BFH: Zurechnung sexueller Dienstleistungen in einem Bordell („Laufhaus“)
BFH, Beschluss vom 30.4.2025 – XI B 33/24
ECLI:DE:BFH:2025:B.300425.XIB33.24.0
Volltext BB-Online BBL2025-1366-1
Amtliche Leitsätze
1. NV: Leistender Unternehmer ist umsatzsteuerrechtlich in der Regel derjenige, der eine Lieferung oder sonstige Leistung im eigenen Namen gegenüber einem anderen selbst oder durch einen Beauftragten ausführt; dies gilt auch für die Zurechnung von sexuellen Dienstleistungen.
2. NV: Im Bereich der sexuellen Dienstleistungen kann zum Beispiel einer Person eine sexuelle Dienstleistung als eigene zugerechnet werden, wenn sie in ihrer Werbung als Erbringerin aller Dienstleistungen (einschließlich der sexuellen Dienstleistung) auftritt und erklärt, für aus Kundensicht bestehende Mängel der sexuellen Dienstleistung einstehen zu wollen.
UStG § 1 Abs 1 Nr 1, UStG § 2 Abs 1, UStG VZ 2013 , UStG VZ 2014 , UStG VZ 2015 , FGO § 115 Abs 2 Nr 1, EGRL 112/2006 Art 10, AEUV Art 267
Sachverhalt
I. Die Beteiligten streiten im Verfahren wegen Nichtzulassung der Revision über die Feststellung zur Insolvenztabelle betreffend die Umsatzsteuer (nebst Zinsen) für die Jahre 2013 bis 2015 (Streitjahre).
Der (vom Finanzgericht ‑‑FG‑‑ als Kläger bezeichnete) Beklagte und Beschwerdeführer (Insolvenzverwalter) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der X (Insolvenzschuldnerin). Satzungsmäßiger Geschäftszweck der Insolvenzschuldnerin war der Betrieb … im Rahmen eines Bordells. In diesem Zusammenhang wurden folgende Geschäftsbereiche betrieben: …, "Laufhaus" und …
Im "Laufhaus" wurden den Prostituierten möblierte Zimmer (mit Bett und Bettlaken) tageweise gegen Entgelt überlassen, in denen die Prostituierten Kunden sexuelle Dienstleistungen anbieten konnten. Daneben wurden weitere Leistungen (Zimmerreinigung, Hausmeisterservice, Security) zur Verfügung gestellt. Für die Serviceleistungen beschäftigte die Insolvenzschuldnerin festangestellte Mitarbeiter.
Neben den Zimmern der Prostituierten befanden sich die folgenden weiteren Einrichtungen: Manager (täglich 24 Stunden), Geldautomat, Kartenterminals, Bistro, Shop, Frisör, Nageldesignerin, Solarium, Shisha-Bar.
Auf der Homepage wurde im Impressum die Insolvenzschuldnerin als Betreiberin des Nightclubs und des Hotels genannt. Zum "Laufhaus" war angegeben, dass es täglich 24 Stunden geöffnet hat und der Eintrittspreis genannt, der alle alkoholfreien Getränke kostenlos enthielt. Sodann erfolgte unter anderem der Hinweis auf die Zahl der Damen und auf "Themenzimmer". Weiter war angegeben, dass die Preise grundsätzlich Verhandlungssache mit den Damen seien. Außerdem war ein Preis, ab dem sexuelle Dienstleistungen angeboten werden, angegeben. Darüber hinaus wurden einzelne Damen (unter anderem mit Arbeitszeiten, Portfolio und Zimmernummer) vorgestellt. Wenn der Kunde einmal, wider Erwarten, mit einer der Leistungen im Haus unzufrieden sein sollte, erhalte er umgehend sein Geld zurück. Zusätzlich wurde darauf hingewiesen, dass Frauen aus allen Teilen der Welt zugegen seien und dass Frauen als Gäste keinen Zutritt haben (außer bei Special Events).
Gleichzeitig wurde auf der Homepage unter anderem um Mieterinnen im "Laufhaus", Gastdominas, Masseusen und Tänzerinnen im Nightclub geworben und gebeten, sich vorzustellen.
Als Service für die "Girls" im Bordell wurden unter anderem der Parkplatz, die tägliche Reinigung der Zimmer, der 24 Stunden-Hausmeister- und Security-Service, die fehlenden Preisvorgaben, die freie Zeiteinteilung, das eigene Restaurant, Friseur, Kosmetik, Solarium, Fitnessraum im Haus, der Waschsalon und die mehrmals wöchentlich erfolgende Werbung genannt.
Daneben existierten Videos einer "Fortbildungsveranstaltung", mehrere "Einstellungsbögen/Check-In-Bögen", "Arbeitsempfehlungen" und "Regeln Laufhaus" mit detaillierten Verhaltensregeln sowie eine "Manager Liste". Die Hausdamen hatten jeden Abend die Damen zu kontrollieren. Der Kunde war bei der Verabschiedung zu fragen, ob er rundum zufrieden war.
