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Steuerrecht
31.10.2018
Steuerrecht
EuGH: Vorsteuerabzug der Holding auch bei Scheitern des beabsichtigten Erwerbs der Anteilsmehrheit an Zielgesellschaft aus wettbewerbsrechtlichen Gründen

EuGH, Urteil vom 17.10.2018C-249/17, Ryanair Ltd gegen The Revenue Commissioners

ECLI:EU:C:2018:834

Volltext:BB-ONLINE BBL2018-2645-2

Tenor

Die Art. 4 und 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind dahin auszulegen, dass sie einer Gesellschaft wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die beabsichtigt, die gesamten Anteile einer anderen Gesellschaft zu erwerben, um eine wirtschaftliche Tätigkeit in Gestalt der Erbringung mehrwertsteuerpflichtiger Geschäftsführungsleistungen gegenüber Letzterer auszuüben, das Recht, die für die Ausgaben für Beratungsdienstleistungen, die sie im Rahmen eines förmlichen Übernahmeangebots in Anspruch genommen hatte, entrichtete Mehrwertsteuer in vollem Umfang als Vorsteuer abzuziehen, auch dann verleihen, wenn diese wirtschaftliche Tätigkeit letztlich nicht ausgeübt wurde, sofern diese Ausgaben ausschließlich in der beabsichtigten wirtschaftlichen Tätigkeit begründet sind.

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 4 und 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).

2          Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Ryanair Ltd und den Revenue Commissioners (Steuerverwaltung, Irland) wegen der Weigerung Letzterer, Ryanair den Abzug der auf die von ihr im Rahmen eines förmlichen Angebots zur Übernahme einer anderen Gesellschaft in Anspruch genommenen Beratungsdienstleistungen entrichteten Mehrwertsteuer als Vorsteuer zu gestatten.

Rechtlicher Rahmen

3          Gemäß Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt.

4          Art. 4 Abs. 1 und 2 der Richtlinie sieht vor:

„(1) Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.

(2) Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst.“

5          Nach Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie treten der „Steuertatbestand und der Steueranspruch … zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bewirkt wird“.

6          Art. 17 („Entstehung und Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug“) der Richtlinie bestimmt in seinem Abs. 1, dass das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.

7          Nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie ist der Steuerpflichtige, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen abzuziehen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

8          Im Jahr 2006 gab die Fluggesellschaft Ryanair ein förmliches Übernahmeangebot ab, das auf den Erwerb der gesamten Anteile einer anderen Fluggesellschaft (im Folgenden: Zielgesellschaft) gerichtet war. Hierbei tätigte sie Ausgaben für Beratungs- und andere Dienstleistungen im Zusammenhang mit der beabsichtigten Übernahme (im Folgenden: streitbefangene Dienstleistungen). Das Vorhaben war jedoch aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht vollständig umzusetzen, so dass Ryanair nur einen Teil des Kapitals der Zielgesellschaft erwerben konnte.

9          Ryanair machte die bezüglich dieser Ausgaben entrichtete Mehrwertsteuer im Wege des Vorsteuerabzugs geltend, wobei sie sich auf ihre Absicht berief, nach Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft in deren Verwaltung einzugreifen, indem sie für diese mehrwertsteuerpflichtige Geschäftsführungsleistungen erbringen würde.

10        Nachdem die Steuerverwaltung diesen Vorsteuerabzug abgelehnt hatte, legte Ryanair Einspruch bei der Tax Appeals Commission (Einspruchskommission für Steuersachen, Irland) ein, der von dieser zurückgewiesen wurde. Daraufhin legte Ryanair Beschwerde beim Circuit Court (Kreisgericht, Irland) ein, das jedoch derselben Auffassung war wie die Steuerverwaltung. Gleichwohl legte der Circuit Court (Kreisgericht) die Sache dem High Court (Hoher Gerichtshof, Irland) zur Beantwortung von Rechtsfragen vor. Der High Court (Hoher Gerichtshof) bestätigte die Entscheidung des Circuit Court (Kreisgericht), woraufhin Ryanair Rechtsmittel zum Supreme Court (Oberster Gerichtshof, Irland) einlegte.

