FG Münster: Wann kann ein PC-gestütztes Kassensystem als nicht manipulierbar angesehen werden?
FG Münster, Urteil vom 29.3.2017 – 7 K 3675/13 E,G,U
ECLI:ECLI:DE:FGMS:2017:0329.7K3675.13E.G.U.00
Volltext:BB-ONLINE BBL2017-982-1
unterwww.betriebs-berater.de
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten noch über Umsatz- und Gewinnhinzuschätzungen aufgrund von Kassenführungsmängeln.
Der Kläger betrieb in den Streitjahren zwei Friseursalons in K-Stadt („A-Salon“ und „B-Salon“). Seinen Gewinn ermittelte er in den Streitjahren 2007 und 2008 durch Einnahmenüberschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und stellte ab dem Streitjahr 2009 auf eine Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich um.
Seine Bareinnahmen erfasste der Kläger über die PC-gestützte Kassensoftware „S-Software“, die auch über andere Funktionen wie Kundenkartei oder Terminverwaltung verfügt. Auf Grundlage dieses Programms wurden arbeitstäglich für jeden der beiden Salons Kassenberichte erstellt, in denen die Bareinnahmen getrennt nach Verkauf, Herrensalon und Damensalon sowie die Ausgaben erfasst wurden. Eine fortlaufende Nummerierung enthalten die Kassenberichte nicht. Trinkgelder wurden nicht in der Kasse erfasst, sondern sowohl für den Kläger als auch für jeden seiner Arbeitnehmer in jeweils eigene Sparschweine eingeworfen, für die keine Aufzeichnungen geführt wurden. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass in das Sparschwein des Klägers nicht erfasste Trinkgelder in Höhe von 3.600 € jährlich gelangt sind.
Der Kläger wurde in den Streitjahren zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. In den Einkommensteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuererklärungen sind folgende Nettoumsätze bzw. Gewinne angegeben:
2007 |
2008 |
2009 |
|
Nettoumsatz |
343.089 € |
347.406 € |
331.801 € |
Gewinn |
60.458 € |
25.152 € |
76.989 € |
Im Gewinn für das Streitjahr 2009 ist unstreitig ein Übergangsgewinn wegen des Wechsels der Gewinnermittlungsart in Höhe von 1.239,16 € enthalten.
Für die Streitjahre 2007 und 2008 führten die Umsatzsteuererklärungen zu Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung bzw. erließ der Beklagte im Hinblick auf die gewerblichen Einkünfte des Klägers erklärungsgemäße Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheide, die ebenfalls unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen. Für das Streitjahr 2009 stellte der Beklagte aufgrund der laufenden Betriebsprüfung die Veranlagung zurück bzw. stimmte der Umsatzsteuerjahreserklärung, die zu einer Erstattung führte, nicht zu.
Im Rahmen der für die Streitjahre durchgeführten Betriebsprüfung gelangte der Prüfer zunächst zu der Auffassung, dass die Kassenführung des Klägers nicht ordnungsgemäß sei. Dies folge daraus, dass die Kassenberichte nicht nummeriert seien, nicht ermittelbar sei, wann diese Berichte aus dem System erzeugt wurden, Gutscheine nicht vollständig aufbewahrt worden seien, Rechnungsnummern fehlten, Löschungen ohne erkennbaren Grund vorgenommen worden seien, Eintragungen in der Kundenkartei einerseits und der Kasse andererseits nicht übereinstimmten und Protokolle über die Einrichtung und die Programmierung des Kassensystems nicht vorlägen. Ferner sei die Kassensturzfähigkeit nicht gegeben, weil die Trinkgelder in der Kasse nicht erfasst wurden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Prüfungsbericht vom 18.5.2011 sowie die auf die in der Prüferhandakte befindliche Bedienungsanleitung (S-Software Handbuch 1996-2003) Bezug genommen.
Darüber hinaus führte der Prüfer sog. Bargeldverkehrsrechnungen für die drei Streitjahre durch, bei denen er monatlich die Barentnahmen aus der Kasse und den betrieblichen Konten sowie die Abhebungen des privaten Kontos den Bareinlagen gegenüberstellte und bei einem monatlichen Mittelbedarf für die Familie des Klägers in Höhe von 1.456,50 € Unterdeckungen in Höhe von 7.981,91 € für 2007, 13.928,06 € für 2008 und 13.216,32 € für 2009 ermittelte. Anfangs- und Endbestände enthalten die Rechnungen nicht. Wegen der Einzelheiten wird auf die Bargeldverkehrsrechnungen (am Ende der Betriebsprüfungsakte Veranlagungsstelle) Bezug genommen.
Schließlich nahm der Prüfer für das Streitjahr 2007 eine Erlösverprobung vor. Dabei kalkulierte er die Chemieumsätze (Dauerwelle, Färbung, Tönung und Blondierung) anhand der eingekauften Waren. Für die Ermittlung der verbrauchten Warenmengen wertete er 139 Anwendungen aus. Für die Ermittlung des Anteils der Chemieumsätze an den Gesamtumsätzen (60,9 %) wertete er 250 von insgesamt 17.252 Datensätze aus. Warenbestandsverschiebungen berücksichtigte er mangels Bilanz nicht. Danach ergaben sich im Bereich der Chemieumsätze Kalkulationsdifferenzen beim Bruttoumsatz in Höhe von 131.090,24 € für den A-Salon und 70.075,95 € für den B-Salon. Die Kalkulation der Gesamtumsätze viel entsprechend höher aus. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlagen 7 zum Schreiben des Prüfers vom 7.4.2011 (Bp-Ordner Bd. 3) Bezug genommen.
Unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse und der amtlichen Richtsatzsammlung nahm der Prüfer folgende Hinzuschätzungen für die Streitjahre vor:
2007 |
2008 |
2009 |
|
Sparschwein |
3.600 € |
3.600 € |
|
Bargeldverkehr |
13.928,06 € |
13.216,32 € |
|
Kalkulationsdifferenz A-Salon |
131.090,25 € |
||
Kalkulationsdifferenz B-Salon |
70.075,96 € |
||
Zuschlag Richtsatz |
35.000,00 € |
10.000,00 € |
|
Abschlag Richtsatz |
-101.166,20 € |
-12.528,06 € |
-1.816,32 € |
verbleibt brutto |
100.000,00 € |
40.000,00 € |
25.000,00 € |
entspricht netto |
84.033,62 € |
33.613,44 € |
21.008,40 € |
Darüber hinaus nahm der Prüfer einkommensteuerpflichtige und umsatzsteuerpflichtige Sachbezüge in Form von Gratislieferungen verschiedener Gegenstände, Zuwendungen verschiedener Reisen und Eintritt für Veranstaltungen in allen Streitjahren an und schätzte den Wert des jeweiligen geldwerten Vorteils. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage e) zum Prüfungsbericht Bezug genommen.
Schließlich erhöhte der Prüfer die dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Lohnersatzleistungen für das Streitjahr 2007 von bisher 3.252 € auf insgesamt 5.248,38 €. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage 6 zum Schreiben des Prüfers vom 7.4.2011 Bezug genommen.
In Bezug auf den Übergangsgewinn für das Streitjahr 2009 nahm der Prüfer keine Änderungen vor.
Der Beklagte folgte den Prüfungsfeststellungen und erließ für die Streitjahre 2007 und 2008 gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderte und für das Streitjahr 2009 erstmalige Einkommensteuer-, Gewerbesteuermess- und Umsatzsteuerbescheide.
Zur Begründung seiner hiergegen erhobenen Sprungklage trug der Kläger vor, dass keine Mängel in der Buchführung vorlägen, da die von ihm genutzte Kassensoftware den GoBS entspreche und die Kassensturzfähigkeit jederzeit gegeben sei. Darüber hinaus sei die Nachkalkulation nicht vollständig. Für das Streitjahr 2007 werde der höchste amtliche Richtsatz deutlich überschritten und für die beiden übrigen Jahre sei keine Kalkulation vorgenommen worden. Die Sachbezüge seien zu hoch angesetzt und die Lohnersatzleistungen für 2007 fehlerhaft ermittelt worden. Für das Streitjahr 2009 ergebe sich schließlich ein Übergangsverlust wegen des Wechsels der Gewinnermittlungsart in Höhe von 4.255,41 € (Minderung des bisherigen Übergangsgewinns von 1.239,16 € um 5.497,57 €). Zur Berechnung wird auf die Seiten 7 und 8 des Schreibens der Klägervertreterin vom 17.8.2011 Bezug genommen.
Da der Beklagte der Sprungklage nicht zustimmte, wurde diese als Einspruch fortgeführt. Diesem half der Beklagte in Bezug auf den Übergangsgewinn für 2009 insoweit ab, als er den Gewinn um 2.716 € minderte. In der Begründung gab er an, dem Einspruch in diesem Punkt vollständig abgeholfen zu haben. Im Übrigen wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass aufgrund der festgestellten Kassenführungsmängel und der Fehlbeträge aufgrund der Bargeldverkehrsrechnung berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der Buchführung des Klägers bestünden. Im Rahmen einer griffweisen Schätzung sei ein Sicherheitszuschlag von 5-10% auf die bisher erklärten Nettoerlöse sachgerecht. Die erheblichen Differenzen bei der Kalkulation der Chemieumsätze zeigten, dass das Finanzamt berechtigt gewesen wäre, eine noch weitaus höhere Schätzung vorzunehmen.
Zur Begründung seiner hiergegen erhobenen Klage trägt der Kläger ergänzend vor, dass sowohl die Buchführung als auch die Kassenführung ordnungsgemäß und damit der Besteuerung zu Grunde zu legen seien. Zum Kassensystem führt er aus, dass die täglich erstellten Kassenberichte nicht die Funktion erfüllten wie die von einer Registrierkasse erstellten X- oder Z-Bons. Vielmehr blieben sämtliche Einzelumsätze und Berichtsdaten im Speicher abgelegt und könnten beliebig gefiltert und abgefragt werden. Jeder einzelne Vorgang werde aufgezeichnet und dauerhaft gespeichert. Selbst bei Stornierung von Daten würden diese Vorgänge protokolliert, so dass die Daten weiterhin auswertbar und nachvollziehbar seien. Manipulationen seien daher ausgeschlossen. Hierzu reicht der Kläger eine neuere Version des Handbuchs (Stand 2015) ein, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 92-154 der Gerichtsakte). Ferner reicht er Protokolle der Veränderungen und Anpassungen an gesetzliche Vorschriften, sowie Ergänzungen der Branchensoftware S-Software für die Jahre 2010-2012 sowie eine Beschreibung der Änderungen der Version 2009.1.1 ein. Auf diese Unterlagen (Bl. 80-89 der Gerichtsakte) wird ebenfalls Bezug genommen. Weitere Unterlagen seien nicht vorzulegen. Insbesondere könne das Fehlen der Programmierprotokolle keinen wesentlichen Mangel darstellen, weil sich aus diesen wegen der vollständig erfassten Daten keine weiteren Erkenntnisse über das Zustandekommen der Einnahmen ergäben. Zudem seien die vom BFH im Urteil vom 25.3.2015 (X R 20/13) aufgestellten Grundsätze für die Vergangenheit nicht anwendbar. Jedenfalls liege aber ein Ausnahmefall im Sinne der Tz. 28 dieses Urteils vor, weil die verwendete Kasse keine Manipulationsmöglichkeiten eröffne.