In den Umsatzsteuer-Jahreserklärungen für die Streitjahre erklärte die Insolvenzschuldnerin Umsätze aus … Die sexuellen Dienstleistungen wurden nicht erfasst. Die Umsatzsteuer-Jahreserklärungen standen einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich.
Nach Durchführung einer Außenprüfung bei der Insolvenzschuldnerin kam der Prüfer unter anderem zu dem Ergebnis, dass der Insolvenzschuldnerin als Unternehmerin die Prostitutionsleistungen zuzurechnen seien. Der Kläger und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) schloss sich der Auffassung des Prüfers an und erließ Umsatzsteuer-Änderungsbescheide sowie erstmalige Bescheide über Zinsen zur Umsatzsteuer 2013 bis 2015.
Mit Schreiben vom … legte die Insolvenzschuldnerin Einsprüche gegen die Bescheide wegen Umsatzsteuer 2013 bis 2015 ein und beantragte dabei auch die Aussetzung der Vollziehung (AdV) in Bezug auf die Zinsen. Die Einsprüche blieben erfolglos. Das FA nahm an, dass die Insolvenzschuldnerin im Außenverhältnis als leistende Unternehmerin anzusehen sei. Sie habe durch umfangreiche Werbemaßnahmen (unter anderem im Internet) sämtliche Leistungen einschließlich der sexuellen Dienstleistungen angeboten. Es hätten genaue Regeln und Vorgaben existiert, die die Prostituierten zu beachten hatten. Ob ein verdeckter Hintermann sämtliche Fäden in der Hand gehabt habe, sei insoweit nicht klärungsbedürftig. Entscheidend sei, dass die Insolvenzschuldnerin nach außen als Erbringerin der Leistungen aufgetreten sei.
Eine in diesem Zusammenhang handelnde Person wurde vom zuständigen Landgericht wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt.
Im Laufe des Klageverfahrens hat das zuständige Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet und den Beklagten zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Insolvenzverwalter hat mitgeteilt, dass der Rechtsstreit aufgenommen werde. Außerdem hat er der Forderungsanmeldung des FA widersprochen.
Das FG wies materiell die ursprünglich von der Insolvenzschuldnerin erhobene Klage ab und ließ die Revision nicht zu. Es entschied, im Hinblick auf die Zinsen zur Umsatzsteuer sei bereits vor Erhebung der Klage Bestandskraft eingetreten. Gegen die Zinsbescheide sei kein Einspruch eingelegt worden, so dass die ursprünglich erhobene Anfechtungsklage mangels Durchführung eines Vorverfahrens unzulässig und die nunmehr anhängige Feststellungsklage unbegründet sei. Die Umsätze aus den sexuellen Dienstleistungen der Prostituierten seien der Insolvenzschuldnerin zuzurechnen.
Dafür spreche maßgeblich der Internetauftritt des Bordells. Dieser erweckte den Eindruck, dass die Insolvenzschuldnerin selbst Anbieterin der sexuellen Dienstleistungen sei. Zudem habe die Insolvenzschuldnerin den Kunden ein Leistungsversprechen gegeben, für das sie einstehe. Weiter habe die Insolvenzschuldnerin den Kunden aus deren Sicht ein organisatorisches Gesamtarrangement zur Verfügung gestellt, bei dem die Anwesenheit mehrerer Prostituierten sichergestellt war. Das so im Rahmen einer Würdigung und Abwägung aller Gesamtumstände gefundene Ergebnis entspreche auch der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität.
Der Zurechnung der sexuellen Dienstleistungen zum Unternehmen stehe auch nicht eine etwaige Einflussnahme eines Hintermanns entgegen. Im Außenverhältnis sei ‑‑wenn auch gegebenenfalls nur als sogenannter Strohmann‑‑ die Insolvenzschuldnerin gegenüber den Kunden aufgetreten.
Außerdem sei die Zurechnung der Prostitutionsumsätze nicht verfassungswidrig. Es erfolge keine verfassungswidrige Doppelbesteuerung. Dem Bordellinhaber steht im Falle der Beschäftigung von Subunternehmerinnen der Vorsteuerabzug zu, sofern Rechnungen vorliegen. Seien die Prostituierten Arbeitnehmerinnen, träfen den Bordellbetreiber die steuerrechtlichen Verpflichtungen als Arbeitgeber. Die Situation unterscheide sich insoweit nicht von der eines anderen Unternehmers, der zur Erbringung Arbeitnehmer oder Subunternehmer einsetzt.
Auch die Höhe der Schätzung sei im Ergebnis nicht zu beanstanden. Soweit dem FA im Jahr 2013 ein Berechnungsfehler unterlaufen sei, führe dieser nicht zu einer Minderung der festzusetzenden Umsatzsteuer; denn dieser Fehler sei mit einem Ermittlungsfehler zugunsten der Insolvenzschuldnerin zu kompensieren. Eine Verböserung durch das Gericht scheide aufgrund des Verbots der Schlechterstellung (reformatio in peius) aus.
