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Steuerrecht
04.09.2025
Steuerrecht
FG Münster: Verschulden beim Wissen müssen einer Umsatzsteuerhinterziehung

FG Münster, Urteil vom 17.3.2025 – 5 K 694/17 U

ECLI:DE:FGMS:2025:0317.5K694.17U.00

Volltext:BB-ONLINE BBL2025-2070-2

Sachverhalt

Das Verfahren befindet sich im zweiten Rechtsgang. Die Beteiligten streiten in der Sache darüber, ob für das Streitjahr 2012 ein Recht auf Vorsteuerabzug gemäß § 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) aus den Rechnungen der NX GmbH besteht.

Die Klägerin ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Firma N GmbH (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin). Gesellschafter (zu je 50%) und jeweils einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin waren im Streitjahr Rechtsanwalt B K (im Folgenden: Zeuge K) und Rechtsanwalt G H (im Folgenden: Herr H). Diese hatten mit notariellem Vertrag vom 00.05.2012 die Gesellschaftsanteile an der im Handelsregister des Amtsgerichts E eingetragenen Vorratsgesellschaft „L GmbH“ vom X erworben und in die Firma der Insolvenzschuldnerin umbenannt. Der Sitz der Gesellschaft wurde von den Gesellschaftern nach M (vgl. Gesellschaftsvertrag vom 16.07.2012) in angemietete Räume unter der Adresse A-Straße 5 verlegt.

Vermieterin der Räume A-Straße 5 in M war die W GmbH & Co. KG, die durch ihren Geschäftsführer, Herrn N W, vertreten wurde. Im Rahmen der Anmietung der Geschäftsräume durch die Insolvenzschuldnerin fand am 06.06.2012 ein Besichtigungstermin statt, an dem neben Herrn H und Herrn N W auch Herr Q T (im Folgenden: Herr T) teilnahm. In einer E-Mail vom 11.06.2012 hatte Herr H gegenüber Herrn T ausgeführt: „… Betreff: Objekt A-Str. 5 … Hallo …, die Gesellschaft heißt N GmbH, eingetragen in E HRB …. Geschäftsführer sind G H und B K, jeweils alleinvertretungsberechtigt. Zurzeit ist die Geschäftsadresse: c/o Rechtsanwalt B K, … Am besten wäre ein Mietbeginn (Zahlung) 1.8.12, Vertrag erst einmal für ein Jahr mit Option. Wir müssten aber schon früher rein, am besten sofort nach Mietvertragsschluss. Die Toilettentür vorn – beim Aufenthaltsraum – sollte durch den Vermieter versetzt werden. Die Zwischenwand, im Hauptraum, erstellen wir. Die Details zu Genehmigungen (wie Kamera, Werbung, Wand erstellen, pp) arbeiten wir im Anschluss mit dem Vermieter aus, wenn wir die genauen Pläne haben.“. Diese E-Mail hatte Herr T an Herrn N W, den Geschäftsführer der Vermieterin, weitergeleitet; letzterer legte die E-Mail vom 11.06.2012 im Zusammenhang mit seiner Vernehmung durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N – Steuerfahndungsstelle – (im Folgenden: Steufa) im Rahmen des gegen den Zeugen K und Herrn H eingeleiteten Strafverfahrens als Verantwortliche der Insolvenzschuldnerin vor. Die Übergabe der Mieträume A-Straße 5 an die Insolvenzschuldnerin fand am 28.06.2012 statt. Im Auftrag der Insolvenzschuldnerin erfolgte – in Absprache mit Herrn N W – die Übernahme der Räume durch Herrn T.

Herr T, der angeklagt wurde, in der Zeit vom 18.07.2011 bis zum 11.06.2012 den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige Angaben gemacht und dadurch Steuern verkürzt zu haben, hatte bis zur Durchsuchung seiner Wohn- und Geschäftsräume am 04.07.2012 die Firma O GmbH & Co. KG (im Folgenden: O GmbH & Co. KG) von seiner Wohnung in der B-Straße 6 in 00000 P aus als faktischer Geschäftsführer betrieben (vgl. Urteil des Landgerichts N vom 28.05.2019 … – Seite 50). Herr T wurde mit Urteil des Landgerichts N vom 28.05.2019 … wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Landgericht N sah es als erwiesen an, dass Herr T unrichtige Umsatzsteuer-Voranmeldungen bzw. Umsatzsteuerjahreserklärungen für die O GmbH & Co. KG abgegeben hatte, weil er deren Umsatzsteuerschuld durch den Abzug von Vorsteuern aus Scheinrechnungen/Abdeckrechnungen der Lieferanten G GmbH, der BB GmbH und der C U GmbH gemindert habe. Die O GmbH & Co. KG habe nach den von ihr vorgelegten Rechnungen Silbergranulat und andere Edelmetalle von diesen in C ansässigen Firmen bezogen und dann an einen Edelmetallhändler mit Sitz in R geliefert. Die Umsatzsteuer-Voranmeldungen bzw. Erklärungen der O GmbH & Co. KG seien unrichtig, weil die Rechnungen als Leistende solche Unternehmen auswiesen, die keine Leistungen erbracht hätten. Vielmehr seien die Namen der G GmbH, der BB GmbH und der C U GmbH nur zum Schein benutzt worden, um über die Person des jeweils Leistenden zu täuschen (Urteil des Landgerichts N vom 28.05.2919 …, Seite 29, 79 ff. und 89 ff.). Ab Mai 2012 lieferte die O GmbH & Co. KG Edelmetalle an die Firma UCN GmbH (im Folgenden: UCN GmbH) mit Sitz in Q bei K.

Die beiden Gesellschafter-Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, der Zeuge K und Herr H, hatten ihren jeweiligen Wohn- und Kanzleisitz im Streitjahr in C bzw. S, waren aber regelmäßig vor Ort in M.

Die Insolvenzschuldnerin meldete bei der Stadt M am 20.07.2012 das Gewerbe „[…]“ an. Der Unternehmenszweck wurde so auch in das Handelsregister eingetragen. Als Datum des Beginns der angemeldeten Tätigkeit ist in der Gewerbe-Anmeldung der Insolvenzschuldnerin der 01.08.2012 angegeben. Die ersten An- und Verkäufe von Edelmetallen tätigte die Insolvenzschuldnerin ab dem 15.08.2012.

Bei der Insolvenzschuldnerin war Herr P U (im Folgenden: Zeuge U) als Arbeitnehmer, insbesondere als Fahrer angestellt. Der Zeuge U war zuvor in der Zeit von April bis August 2012 als Fahrer bei der von Herrn T (faktisch) betriebenen Firma O GmbH & Co. KG beschäftigt gewesen (Seite 63 der Urteilsgründe des Urteils des LG N vom 28.05.2019 …). Als weitere Angestellte beschäftigte die Insolvenzschuldnerin zudem die Zeugin N G, und zwar ausweislich der vorliegenden Gehaltsabrechnungen ab dem 01.11.2012 (Gerichtsakte, Bl. 1098).

Der Beklagte führte am 18.09.2012 eine Umsatzsteuer-Nachschau gemäß § 27b UStG bei der Insolvenzschuldnerin durch. Grund der Meldung zur Nachschau war „Existenzprüfung“. Das Ergebnis der Nachschau lautete: „Überleitung zur Umsatzsteuer-Sonderprüfung: nein; Fertigung Kontrollmaterial: ja; Einleitung Strafverfahren: nein.“ Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht über die Umsatzsteuer-Nachschau verwiesen (Strafakte Band I, Blatt – Bl. – 22 f.).

In dem Jahresabschluss der Insolvenzschuldnerin zum 31.12.2012 (aufgestellt am 20.06.2013) sind in der Gewinn- und Verlustrechnung folgende Wareneingänge (Buchungen auf den Konten 3401, 3200, 3400 und 3403 jeweils netto – Gerichtsakte, Bl. 105) gebucht:

 

Edelmetalle

Konto

(Netto-)Betrag

zzgl. USt

Gesamtbetrag

Silber

3401

8.760.863,03 €

1.664.563,98 €

10.425.427,01 €

Gold (§ 13b UStG)

3200

1.950.265,29 €

 

1.950.265,29 €

Platin

3400

72.973,95 €

13.865,05 €

86.839,00 €

Palladium

3403

213.369,83 €

40.540,27 €

253.910,10 €

       

12.716.441,40 €

Zwischen dem 15.08.2012 (Beginn der Geschäftstätigkeit) und dem 22.10.2012 bezog die Insolvenzschuldnerin Edelmetalle ausschließlich von zwei gewerblichen Lieferanten, größtenteils von der NX GmbH mit Sitz in C und in einem geringeren Umfang von der MF GmbH (im Folgenden: MF GmbH), ebenfalls mit Sitz in C, und zwar:

-       von der NX GmbH: ca. 3,5 t Silbergranulat für insgesamt ca. 3,3 Mio. € brutto, Gold zum Gesamtpreis von ca. 330.000 € und Platin zum Gesamtpreis von ca. 21.000 € brutto;

-       von der MF GmbH: ca. 75 kg Edelmetalle insgesamt, davon Silber/Silbergranulat zu einem Preis von ca. 70.000 € brutto und Gold zum Gesamtpreis von ca. 96.000 €.

Ab dem 23.10.2012 wurde die Firma F GmbH, A (im Folgenden F GmbH), zur Hauptlieferantin. Die Insolvenzschuldnerin erwarb in der Zeit vom 23.10.2012 bis zum 31.12.2012

-       von der F GmbH: ca. 5,9 t Silbergranulat für ca. 5,3 Mio. € brutto, Gold zum Gesamtpreis von insgesamt ca. 1,4 Mio. € und Palladium zum Preis von ca. 70.000 € brutto;

-       von der NX GmbH: weitere ca. 1,6 t Silbergranulat für insgesamt ca. 1,5 Mio. € brutto, Platin zu einem Preis von ca. 65.000 € brutto und Palladium zu einem Preis von ca. 180.000 € brutto;

-       von der MF GmbH: Gold zu einem Gesamtpreis von ca. 95.000 €.

Daneben erwarb die Insolvenzschuldnerin im Streitjahr 2012 noch Edelmetalle von drei Privatpersonen in einem geringen Umfang (Buchungen vom 08.10.2012 über 4.071,92 €, vom 19.11.2012 über 1.424,29 € und vom 23.11.2012 über 830,59 €).

Für die gelieferten Edelmetalle stellte die Insolvenzschuldnerin den Lieferanten vereinbarungsgemäß jeweils Gutschriften aus.

In ihren beim Beklagten eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldungen für August bis Dezember 2012 machte die Insolvenzschuldnerin auch die im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Vorsteuern aus den an die NX GmbH ausgestellten Gutschriften geltend. Die in den Voranmeldungen insoweit angesetzten und streitbefangenen Vorsteuerbeträge betrugen insgesamt 834.449,11 € (vgl. zur Aufteilung auf die einzelnen Voranmeldungszeiträume: Seite 45 des Zwischenberichts der Steufa vom 17.03.2014 – Strafakte Band IV, Bl. 557).

Mit einem auf den 14.12.2012 datierten Schreiben beendete die Insolvenzschuldnerin die Geschäftsbeziehung mit der NX GmbH mit sofortiger Wirkung (Gerichtsakte, Bl. 138).

Den Buchhaltungsunterlagen der NX GmbH zufolge hatte diese die an die Insolvenzschuldnerin gelieferten Edelmetalle zuvor von den Firmen OD GmbH und CD GmbH erworben (vgl. Strafakte Band IV, Bl. 579 ff.).

Die in der Buchführung der NX GmbH für den Zeitraum 14.08. bis 21.08.2012 als Lieferantin geführte OD GmbH war seit dem 00.09.2011 im Handelsregister des Amtsgerichts C (HRB …) mit dem Unternehmensgegenstand „…“ und mit der Geschäftsanschrift C-Straße 95 in C und dem Geschäftsführer V W, C, eingetragen. Laut Handelsregister hatte die Gesellschaft ihren Sitz mit Gesellschafterbeschluss vom 00.07.2011 von A nach C verlegt und den Gesellschaftsvertrag entsprechend angepasst. Am 00.10.2012 wurde von Amts wegen eingetragen, dass die Gesellschaft gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 5 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) wegen rechtskräftiger Abweisung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (Beschluss des Amtsgerichts C vom 00.07.2012 Az. …) aufgelöst ist; die Eintragung der Löschung im Handelsregister erfolgte am 00.10.2012. An der im Handelsregister und in den gebuchten Rechnungen angegebenen Geschäftsanschrift C-Straße 95, C, befand sich das Büro-Service-Unternehmen EJ GmbH, die der OD GmbH bis zum 00.11.2011 eine Geschäftsadresse zur Verfügung gestellt hatte; der Vertrag war gekündigt worden. Für die OD GmbH gingen bei dem für sie zuständigen Finanzamt für das Jahr 2012 weder Umsatzsteuer-Voranmeldungen noch eine Umsatzsteuer-Erklärung ein.

Die CD GmbH, von der die NX GmbH laut ihrer Buchführung zwischen dem 17.09. und dem 12.12.2012 Edelmetalle bezog, war im Handelsregister des Amtsgerichts C (HRB …) mit dem Gegenstand „[…]“ eingetragen. Als Geschäftsanschrift war zunächst D-Straße 34 in C (Eintragung am 00.05.2011) und ab dem 00.09.2012 E-Straße 122a in C ausgewiesen; am selben Tag wurde zudem der Wechsel des Geschäftsführers von Herrn K K auf Herrn G J eingetragen. In den vorliegenden Rechnungen der CD GmbH an die NX GmbH war als Geschäftsführer K K und als Anschrift F-Straße 22, C, angegeben. Diese Rechnungen verlangten jeweils in deren oberen Bereich „Zahlung in bar in 14 Tagen nach Rechnungsstellung“, gaben aber im unteren Bereich jeweils ein Fälligkeitsdatum erst im Jahr 2016 an (etwa die Rechnung vom 17.09.2012: „Gesamtkosten fällig am 22.11.2016 246.953,80 €“). Eine Ortsbesichtigung der Steufa am 18.09.2013 ergab, dass es sich bei der Anschrift F-Straße 22, C, um ein mehrstöckiges Bürogebäude mit diversen Firmen handelte, jedoch ohne Hinweisschild auf die CD GmbH; ein dort langjährig Beschäftigter erklärte, weder die Gesellschaft noch ihren Geschäftsführer zu kennen. Unter der in den Rechnungen angegebenen Telefonnummer meldete sich eine Frau Jz von der Firma SB, D-Straße 34, C, einem Büro-Service-Unternehmen. Sie gab an, die CD GmbH sei ein früherer Kunde gewesen, sie habe allerdings seit ca. 2 bis 3 Jahren keine Geschäftsbeziehung mehr zu dieser Gesellschaft. Für die CD GmbH wurden bei dem für sie zuständigen Finanzamt für das Jahr 2012 weder Umsatzsteuer-Voranmeldungen noch eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung abgegeben. Nach einem weiteren Eintrag eines Geschäftsführerwechsels am 00.06.2013 wurde am 00.07.2013 die Auflösung der Gesellschaft gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG in das Handelsregister eingetragen, nachdem das Amtsgericht C einen Insolvenzantrag mangels Masse abgelehnt hatte.

Alleingesellschafter und Geschäftsführer der NX GmbH war im streitigen Zeitraum Herr B L (im Folgenden: Zeuge L) – bis zu seiner Hochzeit noch mit dem Nachnamen … . Die NX GmbH war am 00.05.2011 gegründet und am 00.06.2011 mit dem Unternehmensgegenstand „[…]“ in das Handelsregister des Amtsgerichts C (HRB …) eingetragen worden (Strafakte Band IV, Bl. 559). Zunächst war Herr S N Alleingesellschafter und Geschäftsführer, später übernahm Herr L T diese Funktionen. Von Herrn L T erwarb der Zeuge L die Gesellschaftsanteile mit Vertrag vom 00.03.2012 und bestellte sich zum Geschäftsführer. Zugleich änderte der Zeuge L mit Gesellschafterbeschluss vom 00.03.2012 den Gesellschaftsvertrag dahin, dass nun der „[…]“ Gegenstand des Unternehmens sein sollte; diese Änderung wurde am 00.04.2012 in das Handelsregister eingetragen. Als Geschäftsanschrift der NX GmbH wurde G-Straße 48, 00000 C, die Privatanschrift des Zeugen L, ausgewiesen. Gegenüber der Stadt C meldete der Zeuge L für die NX GmbH am 00.06.2012 zusätzlich die Tätigkeit „[…]“ an und gab als neue Betriebsstätte die H-Straße 117, C und als frühere Betriebsstätte G-Straße 48, C an (vgl. Gewerbeummeldung vom 00.06.2012, Strafakte Band IV, Bl. 574). Eine weitere gegenüber der Stadt C abgegebene Gewerbeummeldung vom 00.08.2012 erweiterte die angemeldeten Tätigkeiten um die Tätigkeit „[…]“. Als Datum der Änderung ist in der Gewerbeummeldung der 00.08.2012 angegeben (vgl. Gerichtsakte, Bl. 124). Die gegenüber der Stadt C am 00.06.2012 und 00.08.2012 zusätzlich angemeldeten Tätigkeiten wurden nicht in das Handelsregister eingetragen. Mit notariellem Vertrag vom 00.12.2012 veräußerte der Zeuge L seine Anteile an der NX GmbH an eine Person mit dem angeblichen Namen W L (Strafakte Band IV, Bl. 565). Ermittlungen der … Finanzverwaltung ergaben, dass die Person W L in keiner Datenbank registriert sei (Strafakte Band IV, Bl. 595 ff.). Herr W L wurde am 00.03.2013 als Geschäftsführer der NX GmbH in das Handelsregister eingetragen.

Unter der in den Gewerbeummeldungen vom 00.06.2012 und 00.08.2012 als Betriebsstätte der NX GmbH genannte Adresse H-Straße 117, C, war die Firma „xxx.de“ (F & S GbR) ansässig. Am 27.06.2012 schloss der Zeuge L für die NX GmbH einen Service-Vertrag mit der Firma „xxx.de“ (Strafakte Band IV, Bl. 575), wonach diese ab dem 01.07.2012 als Leistung an die NX GmbH eine „Geschäftsadresse mit Post- und Faxservice“ für monatlich 79,50 € zur Verfügung zu stellen hatte. Der Service-Vertrag lief zunächst bis zum 30.09.2012 und verlängerte sich um jeweils drei Monate, wenn er nicht spätestens einen Monat vor Ablauf gekündigt wurde. Der Zeuge L kündigte den Vertrag zum 31.01.2013.

Während der Laufzeit gingen bei der Firma „xxx.de“ pro Woche maximal 1 bis 2 (einfache) Briefe für die NX GmbH ein; Faxe wurden nicht empfangen, Telefonate für die NX GmbH nicht entgegengenommen, weitere Büroarbeiten nicht ausgeführt. Der Zeuge L erschien wöchentlich, manchmal alle vierzehn Tage persönlich bei der Firma „xxx.de“ (vgl. insgesamt Vernehmung der Gesellschafter der F & S GbR vor der Steufa, Strafakte Band IV Bl. 603). Neben den von der Firma „xxx.de“ abgerechneten Leistungen wurde von dieser in der Rechnung vom 31.10.2012 für den Monat Oktober 2012 auch die Vermietung eines Raumes für eine halbe Stunde sowie ein Erfrischungsgetränk berechnet (Strafakte Band IV Bl. 689). Die Rechnungsbeträge bezahlte der Zeuge L jeweils bar (vgl. Vernehmung der Gesellschafter der F & S GbR vor der Steufa, Strafakte Band IV Bl. 603).

Steuerlich geführt wurde die NX GmbH beim Finanzamt C. Bis Ende Oktober 2012 ließ sie sich durch die B F Steuerberatungs-GmbH (im Folgenden BF-GmbH) steuerlich beraten. Am 17.08.2012 übermittelte die BF‑GmbH im Auftrag der NX GmbH dem Finanzamt C deren Umsatzsteuer-Voranmeldungen für Januar bis Juli 2012: Für Januar bis Juni 2012 wurden jeweils sog. Null-Meldungen abgegeben; für Juli 2012 wurden keine Umsätze, jedoch Vorsteuer in Höhe von 15,01 € erklärt. Die Voranmeldung für August 2012 reichte die BF-GmbH für die NX GmbH am 12.10.2012 zunächst als sog. Null-Meldung ein und berichtigte sie am 23.10.2012. Die berichtigte Voranmeldung wies nunmehr Umsätze in Höhe von netto 414.213 €, Vorsteuerbeträge in Höhe von 80.562,29 € und Umsätze im Sinne des § 13b Abs. 5 UStG, für die der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer schuldet, in Höhe von 9.514 € aus. Für September 2012 meldete die BF-GmbH für die NX GmbH am 30.10.2012 Umsätze von netto 1.231.239 € und Vorsteuerbeträge von 232.214,94 € an; am 31.10.2012 berichtigte sie die Umsätze auf 1.062.720 € und gab zusätzlich Umsätze im Sinne des § 13b Abs. 5 UStG von 200.537 € an. Am selben Tag legte die BF-GmbH das Mandat nieder. Anschließend übernahm die CC GmbH, C, die steuerliche Beratung der NX GmbH. Am 19.11.2012 reichte die NX GmbH die Umsatzsteuer-Voranmeldung für Oktober 2012 ein (Umsätze 1.695.476 € netto, Vorsteuerbeträge 319.902,55 €, § 13b Abs. 5 UStG-Umsätze 137.154,- €). Die Voranmeldungen für November 2012 (Umsätze 913.177 € netto, Vorsteuerbeträge 172.388,21 €) und Dezember 2012 (Umsätze 306.248 € netto, Vorsteuerbeträge 57.926,89 €) gingen am 21.12.2012 bzw. 12.02.2013 beim Finanzamt C ein (vgl. insgesamt BMO II, Seite 167 f.).

Der Zeuge L wurde mit Urteil des Amtsgerichts C vom 00.11.2015 (Az. …, Gerichtsakte, Bl. 485 ff.) wegen Steuerhinterziehung in vier Fällen und wegen versuchter Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Verurteilung basierte darauf, dass der Zeuge L unrichtige Umsatzsteuer-Voranmeldungen für die NX GmbH eingereicht habe, weil deren Steuerschuld durch die Geltendmachung von Vorsteuern aus Scheinrechnungen der Firmen OD GmbH und CD GmbH gemindert worden sei. Im Berufungsverfahren änderte das Landgericht C das Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahingehend ab, dass eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt wurde; deren Vollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt (Urteil des Landgerichts C vom 00.05.2018, Az: …, Gerichtsakte, Bl. 498 ff.).