11        Das vorlegende Gericht möchte wissen, in welchem Verhältnis das Urteil vom 14. Februar 1985, Rompelman (268/83, EU:C:1985:74), das die Abzugsfähigkeit der im Rahmen der Vorbereitung einer wirtschaftlichen Tätigkeit entrichteten Mehrwertsteuer als Vorsteuer betrifft, zum Urteil vom 27. September 2001, Cibo Participations (C-16/00, EU:C:2001:495), steht, das das Recht einer Holdinggesellschaft auf Abzug der Mehrwertsteuer auf Dienstleistungen als Vorsteuer betrifft, die sie vorab im Rahmen des Erwerbs von Beteiligungen an ihren Tochtergesellschaften in Anspruch genommen hat.

12        Unter diesen Umständen hat der Supreme Court (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Kann die Absicht, im Fall einer erfolgreichen Übernahme gegenüber dem in Aussicht genommenen Erwerbsobjekt zukünftig Geschäftsführungsleistungen zu erbringen, für die Feststellung ausreichen, dass der mögliche Erwerber eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Art. 4 der Sechsten Richtlinie ausübt, so dass von dem möglichen Erwerber auf gelieferte Gegenstände oder erbrachte Dienstleistungen, mit denen der betreffende Unternehmenserwerb gefördert werden soll, entrichtete Mehrwertsteuer potenziell als Mehrwertsteuer auf einen Eingangsumsatz angesehen werden kann, der im Hinblick auf die beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit in Gestalt der Erbringung der besagten Geschäftsführungsleistungen vorgenommen wurde?

2. Kann zwischen beruflichen Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit einer solchen möglichen Unternehmensübernahme erbracht werden, und der Ausgangsleistung, bei der es sich um die mögliche Erbringung von Geschäftsführungsleistungen gegenüber dem in Aussicht genommenen Erwerbsobjekt für den Fall der erfolgreichen Unternehmensübernahme handelt, ein hinreichender „direkter und unmittelbarer Zusammenhang“ im Sinne der vom Gerichtshof der Europäischen Union (im Urteil vom 27. September 2001, Cibo Participations, C-16/00, EU:C:2001:495) aufgestellten Voraussetzung bestehen, so dass in Bezug auf die Mehrwertsteuer, die auf die besagten beruflichen Dienstleistungen zu entrichten ist, ein entsprechender Vorsteuerabzug stattfinden kann?

Zu den Vorlagefragen

13        Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 4 und 17 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer Gesellschaft wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die beabsichtigt, die gesamten Anteile einer anderen Gesellschaft zu erwerben, um eine wirtschaftliche Tätigkeit in Gestalt der Erbringung mehrwertsteuerpflichtiger Geschäftsführungsleistungen gegenüber Letzterer auszuüben, das Recht, die für die Ausgaben für Beratungsdienstleistungen, die sie im Rahmen eines förmlichen Übernahmeangebots in Anspruch genommen hatte, entrichtete Mehrwertsteuer als Vorsteuer abzuziehen, auch dann verleihen, wenn diese wirtschaftliche Tätigkeit letztlich nicht ausgeübt wurde.

14        Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass die Sechste Richtlinie durch die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1), die am 1. Januar 2007 in Kraft getreten ist, aufgehoben wurde, ohne dass inhaltliche Änderungen dieser gegenüber erfolgt wären. Folglich ist, da die maßgeblichen Bestimmungen der Sechsten Richtlinie im Wesentlichen dieselbe Tragweite haben wie die der Richtlinie 2006/112, die zu jener Richtlinie ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs auch auf die Sechste Richtlinie anwendbar.

15        Für die Beantwortung der Fragen ist zu bestimmen, ob eine Gesellschaft, die beabsichtigt, die gesamten Anteile einer anderen Gesellschaft zu erwerben, um eine wirtschaftliche Tätigkeit in Gestalt der Erbringung mehrwertsteuerpflichtiger Geschäftsführungsleistungen gegenüber Letzterer auszuüben, als Steuerpflichtiger im Sinne von Art. 4 der Sechsten Richtlinie angesehen werden kann, und, sollte dies der Fall sein, zum einen, ob sie als Steuerpflichtige gehandelt hat, wenn die streitbefangenen Dienstleistungen ihr gegenüber erbracht wurden, und zum anderen, ob und inwieweit die auf die Ausgaben für solche Leistungen entrichtete Mehrwertsteuer als Vorsteuer abzugsfähig ist.