Darüber hinaus seien die strengen Anforderungen eine Kassenführung im Rahmen einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG nicht anwendbar. Die insoweit lediglich erforderlichen Einnahmen-Ursprungsaufzeichnungen lägen vor.
Die Bargeldverkehrsrechnung genüge nicht den von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen, da nicht einmal Anfangs-und Endbestände aufgenommen worden seien. Die Nachkalkulation sei nicht vollständig, da fehlerhaft aus einer kleinen Stichprobe ein Gesamtergebnis hochgerechnet worden sei. Da das Kalkulationsergebnis deutlich oberhalb des Rahmens der amtlichen Richtsatzsammlung liege, handele es sich um eine willkürliche Schätzung, von der der Beklagte auch selbst erhebliche Abschläge gemacht habe.
Hinsichtlich des Streitpunkts „Sachbezüge/geldwerte Vorteile“ haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 21.9.2016 eine tatsächliche Verständigung getroffen, die dazu führt, dass die Gewinnerhöhungen hieraus auf 1.500 € pro Streitjahr begrenzt und keine umsatzsteuerlichen Konsequenzen gezogen werden. Ferner hat der Kläger erklärt, den Streitpunkt „Lohnersatzleistungen“ für das Jahr 2007 nicht mehr weiterzuverfolgen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Manipulierbarkeit des vom Kläger verwendeten Kassensystems. Auf das Gutachten des Sachverständigen G. vom 29.1.2017 (Bl. 270-276 der Gerichtsakte) wird Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 16.3.2017 reichte der Kläger ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten vom 13.3.2017 ein, auf das wegen der Einzelheiten ebenfalls Bezug genommen wird (Bl. 306-319 der Gerichtsakte). Er trägt ergänzend vor, dass er danach tatsächlich keine Manipulation an seinem Kassensystem vorgenommen habe und verweist auf den BFH-Beschluss vom 11.1.2017 (X B 104/16, Juris). Da auch nach dem vom Gericht eingeholten Gutachten eine Manipulation nur schwerlich möglich sei, sei von einer formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung auszugehen. Ferner behauptet der Kläger nunmehr, dass seine Programmierprotokolle vollständig vorlägen. Diese Protokolle müssten nicht in ausgedruckter Form, sondern könnten auch in Dateiform vorgelegt werden. Hierzu reicht er beispielhaft drei Bildschirmausdrucke ein (Bl. 302-305 der Gerichtsakte). Die Revision sei zuzulassen, weil der BFH bisher nur zu einer elektronischen Registrierkasse, nicht aber zu einem PC-Kassensystem Stellung genommen habe.
Der Kläger beantragt,
1. Beweiserhebung zur Frage, dass die steuerlich erheblichen Daten im System protokolliert sind, insofern also die Programmierprotokolle vollständig vorliegen, durch Zeugenaussagen der Gutachter G. und B., des Herstellers der Software T., Übergabe der Datenbank an das Gericht und Sachverständigengutachten;
2. Beweis zu erheben zur Frage, dass die Protokolle unmanipuliert im System vorliegen, durch Zeugenaussagen der Gutachter G. und B., des Herstellers der Software T. und Sachverständigengutachten;
3. Beweis zu erheben, dass das vorliegend eingesetzte System keine Manipulationsmöglichkeiten für den normalen und versierten Anwender eröffnet, durch Zeugenaussagen der Gutachter G. und B. und des Herstellers der Software T.;
4. die Einkommen-, Gewerbesteuermess- und Umsatzsteuerbescheide für 2007 bis 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.10.2013 in dem in der Klageschrift vom 14.11.2013 angegebenen Umfang unter sinngemäßer Berücksichtigung der tatsächlichen Verständigung aus der mündlichen Verhandlung vom 21.9.2016 zu ändern, hilfsweise für den Fall des Unterliegens oder Teilunterliegens, die Revision zuzulassen;
5. Beweis zu erheben darüber, dass die vorliegend eingesetzte Kasse nicht manipuliert worden ist, durch Zeugenaussagen der Gutachter G. und B. und des Herstellers der Software T.. Sollten diese Nachweise nach Auffassung des Gerichts nicht ausreichend sein, beantragt der Kläger
a. einen richterlichen Hinweis zur Frage, wie die Ausführungen im BFH-Beschluss vom 11.1.2017 zur Frage auszulegen sind, wie der Steuerpflichtige substantiiert darlegen kann, dass die von ihm verwendete Kasse nicht manipuliert worden ist und
b. einen richterlichen Hinweis, welche Ersatzunterlagen nach Auslegung des o.g. Beschlusses vorzulegen sind.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, soweit das Klagebegehren über die tatsächliche Verständigung vom 21.9.2016 hinausgeht.
Er verweist auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass die eingereichten Unterlagen weiterhin nicht den Anforderungen an die beim Einsatz eines PC-Kassensystems vorzulegenden Verfahrensdokumentationen erfüllten. Die Bedienungsanleitung stelle nur einen Teil dieser Dokumentation dar. Darüber hinaus seien Unterlagen über die Kasseneinstellungen beim Kläger, Bedienungsprogrammierung, Artikel- und Warengruppeneinstellungen und vor allem Bedienerberichte aus der Abrechnung mit dem kassierberechtigten Personal vorzulegen.