Ein Vorsteuerabzug aus den Prostituiertenumsätzen komme nicht in Betracht, weil keine Rechnungen der Prostituierten vorgelegt worden seien. Ein Vorsteuerabzug ohne Rechnung scheide aus, weil völlig unklar sei, ob die leistenden Unternehmerinnen zum Ausweis von Umsatzsteuer berechtigt gewesen seien oder ob es sich zum Beispiel um Kleinunternehmerinnen gehandelt habe.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des vom FG als Kläger bezeichneten Insolvenzverwalters wegen Nichtzulassung der Revision.
Mit Beschlüssen vom … und … - Az. … hat das Insolvenzgericht beschlossen, dass das Insolvenzverfahren in ein Partikularinsolvenzverfahren gemäß §§ 315 ff. der Insolvenzordnung übergeleitet wird. Gesamtrechtsnachfolgerin der X ist die Y, vertreten durch den Geschäftsführer Z, gemäß § 738 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der bis zum 31.12.2023 geltenden Fassung (a.F.) analog. Der Eröffnungsbeschluss blieb dabei bis auf Weiteres in Kraft.
Aus den Gründen
22 II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen, soweit sie hinreichend dargelegt worden sind, nicht vor.
23 1. Mit ihrem Vorbringen, das FG habe die Klage wegen Zinsen zur Umsatzsteuer verfahrensfehlerhaft als unzulässig abgewiesen, dringt die Beschwerde nicht durch. Das FG hat nicht verfahrensfehlerhaft ein Prozessurteil statt eines Sachurteils (vgl. dazu als Verfahrensfehler Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 19.09.2017 - IV B 85/16, BFH/NV 2018, 51, Rz 2; vom 20.02.2018 - XI B 129/17, BFH/NV 2018, 641, Rz 21) erlassen.
24 a) Der Einspruch vom 05.03.2020 ist sowohl nach den Angaben im Betreff als auch nach dem Inhalt des Schreibens ausschließlich gegen die Umsatzsteuer gerichtet. Die inhaltlichen Einwendungen (auch der späteren Begründungen) beziehen sich ebenfalls ausschließlich auf die Umsatzsteuer. Gesonderte Einwendungen gegen die Zinsen wurden nicht erhoben.
25 b) Der Vortrag, es sei AdV der Zinsen beantragt worden, führt zu keiner anderen Beurteilung; denn zur Erlangung der beantragten AdV der Zinsfestsetzungen bedurfte es keiner Erstreckung des gegen die Umsatzsteuerbescheide gerichteten Einspruchs auf die Zinsbescheide. Die Regelung des § 361 Abs. 3 Satz 1 der Abgabenordnung (AO), wonach die Vollziehung eines Folgebescheids auszusetzen ist, soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheids ausgesetzt wird, gilt auch für das Verhältnis zwischen einem Steuerbescheid und dem darauf beruhenden Zinsbescheid (vgl. BFH-Beschlüsse vom 16.03.1995 - VIII B 158/94, BFH/NV 1995, 680, unter 2.; vom 17.07.2019 - X B 21/19, BFH/NV 2019, 1217, Rz 18). Vor diesem Hintergrund ist eine Anfechtung des Zinsbescheids nur dann erforderlich, wenn der Steuerpflichtige Fehler vorbringen will, die dem FA nicht bereits bei der Steuerfestsetzung (deren Korrektur über § 233a Abs. 5 Satz 1 AO auf die Zinsen durchschlagen würde), sondern nur bei der Zinsfestsetzung unterlaufen sind. Darum ging es der Insolvenzschuldnerin ausweislich ihres Einspruchsschreibens aber nicht. Die Zinsbescheide sind daher, wie das FG angenommen hat, bestandskräftig geworden.
26 c) Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass das FG zwar zu Recht davon ausgegangen ist, dass das ursprüngliche Anfechtungsverfahren sich in ein Insolvenzfeststellungsverfahren umgewandelt hat (vgl. BFH-Urteil vom 18.08.2015 - V R 39/14, BFHE 251, 125, BStBl II 2017, 755); denn nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Steuerschuldners ist die Feststellung der vor Insolvenzeröffnung mit Einspruch und Klage angefochtenen und im Prüfungstermin vom Insolvenzverwalter bestrittenen Steuerforderung durch das FA nicht mit Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO, sondern nur durch Aufnahme des unterbrochenen Klageverfahrens zu betreiben.
27 aa) Allerdings hat das FG nicht beachtet, dass sich die Parteirollen der Beteiligten geändert haben. Das Rubrum des Verfahrens ist daher entsprechend zu ändern. Das FA ist als Klagepartei mit einem Feststellungsantrag aufgetreten. Streitgegenstand ist die Beseitigung des Widerspruchs durch Feststellung der im Prüfungstermin geltend gemachten Forderung zur Tabelle (vgl. BFH-Urteil vom 18.08.2015 - V R 39/14, BFHE 251, 125, BStBl II 2017, 755, Rz 17). Durch sein Urteil hat das FG den Widerspruch des Insolvenzverwalters gegen die Forderungsanmeldung des FA beseitigt, das heißt die Forderung des FA zur Tabelle festgestellt.
28 bb) Außerdem ist aufgrund der Beschlüsse des Insolvenzgerichts vom … und … das Rubrum an die Überleitung des Insolvenzverfahrens in ein Partikularinsolvenzverfahren und die Gesamtrechtsnachfolge anzupassen. Beides ist offenkundig (vgl. zu gemeinsamen Registerportalen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 08.11.2023 - VII ZB 20/20, Der Deutsche Rechtspfleger 2024, 286).
