-120, DStRE 2010, 1119; EFG 2010, 1170 m. Anm. Büchler-Hole); solange das Betriebsfinanzamt nicht beigeladen wird, ist den Beteiligten Gelegenheit zur Kommunikation mit ihm zu geben.