16        Erstens ist darauf hinzuweisen, dass eine Gesellschaft, deren einziger Zweck der Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen ist, ohne dass sie unmittelbar oder mittelbar in die Verwaltung dieser Gesellschaften eingreift, kein Mehrwertsteuerpflichtiger im Sinne von Art. 4 der Sechsten Richtlinie und somit nicht zum Vorsteuerabzug gemäß Art. 17 der Richtlinie berechtigt ist. Der bloße Erwerb und das bloße Halten von Gesellschaftsanteilen stellen für sich genommen nämlich keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Sechsten Richtlinie dar, die den Erwerber bzw. Inhaber zum Steuerpflichtigen machen würden, da der bloße Erwerb finanzieller Beteiligungen an anderen Unternehmen keine Nutzung eines Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen darstellt. Eine etwaige Dividende als Ergebnis dieser Beteiligung ist nämlich Ausfluss des bloßen Eigentums an diesem Gegenstand (Urteile vom 30. Mai 2013, X, C-651/11, EU:C:2013:346‚ Rn. 36, sowie vom 16. Juli 2015, Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt, C-108/14 und C-109/14, EU:C:2015:496‚ Rn. 19 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

17        Etwas anderes gilt jedoch, wenn die Beteiligung unbeschadet der Rechte, die dem Anteilseigner in seiner Eigenschaft als Aktionär oder Gesellschafter zustehen, mit unmittelbaren oder mittelbaren Eingriffen in die Verwaltung der Gesellschaft einhergeht, an der die Beteiligung erworben worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. Mai 2013, X, C-651/11, EU:C:2013:346‚ Rn. 37, sowie vom 16. Juli 2015, Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt, C-108/14 und C-109/14, EU:C:2015:496‚ Rn. 20 und 21 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

18        Außerdem sind, da die wirtschaftlichen Tätigkeiten im Sinne der Sechsten Richtlinie mehrere aufeinanderfolgende Handlungen umfassen können, die vorbereitenden Tätigkeiten bereits der wirtschaftlichen Tätigkeit zuzurechnen (Urteil vom 29. Februar 1996, INZO, C-110/94, EU:C:1996:67‚ Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung). Somit muss jeder, der die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hat, eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig auszuüben, und erste Investitionsausgaben für diese Zwecke tätigt, als Steuerpflichtiger gelten (Urteile vom 8. Juni 2000, Breitsohl, C-400/98, EU:C:2000:304, Rn. 34, und vom 14. März 2013, Ablessio, C-527/11, EU:C:2013:168, Rn. 25 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

19        Daraus folgt, dass eine Gesellschaft, die im Rahmen eines geplanten Erwerbs von Anteilen einer anderen Gesellschaft vorbereitende Handlungen in der Absicht vornimmt, eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben, die darin bestehen soll, in die Verwaltung dieser Gesellschaft einzugreifen, indem sie für diese mehrwertsteuerpflichtige Geschäftsführungsleistungen erbringen würde, als Steuerpflichtiger im Sinne der Sechsten Richtlinie anzusehen ist.

20        Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass Ryanair mit dem angestrebten Erwerb von Anteilen der Zielgesellschaft beabsichtigte, dieser gegenüber mehrwertsteuerpflichtige Geschäftsführungsleistungen zu erbringen, und damit eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Sechsten Richtlinie ausüben wollte. Folglich ist Ryanair im Rahmen dieses Erwerbs als Steuerpflichtiger im Sinne der Sechsten Richtlinie anzusehen.