29 2. Soweit die Beschwerde unter Wiederholung des Vorbringens im Klageverfahren und der Darlegung, warum das FG aus Sicht des Beklagten den Rechtsstreit falsch entschieden habe, die materielle Rechtmäßigkeit der Vorentscheidung in Frage stellt, vermag dies die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht zu rechtfertigen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 13.03.2019 - XI B 97/18, BFH/NV 2019, 711, Rz 9; vom 23.03.2021 - XI B 69/20, BFH/NV 2021, 1108, Rz 16).
30 3. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
31 a) Die Beschwerde wirft unter Auseinandersetzung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgende abstrakte Rechtsfrage auf: "Sind unabhängig/selbständig tätige Prostituierte, die in einem Bordell in angemieteten Zimmern sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt im Sinne des ProstG anbieten/erbringen, immer als leistender Unternehmer und Schuldner der Umsatzsteuer anzusehen?"
32 b) Diese Rechtsfrage ist geklärt (vgl. zuletzt BFH-Beschlüsse vom 10.01.2024 - XI B 117/22, BFH/NV 2024, 394; vom 16.07.2024 - XI B 43/23, BFH/NV 2024, 1181, Rz 8; vom 17.07.2024 - XI S 19/23 (AdV), BFH/NV 2024, 1183, Rz 37, m.w.N. zur Rechtsprechung des V. Senats des BFH).
33 aa) Für die Zurechnung von sexuellen Dienstleistungen gelten die allgemeinen Grundsätze, nach denen zu beurteilen ist, ob eine Leistung dem unmittelbar Handelnden oder dem Unternehmer, in dessen Unternehmen er eingegliedert ist, zuzurechnen ist (vgl. BFH-Urteil vom 27.09.2018 - V R 9/17, BFH/NV 2019, 127, Rz 13, m.w.N.): Regelmäßig ergibt sich sowohl nach der Rechtsprechung des BFH als auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) aus den abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen, wer bei einem Umsatz als Leistender anzusehen ist. Leistender ist in der Regel derjenige, der die Lieferungen oder sonstigen Leistungen im eigenen Namen gegenüber einem anderen selbst oder durch einen Beauftragten ausführt. Ob eine Leistung dem Handelnden oder einem anderen zuzurechnen ist, hängt grundsätzlich davon ab, ob der Handelnde gegenüber Dritten im eigenen Namen oder berechtigterweise im Namen eines anderen bei Ausführung entgeltlicher Leistungen aufgetreten ist (vgl. BFH-Urteil vom 27.09.2018 - V R 9/17, BFH/NV 2019, 127, Rz 15; BGH-Urteil vom 05.05.2022 - 1 StR 475/21, Umsatzsteuer-Rundschau ‑‑UR‑‑ 2022, 794, Rz 12, m.w.N.). Tritt jemand im Rechtsverkehr im eigenen Namen aber für Rechnung eines anderen auf, ist zivilrechtlich grundsätzlich nur der "Strohmann" aus dem Rechtsgeschäft berechtigt und verpflichtet und dem "Strohmann" sind die Leistungen zuzurechnen (vgl. BFH-Beschluss vom 31.01.2002 - V B 108/01, BFHE 198, 208, BStBl II 2004, 622, unter II.4.b).
34 bb) Dies bedeutet in Bezug auf die aufgeworfene Rechtsfrage: Falls eine Prostituierte Unternehmerin ist und nach außen als Leistende auftritt, erbringt sie Dienstleistungen. Leistungsempfänger ihrer Dienstleistungen können ‑‑je nach Fallgestaltung‑‑ der Bordellbetreiber oder die einzelnen Kunden sein.
35 cc) Weiteren abstrakten, über die Entscheidung des Einzelfalls hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.
36 4. Die Revision ist auch nicht zur Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) zuzulassen, weil der Senat ‑‑anders als die Beschwerde meint‑‑ nicht verpflichtet ist, dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) verschiedene Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.
37 a) Der Antrag, der Senat möge den EuGH um Vorabentscheidung zu der Frage ersuchen, ob die nationale Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs Art. 10 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) widerspricht, kann schon deshalb nicht zum Erfolg führen, weil es auf die Frage, ob die Prostituierten Subunternehmerinnen oder Arbeitnehmerinnen der Insolvenzschuldnerin sind, im Streitfall nicht ankommt (vgl. bereits BFH-Urteil vom 21.02.1991 - V R 11/91, BFH/NV 1991, 844 sowie z.B. BFH-Beschlüsse vom 20.12.2004 - VI B 137/03, BFH/NV 2005, 552 und vom 07.02.2017 - V B 48/16, BFH/NV 2017, 629).
38 b) Gleiches gilt aus denselben Gründen für den Antrag, den EuGH um Vorabentscheidung zu folgenden Fragen zu ersuchen:
"Ist die Methode einen Nichtunternehmer durch die Vokabel 'Zurechnung' zu einem umsatzsteuerrechtlichen Unternehmer zu machen[,] eine Einschränkung der Rechte die sich aus der Mehrwertsteuersystem Richtlinien ergibt?"