Die NX GmbH erhielt zu Beginn der Geschäftsbeziehung von der Insolvenzschuldnerin ein Merkblatt. Dem Merkblatt waren als Blanko-Vordrucke ein Kundendatenblatt, eine Ermächtigungserklärung zur Abfrage beim zuständigen Finanzamt und bei dem Steuerberater des Lieferanten, eine Erklärung des Steuerberaters des Lieferanten („Bestätigung des Steuerberaters über Umsatzsteuervoranmeldung“) und eine Eigentumserklärung für das zum Ankauf angebotene Material beigefügt. In dem Kundenblatt war ausgeführt, dass gewerbliche Verkäufer eine Gewerbeanmeldung, einen Handelsregisterauszug, einen Ausweis bzw. Pass, eine Unbedenklichkeitsbescheinigung und das Beiblatt „Erklärung über steuerliche Anmeldung“, „Ermächtigung zur Abfrage bei dem Finanzamt“ sowie eine „Eigentumserklärung für das zum Ankauf angebotene Material“ abzugeben hatten. Wegen der Einzelheiten wird auf das Merkblatt und die Vordrucke verwiesen (BMO Band VII, Seite 42 ff.). Der Zeuge L füllte unter dem 16.08.2012 für die NX GmbH das Kundendatenblatt und die Ermächtigungen zur Abfrage bei dem Finanzamt und bei dem Steuerberater aus und übergab sie an die Insolvenzschuldnerin. Die Insolvenzschuldnerin fertigte eine Kopie des Personalausweises des Zeugen L. Zudem lag ihr der Handelsregisterauszug der NX GmbH vor. Auch wurden ihr die Gewerbeummeldungen übergeben (vgl. Gerichtsakte, Bl. 129 ff.).

Der Geschäftsführer der NX GmbH, der Zeuge L, lieferte die Edelmetalle persönlich bei der Insolvenzschuldnerin in M an. Die Anlieferung erfolgte in einem Pkw grundsätzlich früh morgens. Die Edelmetalle waren in unverplombten Leinensäcken verpackt. Der Zeuge L übergab der Insolvenzschuldnerin bei der Anlieferung jeweils einen von ihm ausgestellten Lieferschein (vgl. u.a. Lieferschein Nr. 01/12 vom 14.08.2012) und jeweils den von ihm unterzeichneten Vordruck „Eigentumserklärung für das zum Ankauf angebotene Material“. Die Edelmetalle wurden von der Insolvenzschuldnerin gewogen und mit einem Analyticon, einer Prüfpistole, die den Reinheitsgehalt von Metallen in Prozenten angibt, überprüft. Die Insolvenzschuldnerin stellte jeweils eine Empfangsbescheinigung aus (vgl. u.a. Empfangsbescheinigung vom 15.08.2012; BMO X, Seite 335). Die ersten Lieferungen der NX GmbH erfolgten nach den Lieferscheinen/Empfangsbescheinigungen am 15.08.2012, 21.08.2012 und 22.08.2012 und dann wieder ab dem 17.09.2012 (vgl. Strafakte Band IV, Bl. 663 ff.; BMO X, Seite 1 ff.). Mit der NX GmbH war ein Ankaufspreis von ungefähr 32 € „unter KitCo/Börsenkurs“ vereinbart. Die NX GmbH erhielt bei der Anlieferung weder unmittelbar den Kaufpreis ausgezahlt noch eine Sicherheit hierfür.

Die gekaufte Ware wurde grundsätzlich tagesgleich fakturiert. Zwischen der Insolvenzschuldnerin und ihren Abnehmern existierten Absprachen, nach denen diese die angebotenen Edelmetalle abnehmen würden. Die Insolvenzschuldnerin veräußerte das bei ihr eingehende Silbergranulat bzw. Silber bis zum 27.11.2012 ausschließlich – und auch danach bis Ende 2012 nahezu ausschließlich – an die Firma UCN GmbH, deren Geschäftsführer Herr V N war; im November und Dezember 2012 erfolgten hierneben vier Lieferungen an die CY AG (gebuchte Brutto-Erlöse von CY AG insoweit ca. 260.000 € und von der UCN GmbH ca. 10,6 Mio. €; vgl. Strafakte Band VII, Bl. 1298). Mit der UCN GmbH war bezogen auf das Silbergranulat eine Marge von 23 € bis 25 € „unter KitCo-/Börsenkurs“ vereinbart. Bis zum 23.10.2012 lieferte die Insolvenzschuldnerin auch Gold ausschließlich an die UCN GmbH. Danach – erstmals ab dem 02.11.2012 – lieferte sie Gold nicht mehr an die UCN GmbH, sondern an die I GmbH, I & N GmbH und die CY AG. Platin und Palladium lieferte die Insolvenzschuldnerin im Streitjahr 2012 nur an die UCN GmbH.

Die Transporte der Edelmetalle zur UCN GmbH nach Q führte für die Insolvenzschuldnerin grundsätzlich der Zeuge U durch. Die in M angelieferten Edelmetalle wurden dazu nach der Anlieferung in M – in der Regel enthielt jede Lieferung etwa 200 bis 300 kg Silbergranulat – und der Prüfung des Edelmetallgehalts in einen Mietwagen (anfangs ein Renault Kombi, später wechselnde Ford Mondeo Kombis), den die Insolvenzschuldnerin bei der Firma E & S in C angemietet hatte, verladen. Die Edelmetalle lagen jeweils im Kofferraum und waren mit einer Decke und der Kofferraumabdeckung verdeckt. Der Zeuge U fuhr in der Regel früh morgens nach der Anlieferung in M los. Bei der UCN GmbH in Q (in der Nähe von K) wurde die Ware bei der Ankunft gewogen. Es wurde jeder Sack mit Silbergranulat entleert und das Waren-Nettogewicht bestimmt. Anschließend wurde das Silbergranulat in einen neuen Sack umgefüllt. Von jedem angelieferten Sack wurde eine Probe genommen; diese Probe wurde geschmolzen und zu einem Barren mit einem Gewicht von 1 kg gegossen. Nachdem die Ware analysiert war, wurde der Preis fixiert. Die Insolvenzschuldnerin legte mit dem Käufer und im Anschluss per Telefon den Preis („KitCo-/Börsenkurs“ abzüglich Marge) pro kg fest. Es konnte durch laufende Kursschwankungen zwischen den Telefonaten dazu kommen, dass für die Insolvenzschuldnerin sich die erzielte Marge zwischen Einkauf und Verkauf erhöhte oder auch minderte. Der Zeuge U erhielt von der UCN GmbH Papiere zu den Gewichtsmessungen und zum Ergebnis der Analyse des Reinheitsgehalts. Er unterzeichnete für die Insolvenzschuldnerin die auf der Gutschrift an die Insolvenzschuldnerin gedruckte Eidesstattliche Versicherung / Besitzbescheinigung („Hiermit erkläre ich an Eides Statt, dass das zum Ankauf angebotene Material mein uneingeschränktes Eigentum gemäß § 903 BGB ist. Es stammt aus keiner strafbaren Handlung, ist weder verpfändet noch übereignet.“) und darüber hinaus die Quittungen über die erhaltenen Barzahlungen. Barzahlungen erhielt er grundsätzlich in Höhe von 70 bis 80 % des Warenwertes von der UCN GmbH. Von der Insolvenzschuldnerin war ihm eine Ermächtigung erteilt worden, die ihn zur Entgegennahme von Bargeld und zur Leistung von Unterschriften bevollmächtigte. Bezogen auf den Restbetrag erfolgte eine Blitzüberweisung der UCN GmbH auf das Konto der Insolvenzschuldnerin bei der Bank M. Der Zeuge U fuhr mit dem Bargeld zurück nach M. Er war je nach Verkehrslage am späten Nachmittag oder abends wieder in M. Die UCN GmbH stellte zudem noch eine Rechnung über Analyse-/Schmelzkosten an die Insolvenzschuldnerin, die den Zahlungsbetrag wiederum der NX GmbH entsprechend in Rechnung stellte.

Der Zeuge L erhielt für die von der NX GmbH gelieferten Edelmetalle erst sodann, nachdem der Zeuge U das Bargeld nach M transportiert hatte, ebenfalls grundsätzlich Barzahlungen in Höhe von 70 bis 80 % des Warenwertes; den Restbetrag des Kaufpreises überwies die Insolvenzschuldnerin auf das Konto der NX GmbH. Das Bargeld, das der Zeuge U nach M transportierte, wurde dem Zeugen L teilweise noch am späten Nachmittag/Abend des Anlieferungstages, teilweise an dem Folgetag oder teilweise auch zwei bis drei Tage nach der Anlieferung übergeben.

Bezogen auf die NX GmbH schrieb die Insolvenzschuldnerin das Finanzamt C an. Das Schreiben vom 22.08.2012 mit dem Betreff „Umsatzsteuer-Erklärung der NX GmbH“ hatte folgenden (auszugsweisen) Inhalt (Gerichtsakte, Bl. 127): „… Sehr geehrte Damen und Herren, mit der o.g. Gesellschaft sind wir in geschäftliche Beziehungen getreten. Diese machen es notwendig, dass sich unsere Gesellschaft über die umsatzsteuerliche Veranlagung der NX GmbH informiert. Hintergrund ist, dass diese Gesellschaft im Edelmetallhandel tätig ist und aus den Geschäften mit uns Umsatzsteueranteile in höherem Ausmaß vereinnahmt. Wir möchten und müssen uns dahingehend absichern, dass die o.g. Gesellschaft die von uns erhaltene Umsatzsteuer Ihnen gegenüber entsprechend erklärt. Wie wir der Gesellschaft mitgeteilt haben, ist das kein Argwohn oder Misstrauen und wir wollen schon gar nicht mit dieser Anfrage den Eindruck erwecken, dass diese sich nicht gesetzeskonform verhalten würde. Jedoch müssen wir uns ebenfalls hinreichend absichern, damit wir nicht unbewusst für unlautere Zwecke missbraucht werden. Die NX GmbH zeigt großes Verständnis für unser Anliegen und erteilte uns entsprechend Vollmacht. … Wir bitten Sie daher, uns kurzfristig innerhalb von 10 Tagen Auskunft zu geben, ob die NX GmbH bei Ihnen zur o.g. Steuernummer geführt wird, die NX GmbH ihren umsatzsteuerrechtlichen Verpflichtungen in der Vergangenheit ordnungsgemäß nachgekommen ist, insbesondere die steuerlichen Erklärungen und etwaige daraus resultierende Zahlungen fristgerecht und vollständig erbracht hat, ob sonstige Unregelmäßigkeiten bekannt sind, die gegen einen geschäftlichen Kontakt mit der Gesellschaft sprechen. Die Geschäftstätigkeit zu uns wurde vor einigen Tagen aufgenommen …“. Auf dem in den Verwaltungsvorgängen der NX GmbH des Finanzamts C abgehefteten Schreiben der Insolvenzschuldnerin vom 22.08.2012 ist handschriftlich vom Bearbeiter des Finanzamts vermerkt worden: „Keine Auskünfte!“

Mit Schreiben vom 30.08.2012 an die BF-GmbH wies das Finanzamt C unter Bezugnahme auf das Schreiben der Insolvenzschuldnerin und der darin geäußerten Bitte, Auskünfte bezüglich der NX GmbH zu erteilen, darauf hin, dass dies nicht die übliche Verfahrensweise sei und Auskünfte grundsätzlich nicht an Dritte erteilt würden. Diesbezüglich habe sich der Auskunftssuchende, die Insolvenzschuldnerin, direkt an die NX GmbH zu richten.

Das Finanzamt C hatte der NX GmbH unter dem 27.08.2012 eine „Bescheinigung in Steuersachen“ ausgestellt, in der u.a. angegeben ist: „… 2. Zurzeit bestehen Steuerrückstände in Höhe von 43,49 €. 3. Es sind keine Steuerbeträge gestundet. 4. Zahlungsverhalten in den letzten 12 Monaten – überwiegend oder immer verspätet. 5. Erklärungsverhalten in den letzten 24 Monaten – überwiegend oder immer verspätet erfüllt. … 7. Sonstiges – Neugründung – Dem Finanzamt liegen aufgrund der Neugründung keine näheren Erkenntnisse über das steuerliche Verhalten des Antragstellers vor.“ Ferner werde darauf hingewiesen, dass die Unternehmereigenschaft nach § 2 UStG mit dieser Bescheinigung nicht bestätigt werde. Auf der in den Verwaltungsvorgängen der NX GmbH des Finanzamts C abgehefteten Verfügung der Bescheinigung vom 27.08.2012 ist handschriftlich vermerkt: „… persönlich übergeben an GF. … “.

Die Insolvenzschuldnerin übersandte dem Finanzamt C am 25.10.2012 ein Schreiben, in dem es an die Beantwortung ihrer Anfrage vom 22.08.2012 bezogen auf die umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft der NX GmbH erinnerte. In den Verwaltungsvorgängen der NX GmbH des Finanzamts C ist ein Vermerk vom 30.10.2012 über das „heutige“ Gespräch mit dem Zeugen L abgeheftet, u.a. mit folgendem (auszugsweisen) Inhalt: „… Herr L erschien an Amtsstelle und bat um Ausstellung einer Bescheinigung als umsatzsteuerlicher Unternehmer nach § 2 UStG zur Vorlage bei der Firma N GmbH. Nach Abfrage des UG-Speichers (insbes. UVA 08/12) und Sichtung der Akten (HW-Akte: Beteiligung FuSt wg. Verdacht auf Geldwäsche und Karussellgeschäfte) wurde Herr L informiert, dass ihm bereits am 27.08.2012 eine Bescheinigung in Steuersachen ausgestellt wurde. Weitergehende Angaben als in diesem Schreiben werden nicht bestätigt, sie hat weiterhin Gültigkeit und scheint auch damals für die N GmbH benötigt worden zu sein. Nach einem kurzen Telefonat erschien der GF nochmals und teilte mit, dass die N ausdrücklich darauf beharre, dass die umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft nach § 2 UStG bescheinigt werde. Daraufhin rief ich auf Bitten des Herrn L bei dem GF der Firma N, Herrn K, an und teilte ihm ganz allgemein mit, dass die … Finanzverwaltung dies seit kurzem nicht mehr bestätigt, da sie dazu praktisch gar nicht in der Lage sei. Diese Aussage genügte Herrn K. …“.

Die BF-GmbH, die steuerliche Beraterin der NX GmbH bis Ende Oktober 2012, übersandte der Insolvenzschuldnerin am 05.09.2012, am 23.10.2012 und 30.10.2012 jeweils ausgefüllte Formulare „Bestätigung des Steuerberaters über die Umsatzsteuervoranmeldung“. In der mit Schreiben vom 05.09.2012 übermittelten Bestätigung gab sie an, die NX GmbH erstelle monatlich Umsatzsteuer-Voranmeldungen und reiche diese beim Finanzamt C ein, zuletzt am 17.08.2012; aus der Geschäftsbeziehung zur Insolvenzschuldnerin seien für diesen Zeitraum keine Umsatzsteuerbeträge erklärt worden (Gerichtsakte, Bl. 429). Die Bestätigung vom 23.10.2012 weist aus, dass am selben Tag – dem 23.10.2012 – eine berichtigte Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat August 2012 abgegeben worden sei, in der Umsatzsteuer aus der Geschäftsbeziehung mit der Insolvenzschuldnerin in Höhe von 78.700,47 € erklärt worden sei (Gerichtsakte, Bl. 433). Die BF‑GmbH übersandte der Insolvenzschuldnerin, per E-Mail an Herrn H, am 23.10.2012 zudem auch eine Abschrift der berichtigten Umsatzsteuer-Voranmeldung für August 2012 der NX GmbH, aus der sich die von ihr erklärten Umsätze zu 19 % in Höhe von 414.213 €, Umsätze, für die der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b Abs. 5 UStG schuldet, in Höhe von 9.514 € sowie Vorsteuerbeträge in Höhe von 80.562,29 € (verbleibender Überschuss: -1.861,82 €) ergeben (Gerichtsakte, Bl. 430 ff.). Am 30.10.2012 bestätigte die BF-GmbH in dem ausgefüllten Vordruck, dass die aktuelle Erklärung vom 30.10.2012 für September 2012 erklärte Umsatzsteuerbeträge aus der Geschäftsbeziehung mit der Insolvenzschuldnerin im Erklärungszeitraum in Höhe von 233.935,41 € enthalte (Gerichtsakte, Bl. 434 GA). Am 19.11.2012 bestätigte Rechtsanwalt X Y von der CC GmbH mit dem Vordruck „(Erst-)Bestätigung des Steuerberaters über die Umsatzsteuervoranmeldung“, dass mithilfe seines Büros die NX GmbH monatlich die Umsatzsteuer-Voranmeldung erstelle und beim Finanzamt C einreiche, zuletzt mit Erklärung vom 19.11.2012. Die aktuelle Erklärung vom 19.11.2012 enthalte Umsatzsteuerbeträge aus der Geschäftsbeziehung mit der Insolvenzschuldnerin in Höhe von 322.140,44 € (Bl. 435 GA).

Die Steufa führte am 18.09.2013 im Rahmen des gegen die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, den Zeugen K und Herrn H, eingeleiteten Strafverfahrens wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung Durchsuchungsmaßnahmen u.a. in den Geschäftsräumen der Insolvenzschuldnerin und in den Büroräumen der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, des Zeugen K und Herrn H, durch. In der Rechtsanwaltskanzlei des Zeugen H wurden dabei u.a. der Zwischenbericht der Steufa vom 11.07.2012 über die bei der O GmbH & Co. KG durchgeführte Fahndungsprüfung, ein Zeitungsbericht „Steuerfahnder sprengen bundesweit agierende Silberhändler-Bande“ (Internet-Ausdruck vom 28.02.2012, 15.50 Uhr), ein Gutachten des Steuerberaters K C vom 22.10.2012 „Gutachterliche Stellungnahme zu Fragen des Vorsteuerabzugs für Lieferungen und Leistungen innerhalb des Bundesgebiets unter besonderer Berücksichtigung der Nachweis- und Dokumentationspflichten des vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmers“ und ein Artikel „Vorsteuerabzug im Schrotthandel“ aus der Zeitschrift Praxis Steuerstrafrecht (Heft 07/2012, Seite 179 ff.) aufgefunden (vgl. Zwischenbericht der Steufa vom 17.03.2014, Strafakte Band IV Bl. 549).

Im Rahmen der Durchsuchung der Geschäftsräume ist die Zeugin N G am 18.09.2013 und 26.09.2013 von der Steufa vernommen und am 20.11.2013 in einem Telefonat nochmals informatorisch befragt worden (BMO Band I, Seite 233 ff.). Am 01.10.2013 ist der Zeuge U (BMO Band I, Seite 257 ff.) und am 22.11.2013 ist Herr W von der Steufa vernommen worden (BMO Band I, Seite 267 ff.). Wegen der Einzelheiten wird auf die Vernehmungsprotokolle verwiesen.

Bereits mit Datum vom 16.09.2013 erließ der Beklagte eine dingliche Arrestanordnung in das Vermögen der Insolvenzschuldnerin wegen Umsatzsteuer 2012. Als Arrestanspruch führte der Beklagte aus, dass die Vorsteuern aus den Rechnungen der NX GmbH nicht anzuerkennen seien. Nachdem der Beklagte die Aussetzung der Vollziehung der Arrestanordnung ablehnte, strengte die Insolvenzschuldnerin beim hiesigen Gericht ein Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung an. Mit Beschluss vom 16.12.2013 15 V 3684/13 U lehnte das Gericht den Antrag ab. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte 15 V 3684/13 U und die Strafakte, Band III, Bl. 348 ff.) verwiesen.

Die Steufa erstellte unter dem 17.03.2014 einen Zwischenbericht, in dem sie die Auffassung vertrat, der Insolvenzschuldnerin sei der Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der Firma NX GmbH in Höhe von insgesamt 834.449,10 € zu verwehren. Der Sitz der NX GmbH sei als Scheinsitz zu behandeln, so dass die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug allein aus diesem Grund nicht vorlägen. Darüber hinaus liege nach ihren Erkenntnissen unter Beteiligung der Insolvenzschuldnerin und der NX GmbH eine planmäßig hintereinander geschaltete Lieferkette mit dem Ziel des Umsatzsteuerbetrugs vor. Im Bereich des Edelmetallhandels seien Barzahlungen kein Standard. Vorliegend seien hingegen überwiegend Barauszahlungen an die NX GmbH erfolgt. Diese Barmittel habe die Insolvenzschuldnerin zuvor bei ihren eigenen Kunden besorgen müssen. Erst danach sei die Insolvenzschuldnerin in der Lage gewesen, ihre eigenen Verbindlichkeiten zu begleichen. Diese Vorgehensweise bedinge, dass die Waren (Ankauf und sofortiger Verkauf) tagesgleich durchfakturiert worden seien bzw. hätten müssen. Vorliegend habe der Abnehmer der Insolvenzschuldnerin schon vor dem eigenen Einkauf festgestanden. Dieses bei der Insolvenzschuldnerin vorliegende Zahlungssystem sei typisch für die Art des Umsatzsteuerbetrugs. Den Geschäftsführern der Insolvenzschuldnerin sei vorzuwerfen, dass sie trotz Kenntnis dieser Praktiken sich in betrügerische Geschäfte hätten einbinden lassen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Zwischenbericht vom 17.03.2014 verwiesen (Strafakte Band IV, Bl. 513 ff.).

Die Insolvenzschuldnerin reichte am 29.04.2014 ihre Umsatzsteuer-Erklärung für 2012 beim Beklagten ein, in der sie (Netto-)Umsätze zu 19% in Höhe von 9.287.110 € und abziehbare Vorsteuern in Höhe von insgesamt 2.124.341,25 € erklärte. Der Beklagte erließ unter dem 26.05.2014 den Umsatzsteuer-Bescheid 2012, in dem er Vorsteuern aus Rechnungen der Firma NX GmbH in Höhe von 834.449,10 € kürzte und die Umsatzsteuer auf 844.017 € festsetzte.

Die Insolvenzschuldnerin legte gegen diesen Bescheid am 24.06.2014 Einspruch ein. Zur Begründung trug sie u.a. vor: Es könne kein Scheinsitz der NX GmbH festgestellt werden. Der Geschäftsgegenstand der NX GmbH habe während ihrer Tätigkeitszeit den „Verkauf von Rohstoffen“ umfasst. Die Rohstoffe seien von der NX GmbH nicht geschmolzen worden. Lager oder Hallen seien nicht benötigt worden. Die Tätigkeit der NX GmbH habe daher keiner dauerhaften Präsenz an einem Unternehmenssitz bedurft. Als reiner Händler reiche zur Bestimmung eines Lieferzeitpunkts und zur Koordinierung von Kauf und Verkauf der Rohstoffe ein Telefonanschluss aus, über den man dauerhaft erreichbar sei. Der Zeuge L sei telefonisch erreichbar gewesen, büromäßig ausgestatteter Büroräume habe es nicht bedurft. Der Zeuge L sei auch kein Strohmann gewesen. Nicht er, der Zeuge L, sondern die NX GmbH sei leistender Unternehmer gewesen. Die NX GmbH habe ihre Waren von der OD GmbH und der CD GmbH bezogen. Sofern diese Lieferanten die Umsatzsteuer nicht abgeführt hätten, so sei dies ihr, der Insolvenzschuldnerin, nicht anzulasten.