21        Zweitens geht hinsichtlich des Rechts auf Vorsteuerabzug aus Art. 17 der Sechsten Richtlinie hervor, dass ein Steuerpflichtiger, soweit er zum Zeitpunkt des Erwerbs eines Gegenstands oder einer Dienstleistung als solcher handelt und den Gegenstand oder die Dienstleistung für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, berechtigt ist, die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für diesen Gegenstand oder diese Dienstleistung als Vorsteuer abzuziehen. Gemäß Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 und Art. 17 der Sechsten Richtlinie entsteht dieses Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht, d. h. zu dem Zeitpunkt, zu dem die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bewirkt wird (Urteil vom 22. März 2012, Klub, C-153/11, EU:C:2012:163‚ Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22        Das in den Art. 17 ff. der Sechsten Richtlinie vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug ist integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Es kann für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden (Urteil vom 14. September 2017, Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments, C-132/16, EU:C:2017:683, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23        Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer nämlich vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet so die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck oder ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterliegen (Urteil vom 14. September 2017, Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments, C-132/16, EU:C:2017:683, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24        Der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer verlangt hinsichtlich der Abgabenbelastung des Unternehmens, dass schon die ersten Investitionsausgaben, die für die Zwecke eines Unternehmens oder zu dessen Verwirklichung getätigt werden, als wirtschaftliche Tätigkeiten angesehen werden, und es liefe diesem Grundsatz zuwider, wenn als Beginn der wirtschaftlichen Tätigkeiten erst der Zeitpunkt angesetzt würde, von dem an die zu versteuernden Einkünfte entstehen. Bei jeder anderen Auslegung würde der Wirtschaftsteilnehmer mit den Mehrwertsteuerkosten seiner wirtschaftlichen Tätigkeit belastet, ohne dass er sie abziehen könnte, und es würde willkürlich zwischen Investitionsausgaben, die für die Zwecke des Unternehmens vor der tatsächlichen Aufnahme seines Betriebs und denjenigen, die während seines Betriebs getätigt werden, unterschieden (Urteil vom 21. März 2000, Gabalfrisa u. a., C-110/98 bis C-147/98, EU:C:2000:145‚ Rn. 45 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

25        Außerdem bleibt das einmal entstandene Recht auf Vorsteuerabzug bestehen, selbst wenn die beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit später nicht ausgeübt wurde und somit nicht zu besteuerten Umsätzen führte (Urteil vom 29. Februar 1996, INZO, C-110/94, EU:C:1996:67‚ Rn. 20) oder wenn der Steuerpflichtige die Gegenstände oder Dienstleistungen, die zu dem Abzug geführt haben, aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, nicht im Rahmen steuerpflichtiger Umsätze verwenden konnte (Urteile vom 8. Juni 2000, Midland Bank, C-98/98, EU:C:2000:300‚ Rn. 22, und vom 15. Januar 1998, Ghent Coal Terminal, C-37/95, EU:C:1998:1‚ Rn. 20). Eine andere Auslegung verstieße, was die Abgabenbelastung des Unternehmens anbelangt, gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer. Sie könnte bei der steuerlichen Behandlung von gleichen Investitionstätigkeiten zu nicht gerechtfertigten Unterscheidungen zwischen Unternehmen, die schon steuerbare Umsätze tätigen, und solchen Unternehmen führen, die durch Investitionen versuchen, Tätigkeiten aufzunehmen, die zu steuerbaren Umsätzen führen werden. Es würden auch willkürliche Unterscheidungen zwischen letzteren Unternehmen getroffen, da die endgültige Zulassung der Abzüge von der Frage abhinge, ob solche Investitionen zu steuerbaren Umsätzen führen oder nicht (Urteil vom 29. Februar 1996, INZO, C-110/94, EU:C:1996:67, Rn. 22).