"Wird insbesondere durch die umsatzsteuerrechtliche Doppelbesteuerung der Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer verletzt?"
"Wird durch die umsatzsteuerrechtliche doppelte Erfassung bezüglich derselben Dienstleistung eine unzulässige Erweiterung der im internationalen Bereich gleich anzuwenden[den] Mehrwertsteuersystemrichtlinie vorgenommen?"
"Widerspricht es dem europäischen Recht, denen in dieser Akte/Verfahren beschriebenen Dienstleistungen der selbstständigen Damen, die dem Prostitutionsgewerbe nachgehen, die Unternehmereigenschaft abzusprechen, soweit diese Damen eigenständig über das 'Ob' der Erbringung ihrer eigenen höchstpersönlichen Dienstleistungen entscheiden, gleichzeitig über die Frage des 'Wann' und 'Wie' ihre[r] Dienstleistung und über die Frage der Höhe der Gegenleistung alleine entscheiden?"
"Widerspricht es dem europäischen Recht, nachdem die Unternehmereigenschaft der in dieser Akte beschriebenen Damen mit ihren selbstständigen Dienstleistungen jemand anderen 'zugerechnet' oder in ähnlicher Form zugesprochen wird?"
"Widerspricht es dem europäischen Recht, dass die umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft für ein und dieselbe (die identische) Dienstleistung zweimal bejaht und damit zweimal der Umsatzsteuer unterworfen wird?"
Auch diese Fragen sind im Streitfall nicht entscheidungserheblich.
39 aa) Die Insolvenzschuldnerin geht selbst davon aus, Unternehmerin zu sein. Streitig ist allein die Frage, welche Umsätze sie ausführt (nur … oder auch sexuelle Dienstleistungen).
40 bb) Den Prostituierten hat das FG die Unternehmereigenschaft weder zu- noch abgesprochen (s. unter II.4.a sowie unter II.3.). Soweit sie Unternehmerinnen sind, führen sie steuerpflichtige Umsätze aus. Die zwischen den Beteiligten insoweit streitige Frage ist, ob die Prostituierten ihre Leistungen an die Insolvenzschuldnerin oder direkt an die Kunden erbracht haben.
41 cc) Eine Doppelbesteuerung oder doppelte Erfassung der Leistung erfolgt im Streitfall nicht, da die Insolvenzschuldnerin unter weiteren Voraussetzungen für die von den Subunternehmerinnen an sie erbrachten Leistungen den Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen kann (FG-Urteil, S. 34 und 37 sowie BFH-Beschluss vom 26.09.2017 - XI B 65/17, BFH/NV 2018, 240, Rz 20) oder die Leistungen bei den Subunternehmerinnen nicht umsatzbesteuert werden, wenn sie zum Beispiel Kleinunternehmerinnen oder Arbeitnehmerinnen sind. Im Übrigen kommt es zum Beispiel auch bei einem Handeln auf fremde Rechnung aufgrund von § 3 Abs. 11 des Umsatzsteuergesetzes, Art. 28 MwStSystRL zu der juristischen Fiktion zweier gleichartiger Dienstleistungen, die nacheinander erbracht werden (vgl. BFH-Beschluss vom 23.08.2023 - XI R 10/20, BFHE 282, 113, BStBl II 2024, 302, Rz 82), und zu einer fiktiven Verdoppelung der Leistungsbeziehungen, bei der bei einem Strohmann als Leistenden daneben der Hintermann an den Strohmann leistet (vgl. BFH-Urteil vom 12.05.2011 - V R 25/10, BFH/NV 2011, 1541, Rz 21, 25; BGH-Urteile vom 29.01.2014 - 1 StR 469/13, Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht ‑‑NZWiSt‑‑ 2014, 194, Rz 12; vom 07.03.2024 - 1 StR 472/23, NZWiSt 2024, 368, Rz 6). Eine Doppelbesteuerung liegt darin wegen des Rechts zum Vorsteuerabzug nicht.
42 dd) Die Laden- und Konzessionsrechtsprechung des BFH ist zwar Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens des Senats im Verfahren XI R 10/20 (vgl. BFH-Beschluss vom 23.08.2023 - XI R 10/20, BFHE 282, 113, BStBl II 2024, 302, Rz 61 f.; Aktenzeichen des EuGH: C-101/24). Aus den genannten Gründen kommt es darauf jedoch vorliegend nicht an. Vorliegend kommt es allein auf das Auftreten nach außen an. Insoweit bestehen keine Zweifel, dass dies der Rechtsprechung des EuGH entspricht. Auch danach ist unter anderem entscheidend, ob eine Person die wirtschaftliche Tätigkeit im eigenen Namen ausübt (vgl. z.B. EuGH-Urteile Valstybinė mokesčių inspekcija [Vereinbarung über eine gemeinsame Tätigkeit] vom 16.09.2020 - C-312/19, EU:C:2020:711, Rz 41; DuoDecad vom 16.06.2022 - C-596/20, EU:C:2022:474, Rz 28; GRFP Cluj vom 16.02.2023 - C-519/21, EU:C:2023:106, Rz 71; s.a. zur Selbständigkeit EuGH-Urteil Administration de l'enregistrement, des domaines und de la TVA [Mehrwertsteuer - Mitglied eines Verwaltungsrats] vom 21.12.2023 - C-288/22, EU:C:2023:1024, Rz 55).