Sie bzw. ihre Geschäftsführer hätten auch nicht gewusst bzw. hätten nicht wissen müssen, dass sie sich mit dem Erwerb des Silbergranulats an einem Umsatz beteilige, der in eine Umsatzsteuerhinterziehung einbezogen sei. Sie habe alle notwendigen Maßnahmen getroffen, um sicherzustellen, dass sie nicht in steuerbetrügerische Handlungen einbezogen werde. So seien umfangreiche Auskünfte von allen Neulieferanten, die größere Mengen angeboten hätten, angefordert worden. Sie habe auf ihre Anfrage vom 22.08.2012 beim für die NX GmbH zuständigen Finanzamt C auch keine Auskunft zu Ungunsten der NX GmbH erhalten. Soweit der Beklagte behaupte, sie habe aufgrund des Handelsregisterauszugs angeblich misstrauisch werden müssen, sei dem nicht zu folgen. So verkenne der Beklagte, dass in der Gewerbeummeldung der NX GmbH vom 00.07.2012 der „[…]“ angegeben sei. Der Zeuge L habe auf Nachfrage ihrer Geschäftsführer mitgeteilt, dass die Eintragung in das Handelsregister noch erfolgen werde; er habe noch nicht die Gelegenheit gehabt, die Änderung zu beantragen, da das Unternehmen neu gegründet worden sei. Durch die beantragte Gewerbeummeldung Ende Juli 2012 habe sie davon ausgehen können, dass die Änderung des Geschäftsgegenstands auch in das Handelsregister eingetragen werde. Darüber hinaus bleibe unbeachtet, dass sie die Geschäftskontakte zur NX GmbH geändert habe, sobald die notwendigen Umsatzsteuernachweise von dieser nicht fristgerecht übermittelt worden seien. Die Geschäfte mit der NX GmbH seien wegen der nicht fristgerechten Übermittlung der Nachweise zur Versteuerung der Umsätze eingestellt worden. Neben der Abfrage der umfangreichen Auskünfte seien weitere Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden. So seien die Geschäftsräume der NX GmbH aufgesucht worden, um die Existenz des von der NX GmbH angegebenen Geschäftssitzes zu überprüfen. Herr H sei im Oktober 2012/November 2012 auch persönlich in den Geschäftsräumen der NX GmbH in der H-Straße 117, C, gewesen; der Geschäftssitz habe unzweifelhaft existiert. Soweit der Beklagte behaupte, der Besuch sei verspätet gewesen, sei dem nicht zu folgen. Herr H habe zeitnah die Geschäftsräume der NX GmbH aufgesucht. So verkenne der Beklagte auch, dass es in der Branche unüblich sei, dass die Abnehmer ihre Lieferanten überhaupt überprüfen. Sie selbst sei von der Firma I GmbH & Co. KG trotz ihrer Geschäftsbeziehungen erst im Mai 2013 auf ihre Bitte hin besucht worden. Die CY AG habe sie, die Insolvenzschuldnerin, nie überprüft. Zudem wäre ihr durch ein früheres Aufsuchen der Räumlichkeiten durch Herrn H kein anderer Eindruck vermittelt worden. Die Geschäftsräume habe die NX GmbH seit Juli 2012 angemietet gehabt. Soweit der Beklagte die Wahl des Standortes für ein bewusstes Mitwirken an einem Umsatzsteuerkarussell anführe, sei diese Behauptung verfehlt und somit unbeachtlich.

M sei von ihren Geschäftsführern als Standort gewählt worden wegen seiner Nähe zum … und wegen seiner guten Anbindung zur Autobahn … . Keinesfalls sei sie, die Insolvenzschuldnerin, gegründet worden, um die betrügerischen Edelmetallgeschäfte der O GmbH & Co. KG, die von Herrn T betrieben worden seien, fortzuführen. Im Zeitpunkt ihrer Gründung sei ihren Geschäftsführern, dem Zeugen K und Herrn H, lediglich bekannt gewesen, dass Herr T ebenfalls Edelmetallhändler gewesen sei. Dass ein Steuerstrafverfahren gegen Herrn T geführt wurde, sei ihren Geschäftsführern zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen. Erst im Juli 2012 habe Herr T ihre Geschäftsführer über ein ihn betreffendes Strafverfahren informiert; zu dieser Zeit seien die Räume in M bereits angemietet gewesen. Die Auswahl der Räumlichkeiten in M sei durch Herrn H erfolgt. Dieser habe sich über mögliche Räumlichkeiten in M kundig gemacht und habe nach Auswahl der Immobilie mit dem zuständigen Inhaber Herrn W einen kurzfristigen Besichtigungstermin am 06.06.2012 vereinbart. Der von ihr beschäftigte Fahrer, der Zeuge U, sei zwar zuvor für Herrn T tätig gewesen. Dieser Umstand spreche jedoch nicht für eine Fortführung angeblich betrügerischer Geschäfte des Herrn T durch sie. Der Zeuge U sei im Rahmen eines ordnungsgemäßen Bewerbungsverfahrens und aufgrund einer Empfehlung der UCN GmbH eingestellt worden.

Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung habe im Streitjahr ein Markt für Silber, Gold, Platin und Palladium existiert. Die bei Herrn H aufgefundenen Zeitungsartikel sowie das Gutachten könnten nicht als Indizien für ein betrügerisches Handeln angesehen werden. Die Existenz der Zeitungsartikel und das Gutachten begründeten stattdessen, warum sie eine so große Sorgfalt habe walten lassen und Handelsregisterauszüge, Gewerbeanmeldungen, Unbedenklichkeitsbescheinigungen usw. von ihren Geschäftspartnern verlangt habe. Die Zeitungsartikel und das Gutachten hätten ihre Geschäftsführer sensibilisiert für mögliche Gefahren, die bei Tätigwerden auf dem Geschäftszweig des Rohstoffhandels auftreten könnten. Die Geschäftsführer hätten sich durch die Einholung des Zeitungsartikels vorab informiert, um somit Risiken zu minimieren. Auch die tagesgleiche Fakturierung sowie die Barauszahlung belegten keine Teilnahme an einem Umsatzsteuerkarussell. Der Rohstoffhandel sei ein hart umkämpfter Markt gewesen. Durch die Barzahlung – auch auf Vorkasse –, die Abnahme großer Mengen und die kostenlose Abholung der Ware sowie den kostenlosen Transport zur Scheideanstalt habe sie, die Insolvenzschuldnerin, sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den großen Scheideanstalten verschafft, welche oftmals nur durch Überweisung und erst nach mehreren Tagen ihre Kunden bezahlten. Auch habe sie im Laufe ihrer Geschäftstätigkeit nicht nur Waren von der NX GmbH gekauft, sondern auch von weiteren Großlieferanten und von Privatpersonen. Zudem habe sie die gekauften Edelmetalle an verschiedene Abnehmer geliefert, wie z.B. die UCN GmbH, I GmbH & Co. KG und CY AG. Auch der Umstand, dass feste Margen mit den Abnehmern vereinbart gewesen seien, sei nicht ungewöhnlich. Vielmehr vereinbarten alle großen Scheideanstalten im Hinblick auf die dauernden Kursschwankungen feste Margen.

Mit Beschluss vom 00.08.2014 (Az.: …) eröffnete das Amtsgericht N das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin, nachdem diese am 00.06.2014 einen Insolvenzantrag gestellt hatte. Zum Insolvenzverwalter wurde (zunächst) Herr Rechtsanwalt E T bestellt. Den von dem Beklagten zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen widersprach der Insolvenzverwalter.

Mit Schreiben vom 25.11.2014 nahm der Insolvenzverwalter das Einspruchsverfahren gegen den Umsatzsteuerbescheid 2012 auf.

Die Steufa erließ unter dem 25.02.2015 den Abschlussbericht über ihre steuerlichen Feststellungen. Darin führt sie aus, die Insolvenzschuldnerin sei in die betrügerischen Rechnungsketten unmittelbar beteiligt, und zwar im Wareneinkauf von den Firmen NX GmbH und F GmbH sowie im Warenverkauf an die Firma UCN GmbH. Gegen die Verantwortlichen der Firmen werde wegen des Verdachts des Umsatzsteuerbetrugs ermittelt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Abschlussbericht verwiesen (Strafakte Band VII, Bl.1087 ff.).

Die Staatsanwaltschaft N hat mit Anklageschrift vom 00.02.2017 … Anklage gegen den Zeugen K und Herrn H erhoben. Gegenstand der Anklage ist der Verdacht der unberechtigten „Vorsteuerverkürzungen“ aus Lieferungen der NX GmbH und der F GmbH (Strafakte Band IX, Bl. 1653 ff.).

Mit Einspruchsentscheidung vom 08.02.2017 entschied der Beklagte wie folgt:

-          Das durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochene Verfahren wird aufgenommen und in das Feststellungsverfahren übergeleitet (§§ 179 Abs. 1 und 2, § 180 Abs. 2, 185 Insolvenzordnung –InsO–).

-          Der Einspruch gegen die Steuerfestsetzung und der Widerspruch des Insolvenzverwalters gegen die zur Tabelle angemeldete Steuerforderung sind unbegründet.

-          Die angemeldete Steuerforderung wird gem. § 251 Abs. 3 AO wie folgt als Insolvenzforderung festgestellt:

 

Lfd. Nr.

Abgabe und Zeitraum

Fällig am

Betrag

4

Umsatzsteuer 2012

30.06.2014

830.915,59 €

5

Zinsen zur USt

30.06.2014

4.172,00 €

6

Säumniszuschläge zur USt

30.06.2014

16.619,00 €

 

Zur Begründung führte der Beklagte unter anderem aus, die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug lägen nicht vor. Bei der für die NX GmbH angegebenen Anschrift handele es sich um einen Scheinsitz. Im Übrigen hätten die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin von der Einbeziehung der Umsätze der NX GmbH in eine Umsatzsteuerhinterziehung wissen können. Aufgrund des beruflichen Hintergrundes der Gesellschafter-Geschäftsführer sowie der aufgefundenen Unterlagen ergebe sich, dass diese jedenfalls Problembewusstsein gehabt hätten. Die weiteren Umstände, wie der sehr hohe Umsatz gleich zu Beginn der Geschäftsbeziehung, der nicht versicherte und ungesicherte Transport in Pkws sowie der Erwerb des Edelmetalls zu konstanten, deutlich unter dem Börsenkurs liegenden Preisen, hätten einen ordentlichen Kaufmann misstrauisch machen müssen. Er verweise in diesem Zusammenhang auf den Zwischenbericht der Steufa vom 17.03.2014 und den Abschlussbericht vom 25.02.2015.

Der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin erhob gegen die Einspruchsentscheidung am 09.03.2017 Klage. Im Laufe des Klageverfahrens entließ das Amtsgericht N mit Beschluss vom 00.03.2020 Herrn Rechtsanwalt E T als Verwalter und bestellte an seiner Stelle Frau S C zur neuen Insolvenzverwalterin, die seitdem als Klägerin geführt wurde.

Die Klägerin trug im ersten Rechtsgang ergänzend zu den Ausführungen im Einspruchsverfahren vor, die streitbefangenen Rechnungen seien weder fehlerhaft noch sei die Insolvenzschuldnerin an einem Umsatzsteuerkarussell beteiligt gewesen. Die in den Gutschriften ausgeführten Leistungen seien tatsächlich durch die NX GmbH erbracht worden. Der Geschäftsführer der NX GmbH, der Zeuge L, habe persönlich das Silbergranulat angeliefert. Der Zeuge L habe mit den Geschäftsführern der Insolvenzschuldnerin auch die Preisverhandlungen geführt, wobei er versucht habe, die für sich günstigsten Konditionen in den Verhandlungen zu erzielen sowie die minütlich wechselnden Kurse und die hierbei auftretenden Kursschwankungen zu seinen Gunsten auszunutzen. Die Fachfremdheit der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin und deren berufliche Qualifikation als Rechtsanwälte stelle kein Indiz für eine Beteiligung an einem Umsatzsteuerkarussell dar. Die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin hätten sich Kenntnisse über die Branche angelesen und sich in diesem Zusammenhang auch ausführlich mit den Risiken der Branche und den notwendigen Vorkehrungen vertraut gemacht. Zur Führung eines Unternehmens bedürfe es neben der Fachkenntnis auch weiterer Eigenschaften wie Risikobereitschaft und Organisationsfähigkeit, da der Gewinn in der Branche vom Verhandlungsgeschick über die Höhe des Einkaufs- und Verkaufspreises abhänge. Diese Eigenschaften existierten bei Menschen branchenunabhängig. Der Wohnsitz der Geschäftsführer spreche ebenfalls nicht für eine Beteiligung an einem Umsatzsteuerkarussell. Eine Verlegung der Kanzleisitze sei wegen der bestehenden Mandantenstämme nicht in Frage gekommen. Da die Rechtsanwaltstätigkeit die Haupttätigkeit der Geschäftsführer habe bleiben sollen, sei auch eine Verlegung der Wohnsitze nicht in Frage gekommen. In M hätten verlässliche Arbeitnehmer eingesetzt werden sollen, um langfristig weniger dort präsent sein zu müssen. In der Anforderung der Unterlagen von den Lieferanten liege auch keine „übertriebene Beweisvorsorge“, sondern die Insolvenzschuldnerin sei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesfinanzhofs (BFH) zu dieser Sorgfalt verpflichtet gewesen. Große Scheideanstalten, wie die DT GmbH & Co. KG, forderten ebenfalls vergleichbare Unterlagen an. Insbesondere seien auch Barzahlungen nicht ungewöhnlich im Rohstoffhandel. Auch andere Edelmetallhändler wie …, die … GmbH, die … GmbH und die … GmbH böten Barzahlungen an. Die Annahme der Steufa im Zwischenbericht vom 17.03.2014, dass die Einbeziehung von Zwischenhändlern alleine schon für die bewusste Teilnahme an einem Umsatzsteuerkarussell spreche, obwohl bei direkten Verhandlungen mit den Scheideanstalten teilweise bessere Ergebnisse erzielt werden könnten, sei fehlerhaft. Hierbei bleibe bereits die von der Insolvenzschuldnerin verfolgte Geschäftsidee unberücksichtigt. Die Insolvenzschuldnerin habe gerade mit der schnellen Auszahlung der fixierten Edelmetallpreise geworben, um sich am Markt etablieren zu können. Die Auszahlung von Scheideanstalten dauere sehr lange und sei meist unbar gewesen. Eine sofortige Auszahlung, wie es aufgrund der Geschäftsidee der Insolvenzschuldnerin habe erfolgen sollen, wäre somit nicht möglich gewesen. Aufgrund der erst erfolgten Gründung der Insolvenzschuldnerin sei auch eine Aufnahme von Krediten, um die Zeit zwischen Zahlung an den Lieferanten und Auszahlung durch die Scheideanstalten zu überbrücken, keine marktwirtschaftlich sinnvolle Option gewesen. Es sei zum damaligen Zeitpunkt auch lukrativer gewesen, Zwischenhändler einzubeziehen, als direkt mit den großen Scheideanstalten zu verhandeln. Denn die Zwischenhändler hätten bessere Kontakte zu den Scheideanstalten und den anderen Marktteilnehmern gehabt und hätten somit wesentlich bessere Konditionen erzielen können. Darüber hinaus sei durch die Einbeziehung von Zwischenhändlern eine schnelle und unkomplizierte Vertragsabwicklung möglich gewesen. Es sei auch unberücksichtigt geblieben, dass von der Insolvenzschuldnerin durchaus versucht worden sei, die Zwischenhändler langfristig zu umgehen, um somit direkt mit den Scheideanstalten verhandeln zu können. Die Insolvenzschuldnerin habe auch Sicherheitsvorkehrungen für den Transport getroffen. So seien als Transportfahrzeuge für die Edelmetalle regelmäßig gewechselte Mietwagen aus C verwendet worden, wodurch eine Wiedererkennung erschwert worden sei. Außerdem sei das Bargeld in einem Safe-Bag transportiert worden. Die Insolvenzschuldnerin habe die in den Räumen der Insolvenzschuldnerin gelagerte Ware auch versichern wollen, allerdings hätten potentielle Versicherer dies wegen einer fehlenden Alarmanlage mit einem hohen VDS-Standard abgelehnt. Der Einbau einer Sicherheitsanlage sei dann später aber auch erfolgt.

Der Senat führte im ersten Rechtsgang am 04.06.2020 die mündliche Verhandlung durch, in deren Rahmen die Zeugen L und U sowie die Zeugin N G vernommen wurden. Herr H und Herr T sagten nicht zur Sache aus, sondern beriefen sich jeweils zu Beginn ihrer Vernehmung auf ihr Auskunftsverweigerungsrecht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 04.06.2020 verwiesen.

Mit Urteil vom 04.06.2020 5 K 694/17 U wies der Senat die Klage ab. Auf die beim BFH von der Klägerin gegen das Urteil eingelegte Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision hob der BFH das Urteil mit Beschluss vom 13.07.2021 – XI B 30/20 auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das hiesige Gericht zurück.

Im zweiten Rechtsgang trägt die Klägerin weiter vor: Die Insolvenzschuldnerin habe sämtliche Maßnahmen unternommen, um ihre Lieferanten zu überprüfen und damit zu verhindern, dass sie in ein sog. Umsatzsteuerkarussell einbezogen werde. So sei die Insolvenzschuldnerin auch gegenüber der NX GmbH verfahren, was der Zeuge L in seiner Zeugenvernehmung am 04.06.2020 bestätigt habe. Darüber hinaus hätten die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin den Zeugen L, Geschäftsführer der NX GmbH, in den ersten Gesprächen intensiv sowohl über die Herkunft der Edelmetalle als auch über dessen Tätigkeit, wie dieser ebenfalls bereits am 04.06.2020 ausgesagt habe, befragt. Zusätzlich habe sich die Insolvenzschuldnerin beim Finanzamt C mit Schreiben vom 22.08.2012 sowohl über die Existenz der NX GmbH als auch zur Unbedenklichkeit derselben erkundigt. Als keine zeitnahe Antwort durch das Finanzamt C erfolgt sei, sei dem Zeugen L von den Geschäftsführern der Insolvenzschuldnerin mitgeteilt worden, dass ohne die begehrten Auskünfte der Finanzverwaltung die Geschäftsbeziehungen unverzüglich beendet würden. Nachdem der Zeuge L hierüber informiert worden sei, habe dieser den Zeugen K aus dem für die NX GmbH zuständigen Finanzamt C angerufen und diesem die zuständige Mitarbeiterin aus dem Finanzamt gereicht. Die Mitarbeiterin habe dem Zeugen K mitgeteilt, dass es eine interne Order gebe, wonach die Finanzverwaltung an Dritte keine Unbedenklichkeitsbescheinigungen mehr ausstelle. Auf Nachfrage habe diese allerdings telefonisch bestätigt, dass aus ihrer Sicht keine Bedenken seitens des Finanzamts C an Geschäftsbeziehungen mit der NX GmbH bestünden. Dem stehe nicht die Bescheinigung in Steuersachen vom 27.08.2012 entgegen. Die sich aus der Bescheinigung ergebenden Steuerrückstände in Höhe von 43,49 € seien marginal und berührten daher die Unbedenklichkeit der NX GmbH nicht. Sowohl das angegebene verspätete Erklärungsverhalten als auch die Angabe, dass die Zahlungen von der NX GmbH in den letzten 12 bzw. 24 Monaten immer verspätet erfolgt seien, genüge nicht für Zweifel an der Zuverlässigkeit der NX GmbH. Zum einen habe das Gericht selbst festgestellt, dass der Zeuge L erst kurz vor Beginn der Geschäftsbeziehungen mit der Insolvenzschuldnerin die Gesellschaftsanteile an der NX GmbH übernommen habe. Dies bedeute, dass die in der Bescheinigung vom 27.08.2012 enthaltenen Angaben über die angeblich verspätete Abgabe von Erklärungen und verspätete Leistung von Zahlungen von früheren Geschäftsführern verursacht worden sein müssen. Dass der Zeuge L seine steuerlichen Verpflichtungen angeblich nicht einhalten würde, habe sich hingegen daraus nicht ableiten lassen. Dies ergebe sich auch aus Ziffer 7 der Bescheinigung vom 27.08.2012, wonach dem Finanzamt aufgrund der Neugründung keine näheren Erkenntnisse über das steuerliche Verhalten der NX GmbH vorlägen. Zudem sei das Telefonat zwischen dem Finanzamt C und dem Zeugen K nach der Ausstellung der Bescheinigung vom 27.08.2012 durchgeführt worden. Angebliche Zweifel an der Unbedenklichkeit seien somit von der Finanzverwaltung in C selbst ausgeräumt worden. Die Insolvenzschuldnerin bzw. ihre Geschäftsführer hätten sich auf diese Auskunft verlassen können. Es sei im Übrigen auch nicht festgestellt worden, zu welchem Zeitpunkt die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin von der Bescheinigung vom 27.08.2012 überhaupt Kenntnis erlangt hätten. Die Insolvenzschuldnerin sei dem Grunde nach auch nicht verpflichtet gewesen, sich überhaupt eine Unbedenklichkeitsbescheinigung von der NX GmbH vorlegen zu lassen. Sie habe insoweit überobligatorisch gehandelt, als sie von dem Zeugen L die Vorlage verlangt habe. Die Akteneinsicht in die nunmehr beigezogenen Verwaltungsvorgänge der NX GmbH habe in diesem Zusammenhang auch ergeben, dass der Zeuge L steuerlich unbedenklich gewesen sei bzw. die Insolvenzschuldnerin ein angeblich bedenkliches Verhalten nicht hätte erkennen müssen. Der Zeuge L habe laut Akteneinsicht sämtliche offenen Steuerverbindlichkeiten der NX GmbH, die die vorhergehenden Geschäftsführer hätten auflaufen lassen, getilgt. Spätestens am 24.04.2012 sei der Ausgleich von sämtlichen offenen Steuerverbindlichkeiten erfolgt. Der Zeuge L habe somit nach außen zu erkennen gegeben, dass er steuerlich zuverlässig sei. Auch aus diesem Grund hätte die Insolvenzschuldnerin nicht erkennen müssen, dass die von ihr getätigten Umsätze mit der NX GmbH in ein angebliches Umsatzsteuerkarussell einbezogen gewesen seien. Die NX GmbH bzw. ihr jeweiliger Steuerberater hätten regelmäßig auch die Umsatzsteuer-Voranmeldungen an die Insolvenzschuldnerin weitergeleitet. Als die Insolvenzschuldnerin festgestellt habe, dass durch die NX GmbH für den Monat August 2012 unzutreffend eine sog. Null-Meldung an die Finanzverwaltung erfolgt sei, habe sich diese unverzüglich an die BF-GmbH, den steuerlichen Berater der NX GmbH, gewandt und habe eine Korrektur der fehlerhaften Meldung verlangt. Die Korrektur sei seitens der BF-GmbH auch vorgenommen worden. Die Insolvenzschuldnerin habe somit auch auf die Abgabe form- und fristgerechter sowie inhaltlich zutreffender Umsatzsteuer-Voranmeldungen ihres Lieferanten gedrängt, wodurch sie sogar eine angeblich von den Vorlieferanten und/oder Abnehmern verfolgte Umsatzsteuerhinterziehung erschwert habe. Sie habe das Vertragsverhältnis am 14.12.2012 beendet, nachdem die Umsatzsteuer-Voranmeldungen nicht mehr ordnungsgemäß an sie übermittelt worden seien.