26        Außerdem muss nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen, die das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen, bestehen, damit der Steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug berechtigt ist und der Umfang dieses Rechts bestimmt werden kann. Das Recht auf Abzug der für den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen auf der Eingangsstufe entrichteten Mehrwertsteuer setzt voraus, dass die hierfür getätigten Ausgaben zu den Kostenelementen der besteuerten, zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätze gehören (Urteil vom 14. September 2017, Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments, C-132/16, EU:C:2017:683, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27        Ein Recht auf Vorsteuerabzug wird jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen auch bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen angenommen, wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und – als solche – Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind. Derartige Kosten hängen nämlich direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen (Urteil vom 14. September 2017, Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments, C-132/16, EU:C:2017:683‚ Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28        Die Steuerverwaltungen und die nationalen Gerichte haben im Rahmen der ihnen obliegenden Anwendung des Kriteriums des unmittelbaren Zusammenhangs alle Umstände zu berücksichtigen, unter denen die betreffenden Umsätze ausgeführt wurden, und nur die Umsätze heranzuziehen, die objektiv im Zusammenhang mit der der Steuer unterliegenden Tätigkeit des Steuerpflichtigen stehen. Das Vorhandensein eines solchen Zusammenhangs ist daher in Anbetracht des objektiven Inhalts des betreffenden Umsatzes zu beurteilen (Urteil vom 14. September 2017, Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments, C-132/16, EU:C:2017:683, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29        Werden die von einem Steuerpflichtigen erworbenen Gegenstände oder Dienstleistungen dagegen für die Zwecke steuerbefreiter Umsätze oder solcher Umsätze verwendet, die nicht vom Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer erfasst werden, so kann es weder zur Erhebung der Steuer auf der folgenden Stufe noch zum Abzug der Vorsteuer kommen (Urteil vom 14. September 2017, Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments, C-132/16, EU:C:2017:683, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30        Folglich müssen, damit die entrichtete Mehrwertsteuer in vollem Umfang als Vorsteuer abgezogen werden kann, die Ausgaben grundsätzlich ausschließlich in der beabsichtigten wirtschaftlichen Tätigkeit begründet sein, hier also in der Erbringung mehrwertsteuerpflichtiger Geschäftsführungsleistungen gegenüber der Zielgesellschaft (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Februar 2007, Investrand, C-435/05, EU:C:2007:87, Rn. 33 und 36, vom 13. März 2008, Securenta, C-437/06, EU:C:2008:166, Rn. 29 und 30, sowie vom 16. Juli 2015 Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt, C-108/14 und C-109/14, EU:C:2015:496, Rn. 25). Beträfen diese Ausgaben teilweise auch eine von der Steuer befreite oder eine nicht wirtschaftliche Tätigkeit, könnte die darauf entrichtete Vorsteuer nur anteilig abgezogen werden. (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. September 2012, Portugal Telecom, C-496/11, EU:C:2012:557‚ Rn. 46 und 47, sowie vom 16. Juli 2015, Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt, C-108/14 und C-109/14, EU:C:2015:496‚ Rn. 28 bis 30).

31        Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass die streitbefangenen Dienstleistungen für Ryanair erbracht wurden, während diese Gesellschaft beabsichtigte, über den angestrebten Erwerb von Anteilen der Zielgesellschaft für Letztere eine wirtschaftliche Tätigkeit in Gestalt der Erbringung mehrwertsteuerpflichtiger Geschäftsführungstätigkeiten auszuüben. Somit hat Ryanair zum einen zu dem Zeitpunkt, als sie die Ausgaben für die streitbefangenen Dienstleistungen tätigte, als Steuerpflichtige gehandelt. Damit steht Ryanair grundsätzlich das Recht auf sofortigen Abzug der auf diese Dienstleistungen entrichteten Mehrwertsteuer als Vorsteuer zu, auch wenn diese wirtschaftliche Tätigkeit, die zu steuerbaren Umsätzen führen sollte, letztlich nicht ausgeübt wurde und daher nicht zu solchen Umsätzen führte. Zum anderen sind in Bezug auf die Voraussetzungen für die Ausübung des Abzugsrechts und insbesondere auf dessen Umfang die hinsichtlich des Erwerbs der Anteile der Zielgesellschaft getätigten Ausgaben dahin zu beurteilen, dass sie der Ausübung dieser wirtschaftlichen Tätigkeit – die darin bestand, zum Vorsteuerabzug berechtigende Umsätze auszuführen – zuzurechnen sind. Insoweit hängen diese Ausgaben direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zusammen und gehören somit zu deren allgemeinen Aufwendungen. Daraus folgt, dass die entsprechende Vorsteuer vollumfänglich abgezogen werden kann.

32        Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Art. 4 und 17 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer Gesellschaft wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die beabsichtigt, die gesamten Anteile einer anderen Gesellschaft zu erwerben, um eine wirtschaftliche Tätigkeit in Gestalt der Erbringung mehrwertsteuerpflichtiger Geschäftsführungsleistungen gegenüber Letzterer auszuüben, das Recht, die für die Ausgaben für Beratungsdienstleistungen, die sie im Rahmen eines förmlichen Übernahmeangebots in Anspruch genommen hatte, entrichtete Mehrwertsteuer in vollem Umfang als Vorsteuer abzuziehen, auch dann verleihen, wenn diese wirtschaftliche Tätigkeit letztlich nicht ausgeübt wurde, sofern diese Ausgaben ausschließlich in der beabsichtigten wirtschaftlichen Tätigkeit begründet sind.

Kosten

33        Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

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