43 c) Ebenso wenig ist die Revision zur weiteren Klärung des Verhältnisses von Vorlageverpflichtung und Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zuzulassen.
44 aa) Die Beschwerde führt hierzu aus:
"Sollte der BFH beabsichtigen die Nichtzulassungsbeschwerde abzuweisen, ohne die Vorlagefragen zum EuGH zu würdigen, so sind zuvor in diesem Nichtzulassungsverfahren dem EuGH die folgende Frage vorzulegen,
‑‑Sind die Zulassungsgründe des §§ 115 f. FGO im Falle einer Nichtzulassungsbeschwerde aufgrund des unionsrechtlichen Äquivalenz- und Effektivitätsprinzips dahin auszulegen, dass eine Zulassung der Revision zu erfolgen hat, weil aufgrund nationaler (Verfahrens)Vorschriften bzw. nationaler (Verfahrens)Praxis nur in dem dann folgenden Revisionsverfahren von dem BFH erstmals unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft werden kann/wird, ob eine EuGH-Vorlage erfolgen muss?
Soweit der BFH die Ansicht vertritt, dass er bereits im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren voll umfänglich und endgültig die Frage möglicher EuGH-Vorlagen prüft und hierrüber entscheidet (ohne mündliche Verhandlung?), und zu einer für den Kläger nachteiligen Entscheidung gelangt, so wären vorab die folgenden Fragen an den EuGH zu richten:
‑‑Sind die Zulassungsgründe des §§ 115 f. FGO im Falle einer Nichtzulassungsbeschwerde aufgrund des unionsrechtlichen Äquivalenz- und Effektivitätsprinzips dahin auszulegen, dass eine Zulassung der Revision zu erfolgen hat, wenn im Rahmen des dann folgenden Revisionsverfahrens ein EuGH-Vorlageverfahren betreffend einer oder mehrerer streitentscheidender Fragen als nicht gänzlich unwahrscheinlich erscheint oder hat eine Zulassung der Revision nur zu erfolgen wenn bereits im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren mit äußerst hoher Wahrscheinlichkeit feststeht, dass im Revisionsverfahren ein EuGH-Vorlageverfahren durchzuführen sein wird."
45 bb) Damit wird ein Zulassungsgrund schon deshalb nicht dargelegt, weil sich die Beschwerde nicht mit der bereits vorhandenen Rechtsprechung zum Verhältnis von Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren und Vorlageverpflichtung auseinandersetzt.
46 (1) Die Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde kommt grundsätzlich nicht in Betracht, da in diesem Verfahren nur über den Zugang zum BFH zu entscheiden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 08.09.2015 - V B 5/15, BFH/NV 2016, 7, Rz 15).
47 (2) Wenn Zweifel in Bezug auf die Auslegung des Unionsrechts vorhanden sind und im Revisionsverfahren voraussichtlich eine Vorabentscheidung nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) einzuholen wäre, kommt eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (oder zur Fortbildung des Rechts als Unterfall der grundsätzlichen Bedeutung) in Betracht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 09.11.2007 - IV B 169/06, BFH/NV 2008, 390; vom 03.12.2010 - V B 29/10, BFH/NV 2011, 563, Rz 3).
48 (3) Eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 267 AEUV ist aber nicht einzuholen und die Revision nicht zuzulassen, wenn die aufgeworfene Auslegungsfrage nicht streiterheblich ist (vgl. BFH-Beschluss vom 01.04.2011 - XI B 75/10, BFH/NV 2011, 1372, Rz 18 f.).
49 (4) So ist es im Streitfall. Selbst wenn der EuGH zu dem Ergebnis käme, dass die Voraussetzungen der Zulassungsgründe gemäß § 115 Abs. 2 FGO im Sinne der Beschwerde zu verstehen wären, wäre die Revision nicht zuzulassen; denn die gestellten Fragen sind nach den Ausführungen unter II.4.a und II.4.b nicht entscheidungserheblich.
50 5. Als ebenfalls nicht durchgreifend erweist sich der Einwand, das FG sei vom BGH-Urteil vom 05.05.2022 - 1 StR 475/21 (UR 2022, 794) abgewichen und das BGH-Urteil weiche in wesentlichen Grundsätzen von der ständigen Rechtsprechung des BFH ab (vgl. dazu bereits BFH-Beschluss vom 17.07.2024 - XI S 19/23 (AdV), BFH/NV 2024, 1183).
51 a) Eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO wegen Divergenz setzt voraus, dass das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt seiner Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 14.11.2022 - XI B 105/21, BFH/NV 2023, 155, Rz 9; vom 05.10.2023 - XI B 13/23, BFH/NV 2023, 1411, Rz 2). Eine zur Zulassung der Revision führende Nichtübereinstimmung im Rechtsgrundsätzlichen liegt nicht vor, wenn das FG ausgehend von denselben Rechtsgrundsätzen bei der Würdigung des ihm zur Entscheidung gestellten Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis gelangt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 10.01.2024 - XI B 117/22, BFH/NV 2024, 394, Rz 9 f., m.w.N.; vom 16.07.2024 - XI B 43/23, BFH/NV 2024, 1181, Rz 3).