Die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin hätten weder gewusst, durch wen die NX GmbH beliefert worden sei, noch, wie die Geschäftsabwicklung zwischen der NX GmbH und deren Lieferanten erfolgt sei. Dass der Zeuge L gegenüber den Geschäftsführern der Insolvenzschuldnerin die Namen seiner Lieferanten verschwiegen habe, habe dieser in der mündlichen Verhandlung vom 04.06.2020 bestätigt. Die Insolvenzschuldnerin habe die NX GmbH eingehend überprüft, sei ihr gegenüber für die Warenlieferungen nicht in Vorkasse gegangen und habe die Ware auch physisch erhalten. So sei durch die Zeugen N G, L und U u.a. in ihren Aussagen vom 04.06.2020 bestätigt worden, dass die Ware erst bezahlt worden sei, nachdem die Insolvenzschuldnerin beliefert worden sei und die Preise fixiert worden seien. Zudem sei durch die Zeugen bestätigt worden, dass die Ware analysiert und gewogen worden sei, bevor diese abgenommen und weiterverkauft worden sei. Dass die Insolvenzschuldnerin angeblich die einzige Abnehmerin der NX GmbH gewesen sei, begründe ebenfalls kein Indiz für ein „wissen oder wissen können“ seitens der Insolvenzschuldnerin. Hierbei sei auch festzuhalten, dass nach der Aussage des Zeugen L in der mündlichen Verhandlung vom 04.06.2020 dieser sich bei der Insolvenzschuldnerin beworben habe, nachdem er einen Flyer der Insolvenzschuldnerin gesehen habe, mithin dieser aus eigenem Antrieb den Kontakt zur Insolvenzschuldnerin aufgenommen habe und er die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin vor der Geschäftsaufnahme nicht gekannt habe. Es sei daher nicht erkennbar, woraus die Insolvenzschuldnerin somit hätte schließen sollen, dass die NX GmbH angeblich lediglich die Insolvenzschuldnerin beliefere.

Soweit in dem Urteil vom 04.06.2020 ausgeführt werde, dass nicht nachvollziehbar sei, worin das Geschäftsmodell innerdeutscher mehrstufiger Lieferketten von Edelmetallen liege und das streitgegenständliche Vorgehen zwingend zur Verschleierung der Herkunft der Ware gedient habe, sei nicht berücksichtigt worden, dass der Steuerpflichtige die Organisationsstrukturen und die Geschäftsmodelle, die er als für seine wirtschaftlichen Tätigkeiten und zur Begrenzung seiner Steuerlast am besten geeignet erachte, grundsätzlich frei wählen könne. Lediglich eine rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltung, die allein zu dem Zweck erfolge, einen Steuervorteil zu erlangen, dessen Gewährung den mit der Mehrwertsteuersystemrichtlinie verfolgten Zielen zuwiderlaufe, sei verboten. Wenn daher erwiesenermaßen Gegenstände geliefert worden seien, vermögen der Umstand, dass das Reihengeschäft, das zu diesen Lieferungen geführt habe, keinen wirtschaftlichen Nutzen habe oder nicht angemessen gerechtfertigt zu sein scheine, sowie der Umstand, dass einer der Beteiligten an dieser Kette seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei, für sich genommen nicht als Betrug anzusehen sein. Dies sei vorliegend der Fall. Das Silbergranulat sei tatsächlich geliefert worden. Dass dies in einem Reihengeschäft erfolgt sei, sei daher grundsätzlich unerheblich und kein Indiz dafür, dass die Insolvenzschuldnerin wusste oder hätte wissen können, dass sie in ein sog. Umsatzsteuerkarussell einbezogen worden sei. Zudem werde in dem Urteil vom 04.06.2020 lediglich vermutet, dass das Reihengeschäft keinen wirtschaftlichen Nutzen für die Insolvenzschuldnerin gehabt habe. Tatsächlich sei die Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin gerade darauf ausgerichtet gewesen, aufgrund der Kursschwankungen bessere Verkaufspreise zu erzielen und hierdurch einen höheren Gewinn zu erwirtschaften. Dass angeblich kein seriöser Markt für den Handel für Silbergranulat bestehe – wie von der Beklagten fälschlicherweise behauptet –, sei nicht festgestellt worden. Weder seien hierzu Zeugen gehört noch ein Sachverständigengutachten eingeholt worden. Es werde hilfsweise die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt für den Beweis der Tatsache, dass ein „seriöser“ Markt für den Handel mit Silbergranulat – auch im Rahmen eines Reihengeschäftes – existiere, hilfsweise in dem Veranlagungsjahr 2012 existiert habe. Soweit der Beklagte hierzu meine, dass ein Sachverständigengutachten nicht einzuholen sei, weil das Bestehen eines seriösen Marktes nicht angezweifelt werde, sondern lediglich die Seriösität einer innerdeutschen mehrstufigen Lieferkette beim Edelmetallhandel in der streitgegenständlichen Form, sei dies falsch. Der Beklagte verkenne, dass sich der Beweisantrag zur Einholung eines Sachverständigengutachtens ausdrücklich auch auf die Feststellung habe beziehen sollen, dass es einen seriösen Markt für den Handel mit Silbergranulat im Rahmen eines (innerdeutschen) Reihengeschäfts gebe.

Auch die Auftragsabwicklung habe keinen Anlass zu Zweifeln geboten. Eine Abweichung vom klassischen Vertriebssystem sei kein zwingender Anhaltspunkt für die Beteiligung an einem Umsatzsteuerkarussell. Zudem habe die tagesgleiche Fakturierung der Verschaffung eines Marktvorteils in einem umkämpften Markt gedient. Auch Barauszahlungen seien im Rohstoffhandel nicht ungewöhnlich, sondern würden von unterschiedlichen Edelmetallhändlern und Scheideanstalten angeboten. Daneben habe der Steuerberater der Insolvenzschuldnerin deren Geschäftsführern bestätigt, dass das von ihnen durchgeführte Geschäftsmodell und die geplante Kaufabwicklung unbedenklich sei. Zudem habe die Insolvenzschuldnerin Verhandlungen mit dem […] unter den Scheideanstalten, der DT GmbH & Co.KG (ebenfalls eine vom Beklagten als seriös anerkannte Scheideanstalt) geführt, die sogar bereit gewesen sei, ihr eine unbegrenzte Menge an Silbergranulat abzunehmen. Geschäftsbeziehungen mit der DT GmbH & Co.KG seien lediglich vorerst nicht zustande gekommen, da deren Ankaufspreise aufgrund ihrer Schmelzkosten und der von ihr angenommenen Schmelzverluste schlechter gewesen seien als die von der Insolvenzschuldnerin gegenüber ihren Lieferanten geltend gemachten Preise. Die Preisliste der DT GmbH & Co.KG habe die Insolvenzschuldnerin darin bestätigt und bekräftigt, dass es einen seriösen Markt für den Handel mit Silbergranulat gebe.

Soweit das Gericht sich in der Entscheidung vom 04.06.2020 ergänzend darauf gestützt habe, dass der von der Insolvenzschuldnerin angebotene Ankaufspreis in Höhe von 32 € unter Kitco angeblich nur habe angeboten werden können, wenn „die Umsatzsteuer in der Kette einmal zu wenig abgeführt worden sei“, sei dies unzutreffend. Das Gegenteil sei der Fall. Ergänzend werde daher die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache beantragt, dass der von der Insolvenzschuldnerin angebotene Ankaufspreis für Silbergranulat im Jahr 2012 in Höhe von 32 € unter Kitco auf dem Edelmetallmarkt habe angeboten werden können, ohne dass innerhalb der Lieferkette ein Umsatzsteuerkarussell vorliege, mithin der angebotene Ankaufspreis in der Höhe handelsüblich, seriös und realistisch gewesen sei. Auch andere Scheideanstalten und Unternehmen hätten im Übrigen Ankaufspreise angeboten, die wesentlich deutlicher unter dem Börsenkurs gelegen hätten. Wegen der von der Klägerin angeführten Beispiele wird auf den Schriftsatz vom 14.01.2022 (Gerichtsakte, Bl. 712) verwiesen.

Lediglich hilfsweise, für den Fall, dass das Gericht der schon dem Grunde nach unzutreffenden Auffassung der Beklagten folgen wolle, dass die bisherigen Indizien für ein (grob) fahrlässiges Verhalten der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin sprächen, sei festzuhalten, dass – entgegen der Behauptung des Beklagten – auch dann kein „wissen können/müssen“ vorliege, welches im Sinne der europarechtlichen Rechtsprechung die Nichtanerkennung des geltend gemachten Vorsteuerabzugs rechtfertige. Die Verwendung des Begriffspaars „wusste oder hätte wissen können“ bedeute nicht, dass jeglicher Verschuldensmaßstab die Aberkennung des Vorsteuerabzugs rechtfertige. Hiergegen spreche bereits, dass es sich um eine vom EuGH geprägte Formulierung – mithin um eine im Lichte des Europarechts auszulegende Wendung – handele, die autonom auszulegen sei. Das Gegenteil sei daher der Fall. Es genüge nicht jede Verschuldensform, um den Vorsteuerabzug zu versagen. Stattdessen müsse mindestens bedingter Vorsatz beim Steuerpflichtigen vorliegen und anhand der objektiven Umstände feststehen, damit dieser von einer Beteiligung an einem Umsatzsteuerkarussell „wusste oder hätte wissen können/müssen“. Leichtfertigkeit, grobe Fahrlässigkeit oder gar einfache Fahrlässigkeit genügten demgegenüber nicht. Dies ergebe sich auch aus der Entscheidung des BFH vom 10.08.2017 V R 2/17 [BB 2017, 3045] zu dem damals geltenden § 25d UStG, in welchem der BFH hohe Anforderungen daran gestellt habe, dass der mögliche Haftungsschuldner von einer vorgefassten Hinterziehungsabsicht seines Geschäftspartners habe ausgehen müssen.

Für eine Auslegung dergestalt, dass für das Tatbestandsmerkmal hätte wissen müssen nicht jede Form der Fahrlässigkeit genüge, sondern mindestens grobe Fahrlässigkeit/Leichtfertigkeit, wenn nicht sogar mindestens bedingter Vorsatz beim Steuerpflichtigen vorliegen müsse, spreche insbesondere auch der vom EuGH in ständiger Rechtsprechung betonte allgemeine Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer. Hiernach solle der Unternehmer u.a durch die Abzugsregeln vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten und entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden, wodurch das gemeinschaftliche Mehrwertsteuersystem völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis gewährleiste. Aus diesem Grund sehe der EuGH den Vorsteuerabzug als integralen Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer an. Mit dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, der auch beim Vorliegen eines Umsatzsteuerkarussells anzuwenden sei und dafür sorge, dass ein betrügerisches Handeln eines Unternehmers innerhalb einer Lieferkette nicht automatisch dazu führe, dass der Vorsteuerabzug für sämtliche in den nachgehenden oder vorangegangenen Stufen der Lieferkette zu erfolgenden Umsätzen zu versagen sei, sei es nicht vereinbar, wenn bereits fahrlässiges Handeln innerhalb einer Lieferkette, in der eine Umsatzsteuerhinterziehung stattgefunden habe, genügen solle, um den Vorsteuerabzug zu verwehren. Durch ein solches extensives Verständnis des Merkmals „hätte wissen müssen“ bzw. „hätte wissen können“ werde der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer erheblich verletzt und im Ergebnis sogar ausgehebelt.

Für eine dahingehende Auslegung, dass fahrlässiges Verhalten nicht ausreiche, spreche zudem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der ebenfalls bei sämtlichen Maßnahmen zu wahren sei. Eine extensive Auslegung der Voraussetzungen werde dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Verwehrung des Vorsteuerabzugs insbesondere nicht in den Fallgestaltungen gerecht, in denen der Steuerpflichtige – wie vorliegend – nicht selbst an den Steuerhinterziehungshandlungen beteiligt sei, sondern diese lediglich in einer vorhergehenden oder nachfolgenden Stufe einer angeblich bestehenden Lieferkette erfolgt seien. Stattdessen spreche der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dafür, dass die Voraussetzungen für die Verwehrung des Vorsteuerabzugs, insbesondere in Verbindung mit dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, dergestalt hoch anzusetzen seien, wonach das Vorliegen von mindestens bedingtem Vorsatz verlangt werden müsse, wenn der Steuerpflichtige nicht direkt an der Umsatzsteuerhinterziehung beteiligt sei. Zudem würde die Annahme, dass jegliche Form der Fahrlässigkeit oder überhaupt Fahrlässigkeit für die Versagung des Vorsteuerabzugs genüge, dazu führen, dass – entgegen dem Willen des EuGH – dies den Charakter einer Strafe oder Sanktionierung des Steuerpflichtigen für selbst geringfügigstes, unachtsames Verhalten annehme. Sanktions- oder Strafcharakter solle das europäische Mehrwertsteuerrecht jedoch nach ständiger Rechtsprechung des EuGH gerade nicht beinhalten, wodurch der EuGH dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer ein höheres Gewicht einräume als der ebenfalls bezweckten Bekämpfung der Steuerhinterziehung.

Lediglich ergänzend sei darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass auch die vom EuGH verwendeten Begriffe gegen die Annahme sprächen, dass Fahrlässigkeit für die Nichtgewährung des Vorsteuerabzugs genüge. So habe bereits Weber in seinem Aufsatz in UR 2009, 834 ff. zu Recht darauf hingewiesen, dass in den Originalsprachfassungen der EuGH-Urteile (u.a. vom 06.07.2006 - C-439/04; vom 11.05.2006 – C-384/04; vom 12.01.2006 C-354/03), mit denen unter bestimmten Voraussetzungen die Verweigerung des Vorsteuerabzugs anerkannt worden sei, Begriffe verwendet worden seien, die darauf schließen ließen, dass mit den sodann erfolgten Übersetzung als „hätte wissen müssen“ ausschließlich Vorsatzformen, nicht aber auch grobe Fahrlässigkeit oder gar einfache Fahrlässigkeit gemeint gewesen sei. Des Weiteren gehe auch der nationale Gesetzgeber von einer entsprechend engen Auslegung des Tatbestandsmerkmals aus. Mit Wirkung zum 01.01.2020 sei § 25f UStG in das UStG eingefügt worden. Dieser solle die Rechtsprechung des EuGH in nationales Recht umsetzen. Eine Definition des dort geregelten Tatbestandsmerkmals „hätte wissen müssen“ enthalte diese Vorschrift zwar nicht und sei auch nicht in der einschlägigen Kommentarliteratur zu finden. Allerdings ergebe sich aus der Gesetzbegründung (Bundestags-Drucksache 19/13436, Seite 161), dass der Gesetzgeber § 25f UStG erst bei einer „wissentlichen Einbindung des Unternehmers“, die zudem die Finanzverwaltung darzulegen habe, als einschlägig erachte. Für eine wissentliche Einbindung bedürfe es jedoch zumindest bedingt vorsätzlichen Handelns.

Dass die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin mindestens bedingt vorsätzlich gehandelt hätten, behaupte jedoch weder der Beklagte noch sei dies in der mündlichen Verhandlung oder in dem sich anschließenden Urteil vom 04.06.2020 festgestellt bzw. von den angeblichen Indizien umfasst angesehen worden. Dies sei auch nicht der Fall und stelle sie, die Klägerin, ausdrücklich in Abrede. Das erstinstanzliche Gericht habe lediglich Tatsachen festgestellt, die – wenn überhaupt – nur ein einfach fahrlässiges Verhalten der Insolvenzschuldnerin begründe.

Der Senat hat am 13.09.2024 (erstmals im zweiten Rechtsgang) mündlich verhandelt. Zu dem Termin sind nicht alle geladenen Zeugen erschienen. Der Senat hat keinen Beweis durch Vernehmung der erschienenen Zeugen erhoben. Die Sache ist vertagt und ein neuer Termin auf den 02.12.2024 anberaumt worden (vgl. Sitzungsniederschrift vom 13.09.2024).

Im Nachgang zu der mündlichen Verhandlung vom 13.09.2024 trägt die Klägerin weiter vor: Feststellungen, zu welchem Zeitpunkt die Insolvenzschuldnerin erstmals angeblich wusste oder hätte wissen müssen, dass sie durch den Bezug der Edelmetalle von der NX GmbH an einem Umsatzsteuerkarussell beteiligt war, fehlten vollständig. Der Beklagte könne nicht pauschal den vollständigen Vorsteuerabzug aus den Lieferungen der NX GmbH an die Insolvenzschuldnerin versagen. Es sei von dem Beklagten weder z.B. festgestellt worden, wann der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, Herr H, den Ermittlungsbericht der Steuerfahndung gegen Herrn T erhalten habe, noch, wann er hieraus hätte erstmals Informationen ziehen können. Es fehlten auch jegliche Feststellungen, wann die Insolvenzschuldnerin erstmals festgestellt habe oder hätte feststellen müssen, dass die NX GmbH ein sog. Phoenix-Unternehmen sei, wobei schon bestritten werde, dass dies überhaupt der Fall sei. Auch bzgl. der übrigen angeblichen Indizien, die der Beklagte vorgebracht habe, sei zu keinem Zeitpunkt ermittelt worden, wann diese erstmals überhaupt bzw. in dem Umfang bestanden hätten, so dass die Insolvenzschuldnerin wusste oder hätte wissen müssen, dass die Umsätze aus den Geschäftsbeziehungen mit der NX GmbH angeblich in ein sog. Umsatzsteuerkarussell einbezogen seien.

Unabhängig davon, dass die bisher von dem Beklagten vorgetragenen vermeintlichen Umstände und angeblichen Indizien schon dem Grunde nach nicht geeignet seien, zu belegen, dass die Insolvenzschuldnerin wusste oder hätte wissen müssen, dass ihre Umsätze angeblich in einem Umsatzsteuerkarussell eingebunden seien, sei zudem davon auszugehen, dass diese vermeintlichen Umstände und Indizien in dem von dem Beklagten geltend gemachten Umfang frühestens zu einem Zeitpunkt vorgelegen hätten, zu dem die einzelnen hier streitgegenständlichen Lieferungen aus den Geschäften mit der NX GmbH bereits vollumfänglich getätigt gewesen seien. Dies habe zur Folge, dass die hieraus gezogenen Vorsteuern vollständig zu berücksichtigen seien. Sollte der Zeitpunkt, ab dem die Insolvenzschuldnerin angeblich wusste oder hätte wissen müssen, dass sie in ein Umsatzsteuerkarussell eingebunden sei, nicht mehr feststellbar sein, gehe dies zu Lasten des Beklagten. Das Recht auf Vorsteuerabzug könne nur versagt werden, sofern diese Tatsachen auf andere Weise als durch Vermutungen rechtlich hinreichend nachgewiesen seien. Die Insolvenzschuldnerin sei im Übrigen auch ihren Mitwirkungspflichten in sämtlichen Verfahren hinreichend nachgekommen. Sie habe in den Verfahren umfassend Stellung zu den Vorwürfen des Beklagten bezogen, nochmals ausführlich sowohl das Geschäftsmodell als auch die Wahl des Standortes erläutert sowie die von ihnen getroffenen Sicherheitsvorkehrungen sowohl bei Beginn einer Geschäftsbeziehung mit einem Lieferanten als auch während der Geschäftsbeziehungen dargelegt und hierfür umfassende weitere Unterlagen vorgelegt.

Der Senat hat am 02.12.2024 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in deren Rahmen der Zeuge K und die Zeugin N G vernommen wurden; die Zeugen U und L konnten von dem Senat in dem Termin nicht vernommen werden.

In dem Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024 wird zum Fortgang des Verfahrens ausgeführt: „… Der Vorsitzende weist darauf hin, dass der Senat beabsichtigt, das Verfahren zu unterbrechen und an einem neu anzuberaumenden Termin, voraussichtlich im Februar oder März 2025, fortzusetzen. Das heißt, dass die Richterbank in der gleichen Besetzung bestehen bleibt und die Zeugenvernehmungen sowie der Vortrag des Sachberichts entfällt. …. Beschlossen und verkündet um 19.43 Uhr: Das Verfahren wird unterbrochen.“.