Der Beklagte hat nach Hinweis des Gerichts bestätigt, dass er den Übergangsverlust hinsichtlich des Wechsels der Gewinnermittlungsart für das Jahr 2009 insoweit falsch berechnet hat, dass ihm bei der Umsetzung der Teilabhilfe ein Rechenfehler unterlaufen sei und dass die sich aus den Hinzuschätzungen ergebenen Umsatzsteuererhöhungen für die Streitjahre 2007 und 2008 bisher nicht gewinnmindernd berücksichtigt worden seien.
In der Sache haben am 3.5.2016 ein Erörterungstermin vor dem Berichterstatter und am 21.9.2016 sowie am 29.3.2017 mündliche Verhandlungen vor dem Senat stattgefunden. Auf die Sitzungsprotokolle wird Bezug genommen.
Aus den Gründen
Die zulässige Klage ist mit dem Sachantrag (Antrag zu 4.) teilweise begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
Die angefochtenen Einkommensteuer-, und Gewerbesteuermessbescheide für 2007 bis 2009 sowie die Umsatzsteuerbescheide für 2007 und 2008 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung, FGO), soweit der Beklagte zu hohe Hinzuschätzungen zu den Umsätzen und Gewinnen der Streitjahre 2007 und 2008 vorgenommen hat, einen zu niedrigen Übergangsverlust für 2009 berücksichtigt hat, für Sachbezüge bzw. geldwerte Vorteile der Jahre 2007 bis 2009 Gewinnerhöhungen vorgenommen hat, die über einen Betrag von jährlich 1.500 € hinausgehen und soweit er auf die Sachbezüge Umsatzsteuer berechnet hat. Im Übrigen sind die Bescheide rechtmäßig.
I.
Hinzuschätzungen
Dem Grunde nach besteht für alle drei Streitjahre eine Schätzungsbefugnis nach § 96 FGO i.V.m. § 162 Abs. 1 AO. Danach sind Besteuerungsgrundlagen durch das Gericht zu schätzen, soweit es sie nicht ermitteln oder berechnen kann. Die tatsächlichen Einnahmen, die der Kläger in den Streitjahren im Rahmen seiner beiden Friseursalons erzielt hat, können nicht ermittelt werden, weil seine Kassenführung nicht ordnungsgemäß ist.
1. Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden kann (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO). Dies ist dann der Fall, wenn die Buchführung den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO nicht entspricht oder im Einzelfall ein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit anzuzweifeln. Nach § 145 Abs. 1 AO muss die Buchführung so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann. Die Geschäftsvorfälle müssen sich in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen. Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sollen täglich festgehalten werden (§ 146 Abs. 1 Satz 2 AO). Bücher, Aufzeichnungen, Buchungsbelege und sonstige Unterlagen, soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind, sind geordnet aufzubewahren (§ 147 Abs. 1 Nr. 1, 4 und 5 AO).
Für Steuerpflichtige, die ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, ergibt sich nicht nur für die Umsatzsteuer, sondern auch für Zwecke der Einkommensteuer eine Aufzeichnungspflicht aus § 22 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) und der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV). Zwar sind umsatzsteuerrechtliche Aufzeichnungen keine Aufzeichnungen „nach anderen Gesetzen als den Steuergesetzen" im Sinne von § 140 AO. Die Aufzeichnungsverpflichtung aus einem Steuergesetz wirkt aber, sofern dieses Gesetz keine Beschränkung auf seinen Geltungsbereich enthält oder sich eine solche Beschränkung aus der Natur der Sache ergibt, unmittelbar auch für andere Steuergesetze, also auch für das EStG (BFH-Beschlüsse vom 16.2.2006 X B 57/05, BFH/NV 2006, 940 und vom 18.3.2015 III B 43/14, BFH/NV 2015, 978, jeweils m. w. N.). Gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 UStG sind u.a. die vereinnahmten Entgelte aufzuzeichnen. Die Aufzeichnungen müssen so beschaffen sein, dass es einem sachverständigen Dritten innerhalb einer angemessenen Zeit möglich ist, einen Überblick über die Umsätze des Unternehmens und die abziehbaren Vorsteuern zu erhalten (§ 63 Abs. 1 UStDV, vgl. auch § 145 Abs. 1 AO). Es ist zwar - anders als im Rahmen einer Buchführung - nicht erforderlich, vereinnahmte Barentgelte gesondert in einem Kassenbuch aufzuzeichnen. Allerdings müssen auch im Rahmen einer Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG die der Gewinnermittlung zugrunde liegenden Belege, insbesondere die Tagesendsummenbons einer Registrierkasse, geordnet und vollständig aufbewahrt werden (BFH-Beschluss vom 7.2.2008, X B 189/07, Juris). Die §§ 145 und 146 AO sind ebenfalls zu beachten (BFH-Beschluss vom 16.2.2006 X B 57/05, BFH/NV 2006, 940). Wer überwiegend Bargeschäfte tätigt, muss neben der geordneten Belegsammlung Bareinnahmen täglich aufzeichnen (BFH-Beschluss vom 2.9.2008, V B 4/08, Juris).