52 b) Ausgehend davon hat das FG zutreffend eine Abweichung verneint.
53 aa) Der Auffassung, es liege eine Nichtübereinstimmung im Rechtsgrundsätzlichen vor, hat der BFH bereits mehrfach widersprochen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10.01.2024 - XI B 117/22, BFH/NV 2024, 394, Rz 8 ff., 13; vom 08.12.2023 - V B 73/22, nicht veröffentlicht, unter 2.; vom 21.03.2024 - V B 5/23, nicht veröffentlicht, unter 3.; vom 17.07.2024 - XI B 43/23, Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2024, 1813). Von den bisherigen Grundsätzen des BFH und des BGH zur Bestimmung, wer Leistender ist, weicht das BGH-Urteil vom 05.05.2022 - 1 StR 475/21 (UR 2022, 794) nicht ab, was sich schon daran zeigt, dass der BGH sie in den Rz 12 f. umfassend zitiert und eine (bei einer Abweichung notwendige) Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes unterlassen hat (vgl. auch BFH-Beschluss vom 16.07.2024 - XI B 43/23, BFH/NV 2024, 1181, Rz 4). Der entgegenstehenden Auffassung in der Literatur (Vogt, UR 2022, 790, unter V.; Nieskens, UR 2023, 741, unter IV. und UR 2024, 202; zweifelnd Kemper, UR 2022, 913, 916 f.) folgt der erkennende Senat nicht.
54 bb) Im Übrigen liegen unterschiedliche Sachverhalte vor. Zwar verlangte im Streitfall die Insolvenzschuldnerin ‑‑wie die Angeklagten im Verfahren des BGH‑‑ von den Besuchern des Bordells lediglich ein pauschales Eintrittsgeld für die Nutzung der Räumlichkeiten einschließlich des Schwimmbads und der Sauna sowie für den Zugang zum Buffet und war an den Prostitutionserträgen nicht beteiligt (vgl. BGH-Urteil vom 05.05.2022 - 1 StR 475/21, UR 2022, 794, Rz 16). Das FG hat aber weiter festgestellt, dass aufgrund der Werbung bei den Kunden der Eindruck entstanden ist, dass die Insolvenzschuldnerin Verantwortung für die Qualität der sexuellen Dienstleistungen übernimmt (FG-Urteil, S. 30 f.). Da die Insolvenzschuldnerin den Kunden außerdem aus deren Sicht ein organisatorisches Gesamtarrangement zur Verfügung gestellt habe, das der Ermöglichung des Bezugs von sexuellen Dienstleistungen diente und sie als Betreiberin des Bordells erscheinen ließ, sei sie als Leistende anzusehen.
55 cc) Dies lässt revisible Rechtsfehler nicht erkennen (§ 118 Abs. 2 FGO). Zwar spricht auch aus Sicht des erkennenden Senats die fehlende prozentuale Beteiligung an den Erlösen der Prostituierten indiziell eher dafür, dass die Prostituierten Leistende sind. Im Fall des BGH befand sich aber auf der Internetseite außerdem die ausdrückliche Aufforderung an die Besucher des Bordells, Art und Umfang der Prostitutionsleistung sowie das hierfür zu zahlende Entgelt ausschließlich mit den Prostituierten auszuhandeln, während im Streitfall die Insolvenzschuldnerin in ihrem Internetauftritt für die Mangelfreiheit der sexuellen Dienstleistungen eingestanden ist. Dies hat das FG zu Recht als starkes Indiz dafür angesehen, dass die Insolvenzschuldnerin Leistende ist, da Dritte, die an der Leistung nicht beteiligt sind, üblicherweise nicht für aus Kundensicht bestehende Mängel der sexuellen Dienstleistung einstehen (wollen).
56 dd) Soweit die Divergenzrüge dahin gehend verstanden werden kann, dass der BGH ‑‑anders als der BFH‑‑ auf die im Bordell gelebte Praxis statt auf den Inhalt von Internetseiten abstelle, trifft dies nicht zu.
57 (1) Vielmehr ist auch und gerade nach der umsatzsteuerrechtlichen Rechtsprechung die wirtschaftliche und geschäftliche Realität bei der Bestimmung des Leistenden mit zu berücksichtigen (vgl. dazu allgemein EuGH-Urteile ITH Comercial Timișoara vom 12.11.2020 - C-734/19, EU:C:2020:919, Rz 48; Fenix International vom 28.02.2023 - C-695/20, EU:C:2023:127, Rz 72; BFH-Urteile vom 21.04.2022 - V R 18/19, BFHE 276, 493, Rz 17; vom 15.03.2022 - V R 35/20, BFHE 276, 377, BStBl II 2023, 150, Rz 14; vom 29.11.2022 - XI R 18/21, BFHE 279, 298, Rz 26; BFH-Beschlüsse vom 10.01.2024 - XI B 117/22, BFH/NV 2024, 394, Rz 12; vom 17.07.2024 - XI B 43/23, DStR 2024, 1813, Rz 8). Vereinbarungen sind unter anderem dann steuerrechtlich unbeachtlich, wenn sie der wirtschaftlichen Realität nicht entsprechen (BFH-Urteil vom 29.09.2022 - V R 29/20, BFHE 278, 363, BStBl II 2023, 986, Rz 51).