Mit Verfügung vom 17.12.2024 hat der Vorsitzende des erkennenden Senats, Herr Vorsitzender Richter am Finanzgericht …, nachdem er mehrere Telefonate zwecks einer Terminabstimmung geführt hatte (vgl. Gesprächsvermerke, Gerichtsakte, Bl. 952 bis 959), die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung am 17.03.2025 geladen. In den Ladungen an die Beteiligten hat er auf Folgendes hingewiesen: „Aufgrund der Zeitspanne von dreieinhalb Monaten zwischen dem Tag der mündlichen Verhandlung am 02.12.2024 und dem Termin am 17.03.2025 liegt keine Unterbrechung der mündlichen Verhandlung, sondern die Bestimmung eines neuen Termins vor. Dementsprechend beginnt am 17.03.2025 eine neue mündliche Verhandlung. Das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024 wird Ihnen mit einem gesonderten Schreiben übersandt.“

Die Klägerin trägt im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 02.12.2024 und die Ladung zum 17.03.2025 weiter vor: Die mündliche Verhandlung, insbesondere die Aussage des Zeugen K, habe ergeben, dass die Insolvenzschuldnerin zu Recht die Vorsteuern aus den Gutschriften mit den Geschäften der NX GmbH gezogen habe. Sämtliche Zeugen hätten bestätigt, dass die Insolvenzschuldnerin umfassende Unterlagen wie Gewerbeanmeldung, Unbedenklichkeitsbescheinigung, Lieferscheine, Eigentums- und Ermächtigungsnachweise von ihren Lieferanten verlangt habe. Die Insolvenzschuldnerin habe diese zudem überprüft und sich nach der Herkunft der Edelmetalle bei ihren Lieferanten erkundigt. Auch seien während der laufenden Geschäftsbeziehungen regelmäßig Kontrollen vorgenommen worden. Sie habe somit sämtliche Maßnahmen unternommen, um die Einbeziehung in ein Umsatzsteuerkarussell zu verhindern. Festzuhalten sei hierbei, dass sich die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin vorab umfassend hätten beraten lassen, um ein seriöses Geschäftsmodell aufzubauen und um nicht in ein Umsatzsteuerkarussell einbezogen zu werden. Sie verweise auf die Aussage des Zeugen K: „[…] Wir hatten gemeinsam mit unserem Steuerberater ein Konzept entworfen, welche Unterlagen von den jeweiligen Lieferanten vorzulegen gewesen seien. Dazu gehörte u.a., dass die Steuerberater unserer Kunden jeweils bestätigen sollten, dass die Umsatzsteuer bezüglich der Umsätze, die mit uns getätigt worden sind, angemeldet und abgeführt worden seien. Dies sei auch nach meiner Rückfrage bei dem Steuerberater nicht ungewöhnlich gewesen. Der Steuerberater empfiehl uns als I-Tüpfelchen auch eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des jeweiligen Kunden anzufordern. […]“ (Seite 9 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024). Die mit dem Steuerberater besprochenen und entworfenen Unterlagen seien auch erkennbar von den Geschäftsführern der Insolvenzschuldnerin von den Lieferanten verlangt und die verlangten Informationen eingeholt worden. So habe der Zeuge K ausgesagt, dass dieser mit einer Mitarbeiterin des Finanzamtes C telefoniert habe, als der Zeuge L ihm mitgeteilt habe, dass die Finanzverwaltung nicht die geforderte Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen wolle. Die Mitarbeiterin habe den Zeugen sodann telefonisch die Unbedenklichkeit des Unternehmens NX GmbH bestätigt (Seite 9 und 10 des Protokolls). Der Zeuge K habe zudem in seiner Aussage bestätigt, dass der Zeuge L vor seinem ersten Edelmetallgeschäft die von der Insolvenzschuldnerin geforderten Unterlagen abgegeben und er, der Zeuge K, die Unterlagen auf Vollständigkeit überprüft habe, bevor das von dem Zeugen L angebotene Edelmetall entgegengenommen worden sei. Angesprochen darauf, was für Unterlagen er abgegeben habe, habe der Zeuge erklärt: „Das was wir verlangt haben: einen Ausweis, Gewerbeanmeldung. Wir hatten einen Merkzettel und die Unterlagen, die einzureichen waren, sind von Herrn L eingereicht worden. Ich habe diese dann auf Vollständigkeit geprüft. […]“ (Seite 7 des Protokolls), „[…] Auf Nachfrage habe der Zeuge erklärt, dass bei der Anlieferung von Waren die jeweiligen angeforderten Unterlagen überprüft worden sind […]“ (Seite 8 des Protokolls) und „[…] Bezogen auf Herrn L muss ich sagen, dass er alles das an Unterlagen erfüllt hat, was wir von ihm wollten. […]“(Seite 14 des Protokolls)). Dies entspreche den als Anlage K 15 vorgelegten Unterlagen. Dass die Unterlagen vollständig und für die beabsichtigte Absicherung notwendig, aber auch ausreichend gewesen seien, sei den Geschäftsführern sogar von der Scheideanstalt I bestätigt worden. Die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin hätten somit ein ausdrücklich positives Feedback von einem Unternehmen zu ihren Kontrollen und Absicherungen erhalten, das schon seit dem Jahr 1850 existiere und im Bereich der Rückgewinnung von Edelmetallen tätig sei. Erkennbar hätten somit die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin sämtliche Aufklärungs- und Kontrollmöglichkeiten gegenüber der NX GmbH genutzt, die ihr zur Verfügung gestanden hätten. Soweit der Beklagte angedeutet habe, dass angeblich manche Informationen verspätet eingeholt worden seien, weil das Compliance-System der Insolvenzschuldnerin erst während der Geschäftsbeziehungen mit der NX GmbH sukzessive verfeinert und ausgedehnt worden sei, sei dies unzutreffend. Es sei auch falsch, dass die Insolvenzschuldnerin vor Ausführung der Geschäftsbeziehung mit der NX GmbH hätte erkennen können, dass diese angeblich in ein Umsatzsteuerkarussell eingebunden gewesen sei, wenn das Compliance-System von Anbeginn an den späteren Stand gehabt hätte. Die Insolvenzschuldnerin habe keine Informationen verspätet eingeholt. Unabhängig hiervon verkenne der Beklagte, dass eine frühere Einholung von Daten und Informationen über die NX GmbH bzw. ein noch engmaschigeres Compliance-System zu keiner anderen Bewertung der Geschäftsbeziehungen mit der NX GmbH geführt hätte, weil keine anderen Informationen erteilt worden wären als tatsächlich an die Insolvenzschuldnerin übermittelt worden seien. Dies betreffe insbesondere das Telefonat mit der Finanzverwaltung in C im Oktober 2012. In diesem Telefonat habe die zuständige Sachbearbeiterin in C bestätigt, dass die NX GmbH lediglich Umsatzsteuerschulden in Höhe von ca. 50 € gehabt habe, welche noch vom Voreigentümer der NX GmbH stammten, und im Übrigen keine Bedenken gegen Geschäfte mit der NX GmbH bestünden. Diese Ausführungen deckten sich mit den Angaben in der „Bescheinigung in Steuersachen“ des Finanzamtes C vom 27.08.2012, in welcher ebenfalls lediglich Steuerrückstände in Höhe von 43,49 € ausgewiesen seien. Dies bedeute, dass die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin von dem zuständigen Finanzamt C zur Frage, ob mögliche Bedenken über eine Geschäftsbeziehung mit der NX GmbH bestünden, erkennbar die gleiche Antwort wie im Oktober 2012 erhalten hätten, wenn diese früher neben dem Brief vom 22.08.2012 bei der zuständigen Finanzverwaltung Erkundigungen eingeholt hätten. Die Insolvenzschuldnerin hätte somit auch nicht erkennen können, dass sie angeblich in ein Umsatzsteuerkarussell einbezogen worden sei, wenn diese das eigene Compliance-System schon früher ausgedehnt hätte. Zusammenfassend sei daher festzuhalten, dass durch die Vernehmung des Zeugen K, aber auch durch die Vernehmung der Zeugin N G nachgewiesen worden sei, dass die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin zu keinem Zeitpunkt während der Geschäftsbeziehungen mit der NX GmbH wussten oder hätten wissen können, dass die Insolvenzschuldnerin angeblich an einem Umsatzsteuerkarussell beteiligt sei.

Die Klägerin beantragt unter Protest gegen die Beweislast:

-          Zeugnis von Herrn J L, zu laden über … Steuerberater, I-Straße 26, 00000 C, zum Beweis der Tatsache,

1.) dass dieser selbst den Geschäftsführern ein Konzept vorgeschlagen hat, um die Einbindung der Insolvenzschuldnerin in ein Umsatzsteuerkarussell zu unterbinden,

2.) dass dieser zusammen mit den Geschäftsführern der Insolvenzschuldnerin dieses Konzept entworfen hat, welche Unterlagen durch die Lieferanten vorzulegen sind,

3.) dass sich die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin bei ihm rückversicherten und dieser den Geschäftsführern bestätigte, dass das von ihnen geplante und umgesetzte Geschäftsmodell sinnvoll ist, die geplante und umgesetzte Kaufabwicklung unbedenklich ist, die verfolgten Sicherheitsmaßnahmen ausreichend sind und die Geschäftsführer sämtliche Vorsichtsmaßnahmen getroffen haben, um nicht an einem Umsatzsteuerkarussell beteiligt zu sein,

4.) dass sich die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin bei ihm durch entsprechende Rückfragen abgesichert haben;

-          die Zeugeneinvernahme von Herrn T T, J-Straße 21, 00000 C, für den Beweis der Tatsache,

1.) dass dieser vor August 2012 nach Beauftragung durch die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin den Sitz der Insolvenzschuldnerin in M umfassend ausbaute für den Betrieb als Schmelz- und Scheideanstalt,

2.) dass die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin ihn vor August 2012 beauftragten, Werbeflyer für die Insolvenzschuldnerin herzustellen und diese sowohl in C als auch in M zu verteilen,

3.) dass die Insolvenzschuldnerin umfassende Kontrollen und Daten von ihren Lieferanten abgefragt hat, insbesondere ein Merkblatt und ein Datenblatt mit Angaben zur Person, Bankverbindung und Bevollmächtigung von Personen ausgefüllt werden musste, eine Gewerbeanmeldung, einen Handelsregisterauszug, eine Ausweiskopie, die Unterschrift auf dem Kundendatenblatt, eine Ermächtigung zur Abfrage beim Finanzamt und beim Steuerberater sowie eine Eigentums- und Übereignungserklärung sowie einen Lieferschein übergeben werden musste und die steuerliche Anmeldung der Umsätze mit der Insolvenzschuldnerin durch einen Steuerberater abgegeben werden musste und diese Abgabe nachgewiesen werden musste,

4.) dass die Insolvenzschuldnerin besonders vorteilhafte Konditionen angeboten hat (Herr T T hat ab dem Frühjahr 2013 die Insolvenzschuldnerin mit Edelmetall beliefert);

-          die Beiziehung der Verfahrens- und Strafakten zur B GmbH, K-Straße 8/1, 00000 U sowie zur UCN GmbH, L-Straße 55, 00000 Z;

-          die Beiziehung der gegen den Zeugen U angelegten Ermittlungsakte.

Die Klägerin beantragt,

1.) a) den Bescheid für 2012 über Umsatzsteuer vom 26.05.2014 in Gestalt des Feststellungsbescheides (Einspruchsentscheidung) vom 08.02.2017 aufzuheben, soweit als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle festgestellt wurde,

aa) unter lfd Nr. 4: Umsatzsteuer 2012, fällig am 30.06.2014,

in Höhe von 830.915,59 €

bb) unter lfd Nr. 6: Säumniszuschläge zur USt, fällig am 30.2014,

in Höhe von 16.619 €;

b) hilfsweise den Bescheid für 2012 über Umsatzsteuer vom 26.05.2014 in Gestalt des Feststellungsbescheides (Einspruchsentscheidung) vom 08.02.2017 aufzuheben, soweit als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle festgestellt wurde,

aa) unter lfd Nr. 4: Umsatzsteuer 2012, fällig am 30.06.2014,

in Höhe von 830.915,59 €

bb) unter lfd Nr. 6: Säumniszuschläge zur USt, fällig am 30.06.2014,

in Höhe von 16.619 €;

und wie folgt neu zu fassen:

„Es werden Forderungen in nachstehender Höhe als Insolvenzforderungen festgestellt:

aa) unter lfd Nr. 4: Umsatzsteuer 2012, fällig am 30.06.2014,

in Höhe von 0 €

bb) unter lfd Nr. 6: Säumniszuschläge zur USt, fällig am 30.06.2014,

in Höhe von 0 €“;

c) äußerst hilfsweise wie folgt zu fassen:

„Es werden keine Steuerforderungen aus Umsatzsteuer 2012 und Säumniszuschlägen zur USt, als Insolvenzforderung gemäß § 251 Abs. 3 AO festgestellt.“;

2.) hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen und festzustellen, dass die in der Einspruchsentscheidung vom 08.02.2017 genannten Umsatzsteuerbeträge und genannten Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer wirksam als Insolvenzforderung festgestellt wurden,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte führt im zweiten Rechtsgang aus: Die beantragte zeugenschaftliche Vernehmung des Herrn J L, der bestätigen solle, dass die verfolgten Sicherheitsmaßnahmen ausreichend gewesen seien und die Geschäftsführer sämtliche Vorsichtsmaßnahmen getroffen hätten, um nicht an einem Umsatzsteuerkarussell beteiligt zu sein, zeige, dass die Möglichkeit eines Umsatzsteuerkarussells bestanden habe und dass ein Problembewusstsein dahingehend vorhanden gewesen sei. Die mögliche Zeugenvernehmung würde insoweit keinen neuen Sachverhalt darlegen. Bezüglich des Antrags auf Beiziehung der Verfahrensakte der B GmbH bzw. der beantragten Einholung eines Sachverständigengutachtens weise sie darauf hin, dass nicht angezweifelt werde, dass für den Handel von Silbergranulat ein seriöser Markt existiere. Angezweifelt werde die Seriösität einer innerdeutschen mehrstufigen Lieferkette von Edelmetallen in der gewählten Form. Weder die Hinzuziehung der die B GmbH betreffenden Akten noch die Einholung eines Sachverständigengutachtens würde zu einem anderen Ergebnis führen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens (erster und zweiter Rechtsgang) und des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens sowie die von dem Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Der Senat hat folgende Unterlagen beigezogen:

-          die Gerichtsakte 15 V 3684/13 U,

-          das Strafurteil des Landgerichts N vom 28.05.2019 (…) gegen Herrn Q T (Bl. 286 ff. der Gerichtsakte),

-          die Strafurteile des Amtsgerichts C vom 30.11.2015 (…, Bl. 485 ff. der Gerichtsakte) und des Landgerichts C (…, Bl. 498 ff. der Gerichtsakte) gegen den Zeugen L,

-          die Verwaltungsvorgänge der NX GmbH,

-          die Strafakten und Beweismittelordner aus dem Strafverfahren gegen die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin Herrn H und des Zeugen K.

Mit Beschluss vom 23.12.2021 ist von dem Landgericht N die Anklage gegen Herrn H sowie gegen den Zeugen K, gegen die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, zur Hauptverhandlung zugelassen worden. Die Hauptverhandlung ist noch nicht eröffnet worden.

Der Senat hat am 17.03.2025 mündlich verhandelt. Zu Beginn der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin die Besetzung des Gerichts gerügt. Bei der mündlichen Verhandlung am 02.12.2024 seien als ehrenamtliche Richter Herr ER1 und Frau ER2 anwesend gewesen, nach der Gerichtstafel seien nunmehr als ehrenamtliche Richter Frau ER3 und Herr ER4 anwesend. Sie rüge ausdrücklich die Besetzung des Gerichts, weil es auch um die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen in der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024 gehe.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlungen vom 17.03.2025 sind die Zeugen U und L vernommen worden; die Aussagen des Zeugen K und der Zeugin N G, die sie bei ihrer Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024 gemacht haben, sind verlesen worden. Zudem ist vor der Vernehmung der Zeugen U und L am 17.03.2025 auch jeweils deren Aussage aus dem ersten Rechtsgang, in dem sie bereits in der mündlichen Verhandlung vom 04.06.2020 als Zeugen vernommen worden waren, verlesen worden.

Auf die Sitzungsniederschriften der mündlichen Verhandlungen vom 13.09.2024, 02.12.2024 und 17.03.2025 wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.

Aus den Gründen

 

I. Der Senat ist vorschriftsmäßig besetzt.

Gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Das Urteil kann gemäß § 103 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nur von den Richtern und ehrenamtlichen Richtern gefällt werden, die an der dem Urteil zugrundeliegenden Verhandlung teilgenommen haben.

Der Senat hat das vorliegende Urteil durch diejenigen Richter gesprochen, die an der letzten mündlichen Verhandlung am 17.03.2025 teilgenommen haben. Dass es sich hierbei bezogen auf diese Verhandlung nicht um die geschäftsplanmäßige Besetzung im Sinne von § 4 FGO i.V.m. § 21g des Gerichtsverfassungsgesetzes handelt, hat die Klägerin selbst nicht vorgetragen.

Die Besetzung war – entgegen der Rüge der Klägerin – aber auch nicht deshalb vorschriftswidrig, weil sie insoweit von der Besetzung des Termins vom 02.12.2024 abwich, als dass andere ehrenamtliche Richter an der mündlichen Verhandlung am 17.03.2025 teilgenommen haben als in der mündlichen Verhandlung am 02.12.2024.

Das in § 103 FGO enthaltene Tatbestandsmerkmal der „dem Urteil zugrundeliegenden Verhandlung" bezieht sich nur auf die letzte mündliche Verhandlung, aufgrund derer das Urteil ergangen ist. Ein Richterwechsel – hier der ehrenamtlichen Richter – nach einer bereits zuvor erfolgten mündlichen Verhandlung ist unschädlich, wenn eine Vertagung der mündlichen Verhandlung vorliegt. Hingegen ist ein Richterwechsel in der Regel nicht statthaft bei einer bloßen Unterbrechung der mündlichen Verhandlung, wenn sich also ein und dieselbe mündliche Verhandlung über mehrere Verhandlungstage (Sitzungstage) hinzieht (BFH-Beschlüsse vom 01.10.1998 – VII R 1/98, BFH/NV 1999, 933; vom 22.10.2003 – I B 39/03, BFH/NV 2004, 350 und vom 03.12.2010 – V B 57/10, BFH/NV 2011, 615). Liegen aber zwischen zwei mündlichen Verhandlungen mehr als neun Wochen, handelt es sich um einen neuen Termin, der die Heranziehung der ehrenamtlichen Richter nach Maßgabe der für den neuen Termin geltenden Liste verlangt (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 22.03.2023 – II B 26/22, BFH/NV 2023, 729; BFH-Urteil vom 11.12.1968 – I R 138/67, BFHE 95, 24, BStBl II 1969, 297).

Diese Zeitspanne ist im Streitfall überschritten. Aufgrund des Zeitablaufs zwischen dem Tag der mündlichen Verhandlung am 02.12.2024 und dem Tag der mündlichen Verhandlung am 17.03.2025 von 3 ½ Monaten bzw. ca. 15 Wochen liegt keine Unterbrechung der mündlichen Verhandlung mehr, sondern die Bestimmung eines neuen Termins vor. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass in der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024 darauf hingewiesen wurde, dass der Senat beabsichtige, das Verfahren zu unterbrechen und an einem neu anzuberaumenden Termin, voraussichtlich im Februar oder März 2025, fortzusetzen, und ein Termin mit den Beteiligten noch abgesprochen werde, sowie dass der Senat die Entscheidung verkündet hat: „Das Verfahren wird unterbrochen.“ Denn die tatsächliche Zeitspanne zwischen den beiden mündlichen Verhandlungen führte dazu, dass am 17.03.2025, worauf die Beteiligten auch mit der Ladung zum Termin ausdrücklich hingewiesen worden sind, eine neue mündliche Verhandlung begonnen hat.

 

II. Die Klage hat keinen Erfolg.

Die Einspruchsentscheidung vom 08.02.2017 und der Umsatzsteuer-Bescheid 2012 vom 26.05.2014 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

 

1. Die Einspruchsentscheidung ist nicht wegen Erlasses eines Feststellungsbescheides teilweise nichtig oder rechtswidrig.

Zwar darf ein Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO im Falle einer bereits erfolgten Festsetzung der Steuer nicht ergehen (hierzu BFH-Urteil vom 23.02.2005 - VII R 63/03, BStBl. II 2005, 591). Die Feststellung der angemeldeten Forderungen stellt jedoch im Streitfall keinen Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO dar, sondern in der Feststellung der angemeldeten Forderungen ist vielmehr ein unselbständiger Bestandteil der Einspruchsentscheidung zu sehen (hierzu BFH-Urteil vom 23.02.2005 -VII R 63/03, BStBl. II 2005, 591). Der Beklagte hat im Streitfall die gleichen Formulierungen gewählt wie das Finanzamt im vom BFH entschiedenen Fall (vgl. hierzu den Tatbestand des der BFH-Entscheidung vorausgegangenen Entscheidung des FG Düsseldorf, Urteil vom 19.08.2003 – 6 K 130/02 F, EFG 2004, 14). Der BFH hat diese Formulierungen – anders als das FG Düsseldorf in der Vorinstanz, das eine Nichtigkeit angenommen hatte – nicht beanstandet und das Urteil des FG Düsseldorf aufgehoben. Der erkennende Senat folgt der o. g. BFH-Rechtsprechung. Einer – über die bloße Klageabweisung hinausgehenden – Feststellung der in der Einspruchsentscheidung vom 08.02.2017 genannten Umsatzsteuerbeträge als Insolvenzforderung im Urteilstenor bedurfte es nicht, da aufgrund der Klageabweisung die Einspruchsentscheidung einschließlich der Feststellung der angemeldeten Forderungen als deren unselbständiger Bestandteil bestätigt worden ist und Wirkung entfaltet.

 

2. Der Beklagte hat zu Recht den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen („Gutschriften“) der NX GmbH versagt.

Der Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG in der im Streit-zeitraum geltenden Fassung die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.

Die Vorschrift des § 15 UStG beruht auf Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL), wonach der Steuerpflichtige, der Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, befugt ist, die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht werden, von der von ihm geschuldeten Steuer abzuziehen. Grundsätzlich trägt der Steuerpflichtige, der den Vorsteuerabzug vornehmen möchte, die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 12.10.2023 XI R 22/14, BFHE 263, 354; EuGH-Urteil vom 15.09.2016 – C-516/14 „Barlis 06“, HFR 2016, 1031).

Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt in formaler Hinsicht gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Auch das Unionsrecht verlangt als formelle Voraussetzung für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts gem. Art. 178 Buchst. a MwStSystRL, dass der Steuerpflichtige eine gemäß den Art. 220 bis 236 und 238 bis 240 MwStSystRL ausgestellte Rechnung besitzen muss (EuGH, Urteile vom 11.11.2021 - C-281/20, Ferimet, HFR 2022, 184; vom 15.09.2016 - C-518/14, Senatex, HFR 2016, 1029). In materieller Hinsicht setzt das Recht zum Vorsteuerabzug voraus, dass die Lieferung des betreffenden Gegenstands oder die betreffende Dienstleistung tatsächlich bewirkt wird. Umgekehrt kann kein Recht auf Vorsteuerabzug entstehen, wenn die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung tatsächlich nicht bewirkt wurde (EuGH-Urteile vom 27.06.2018 - C-459/17, SGI und Valériane, HFR 2018, 67).

Der Vorsteuerabzug ist aus materiellen Gründen aber auch dann zu versagen, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder wissen konnte bzw. hätte wissen müssen, dass er sich mit dem Erwerb an einem Umsatz be-teiligte, der in eine Umsatzsteuerhinterziehung einbezogen war (EuGH-Urteile vom 18.12.2014 - C-131/13, C-163/13, C-164/13, Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti, HFR 2015, 200; vom 21.06.2012 - C-80/11 und C-142/11, Mahageben und David, HFR 2012, 917; vom 06.07.2006 - C-439/04, C-440/04, Kittel und Recolta, HFR 2006, 939; BFH-Urteil vom 20.10.2021 - XI R 19/20, BFH/NV 2022, 565).