2. Bei der Nutzung programmierbarer elektronischer Kassensysteme stellt das Fehlen der Programmierprotokolle einen gewichtigen formellen Kassenführungsmangel dar, der jedenfalls bei bargeldintensiven Betrieben zu Hinzuschätzungen berechtigt. Zu diesen Unterlagen gehören neben den Anweisungen zur Kassenprogrammierung insbesondere diejenigen Programmierprotokolle, die nachträgliche Änderungen dokumentieren. Das Fehlen dieser Organisationsunterlagen bei einem elektronischen Kassensystem steht dem Fehlen von Tagesendummenbons bei Registrierkassen bzw. dem Fehlen von Auszählungsprotokollen bei einer offenen Ladenkasse gleich. Es ist von erheblicher Bedeutung, dass sich ein Betriebsprüfer und gegebenenfalls das Gericht davon überzeugen können, wie die Kasse bei Inbetriebnahme programmiert war und in welchem Umfang zu späteren Zeitpunkten Programmeingriffe vorgenommen worden sind. Das Gewicht dieses Mangels tritt dann zurück, wenn der Steuerpflichtige im konkreten Einzelfall darlegt, dass die von ihm genutzte elektronische Kasse trotz Programmierbarkeit keine Manipulationsmöglichkeiten eröffnet (BFH-Urteil vom 25.3.2015 X R 20/13, BStBl II 2015, 743).
Diese Grundsätze wendet der Senat - ebenso wie der BFH – auch für die bereits vor Ergehen des BFH-Urteils abgeschlossenen Streitjahre an. Der BFH hat mit dieser Entscheidung nicht eine bisherige für den Steuerpflichtigen günstigere Rechtsprechung verschärft, sondern seine Rechtsprechung lediglich präzisiert. Ein Anspruch auf Vertrauensschutz besteht daher nicht.
Diese Grundsätze sind nach Auffassung des Senats auf PC-Kassensysteme gleichermaßen anzuwenden wie auf elektronische Registrierkassen, da PC-Systeme mindestens ebenso manipulationsanfällig sind wie elektronische Registrierkassen. Wäre die Auffassung des Klägers zutreffend, wonach bei PC-Kassensystemen - anders als bei elektronischen Registrierkassen - keine Programmierprotokolle bzw. Organisationsunterlagen aufzubewahren seien, würde dies bedeuten, dass allein die Vorlage der Bedienungsanleitung zum Nachweis der Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung genügte. Dies widerspräche nach Auffassung des Senats der o.g. BFH-Rechtsprechung, deren Sinn es gerade ist, die Ergebnisse eines elektronisch geführten Kassensystems nur dann der Besteuerung zugrunde zu legen, wenn festgestellt werden kann, wie, wann und durch wen die Daten eingegeben wurden und wie das Programm diese weiterverarbeitet hat. Dies ist weder bei elektronischen Registrierkassen noch bei PC-Kassensystemen möglich, wenn Programmierprotokolle fehlen.
Die Kassenführung des Klägers genügte in allen Streitjahren unabhängig von der Gewinnermittlungsart den genannten Anforderungen nicht. Der Kläger hat nicht alle erforderlichen Unterlagen aufbewahrt. Ob die mit Hilfe des PC-Kassensystems erstellten Kassenberichte die Einnahmen vollständig darstellen, kann nicht geprüft werden, weil der Kläger die Programmierprotokolle für die Streitjahre nicht vorgelegt hat. Das vom Kläger benutzte Kassensystem stellt keine (einfache) elektronische Registrierkasse dar, sondern ein programmierbares computergestütztes Kassensystem, das neben der Kassenführung auch weitere Funktionen beinhaltet. Die grundsätzliche Möglichkeit der Programmierung und auch der Stornierung erfasster Daten ergibt sich neben dem Umstand, dass es sich um ein PC-Kassensystem handelt, auch aus der vorliegenden Bedienungsanleitung (z.B. Kassier-Löschfunktion, S. 43 des Handbuchs, Stand 2003 und 2015 sind insoweit identisch). Die vorgelegten Programmierunterlagen reichen nicht aus, um den Anforderungen zu genügen. Aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich nichts zu der konkreten Programmierung des verwendeten Kassensystems. Es handelt sich lediglich um eine Beschreibung der Produktänderungen des Herstellers. Zudem betreffen diese Unterlagen die Streitjahre nicht. Lediglich die Beschreibung der Version 2009.1.1 betrifft das Streitjahr 2009. Aus der nicht datierten Beschreibung ergibt sich jedoch nicht, wann diese Version installiert wurde. Die für die Folgejahre vorgelegten Unterlagen wurden nach Angaben des Herstellers zum Jahreswechsel am Ende des Jahres bereitgestellt, so dass davon auszugehen ist, dass die für 2009 gültige Version ebenfalls erst Ende 2009 installiert wurde. Da der Kläger dem Gericht keine weiteren Protokolle - weder in elektronischer noch in Papierform - vorgelegt hat, kommt es nicht auf die vom Kläger aufgeworfene Frage an, in welcher Weise solche Protokolle aufzubewahren sind. Die drei beispielhaft eingereichten Bildschirmausdrucke reichen hierzu jedenfalls nicht aus. Damit liegen für die Streitjahre keinerlei Programmierunterlagen vor.