58 (2) Die unter II.5.b bb wiedergegebene tatsächliche Würdigung des FG widerspricht der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität aber nicht. Die Insolvenzschuldnerin ist nach den tatsächlichen Feststellungen des FG auf den Internetseiten nicht nur als Leistende nach außen aufgetreten, sondern hat außerdem damit geworben, das wirtschaftliche Risiko der Schlechterfüllung der sexuellen Dienstleistungen zu tragen. Das lässt die Würdigung des FG, dass die Insolvenzschuldnerin Leistende sei, zutreffend erscheinen. Ein Durchschnittsverbraucher kann den Umstand, dass die Insolvenzschuldnerin erklärt hat, für (aus Sicht des Kunden bestehende) Mängel einstehen zu wollen, nicht anders als in dem vom FG angenommenen Sinne verstehen. Dass die Insolvenzschuldnerin insoweit das wirtschaftliche Risiko der sexuellen Dienstleistungen übernommen hat, spricht dafür, dass auch in Bezug auf die sexuellen Dienstleistungen eine wirtschaftliche Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin vorliegt (vgl. EuGH-Urteile Fluvius Antwerpen vom 27.04.2023 - C-677/21, EU:C:2023:348, Rz 47, zum Diebstahlsrisiko; Administration de l'enregistrement, des domaines und de la TVA [Mehrwertsteuer - Mitglied eines Verwaltungsrats] vom 21.12.2023 - C-288/22, EU:C:2023:1024, Rz 57, zum wirtschaftlichen Risiko).
59 ee) Dass der BGH als weitere Kriterien auf die vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Prostituierten und den dortigen Angeklagten sowie die Hausordnung und ein fehlendes Wettbewerbsverbot abstelle (BGH-Urteil vom 05.05.2022 - 1 StR 475/21, UR 2022, 794, Rz 17 ff.), führt ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung. Diese Ausführungen des BGH sind vor dem Hintergrund der in Rz 12 des BGH-Urteils genannten Prüfung zu sehen, wer nach außen aufgetreten ist, und vor dem Hintergrund, dass eine Zurechnung in Betracht kommt, wenn ein Unternehmer gemäß den nach außen erkennbaren Gesamtumständen aufgrund von Organisationsleistungen selbst derjenige ist, der durch die Anwerbung von Prostituierten und deren Unterbringung das Bordell betreibt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 29.01.2008 - V B 201/06, BFH/NV 2008, 827, unter II.2.a; vom 25.11.2009 - V B 31/09, BFH/NV 2010, 959, unter 1.; vom 26.09.2017 - XI B 65/17, BFH/NV 2018, 240, Rz 18; BFH-Urteil vom 27.09.2018 - V R 9/17, BFH/NV 2019, 127, Rz 14). Dies hat der BGH dort geprüft und verneint. Im Streitfall kommt es darauf nicht an, weil hier (anders als dort) das Auftreten nach außen bereits aufgrund der Gestaltung der Internetseiten und der Werbung eindeutig ist.
60 6. Die Rüge, das FG habe gegen seine Sachaufklärungspflicht und die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen, weil es keine Kunden dazu vernommen habe, wer ihrer Auffassung nach leistender Unternehmer sei, bleibt ebenfalls erfolglos.
61 a) Die Beschwerde beachtet insoweit nicht, dass die Beurteilung, wer leistender Unternehmer war, das Ergebnis einer tatsächlichen Würdigung ist (vgl. BFH-Urteile vom 04.09.2003 - V R 9, 10/02, BFHE 203, 389, BStBl II 2004, 627, unter II.3. und vom 07.07.2005 - V R 60/03, BFH/NV 2006, 139, unter II.1.b cc).
62 b) Das FG als (nach § 96 FGO zur tatsächlichen Würdigung des Streitfalls berufenes) nationales Gericht ist dazu in der Lage, die Sicht eines gedachten, objektivierten Durchschnittsverbrauchers aufgrund eigener Sachkunde festzustellen (vgl. EuGH-Urteil Phantasialand vom 09.09.2021 - C-406/20, EU:C:2021:720, Rz 46). Die Sicht des Durchschnittsverbrauchers ist eine gedankliche Perspektive; das FG muss zu deren Feststellung unter anderem weder ein Sachverständigengutachten einholen noch eine Verbraucherbefragung durchführen (vgl. BFH-Urteil vom 17.03.2022 - XI R 23/21 (XI R 4/21), BFHE 276, 386, BStBl II 2022, 818, Rz 35), auch nicht im Wege des Zeugenbeweises. Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht liegt danach ebenso wenig vor wie ein Verstoß gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme.
63 7. Der Beschluss ergeht nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ohne weitere Begründung.
64 8. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.