 

a. Hiervon ausgehend fehlt es – was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist – in formaler Hinsicht nicht am Vorliegen ordnungsgemäßer Rechnungen gemäß §§ 14, 14a UStG. In den streitbefangenen Rechnungen („Gutschriften“) ist mit der Anschrift H-Straße 117, C, die vollständige Anschrift der NX GmbH gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG bzw. Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL angegeben. Es handelte sich, wie die Betreiber der „xxx.de“ (F & S GbR) glaubhaft geschildert haben, um einen Briefkastensitz der NX GmbH, unter dem die NX GmbH postalisch erreichbar war, und nicht um einen bloßen Scheinsitz. Frau F und Herr S haben erklärt, dass Briefe für die NX GmbH bei ihnen eingegangen seien und diese regelmäßig von dem Zeugen L, dem Geschäftsführer der NX GmbH, wöchentlich bzw. alle vierzehn Tage persönlich abgeholt worden seien. Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des BFH und des EuGH, dass jede Art von Anschrift einschließlich einer Briefkastenanschrift als „vollständige Anschrift“ in einer Rechnung ausreicht, soweit der Steuerpflichtige unter dieser Anschrift erreichbar ist, und eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung nicht voraussetzt, dass die wirtschaftliche Tätigkeit des leistenden Unternehmers unter der Anschrift, die in der Rechnung angegeben ist, ausgeübt wird (vgl. EuGH-Urteil vom 15.11.2017 - C-374/16 und C-375/16, Geissel und Butin, HFR 2018, 88; BFH-Urteil vom 05.12.2018 - XI R 22/14, BFHE 263, 354, BStBl II 2020, 418).

 

b. In materieller Hinsicht sind die in den streitbefangenen Rechnungen („Gutschriften“) abgerechneten Lieferungen der Edelmetalle tatsächlich bewirkt worden. Die NX GmbH, vertreten durch ihren Geschäftsführer, den Zeugen L, lieferte die Edelmetalle am Sitz der Insolvenzschuldnerin an und die Insolvenzschuldnerin nahm sie an. Dies haben die vernommenen Zeugen übereinstimmend geschildert und ist im Übrigen auch zwischen den Beteiligten unstreitig.

 

c. Jedoch ist der Vorsteuerabzug aus materiellen Gründen dennoch zu versagen, da der Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens davon überzeugt ist, dass die Insolvenzschuldnerin, vertreten durch ihre Geschäftsführer, den Zeugen K bzw. Herrn H, zumindest hätte wissen müssen, dass sie sich mit dem jeweiligen Erwerb der Edelmetalle von der NX GmbH an einem Umsatz beteiligte, der in eine Umsatzsteuerhinterziehung einbezogen war.

Zwar ist die nationale Regelung des § 25f Abs. 1 Nr. 2 UStG, wonach der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG zu versagen ist, sofern der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich u.a. mit seinem Leistungsbezug an einem Umsatz beteiligt, bei dem ein anderer Beteiligter auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe in eine begangene Hinterziehung von Umsatzsteuer einbezogen war, gemäß § 27 Abs. 30 UStG im Streitjahr 2012 noch nicht anzuwenden (vgl. allgemein BFH-Beschluss vom 02.07.2021 – XI R 40/19, BFH/NV 2022, 140; Beschluss des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 12.05.2020 – 1 StR 635/19, NStZ 2021, 302). Jedoch haben die Mitgliedstaaten unionsrechtlich nach Art. 325 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) Betrügereien und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen mit Maßnahmen zu bekämpfen, die wirksam und abschreckend sind. Dabei umfassen die finanziellen Interessen der Union auch die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer, an denen sie durch eine Umlage mittelbar beteiligt wird (vgl. EuGH-Urteil vom 02.05.2018 – C-574/15, Scialdone, HFR 2018, 591; BFH-Urteile vom 20.10.2021 – XI R 19/20, BFH/NV 2022, 565; vom 12.03.2020 – V R 20/19, BStBl II 2020, 608).

Der Tatbestand des "Betrugs" zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäi-schen Union (EU) umfasst nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. b des Übereinkommens aufgrund von Art. K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vom 26.07.1995 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1995, Nr. C 316, 48) im Zusammenhang mit Einnahmen jede vorsätzliche Handlung oder Unterlassung betreffend „- die Verwendung oder Vorlage falscher, unrichtiger oder unvollständiger Erklärungen oder Unterlagen mit der Folge, dass Mittel aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften oder aus den Haushalten, die von den Europäischen Gemeinschaften oder in deren Auftrag verwaltet werden, rechtswidrig vermindert werden; - das Verschweigen einer Information unter Verletzung einer spezifischen Pflicht mit derselben Folge; - die missbräuchliche Verwendung eines rechtmäßig erlangten Vorteils mit derselben Folge".

Daneben stellen Fälle der Nichtabführung der Umsatzsteuer "sonstige rechtswidrige Handlungen" i.S. des Art. 325 Abs. 1 AEUV dar, durch die ebenfalls die finanziellen Interessen der Union i.S. von Art. 325 Abs. 1 AEUV beeinträchtigt werden und auf die daher ebenfalls effektive und abschreckende Sanktionen anzuwenden sind (EuGH-Urteil vom 02.05.2018 – C-574/15, Scialdone, HFR 2018, 591.)

Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist die Bekämpfung von Betrug, Steuerhinterziehung und etwaigen Missbräuchen ein Ziel, das auch mit der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) anerkannt und gefördert wird; deshalb ist u.a. eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht nicht erlaubt (vgl. z.B. EuGH-Urteile vom 01.12.2022 – C-512/21, Aquila Part Prod Com, HFR 2023, 303; vom 03.09.2020 – C-610/19, Vikingo Fővállalkozó, MwStR 2021, 323; Finanzamt Wilmersdorf vom 14.04.2021 – C-108/20, MwStR 2021, 323). Die nationalen Behörden und Gerichte haben u.a. das Recht, einen Vorsteuerabzug zu versagen, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird (vgl. EuGH-Urteile vom 16.10.2019 – C-189/18, Glencore Agriculture Hungary, HFR 2019, 1105; vom 06.07.2006 – C-439/04, C-440/04, Kittel und Recolta, HFR 2006, 939; vom 16.10.2019 – C-189/18, Glencore Agriculture Hungary, HFR 2019, 1105). Aber nicht nur der Vorsteuerabzug, sondern alle im Rechtssystem der EU vorgesehenen Rechte sind generell zu versagen, unabhängig davon, welches Recht aus dem Bereich der Mehrwertsteuer von der betrügerischen Handlung betroffen ist (vgl. EuGH-Urteil vom 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13, C-164/13, Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti, HFR 2015, 200).

Dies gilt, wenn der Steuerpflichtige selbst eine "Steuerhinterziehung" begangen hat (vgl. EuGH-Urteil vom 06.07.2006 – C-439/04, C-440/04, Kittel und Recolta, HFR 2006, 939, m.w.N.). Gleiches gilt aber auch dann, wenn – wie eingangs bereits ausgeführt – feststeht, dass der Steuerpflichtige, dem die Gegenstände geliefert wurden, die als Grundlage für die Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug dienen, wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in einen vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerbetrug einbezogen war (vgl. EuGH-Urteile vom 11.01.2024 – C-537/22, Global Ink Trade, BFH/NV 2024, 367; vom 24.11.2022 – C-596/21, Finanzamt M, BFH/NV 2023, 253; vom 21.06.2012 – C-80/11 und C-142/11, Mahageben und David, HFR 2012, 917). Allein die Tatsache, dass der Steuerpflichtige in irgendeiner Weise davon wusste oder hätte wissen müssen, gilt dabei für die Zwecke der MwStSystRL als Beteiligung an der Steuerhinterziehung; die einzige für die Versagung des Abzugsrechts in einer solchen Situation entscheidende aktive Handlung besteht im Erwerb der Gegenstände, so dass es keiner sonstigen aktiven Beteiligung an der Steuerhinterziehung oder der Verschleierung der Lieferbeziehungen und des Lieferers bedarf (vgl. EuGH-Urteile vom 11.01.2024 – C-537/22, Global Ink Trade, BFH/NV 2024, 367; vom 14.04.2021 – C-108/20, Finanzamt Wilmersdorf, HFR 2021, 832). Die Bösgläubigkeit des Steuerpflichtigen muss nicht erwiesen sein. Ebenso irrelevant ist es, ob der Steuerpflichtige durch den Umsatz einen Steuervorteil erlangt hat (vgl. EuGH-Urteil vom 14.04.2021 – C-108/20, Finanzamt Wilmersdorf, HFR 2021, 832). Der Begriff der „Lieferkette“ ist auch nicht auf besondere Konstellationen beschränkt. Der Begriff ist insbesondere nicht dahingehend zu verstehen, dass er sich nur auf Fälle bezieht, in denen die Steuerhinterziehung auf eine besondere Kombination aufeinander folgender Umsätze oder einen Gesamtplan zurückgeht, nach dem die Lieferungen Teil einer über mehrere Umsätze erstreckten Steuerhinterziehung sein sollen (vgl. EuGH-Urteil vom 14.04.2021 – C-108/20, Finanzamt Wilmersdorf, HFR 2021, 832).

Hinsichtlich des Grades der erforderlichen Sorgfalt des Steuerpflichtigen, der sein Recht auf Vorsteuerabzug ausüben möchte, hat der EuGH entschieden, dass von einem Wirtschaftsbeteiligten gefordert werden darf, dass er alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung in diesem Sinne führt (vgl. EuGH-Urteil vom 14.04.2021 – C-108/20, Finanzamt Wilmersdorf, HFR 2021, 832; vom 21.06.2012 – C-80/11 und C-142/11, Mahageben und David, HFR 2012, 917). In einem solchen Kontext hängen die vom Steuerpflichtigen verlangte Sorgfalt und die Maßnahmen, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, von den Umständen des Einzelfalls ab und insbesondere davon, ob für den Steuerpflichtigen zum Zeitpunkt des von ihm getätigten Erwerbs Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten oder eine Steuerhinterziehung vorliegen. Bei Vorliegen von Anhaltspunkten für Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung kann vom Steuerpflichtigen eine erhöhte Sorgfalt erwartet werden (vgl. EuGH-Urteil vom 11.01.2024 – C-537/22, Global Ink Trade, BFH/NV 2024, 367). Er kann nach den Umständen des konkreten Falls verpflichtet sein, über einen anderen Wirtschaftsteilnehmer, von dem er Gegenstände oder Dienstleistungen zu erwerben beabsichtigt, Auskünfte einzuholen, um sich von dessen Zuverlässigkeit zu überzeugen (vgl. u.a. EuGH-Urteil vom 01.12.2022 – C-512/21, Aquila Part Prod Com, HFR 2023, 303). Die Steuerverwaltung darf aber vom Steuerpflichtigen weder die Durchführung komplexer und umfassender Überprüfungen seines Lieferanten verlangen noch ihm faktisch die ihr obliegende Kontrolle übertragen; nicht generell verlangt werden darf in diesem Zusammenhang die Prüfung, ob der Aussteller der Rechnung über die Gegenstände, für die dieses Recht geltend gemacht wird, Steuerpflichtiger ist, über die fraglichen Gegenstände verfügte und sie liefern konnte sowie seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Erklärung und Abführung der Mehrwertsteuer nachgekommen ist (vgl. EuGH-Urteil vom 03.09.2020 – C-610/19, Vikingo Fővállalkozó, MwStR 2021, 323). Eine weitere allgemeingültige Präzisierung des „hätte wissen müssen“ von einer Einbeziehung in einen Umsatzsteuerbetrug hält der erkennende Senat nicht für möglich, da die jeweiligen Anforderungen an die (zu erfüllenden) Nachforschungspflichten zur Feststellung des Wissenmüssens und der Umfang der insoweit zu fordernden Nachforschungspflichten gerade von zahlreichen Aspekten – den Umständen des Einzelfalls – abhängen, wie z.B. der Branche, in der die agierenden Unternehmen tätig sind, des Auftretens der Umsatztreibenden, der Höhe der Umsätze, der Geschäftsabwicklung, etc.

Die Frage, ob der Steuerpflichtige mit hinreichender Sorgfalt gehandelt hat, fällt unter die Würdigung des Sachverhalts und fällt damit in die alleinige Zuständigkeit der nationalen Gerichte. Es ist Sache der nationalen Gerichte – des erkennenden Senats – zu beurteilen, ob der Steuerpflichtige in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls hinreichend sorgfältig gehandelt und die Maßnahmen ergriffen hat, die von ihm unter diesen Umständen vernünftigerweise verlangt werden können (vgl. vgl. EuGH-Urteile vom 11.01.2024 – C-537/22, Global Ink Trade, BFH/NV 2024, 367).

Eine GmbH – wie im Streitfall die Insolvenzschuldnerin – muss sich dabei das Wissen ihres Geschäftsführers und ihrer sonstigen Angestellten zurechnen lassen (vgl. BFH-Beschluss vom 19.12.2014 – XI B 12/14, BFH/NV 2015, 534; BFH-Urteil vom 19.05.2010 – XI R 78/07, BFH/NV 2010, 2132).

Nach Auffassung des Senats ist für die Frage des „Wissenmüssens“ von der Einbeziehung in einen Umsatzsteuerbetrug allein auf die „objektiven Umstände“ abzustellen, aus denen eine Nachforschungspflicht für den Steuerpflichtigen folgt, wie auch allgemein für alle Unternehmer in einer vergleichbaren Situation. Es ist auf eine „objektive Maßstabsperson“ abzustellen, d.h. Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt richtet sich nach den Anforderungen, die bei objektiver Betrachtung der Gesamtsituation an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Situation der handelnden Person zu stellen sind. Entgegen der Ausführungen der Klägerin ist kein Verschuldensvorwurf dahingehend zu fordern, dass erstens die Fähigkeiten des Steuerpflichtigen – hier die Fähigkeiten der die Insolvenzschuldnerin vertretenen Geschäftsführer – ausreichend sind, die Umstände zu erkennen, die weitere Nachforschungen erforderlich machen und zweitens diese Nachforschungen (bedingt) vorsätzlich oder fahrlässig unterblieben (vgl. Urteil des FG Thüringen vom 22.08.2023 – 3 K 332/22, EFG 2025, 411 – mit Anmerkung von Kessens; Urteil des FG Nürnberg vom 18.04.2023 – 2 K 345/20, EFG 2023, 1179; Beschluss des FG Hessen vom 07.02.2022 – 1 V 1585/21, juris; Monfort, in Birkenfeld/Wäger, Das große Umsatzsteuer-Handbuch, Stand: März 2024 § 25f UStG Rz. 38; Treiber, in Sölch/Ringleb, UStG, 99. EL Oktober 2023, § 25f Rn. 21; andere Auffassung: vgl. Urteil des FG Baden-Württemberg vom 04.06.2020 – 1 K 2492/19, EFG 2020, 1805, Beschluss des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 12.09.2019 – 7 V 7096/19, juris; Spilker, UR 2023, 589).

Maßgebender Zeitpunkt für die vorgenannte Beurteilung ist der Zeitpunkt des Leistungsbezugs. Das Recht auf Vorsteuerabzug ist nur zu versagen, wenn der Unternehmer im Zeitpunkt des (jeweiligen) Leistungsbezugs wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Leistungsbezug an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist. Es entfällt aber nicht, wenn der Leistungsempfänger, der seine Leistung bezogen hat, nachträglich erkennt, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt hat, der in eine anderweitig begangene Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (vgl. BGH-Urteile vom 12.05.2020 – 1 StR 635/19, BFH/NV 2020, 1232 und vom 01.10.2013 – 1 StR 312/13, BFH/NV 2014, 478). Das gilt auch bei Abrechnung im Gutschriftverfahren (BGH-Urteil vom 29.01.2015 – 1 StR 216/14, BFH/NV 2015, 943).

Dass der Steuerpflichtige im Zeitpunkt des Leistungsbezugs von einem fremden Mehrwertsteuerbetrug wusste oder hätte wissen müssen, muss das Finanzamt anhand objektiver Umstände nachweisen, da die Feststellungslast insoweit bei ihm liegt (BFH-Urteil vom 20.10.2021 – XI R 19/20, BFH/NV 2022, 429; vgl. auch BFH-Urteil vom 11.03.2020 – XI R 38/18, BFH/NV 2020, 1217).

 

aa. Im Streitfall liegt zur Überzeugung des Senats eine Steuerhinterziehung – ein begangener Mehrwertsteuerbetrug – auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Lieferkette vor.

 

(1) Die Versagung des Vorsteuerabzugs setzt hier zunächst voraus, dass die (vorgeblichen) Lieferanten bzw. deren gesetzlichen Vertreter vorsätzlich i.S. des § 370 AO unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen haben (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Eine missbräuchliche oder betrügerische Nichtentrichtung der Steuer (§ 26b und § 26c UStG) genügt demgegenüber nicht, denn die Nichtabführung von Mehrwertsteuer stellt unabhängig davon, ob sie vorsätzlich erfolgt oder nicht, keine Steuerhinterziehung i.S.d. § 370 AO und auch keinen Mehrwertsteuerbetrug i.S. von Art. 325 AEUV (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 03.07.2019 – XI B 17/19, BFH/NV 2019, 1351 m.w.N.; BGH-Beschluss vom 15.05.1997 – 5 StR 45/97, HFR 1997, 941).

 

(2) Die im Steuerrecht verwendeten Begriffe des Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrechts sind dabei materiell-rechtlich wie im Strafrecht zu beurteilen. Dagegen ist die Frage, ob diese Tatbestandsmerkmale tatsächlich erfüllt sind, nicht nach den Vorschriften der Strafprozessordnung, sondern nach den Verfahrensvorschriften der AO und der FGO zu prüfen, da es sich lediglich um eine strafrechtliche Vorfrage im Rahmen einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids handelt (vgl. BFH-Urteil vom 29.10.2013 VIII R 27/10, BStBl II 2014, 295 Rn. 16). Steuern sind gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO namentlich dann i.S.d. § 370 Abs. 1 AO verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind nach § 370 Abs. 4 Satz 2 AO auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Eine Umsatzsteuerhinterziehung i.S.v. § 370 Abs. 1 AO kann daher durch die Nichterklärung oder nicht vollständige Erklärung von Umsätzen, aber auch durch die sog. Vorsteuererschleichung begangen werden. Die Vorsteuererschleichung geschieht durch die Geltendmachung eines Vorsteuerabzugs, obwohl die Voraussetzungen des § 15 UStG nicht vorliegen. Einer Steuerhinterziehung durch zu Unrecht abgezogene Vorsteuer steht damit der Steuerhinterziehung durch Nicht- oder Falscherklärung der Ausgangsumsätze rechtlich gleich. Für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug sind die Verhältnisse bei Bezug der Leistung maßgebend. Deshalb schließt eine spätere Kenntnis von der zunächst unerkannten Einbindung den Vorsteuerabzug nicht aus (vgl. u.a. BGH-Beschluss vom 05.02.2014 – 1 StR 422/13, MwStR 2014, 278 Rn. 14; Jäger, in Klein, AO, 17. Aufl., 2023, § 370 Rn. 370 ff. m.w.N.).

 

(3) § 370 Abs. 1 AO setzt vorsätzliches Handeln gemäß § 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 15 StGB voraus. Dieser Vorsatz ist dann gegeben, wenn der Täter hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale und damit auch in Bezug auf die „steuerlich erhebliche Tatsache“, die „Pflichtwidrigkeit“ und die „Steuerverkürzung“ bzw. die „Erlangung eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils“ mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung handelt. Nach der sog. Steueranspruchstheorie gehört zum Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will. Der Hinterziehungsvorsatz setzt aber weder dem Grunde noch der Höhe nach eine sichere Kenntnis des Steueranspruchs voraus. Für eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung bedarf es dabei keiner Absicht oder eines direkten Hinterziehungsvorsatzes; es genügt, dass der Täter die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestands für möglich hält und billigend in Kauf nimmt (Eventualvorsatz) sowie im Wege einer „Parallelwertung der Laiensphäre“ erkennt, dass er zu einem steuerlich erheblichen Sachverhalt unvollständige Angaben macht und hierdurch Steuern verkürzt. (BGH-Urteil vom 08.09.2011 – 1 StR 38/11, wistra 2011, 465 Rn. 21; BFH-Urteil vom 30.06.2010 – II R 14/09, BFH/NV 2010, 2002).

 

(4) Im Streitfall beging der Zeuge L, der Geschäftsführer der NX GmbH, Steuerhinterziehungen zugunsten der NX GmbH, indem er für den Zeitraum von August bis Dezember 2012 Vorsteuerbeträge aus den Rechnungen der OD GmbH und der CD GmbH in seinen Umsatzsteuer-Voranmeldungen geltend machte, obwohl die Voraussetzungen des § 15 UStG nicht vorlagen. Der Senat macht sich die Ausführungen des Amtsgerichts C in dem Urteil vom 30.11.2015 …, mit dem der Zeuge L zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wurde, sowie die Ausführungen des Landgerichts C in dem Urteil vom 11.05.2018 …, mit dem auf die Berufung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft und die Beschränkung der Berufung durch den Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch die Strafe auf zwei Jahre reduziert sowie deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, zu eigen. In den Urteilen wird insbesondere ausgeführt, dass der Zeuge L wusste, dass er Warenlieferungen der OD GmbH bzw. der CD GmbH nie erhalten hat und dennoch aus den Rechnungen dieser Firmen, die Umsatzsteuerbeträge offen auswiesen, im Rahmen der beim zuständigen Finanzamt eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldungen der NX GmbH Vorsteuern geltend machte. Der Zeuge L hat nach seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung vom 04.06.2020 angeblich von einem Y (Vorname) und von einem Herrn MB, dessen Nachname nach seiner Erinnerung möglicherweise AB lautete, die Waren in einem Gewerbegebiet in C von Kofferraum zu Kofferraum erhalten. Diese Herren sind aber nicht mit den Geschäftsführern der Firmen OD GmbH und CD GmbH identisch. In Bezug auf die Lieferantin OD GmbH kommt hinzu, dass bereits am 25.07.2012 das Insolvenzverfahren mangels Masse abgelehnt worden war und die angeblichen Lieferungen an die Firma NX GmbH erst danach erfolgt sind. Der Senat ist deshalb der Überzeugung, dass diese Gesellschaften als Rechnungsaussteller keine Lieferungen von Edelmetallen an die NX GmbH erbracht haben. Mangels tatsächlicher Lieferungen liegen sog. Abdeck- bzw. Scheinrechnungen vor, die nicht zu einem Vorsteuerabzug berechtigen (Heidner in Bunjes, UStG, 23. Aufl., 2024, § 15 Rn. 158 m.w.N.). Die angeblichen Lieferanten der NX GmbH, die OD GmbH und die CD GmbH, haben keinerlei Umsatzsteuer-Voranmeldungen abgegeben (siehe auch Urteil des Amtsgerichts C vom 30.11.2015, Az: …, Seite 3 ff. (11), Bl. 488 ff. (494) der Gerichtsakte). Der Zeuge L nahm als Geschäftsführer der NX GmbH dabei zumindest billigend in Kauf, dass Umsatzsteuer verkürzt wurde, indem er die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis ließ. Der Senat hat zudem aufgrund des Geschehensablaufs keine Zweifel daran, dass die Taten rechtswidrig und schuldhaft begangen wurden.