Das Gericht ist auch nicht gehalten, den Beweisanträgen des Klägers zur Frage, ob Programmierprotokolle vollständig vorliegen (Anträge zu 1. und 2.), nachzugehen. Es ist vielmehr Sache des Klägers, die Organisationsunterlagen aufzubewahren und auf Anforderung vorzulegen. Dies hat er weder im Rahmen der Betriebsprüfung noch im gerichtlichen Verfahren getan. Bis zur Erstellung des Sachverständigengutachtens ist der Kläger vielmehr selbst davon ausgegangen, derartige Unterlagen nicht bzw. nicht mehr zu besitzen. Sofern er nunmehr behauptet, die Programmierprotokolle lägen in elektronischer Form in seiner Datenbank vor, genügt es nicht, einen Beweisantrag in Bezug auf die Auswertung der Datenbank vorzulegen. Der Kläger hätte vielmehr substantiiert bezeichnen müssen, welche konkreten Daten nach seiner Auffassung Programmierprotokolle darstellen, wann diese Protokolle erstellt wurden und an welcher Stelle seiner Datenbank diese abgespeichert wurden. Das bloße Angebot, die Datenbank vorzulegen und diese (durch Sachverständige oder den Softwarehersteller) begutachten zu lassen, stellt einen unzulässigen Ausforschungsbeweis dar.
Soweit der Kläger der Auffassung sein sollte, dass seine Datenbank als Gesamtheit bzw. Teile hiervon Programmierprotokolle darstellen, ist dies nicht zutreffend. Programmierprotokolle können nicht die Daten selbst sein. Vielmehr geht es um die Dokumentation der Programmierung. Nur so kann geprüft werden, ob die durch das Programm erstellten Daten ordnungsgemäß zustande gekommen sind.
Bereits hieraus folgt ein gravierender formeller Mangel der Kassenführung, der für den bargeldintensiven Friseurbetrieb des Klägers zu Hinzuschätzungen berechtigt.
3. Das Gewicht dieses Mangels tritt nicht ausnahmsweise deshalb zurück, weil das vom Kläger konkret verwendete Kassensystem ausnahmsweise keine Manipulationsmöglichkeiten eröffnet (BFH-Urteil vom 25.3.2015 X R 20/13, BStBl II 2015, 743, Tz. 28). Dies steht zur Überzeugung des Senats aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens und der ausführlichen persönlichen Vernehmung des Sachverständigen G. in der mündlichen Verhandlung fest.
Der Sachverständige führt in seinem Gutachten aus, dass das System zur Erfassung der Kassendaten auf die Software Microsoft Access zurückgreift. Diese Software sei nicht Bestandteil des Anwendungsprogramms „S-Software“. Vielmehr handele es sich zunächst um eine Datei (ähnlich wie eine Textdatei des Programms Microsoft Word), die auf der Festplatte abgespeichert wird (Seite 4 des Gutachtens). Nach Angaben des Gutachters ist eine Manipulation der Kassendateien mittels der Software Microsoft Access „erst einmal teilweise“ möglich, weil sämtliche Daten in den einzelnen Spalten direkt verändert werden können (Seite 5 des Gutachtens). Zwar seien aufgrund der Verknüpfungen mehrerer Datenbankdateien Manipulationen schwierig. Letztendlich sei die Manipulation eine Frage des Aufwands und des Know-hows. Durch Einsatz bestimmter Programme sei dies jedoch auch auf recht einfache Art möglich (Seite 7 des Gutachtens). Hieraus folgt, dass Manipulationen nicht gänzlich ausgeschlossen werden können. Dieses Ergebnis hat der Sachverständige im Rahmen seiner persönlichen Vernehmung anschaulich und für Laien verständlich bekräftigt. Er hat dabei deutlich gemacht, dass jedenfalls für eine geschulte Person mit EDV-Kenntnissen Manipulationen im System S-Software so vorgenommen werden können, dass diese im Nachhinein nicht rückverfolgbar wären. Diese sind jedenfalls im laufenden Jahr mit einem zeitlich überschaubaren Aufwand (z.B. wöchentlich am Wochenende) möglich.
Auch das vom Kläger selbst eingeholte Gutachten kommt letztlich zum selben Ergebnis, indem auch danach Manipulationen nicht generell ausgeschlossen werden können.
Der Senat hat danach keine Zweifel daran, dass das vom Kläger verwendete System S-Software manipulierbar ist. Da die BFH-Rechtsprechung den vom Steuerpflichtigen darzulegenden Ausnahmefall (BFH-Urteil vom 25.3.2015 X R 20/13, BStBl II 2015, 743, Tz. 28) nur dann annimmt, wenn das System „keine Manipulationsmöglichkeiten eröffnet“, kommt es nicht darauf an, mit welchem Aufwand oder durch wen die Manipulationen vorgenommen werden können. Soweit der Kläger mit seinem Antrag zu 3. geprüft wissen will, ob das System S-Software für den normalen und versierten Anwender Manipulationsmöglichkeiten eröffnet, ist dies daher nicht entscheidungserheblich. Es ist kein Grund ersichtlich, warum im Hinblick auf die durch ein System eröffneten Manipulationsmöglichkeiten zwischen solchen, die durch einen „normalen“ Anwender und solchen, die nur durch einen (vom Steuerpflichtigen beauftragten) IT-Spezialisten vorgenommen werden können, unterschieden werden sollte. In beiden Fällen bietet das System nicht die Gewährleistung der vollständigen Erfassung aller Einnahmen.