Einer Vernehmung des Zeugen L bedurfte es zu diesem Aspekt – ohne Verstoß gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (vgl. § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO) – in der mündlichen Verhandlung vom 17.03.2025 nicht. Nach der Rechtsprechung des BFH ist es grundsätzlich zulässig, die in strafrechtlichen Ermittlungen oder in einem Strafurteil getroffenen Feststellungen im finanzgerichtlichen Verfahren als Urkundenbeweis zu verwerten, es sei denn, die Beteiligten erheben gegen die Feststellungen substantiierte Einwendungen und stellen entsprechende Beweisanträge, die das Finanzgericht nicht nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen unbeachtet lassen kann (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 05.04.2023 – V R 5/22, BFH/NV 2023, 816; BFH-Beschluss vom 19.01.2012 – VII B 88/11, BFH/NV 2012, 761). Dies gilt grundsätzlich auch für Zeugenprotokolle aus früheren mündlichen Verhandlungen und einen Richterwechsel in dem zu entscheidenden Verfahren (vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom 24.05.2013 – VII B 155/12, BFH/NV 2013, 1613; BFH-Beschluss vom 18.05.2012 – III B 203/11, BFH/NV 2012, 1464). Im Streitfall konnte der Senat insoweit sowohl die Feststellungen aus dem Strafurteil gegen den Zeugen L als auch seine Aussage im ersten Rechtsgang in der mündlichen Verhandlung vom 04.06.2020, die in die mündliche Verhandlung vom 17.03.2025 durch Verlesen eingeführt wurde, als Urkundenbeweis verwerten. Die Beteiligten haben keine substantiierten Einwendungen in Bezug auf die Feststellungen im Strafurteil und die protokollierte Vernehmung des Zeugen L in der mündlichen Verhandlung vom 04.06.2020 erhoben. Ferner haben die Beteiligten im Rahmen der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung vom 17.03.2025 selbst nochmals die Möglichkeit gehabt, den Zeugen zu seinen Vorlieferanten zu befragen und das Gericht auf mögliche Widersprüche oder Ungereimtheiten aufmerksam zu machen. Dies ist von den Beteiligten insoweit aber unterblieben. Der Umstand, dass der Zeuge L in der mündlichen Verhandlung vom 17.03.2025 auf Frage der Klägerin, ob er von Herrn H oder dem Zeugen K mal gefragt worden sei, wo die Ware herstamme, erklärte, dass er sich daran nicht mehr erinnern könne, und auf nochmalige Nachfrage dazu, er weiterhin aussagte, er könne sich nicht mehr erinnern, hat keinen Einfluss auf die Zulässigkeit der Verwertung des Urkundenbeweises und führt in der Sache auch nicht zu einer abweichenden Würdigung des Senats.

 

bb. Der Senat ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ferner davon überzeugt, dass die Insolvenzschuldnerin, vertreten durch ihre Geschäftsführer, den Zeugen K bzw. Herrn H, nach den tatsächlichen Verhältnissen im Zeitpunkt des jeweiligen Bezugs der streitbefangenen Lieferungen zumindest hätte wissen müssen, dass sie mit dem jeweiligen Eingangsumsatz an einem Umsatz teilnahm, der in eine vom Lieferer, der NX GmbH, auf der vorhergehenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war.

Aufgrund der nachfolgenden, in ihrer Gesamtheit zu betrachtenden Feststellungen hätte die Insolvenzschuldnerin in Bezug auf die NX GmbH weitere Nachforschungen vornehmen müssen und hätte bei den sich aus den Gesamtumständen ergebenden Unregelmäßigkeiten von der streitbefangenen Lieferbeziehung Abstand nehmen müssen; dies konnte von ihr bzw. ihren Geschäftsführern vernünftigerweise verlangt werden.

 

(1) Der Senat ist davon überzeugt, dass der Insolvenzschuldnerin, vertreten durch ihre Geschäftsführer, zu Beginn ihrer Geschäftstätigkeit Mitte August 2012 – zeitgleich mit dem Beginn der Geschäftsbeziehung zur NX GmbH –, bewusst war, dass es sich beim Edelmetallhandel um eine betrugsanfällige Risikobranche handelte, in der Umsatzsteuerhinterziehungen in beträchtlichem Umfang vorkamen, sie bzw. ihre Geschäftsführer auch über konkrete Strukturen im Edelmetallhandel und dort typischen kriminellen Handlungen informiert war, und ihnen vor diesem Hintergrund eine gesteigerte Sorgfaltspflicht bei der Auswahl der Lieferanten oblag.

Dass sie bzw. ihre Geschäftsführer ein solches Problembewusstsein hatten, hat die Insolvenzschuldnerin insoweit selbst vorgetragen. Sie hat im gerichtlichen Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung – AdV – wegen der Arrestanordnung (Aktenzeichen 15 V 3684/13) ausgeführt, ihre Geschäftsführer hätten sich über den Markt kundig gemacht und ihnen sei bei einer Analyse des Marktes klar gewesen, dass überall dort, wo hohe Rechnungen geschrieben würden, was dem Metallhandel innewohne, auch steuerunehrliche Marktteilnehmer aufträten. Es sei daher klar gewesen, dass eine Betätigung auf diesem Geschäftsfeld voraussetze, Geschäftspartner zu wählen, die nach eingehender Prüfung steuerehrlich erscheinen müssten. Die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin hätten sich – wie auch die Klägerin später im Klageverfahren ausführt – vor Beginn der Geschäftstätigkeit der Insolvenzschuldnerin Kenntnisse über die Branche angelesen, sich über potentielle Risiken informiert und sich mit den notwendigen Vorkehrungen vertraut gemacht. Der Zeuge K bestätigte diese Angaben in seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024. Auf Nachfrage, ob er bei seinen umfassenden Informationen, die er vorab eingeholt habe auch auf Umsatzsteuerkarusselle im Internet gestoßen sei, erklärte er, dass er sich informiert habe über Scheideanstalten, Silberpreise, Einkaufsbedingungen und was scheiden bedeute, wie das funktioniere und dass Herr H auch etwas über Missbrauch im Edelmetallhandel gefunden habe. Er sei deshalb zum Steuerberater gegangen und habe die Risiken mit ihm besprochen. Dass – wie der Zeuge K weiter erklärt hat – der Steuerberater dem Herrn H mitgeteilt habe, sie könnten sich sicher sein, dass sie nicht in ein Umsatzsteuerkarussell eingebunden seien, wenn ein Lieferant zustimme, dass sie, die Insolvenzschuldnerin, das Finanzamt des Lieferanten über das Bestehen von Geschäftsbeziehungen informiere, da diese Firmen auf Heimlichkeiten ausgelegt seien, ändert nichts daran, dass zumindest bei Herrn H ein Problembewusstsein bestand (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024, Seite 13/14).

Nach Würdigung der Gesamtumstände steht ferner zur Überzeugung des Senats fest, dass zumindest der Geschäftsführer Herr H spätestens im Juli 2012 – und damit noch vor Aufnahme der Geschäftstätigkeit der Insolvenzschuldnerin und vor Beginn der Geschäftsbeziehung zur NX GmbH – über das gegen Herrn T eingeleitete Steuerstrafverfahren wegen Beteiligung an einem Umsatzsteuerbetrugsmodell im Edelmetallhandel und die insoweit gegen Herrn T erhobenen Vorwürfe umfassend informiert war und er deshalb auch ein nochmals gesteigertes Problembewusstsein insbesondere in Bezug auf den Handel mit Silbergranulat besaß. Die gegenüber Herrn T erhobenen Vorwürfe der Teilnahme an einer betrügerischen Lieferkette ähneln hinsichtlich der Geschäftsabwicklung den Vorwürfen, die später gegen die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin erhoben werden. Wie sich insbesondere der Anklageschrift (Strafakte Band VIII, Bl. 1522 ff.) und dem Urteil des Landgerichts N vom 28.05.2019 … (Bl. 286 ff. GA), mit dem Herr T wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde, ergibt, handelte die O GmbH & Co. KG, deren faktischer Geschäftsführer Herr T war, ebenfalls mit Edelmetallen, insbesondere mit Silbergranulat. Im Rahmen des An- und Verkaufs der Ware wurden Edelmetalle in Mengen im zwei- bzw. dreistelligen kg-Bereich jeweils in unverplombten Säcken ohne Sicherungsmaßnahmen in einem Pkw durch Deutschland – von C nach P und von P nach R – grundsätzlich zu einem Großabnehmer transportiert; An- und Verkäufe erfolgten mit festen Margen, die Lieferanten der O GmbH & Co. KG wurden jeweils bar bezahlt; es erfolgten Barzahlungen in beträchtlichem Umfang.

Dass der Geschäftsführer Herr H von den Ermittlungen gegen Herrn T Kenntnis hatte, führte die Insolvenzschuldnerin in ihrer Einspruchsbegründung vom 22.08.2014 selbst aus („... Erst Anfang Juli 2012 informierte Herr T den Geschäftsführer über ein ihn betreffendes Steuerstrafverfahren. Der Entschluss der Geschäftsführer … (der Insolvenzschuldnerin) als Edelmetallhändler tätig zu werden, war zu diesem Zeitpunkt bereits gefasst und Räumlichkeiten in M bereits durch die Geschäftsführer angemietet. …“). Auch Herr H bestätigte dies mit seiner im gerichtlichen AdV-Verfahren wegen der Arrestanordnung (Aktenzeichen 15 V 3684/13) als Anlage „ASt 7“ vorgelegten Erklärung, in der er u.a. ausführte: „… Anfang Juli 2012 kontaktierte mich Herr T und bat mich um anwaltlichen Rat. Zu diesem Zeitpunkt informierte er mich über sein Steuerstrafverfahren. Er beauftragte mich, mir die Sache anzuschauen und ihm anwaltlichen Rat zu geben. …“. Die Insolvenzschuldnerin hatte diese Erklärung des Herrn H im gerichtlichen AdV-Verfahren wegen der Arrestanordnung (Aktenzeichen 15 V 3684/13) mit dem Hinweis vorgelegt, dass der Geschäftsführer in den Anlagen „ASt 7“ und „ASt 8“ nochmals schriftlich niedergelegt habe, wie es zu der Bekanntschaft mit Herrn T gekommen sei und wie die Umstände der Anmietung der Geschäftsräume der Insolvenzschuldnerin sich im Einzelnen darstellten.

Dass Herr H – wie von der Klägerseite nunmehr ausgeführt wird und wie auch der Aussage des Zeugen K in der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2014 zu entnehmen ist – erst im Juli 2013 und nicht bereits im Juli 2012 Informationen über das Ermittlungs- bzw. Steuerstrafverfahren des Herrn T erhalten habe, hält der Senat für nicht glaubhaft und wertet dies als Schutzbehauptung angesichts des noch anhängigen Strafverfahrens gegen den Zeugen K und Herrn H. Zwar hat der Zeuge K in der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024 (Seite 13 des Protokolls) bekundet, Herr H habe ihm gegenüber auf Nachfrage im September 2013 mitgeteilt, dass er, Herr H, im Sommer 2013 entsprechende Informationen erhalten habe, nachdem Herr R A, der Rechtsanwalt des Herrn T und sein eigener Anwalt, ihn, Herrn H, in der Sache T kontaktiert habe. Dass diese Einschätzung bzw. Erinnerung jedoch nicht stimmt, wird für den Senat durch die vorherige eindeutige schriftliche Erklärung des Herrn H im gerichtlichen AdV-Verfahren wegen der Arrestanordnung (Aktenzeichen 15 V 3684/13) widerlegt. Darüber hinaus sagte der Zeuge K nur über etwas aus, was Herr H ihm berichtet habe. Der Senat schließt insoweit auch eine Verwechslung der Jahreszahlen 2012 und 2013 in der von Herrn H abgegebenen schriftlichen Erklärung aus. Herr H machte die oben aus der Anlage „ASt 7“ zitierten Ausführungen im Zusammenhang mit der Schilderung von Umständen, die zeitlich kurz vor dem Monat Juli 2012 lagen. Er berichtete, dass Herr T gebeten worden sei, zum Besichtigungstermin der Räume in M, der am 06.06.2012 stattfand, mitzukommen. Ferner schilderte er, bevor er die zitierten Ausführungen machte, Herr T habe ihnen gesagt, er habe einen „neuen“ Schmuckladen eröffnet – ein Geschäft, dass Herr T tatsächlich im April/Mai 2012 eröffnet hatte (vgl. Seite 50 des Urteils des Landgerichts N vom … – Bl. 286 ff. GA).

Dass der Geschäftsführer H nicht nur allgemein über das Steuerstrafverfahren informiert war, sondern auch über die konkreten, dem Herrn T vorgeworfenen geschäftlichen Aktivitäten, ergibt sich für den Senat zum einen daraus, dass Herr H selbst erklärt hat, dass – wie oben ausgeführt – Herr T ihn über das Steuerstrafverfahren informiert und er ihn um anwaltlichen Rat gebeten habe. Zum anderen wurde bei der Durchsuchung der Büroräume am 18.09.2013 der Zwischenbericht der Steufa über die Fahndungsprüfung bei der O GmbH & Co. KG vom 11.07.2012, dessen faktischer Geschäftsführer Herr T war, aufgefunden. Die Funktionsweise des vorgeworfenen Umsatzsteuerbetrugsmodells wird dort im Einzelnen dargestellt. In dem Bericht führte der Prüfer u.a. aus: „… Tz. 2.2.5.2: Bei der Gesamtbetrachtung der Lieferkette ergibt sich folgender Sachverhalt: Nach den Feststellungen der Steuerfahndung … wurde der Einkauf der G GmbH über zum Zeitpunkt der vermeintlichen Lieferung nicht (mehr) existente Firmen dargestellt. Die tatsächliche Herkunft konnte noch nicht ermittelt werden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Ware aus illegalen Quellen stammt oder lediglich umsatzsteuerfrei, z.B. im Ausland eingekauft wurde. In beiden Fällen sollte auf diesem Wege ein ungerechtfertigter Vorsteuerabzug erschlichen werden. Zur Tarnung wurde die vorliegende Lieferkette aufgebaut, um so die Rückverfolgung zu erschweren. Hierfür wurde ein Verkauf an die O GmbH & Co. KG dargestellt. Tatsächlich hatte diese jedoch keine Möglichkeit der Einflussnahme auf die einzelnen Geschäfte. Die KG hat letztlich nur den Transport übernommen, den Verkauf im eigenen Namen abgewickelt und den so erzielten Erlös weitestgehend abgeführt. … Tz. 2.2.5.4.: Insbesondere unter Würdigung der Umstände, dass der Vertreter der G diese vielfältig in Umsatzsteuerbetrugsmodellen eingebundenen Geschäfte im Einzelwert von tlw. über 250.000 € durchgängig auf der Straße abwickelte, die Kommission nicht darstellte, auf übliche Sicherheiten verzichtete, keine Angaben zur Herkunft der Ware machte, die Anzahl der Handelsstufen ungewöhnlich und betriebswirtschaftlich nicht nachvollziehbar war, hätten die zuvor aufgeführten Auffälligkeiten einen ordentlichen Kaufmann misstrauisch machen müssen. So hätte erkannt werden müssen, lediglich in eine auf Umsatzsteuerbetrug aufbauende Lieferkette eingebunden zu sein. …“. Die insoweit niedergelegten Feststellungen ähneln – wie ausgeführt – der Geschäftsabwicklung im Rahmen der vorliegenden Geschäftsbeziehung zwischen der NX GmbH und der Insolvenzschuldnerin. Der Senat wertet auch die Behauptung, Herr H haben den Bericht der Steufa vom 11.07.2012 erst im Juli 2013 erhalten, als Schutzbehauptung wie schon die Behauptung, Herr H sei erst im Juli 2013 über das Steuerstrafverfahren des Herrn H informiert worden. Der Bericht der Steufa vom 11.07.2012 steht auch im zeitlichen Zusammenhang mit der an Herrn H gerichteten Bitte des Herrn T um anwaltlichen Rat in seinem Steuerstrafverfahren und damit mit der Information über das gegen Herrn T geführte Steuerstrafverfahren.

Der Senat wird in seiner Auffassung dadurch bestärkt, dass sich aus den nachfolgenden Umständen auch ergibt, dass zwischen Herrn H und Herrn T nicht nur ein Mandatsverhältnis, sondern auch ein besonderes Näheverhältnis bestand. Herr T, der im Handy des Geschäftsführers H mit dem bloßen Namen „Q“ abgespeichert war, war derjenige, der – wie Herr H in seiner von der Insolvenzschuldnerin im gerichtlichen AdV-Verfahren wegen der Arrestanordnung (Aktenzeichen 15 V 3684/13) eingereichten Erklärung „ASt 7“ angab – als Sitz des Unternehmens der Insolvenzschuldnerin den Ort M vorschlug, der nur ca. 8 km von dem Sitz der O GmbH & Co. KG in P entfernt lag, die mit einem vergleichbaren Geschäftsmodell, dem An- und Verkauf von Edelmetallen, insbesondere auch Silbergranulat, tätig gewesen war. Auch das von Herrn T ab April/Mai 2012 betriebene Geschäftslokal für den Ankauf von Schmuck in P, das Herr T als eine weitere – legale, von den Edelmetalltransporten unabhängige – Einnahmequelle zu erschließen beabsichtigte (vgl. Seite 50 des Urteils des Landgerichts N vom … – Bl. 286 ff. GA), überschnitt sich teilweise inhaltlich mit der von der Insolvenzschuldnerin geplanten Geschäftstätigkeit, die auch den An- und Verkauf von Schmuck von Privatpersonen zum Gegenstand haben sollte. Hinzu kommt, dass Herr T – wie Herr H in seiner Erklärung „ASt 7“ ausführte – auch nicht nur den Standort vorschlug, sondern auch seine weitere Hilfe anbot, die von Herrn H angenommen wurde. Herr T nahm an der Besichtigung der später von der Insolvenzschuldnerin angemieteten Räume in M teil und war auch derjenige, der sich im Auftrag zumindest des Geschäftsführers H um die Übernahme der Geschäftsräume von dem Vermieter, der W GmbH & Co. KG, vertreten durch deren Geschäftsführer N W, kümmerte. Aus der E-Mail des Herrn H an Herrn T vom 11.06.2012 (Strafakte Band II Bl. 345), die Herr N W im Rahmen seiner Vernehmung bei der Steufa vorlegte, geht für den Senat insoweit auch hervor, dass Herr T nicht nur einen „Botendienst“, wie die Übernahme der Schlüssel des Objekts übernahm, sondern er sich auch um einzelne Vertragsdetails, die mit dem Vermieter abzustimmen waren, kümmerte. Ob Herr T – wie Herr N W (der Geschäftsführer der Vermieterin) im Rahmen seiner Vernehmung vom 22.11.2013 (Strafakte Band II Bl. 340 ff.) vor der Steufa ausgesagt hat – auch derjenige war, der Ende Mai/Anfang Juni bereits den Erstkontakt zwecks Anmietung der Immobilie hergestellt hatte, um – wie Herrn N W von Herrn T in diesem Zusammenhang mitgeteilt worden sei – im Auftrag des Herrn H und des Zeugen K eine Niederlassung in NRW aufzubauen, sowie Herr T vor der Ortsbesichtigung am 06.06.2012 der einzige Ansprechpartner des Herrn N W war, oder ob Herr N W und Herr T – wie Herr H in der von der Insolvenzschuldnerin im gerichtlichen AdV-Verfahren wegen der Arrestanordnung (Aktenzeichen 15 V 3684/13) eingereichten Anlage „ASt 8“ erklärte – tatsächlich erstmalig Kontakt im Rahmen der Ortsbesichtigung am 06.06.2012 miteinander hatten, kann dahingestellt bleiben, denn schon die übrigen genannten Umstände belegen zur Überzeugung des Senats das besondere Näheverhältnis zwischen Herrn H und Herrn T. Herr T war im Übrigen auch – wie Herr K in seiner Vernehmung am 02.12.2024 bekundet hat – bei der Eröffnung des Kontos der Insolvenzschuldnerin bei der Bank M anwesend. Herr K hat im Rahmen seiner Vernehmung am 02.12.2024 erklärt, bei der Kontoeröffnung in einem gesonderten Besprechungsraum der Bank seien Herr H und er von Seiten der Insolvenzschuldnerin, ein Bankmitarbeiter – er meine es sei der Filialleiter gewesen –, und daneben ein Mann, der sich später als Herr T herausgestellt habe, dabei gewesen. Auf Nachfrage, wie Herr T ihm vorgestellt worden sei, hat Herr K ausgesagt, er wisse dies nicht mehr genau, es schiene ihm aber so, dass Herr T etwas Besonderes oder ein guter Kunde für die anderen gewesen sei. Für ihn sei es befremdlich gewesen. Angesprochen darauf, ob es nicht ungewöhnlich sei, dass eine fremde Person bei der Besprechung dabei gewesen sei, hat der Zeuge K erklärt: „Ja, das war es. Aber für mich war wichtig, dass wir uns nichts andrehen lassen und das habe ich auch Herrn H mitgeteilt.“

Auch weitere Umstände belegen nach Ansicht des Senats, dass die Insolvenzschuldnerin bzw. zumindest einer ihrer Geschäftsführer über die konkreten Geschäfte der O GmbH & Co. KG bzw. des Herrn T informiert war. Die O GmbH & Co. KG belieferte ab Mai 2012 die UCN GmbH mit Sitz in Q. Die UCN GmbH war die ausschließliche Abnehmerin der Insolvenzschuldnerin für alle Edelmetalle in der Zeit vom 15.08.2012 bis zum 22.10.2012 und für Silbergranulat bis zum 27.11.2012; aber auch ab dem 28.11.2012 blieb die UCN GmbH die (Haupt‑)Abnehmerin des von der Insolvenzschuldnerin vornehmlich gehandelten Silbergranulats. Zwar hat die Insolvenzschuldnerin im gerichtlichen AdV-Verfahren wegen der Arrestanordnung (15 V 3684/13) zu Recht darauf hingewiesen, dass die Geschäfte der O GmbH & Co. KG mit der UCN GmbH nicht Gegenstand des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen Herrn T waren. Jedoch entlastet die Insolvenzschuldnerin dies nicht. Denn entscheidend ist, ob es objektive Anhaltspunkte gab, die die Insolvenzschuldnerin hätten misstrauisch machen müssen. Der Umstand, dass die UCN GmbH ab Mai 2012 in die geschäftlichen Aktivitäten der zuvor mit einer anderen Abnehmerfirma betrügerisch handelnden O GmbH & Co. KG auf deren Verkaufsseite einbezogen war und die Insolvenzschuldnerin Kenntnis hiervon hatte, genügt insoweit. Im Übrigen verfügte die Insolvenzschuldnerin mit der UCN GmbH ebenso wie die O GmbH & Co. KG lediglich über eine einzelne (Haupt‑)Abnehmerin, was wiederum die Ähnlichkeit der Geschäftsmodelle verdeutlicht. Ferner stellte die Insolvenzschuldnerin auch den Zeugen U, der in der Zeit von April bis August 2012 bei der O GmbH & Co. KG angestellt war, als Fahrer an. Er transportierte für die Insolvenzschuldnerin – wie bereits zuvor für die O GmbH & Co. KG – Edelmetalle, insbesondere Silbergranulat in unverplombten Leinensäcken in Mengen zwischen ca. 250 bis 300 kg ein bis zweimal wöchentlich ungesichert in einem Pkw zur UCN GmbH. Den Kontakt der Insolvenzschuldnerin zu Herrn U stellte Herr T her. Dies ergibt sich aus den übereinstimmenden Aussagen des Zeugen U in seinen Vernehmungen vor der Steufa am 01.10.2013 (vgl. Protokoll vom 01.10.2013, Seite 2) und in der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtsgang vom 04.06.2020 (vgl. Protokoll vom 04.06.2020, Seite 11). Dies stimmt auch so mit der Aussage des Zeugen K überein, der erklärte, dass bezogen auf die Anstellung eines Fahrers Herr H ihm mitgeteilt habe, er hätte da schon eine Idee; er hätte einen Fahrer von einem Bekannten, der von diesem gekündigt werden müsste und der bei ihnen als Fahrer angestellt werden könnte, und er hätte den Fahrer, den Zeugen U, bereits in C getroffen (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024, Seite 7).