4. Der Senat braucht nicht zu prüfen, ob der Kläger tatsächlich Manipulationen an seinem Kassensystem vorgenommen hat. Der klägerische Antrag zu 5. ist daher ebenfalls nicht entscheidungserheblich. Es genügt vielmehr, dass das System Manipulationsmöglichkeiten eröffnet. Dies gilt unabhängig davon, welcher Aufwand hierfür betrieben werden muss. Aus dem vom Kläger angeführten BFH-Beschluss vom 11.1.2017 (X B 104/16, Juris), ergibt sich keine andere rechtliche Beurteilung. Der BFH hat in Tz. 37 dieser Entscheidung zunächst seine bisherige Rechtsprechung, dass lediglich fehlende Manipulationsmöglichkeiten das Gewicht des Mangels der fehlenden Programmierprotokolle zurücktreten lassen (BFH-Urteil vom 25.3.2015 X R 20/13, BStBl II 2015, 743, Tz. 28), ausdrücklich bestätigt. Soweit er im nächsten Satz auf tatsächliche Manipulationen abstellt, betrifft dies lediglich die Frage, welche Anforderungen an einen substantiierten Beweisantritt eines Klägers zu stellen sind, der sich im konkreten Einzelfall auf die Ausnahmeregelung beruft, damit das Gericht verpflichtet ist, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Diese Frage stellt sich im Streitfall jedoch nicht, da das Gericht bereits ein Sachverständigengutachten eingeholt hat.
Soweit der Kläger rechtliche Hinweise in Bezug auf die Auslegung des BFH Beschlusses vom 11.1.2017 (X B 20/13) beantragt (Anträge zu 5. a. und b.), sind diese bereits unzulässig. Es ist nicht Aufgabe eines Gerichts, gutachterlich zu einzelnen Rechtsfragen Stellung zu nehmen. Soweit Rechtsfragen für den konkreten Streitfall entscheidungserheblich sind, werden diese im Rahmen der Urteilsbegründung entschieden. Diesbezüglich wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.
5. Darüber hinaus hat der Kläger die ausgegebenen und wieder eingelösten Gutscheine nicht aufbewahrt, obwohl diese als Einnahmeursprungsaufzeichnungen ebenfalls aufbewahrungspflichtig sind. Dies stellt einen weiteren Mangel der Kassenführung dar.
6. Der Senat begrenzt die Hinzuschätzungen jedoch auf die unstreitig bisher nicht erfassten Einnahmen aus den dem Kläger persönlich zugewandten Trinkgeldern (Sparschwein) in Höhe von 3.600 € brutto zuzüglich eines aus Sicht des Senats angemessenen und realistischen Sicherheitszuschlages in Höhe von 7,5% auf die erklärten Erlöse.
a. Die vom Beklagten durchgeführte Bargeldverkehrsrechnung kann einer Schätzung nicht zugrunde gelegt werden. Die Bargeldverkehrsrechnung ist bereits deshalb nicht als Schätzungsgrundlage geeignet, weil sie weder Anfangs- noch Endbestände enthält. Hierbei handelt es sich allerdings um existenzielle Bestandteile einer jeden Geldverkehrsrechnung (BFH-Urteil vom 25.7.1991 XI R 27/89, BFH/NV 1991, 796). Soweit - wie im Streitfall - Lebenshaltungskosten angesetzt werden, muss in einer Geldverkehrsrechnung angegeben werden, auf welcher Tatsachengrundlage diese Werte ermittelt worden sind (BFH-Urteil vom 25.7.1991 XI R 27/89, BFH/NV 1991, 796). Auch hieran fehlt es bei der vom Prüfer durchgeführten Berechnung.
b. Die für 2007 vom Beklagten durchgeführte Kalkulation der Chemieumsätze eignet sich als Schätzungsgrundlage ebenfalls nicht. Nach ständiger Rechtsprechung müssen die bei einer Schätzung gewonnenen Ergebnisse schlüssig, wirtschaftlich vernünftig und möglich sein (z.B. BFH-Beschluss vom 5.12.2007 X B 4/07, BFH/NV 2008, 587 m.w.N.). Die Hochrechnung des Kalkulationsergebnisses auf die Gesamtumsätze führt zu einer Kalkulationsdifferenz für beide Salons in Höhe von ca. 280.000 €. Dieses deutlich außerhalb der amtlichen Richtsätze liegende Ergebnis erscheint nicht schlüssig und nicht mit dem Betrieb des Klägers erzielbar. Es ist möglicherweise dadurch zustande gekommen, dass der Prüfer keine flächendeckende, sondern lediglich eine stichprobenartige Auswertung der Daten vorgenommen hat. Dementsprechend hat selbst der Beklagte das Kalkulationsergebnis nicht für zutreffend gehalten und für das Streitjahr 2007 einen deutlich niedrigeren Wert (ca. die Hälfte) angesetzt.
c. Mangels anderer in Betracht kommender Schätzungsgrundlagen nimmt der Senat eine griffweise Schätzung in Form von Sicherheitszuschlägen vor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass zum einen ein gravierender formeller Kassenführungsmangel vorliegt, der sich durch alle Streitjahre in gleicher Weise fortsetzt und aufgrund der Beweisaufnahme feststeht, dass der Kläger ein manipulierbares Kassensystem verwendet hat. Hinzu kommen in Form der fehlenden Gutscheine ein weiterer formeller Mangel und in Höhe der nicht erfassten Trinkgelder auch materielle Kassenführungsmängel. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Zuschlag in Höhe von 7,5% auf die erklärten Nettoumsätze neben den anzusetzenden Trinkgeldern als sachgerecht. Hieraus ergibt sich folgendes Ergebnis:
2007 |
2008 |
2009 |
|
Erklärter Nettoumsatz |
343.089,79 € |
347.406,75 € |
337.760,38 € |
Zuschlag 7,5% |
25.731,73 € |
26.055,51 € |
25.332,03 € |
Sparschwein netto |
3.025,21 € |
3.025,21 € |
3.025,21 € |
Summe netto |
28.756,94 € |
29.080,72 € |
28.357,24 € |
USt |
5.463,82 € |
5.525,34 € |
5.387,87 € |
Zu berücksichtigen ist, dass sich die Umsatzsteuerbeträge für die Streitjahre 2007 und 2008 bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG gewinnerhöhend auswirken.
Die hieraus resultierenden Ergebnisse liegen auch innerhalb der Bandbreite der amtlichen Richtsatzsammlung, die für das Friseurgewerbe mit einem jährlichen Umsatz über 150.000 € für alle Streitjahre einen Rohgewinn II ausweist, der zwischen 40% und 60% liegt. Dies ergibt sich aus folgender Berechnung:
2007 |
2008 |
2009 |
|
Nettoerlöse bisher |
343.089,79 € |
347.406,75 € |
337.760,38 € |
Zuschätzungen netto |
28.756,94 € |
29.080,72 € |
28.357,24 € |
Nettoerlöse neu |
371.846,73 € |
376.487,47 € |
366.117,62 € |
Rohgewinn II lt. FA |
246.030,42 € |
205.486,33 € |
197.564,47 € |
-Hinzuschätzungen lt. FA |
-84.033,62 € |
-33.613,44 € |
-21.008,40 € |
+Hinzuschätzungen neu |
+28.756,94 € |
+29.080,72 € |
+28.357,24 € |
Rohgewinn II neu |
190.753,74 € |
200.953,61 € |
204.913,31 € |
Rohgewinn/Nettoerlöse |
51,30% |
53,38% |
55,97% |
Wegen der Ermittlung des bisherigen Rohgewinns II wird auf die Anlage d) zum Prüfungsbericht vom 18.5.2011 Bezug genommen.
II.
Sachbezüge
Hinsichtlich des Streitpunkts Sachbezüge/geldwerte Vorteile sind die Gewinnerhöhungen aufgrund der von den Beteiligten getroffenen tatsächlichen Verständigung auf 1.500 € pro Streitjahr zu begrenzen und keine umsatzsteuerlichen Konsequenzen zu ziehen. Insoweit besteht zwischen den Beteiligten kein Streit mehr.
III.
Wechsel der Gewinnermittlungsart
Hinsichtlich des Wechsels der Gewinnermittlungsart ergibt sich - auch dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig - für das Streitjahr 2009 insoweit eine Änderung zu Gunsten des Klägers, dass der Übergangsverlust im Hinblick auf die auf die Hinzuschätzungen entfallenden Umsatzsteuerbeträge der Streitjahre 2007 und 2008 zu erhöhen und der im Rahmen der Einspruchsentscheidung unterlaufene Rechenfehler zu korrigieren ist. Danach ergibt sich folgende Neuberechnung des Übergangsgewinns:
ursprünglicher Übergangsgewinn |
1.239,16 € |
unstreitige Minderung |
-5.497,57 € |
USt 2007 |
-5.463,82 € |
USt 2008 |
-5.525,34 € |
Übergangsgewinn neu |
-15.247,57 € |
IV.
Berechnung Ergebnis Gewinn und Umsatzsteuer
Danach ergeben sich folgende Gewinnauswirkungen für die Streitjahre (vor Rückstellungen):
2007 |
2008 |
2009 |
|
Gewinn lt. Erklärung |
60.458,00 € |
25.152,00 € |
76.989,00 € |
Zuschätzungen netto |
28.756,94 € |
29.080,72 € |
28.357,24 € |
USt |
5.463,82 € |
5.525,34 € |
0,00 € |
Sachbezüge |
1.500,00 € |
1.500,00 € |
1.500,00 € |
Übergangsverlust 2009 |
0,00 € |
0,00 € |
-15.247,57 € |
Gewinn neu |
96.178,76 € |
61.258,05 € |
91.598,67 € |
Die Berechnung der Zinsrückstellung für 2009 (vgl. Anl. 3 zum Prüfungsbericht vom 18.5.2011) wird dem Beklagten übertragen. Für das Streitjahr 2009 greift das Verböserungsverbot nicht, weil der Gewinn trotz der höheren Hinzuschätzungen niedriger ist als in der Einspruchsentscheidung berücksichtigt.
Hinsichtlich der Umsatzsteuer ergeben sich folgende Auswirkungen:
2007 |
2008 |
2009 |
|
Zuschätzungen netto |
28.756,94 € |
29.080,72 € |
28.357,24 € |
USt 19% |
5.463,82 € |
5.525,34 € |
5.387,88 € |
Erhöhung bisher (Anl. 2 zum Bp-Bericht) |
16.834,57 € |
7.084,15 € |
4.249,54 € |
Minderung |
11.370,75 € |
1.558,81 € |
0 € |
Für die Umsatzsteuerfestsetzung des Streitjahres 2009 greift das Verböserungsverbot ein, weil die Umsatzsteuererhöhung höher ist als bisher vom Finanzamt angenommen. Es bleibt daher bei der bisherigen Festsetzung.
V.
Nebenentscheidungen
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
2. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Revisionsgrund im Sinne von § 115 Abs. 2 FGO vorliegt. Eine grundsätzliche Bedeutung ist dem Streitfall entgegen der Auffassung des Klägers nicht deshalb beizumessen, weil es sich vorliegend um ein PC-Kassensystem handelt und der BFH im Urteil vom 25.3.2015 (X R 20/13, BStBl. II 2015, 743) über eine elektronische Registrierkasse zu entscheiden hatte. Für die streitentscheidenden Fragen kommt es nach Auffassung des Senats allein darauf an, ob ein elektronisches Kassensystem manipulierbar ist oder nicht. Dies gilt gleichermaßen für PC-Kassensysteme und für elektronische Registrierkassen.