Der Senat sieht sich in seiner Beurteilung auch weiter dadurch bestärkt, dass ein Zeitungsartikel vom 09.08.2012, ausgedruckt aus dem Internet am 28.08.2012, der den Titel „Razzia in Leipzig: Steuerfahnder sprengen bundesweit agierende Silberhändler Bande“ hat, im Rahmen der Durchsuchung am 18.09.2013 in den Büros des Herrn H aufgefunden wurde. In dem Artikel war u.a. ausgeführt: „… In Privatwagen solle sie (Ergänzung durch den Senat: die „Silberhändler-Bande“) große Mengen Silber quer durch die Republik transportiert haben. Verkauft wurde das Edelmetall am Fiskus vorbei. … Den insgesamt 16 Verdächtigen werde Umsatzsteuerhinterziehung in Höhe von rund 20 Millionen Euro vorgeworfen, teilte die Finanzbehörde am Donnerstag mit. … Das Silber war als Granulat abgepackt. … Im Ausland soll die Bande über Scheinfirmen das Silber zum Nettopreis angekauft und in Deutschland mit Aufschlag der Mehrwertsteuer weiterveräußert haben. Diese wurde aber nicht abgeführt …. In Privat-Pkw sei das Edelmetall von den Händlern durch ganz Deutschland transportiert worden. An Raststätten hätten die Waren dann die Besitzer gewechselt. Das Ganze war sehr konspirativ aufgebaut. …“.). Dass dieser Artikel erst später zur Kenntnis des Herrn H gelangt sein soll, sieht der Senat ebenfalls als Schutzbehauptung; es wird insoweit auf die obigen Ausführungen zum Bericht der Steufa über die Fahndungsprüfung bei der O GmbH & Co. KG verwiesen. Die Insolvenzschuldnerin hat im Einspruchsverfahren im Übrigen auch selbst ausgeführt, dass die Geschäftsführer sich durch die Einholung des Zeitungsartikels selbst informiert hätten, um somit Risiken zu minimieren. Letztendlich kann dies aber auch dahingestellt bleiben, da sich bereits nach den vorstehenden Ausführungen ergibt, dass die Insolvenzschuldnerin, vertreten durch ihre Geschäftsführer, ein gesteigertes Problembewusstsein dahingehend hatten, dass es sich bei dem betriebenen Edelmetallhandel um eine betrugsanfällige Risikobranche handelte.

 

(2) Zur Überzeugung des Senats lagen in Bezug auf die Lieferantin, die NX GmbH, auch hinreichende objektive Anhaltspunkte vor, die die Insolvenzschuldnerin bzw. deren Geschäftsführer hätten misstrauisch machen und die Anlass zu weiteren Nachforschungen hätten geben müssen.

Die Insolvenzschuldnerin wusste, dass es sich bei der Tätigkeit der NX GmbH im Bereich des Edelmetallhandels um deren neue geschäftliche Betätigung handelte, diese ein sog. Branchenneuling war, wie sich aus den nachfolgenden Umständen ergibt. Die NX GmbH war im Handelsregister seit dem 00.04.2012 mit einer völlig anderen Geschäftstätigkeit als den Handel mit Edelmetallen eingetragen, nämlich mit dem Gegenstand „[…]“. Hierzu stimmig ist denn auch die Firmenbezeichnung „NX“, die durch den Namensbestandteil „X“ auf das Erbringen von Telefondienstleistungen schließen lässt. Auch gegenüber der Stadt C hatte die NX GmbH bis zum 00.08.2012 neben dem im Handelsregister eingetragenen Unternehmensgegenstand am 00.06.2012 nur die weitere Tätigkeit „[…]“ angegeben. Diese Diskrepanz war der Insolvenzschuldnerin – wie sie im Einspruchsverfahren selbst bestätigt hat – auch aufgefallen; denn sie hat ausgeführt, dass der Zeuge L auf Nachfrage ihrer Geschäftsführer mitgeteilt habe, dass die Eintragung in das Handelsregister noch erfolgen werde, er habe noch nicht die Gelegenheit gehabt, die Änderung zu beantragen, da das Unternehmen neu gegründet worden sei. Warum allerdings der Firmenname, der noch auf eine vorangegangene Tätigkeit der NX, nämlich das Erbringen von Telefondienstleistungen in sog. Call-Centern, hindeutete, seitens der NX GmbH nicht geändert wurde, hat die Insolvenzschuldnerin hingegen nicht weiter hinterfragt, obwohl sie bei sich selbst – wie auch üblich – eine entsprechende Änderung der Firma vor der Aufnahme von Geschäften vorgenommen hatte.

Tatsächlich erfolgte eine Änderung des Unternehmensgegenstandes der NX GmbH im Handelsregister nicht. Zwar wurde am 00.08.2012 – zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits erste Lieferungen der NX GmbH an die Insolvenzschuldnerin getätigt worden waren – gegenüber der Stadt C im Rahmen einer weiteren Gewerbeummeldung die Tätigkeit „[…]“ zusätzlich angemeldet. Ein entsprechender Hinweis auf eine Geschäftstätigkeit im Bereich des Edelmetallhandels findet sich jedoch zu keinem Zeitpunkt des streitgegenständlichen Zeitraums – weder bei Aufnahme der Geschäftsbeziehung noch während deren Fortführung bis Dezember 2012 – im Handelsregister. Die einzige Veränderung im Handelsregister wurde am 00.03.2013, mithin nach Beendigung der Geschäftsbeziehung mit der Insolvenzschuldnerin, vorgenommen und betraf lediglich die Eintragung des (Nachfolge‑)Geschäftsführers W L sowie die neue Geschäftsanschrift H-Straße 117, C. Für den Senat ist nicht ersichtlich, dass die Insolvenzschuldnerin die unzutreffende Eintragung des Unternehmensgegenstands im Handelsregister – die fehlende Eintragung des Edelmetallhandels – im Laufe der Geschäftsbeziehungen überhaupt nochmals hinterfragt hat, obwohl die Erklärung des Zeugen L gegenüber der Insolvenzschuldnerin, die Änderung sei noch nicht beantragt worden, hierzu Veranlassung gegeben hätte. Ob eine solche Änderung mittlerweile vorgenommen war bzw. dass eine solche unterblieben war, hätte durch eine einfache Einsichtnahme in das Handelsregisterauszug leicht festgestellt werden können. Selbst wenn man unterstellt, dass Eintragungen in das Handelsregister nach Antragstellung regelmäßig mit zeitlicher Verzögerung erfolgen, wäre die Insolvenzschuldnerin gleichwohl gehalten gewesen, diese im Rahmen der fortdauernden Geschäftsbeziehung zu überprüfen.

Da Umsatzsteuerhinterziehungen in Karussellen oder in Lieferketten selten über längere Zeiträume unentdeckt bleiben und in betrügerischer Absicht handelnde Unternehmen daher häufig bewusst nur kurzfristig am Markt erscheinen, haben Unternehmen, die mit Branchenneulingen Handelsbeziehungen eingehen wollen, zu Beginn besondere Vorsicht walten zu lassen. Im Streitfall kommt hinzu, dass der Zeuge L, wie bei sog. „betrügerischen Lieferketten“ häufig zu beobachten ist, erst kurz vor Aufnahme der Geschäftsbeziehungen, nämlich im März 2012, Gesellschafter und Geschäftsführer der erst im Mai 2011 mit einem völlig anderen Unternehmensgegenstand gegründeten NX GmbH geworden ist.

Auch die sonstigen tatsächlichen Begebenheiten konnten den Anschein eines erst kürzlich am Markt agierenden Unternehmens nicht entkräften. Hierzu zählt etwa, dass die Lieferungen vom 14. bis 23.08.2012 mit den Lieferscheinnummern 1 bis 4 versehen waren, was für exklusive Leistungsbeziehungen mit der Insolvenzschuldnerin und damit gegen eine Etablierung am Markt spricht.

Verdachtsbegründend war im Hinblick auf die NX GmbH auch, dass unmittelbar nach dem ersten Ankauf einer geringen Menge Gold am 16.08.2012 (231,45 g für ca. 9.500 €) innerhalb weniger Tage bereits Silbergranulat im Wert von mehreren hunderttausend Euro angeboten wurde. So bot die NX GmbH am 21.08.2012 bereits ca. 296 kg Silbergranulat zu einem Preis von 253.904,11 € und am 22.08.2012 ca. 249 kg Silbergranulat zu einem Preis von 217.804,68 € an; dies nahm die Insolvenzschuldnerin jeweils an. Darüber hinaus war die Geschäftsabwicklung in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich: So erfolgte der Transport der wertvollen Edelmetalle am 21.08.2012 (ca. 296 kg) und am 22.08.2012 (ca. 249 kg) durch den Geschäftsführer der NX GmbH, den Zeugen L, von C nach M jeweils ungesichert im Kofferraum eines Pkw, was nicht den Gepflogenheiten eines seriösen Edelmetallhandels entspricht. Der Zeuge L übergab das Silbergranulat – auch schon zu Beginn der Geschäftsbeziehung – ohne von der Insolvenzschuldnerin eine Sicherheit hierfür zu verlangen. Dass ein Lieferant einem neu gegründeten Unternehmen wie dem der Insolvenzschuldnerin sofort einen derartigen Vertrauensvorschuss gewährt, ist zumindest ungewöhnlich und muss einen gewissenhaften Abnehmer zu Aufklärungsmaßnahmen bewegen. Hinzu tritt, dass die Ware auf den jeweiligen Transportwegen jeweils nicht versichert war, was bei Transporten von derart werthaltigen Waren im Hinblick auf das Verlustrisiko nahegelegen hätte. Auch wenn ggfls. kein großer Personenkreis einbezogen gewesen sein sollte, wäre angesichts des hohen Wertes immer zu besorgen gewesen, dass es dennoch z.B. durch einen Überfall zu einem Verlust der Ware hätte kommen können.

Misstrauisch machen müssen hätten die Insolvenzschuldnerin ferner die weiteren an sie erbrachten Lieferungen der NX GmbH. Hervorzuheben ist dabei nicht nur der erhebliche Umfang dieser weiteren Lieferungen, sondern dass die Insolvenzschuldnerin – entgegen ihrer Behauptung (im gerichtlichen AdV-Verfahren 15 V 3684/13 und im Einspruchsverfahren) und der Behauptung der Klägerin im vorliegenden Klageverfahren – gerade nicht die Geschäftsbeziehung mit ihrer Lieferantin abbrach bzw. unterbrach, als diese keine „Bestätigung des Steuerberaters über die Umsatzsteuervoranmeldung“ erhielt. Obwohl die fehlende Bestätigung zusätzlichen Argwohn hätte hervorrufen müssen, nahm sie die von der NX GmbH angebotenen Edelmetalle ohne Nachfragen weiterhin unvermindert an. Zwar übersandte die BF-GmbH der Insolvenzschuldnerin am 05.09.2012 eine Bestätigung über die am 17.08.2012 beim Finanzamt C für die NX GmbH eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldung, diese betraf jedoch lediglich den Voranmeldungszeitraum Juli 2012, d.h. einen Zeitraum, zu dem noch keine Geschäftsbeziehungen zwischen der NX GmbH und der Insolvenzschuldnerin bestanden; insoweit waren in der Bestätigung auch 0 € Umsätze aus der Geschäftsbeziehung zwischen der NX GmbH und der Insolvenzschuldnerin angegeben. Die Abgabefrist für die Umsatzsteuer-Voranmeldung für August 2012, den ersten Monat der Geschäftsbeziehung, lief für die NX GmbH am 10.09.2012 ab. Gleichwohl brach die Insolvenzschuldnerin die Geschäftsbeziehung zu der NX GmbH nicht ab, obwohl sie für August 2012 keine Bestätigung erhalten hatte. Auch nach Ablauf der Abgabefrist für den Voranmeldungszeitraum September 2012 am 10.10.2012 lag ihr weder eine entsprechende „Bestätigung“ des steuerlichen Beraters der NX GmbH bezogen auf die Umsatzsteuer-Voranmeldung für August 2012 noch für den Monat September 2012 vor. Die Bestätigung für den Voranmeldungszeitraum August 2012 ging erst am 23.10.2012 bei der Insolvenzschuldnerin ein. Bis zu diesem Zeitpunkt bezog die Insolvenzschuldnerin von der NX GmbH aber – ohne die von ihr selbst als Voraussetzung für die Annahme von Lieferungen angeblich geforderte Bestätigung – weitere Lieferungen in einem erheblichen Umfang, und zwar

am 18.09.2012               ca. 257 kg               zu einem Preis von 249.333,08 € brutto,

am 19.09.2012               ca. 257 kg               zu einem Preis von 252.396,14 € brutto,

am 24.09.2012               ca. 257 kg               zu einem Preis von 249.274,18 € brutto,

am 26.09.2012               ca. 258 kg               zu einem Preis von 249.904,59 € brutto,

am 27.09.2012               ca. 272 kg               zu einem Preis von 263.729,47 € brutto,

am 02.10.2012               ca. 272 kg               zu einem Preis von 268.577,35 € brutto,

am 04.10.2012              ca. 272 kg               zu einem Preis von 272.465,08 € brutto,

am 09.10.2012              ca. 262 kg               zu einem Preis von 253.457,79 € brutto,

am 11.10.2012              ca. 271 kg               zu einem Preis von 261.650,68 € brutto,

am 15.10.2012              ca. 247 kg               zu einem Preis von 233.086,39 € brutto,

am 17.10.2012              ca. 198 kg               zu einem Preis von 184.205,10 € brutto und

am 18.10.2012              ca. 197 kg               zu einem Preis von 183.749,40 € brutto.

Dies entspricht insgesamt ca. 3 t Silbergranulat zu einem Gesamtbruttopreis von etwa 2,9 Mio. €, die in der Zeit vom 18.09.2012 bis zum 22.10.2012 gehandelt wurden. Die Bestätigung für den Voranmeldungszeitraum September 2012 erhielt die Insolvenzschuldnerin von der NX GmbH bzw. der BF-GmbH im Übrigen erst am 31.10.2012. Gleichwohl wurden – ohne, dass trotz abgelaufener Abgabefrist eine Bestätigung der NX GmbH für den Voranmeldungszeitraum September 2012 bei der Insolvenzschuldnerin eingereicht wurde – wiederum zuvor Edelmetalle von der NX GmbH bezogen, nämlich am 24.10.2012 ca. 198 kg (181.281,59 €) und am 25.10.2012 ca. 198 kg (179.053,11 €), mithin nochmals rund 396 kg zu einem Bruttopreis von etwa 360.000 €.

Die Insolvenzschuldnerin konnte zudem spätestens mit dem Zugang der ihr von der BF‑GmbH am 23.10.2012 übermittelten Kopie der Umsatzsteuer-Voranmeldung für August 2012 der NX GmbH erkennen, dass die NX vor den Lieferungen an sie keine Geschäfte getätigt hatte und ausschließlich sie, die Insolvenzschuldnerin, belieferte. Die in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für August 2012 von der NX GmbH erklärten Umsätze entsprachen genau den Beträgen, die in den von der Insolvenzschuldnerin erstellten Gutschriften vom 21.08., 22.08. und 23.08.2012 ausgewiesen waren. Dies ist ein weiterer Grund, der Bedenken hätte hervorrufen und weitere Nachfragen bei der NX GmbH bzw. dem Zeugen L hätte erzeugen müssen.

Auch der Umstand, dass die NX GmbH zunächst für August 2012 eine sog. Null-Meldung bei dem Finanzamt C abgegeben hatte und – wie die Klägerin vorträgt – sie erst auf Verlangen der Insolvenzschuldnerin eine berichtigte Umsatzsteuer-Voranmeldung eingereicht habe, hätte die Insolvenzschuldnerin bzw. ihre Geschäftsführer misstrauisch machen müssen.

Ferner wies auch die Abwicklung der Geschäfte nach dem 23.08.2012 – wie bereits bei den ersten Lieferungen – fortdauernd Anhaltspunkte auf, die Anlass zu weiteren Nachforschungen hätten geben müssen. Ungeachtet des beträchtlichen Warenwertes wurde u.a. das Silbergranulat während der gesamten Geschäftsbeziehung jeweils von dem Zeugen L in einem Pkw ohne Sicherungsmaßnahmen von C nach M verbracht. Diese Vorgehensweise entsprach – wie ausgeführt – nicht den Gepflogenheiten eines seriösen Edelmetallhandels.

Darüber hinaus hätten auch die Zahlungsmodalitäten der NX GmbH bei der Insolvenzschuldnerin Misstrauen wecken müssen:

Die Geschäfte wurden regelmäßig mit sechsstelligen Beträgen um die 200.000 € bzw. über 200.000 € abgewickelt, dennoch erfolgte die Bezahlung der Edelmetalle an den Zeugen L in M überwiegend in bar in Höhe von 70 bis 80 % des jeweiligen Warenwertes. Eine zeitnahe Weiterleitung des Geldes per Blitzüberweisung wäre hingegen naheliegend und auch möglich gewesen, zumal ein Restbetrag pro Lieferung ohnehin regelmäßig per Blitzüberweisung von der Insolvenzschuldnerin an die NX GmbH angewiesen wurde und auch seitens der UCN GmbH teilweise nicht bar, sondern per Blitzüberweisung gezahlt wurde. Die Barzahlungen führten nicht nur – nach Auffassung des Senats – zur Intransparenz des Geldflusses, sondern im Übrigen auch dazu, dass der Zeuge L hohe Bargeldbeträge ohne Sicherung trotz des bestehenden Risikos z.B. eines Überfalls in einem Pkw von M nach C transportierte.

Als auffällig wertet der Senat in diesem Zusammenhang auch, dass die NX GmbH es hinnahm, dass die Übergabe des Bargeldes für die Bezahlung ihrer Edelmetalllieferungen erst zu einem späteren Zeitpunkt als bei der Anlieferung der Edelmetalle stattfand, zu der der Zeuge L teilweise auch erst erneut anreisen musste. In der Zwischenzeit lieferte die Insolvenzschuldnerin die Edelmetalle an die UCN GmbH und erhielt von dieser hierfür entweder eine Blitzüberweisung in Höhe des vollen Betrages oder – was nach den vorliegenden Quittungen die Regel darstellte – einen Teilbetrag in bar (ebenfalls ca. 70 bis 80 % des Warenwertes) sowie für den Restbetrag eine Blitzüberweisung. Die Bargeldübergabe an den Zeugen L fand dann am späten Nachmittag bzw. Abend des Anlieferungstags, teilweise am Folgetag oder – wie der Zeuge L in seiner Vernehmung am 04.06.2020 ausgesagt und in seiner Vernehmung vom 17.03.2025 nochmals bestätigt hat – sogar erst zwei bis drei Tage später in M statt. Dies hätte nach Ansicht des Senats bei der Insolvenzschuldnerin – unabhängig vom jeweiligen Zeitpunkt der Bargeldabholung – Argwohn hervorrufen müssen. Denn es erscheint ungewöhnlich, wenn der Zeuge L vom Zeitpunkt der Anlieferung an – in der Regel am frühen Morgen – bis zum späten Nachmittag/Abend desselben Tages wartete, um das Bargeld entgegenzunehmen und erst dann nach C zurückfuhr, um anschließend die Lieferanten der NX GmbH zu bezahlen. Wurde das Bargeld stattdessen erst an einem der Folgetage abgeholt, erscheint dies erst recht ungewöhnlich, da dies – zumindest teilweise – zu unnötigen Fahrten ohne Warenbewegung über jeweils ca. … km hin nach M und ca. … km zurück nach C führte. Statt des Wartens oder der erneuten Anreise wäre eine Zahlungsabwicklung per Blitzüberweisung nicht nur problemlos möglich, sondern auch sicherer und – bezogen auf den Zeit- und Kostenaufwand – zudem effizienter gewesen. Der Zeuge L konnte für die Zahlungsmodalitäten weder im ersten Rechtsgang in der mündlichen Verhandlung vom 04.06.2020 noch im zweiten Rechtsgang in der mündlichen Verhandlung vom 17.03.2025 eine nachvollziehbare Erklärung liefern, weshalb er nach der Ablieferung der Ware in M nicht unmittelbar die Rückfahrt antrat, um sich den per Blitzüberweisung bereitgestellten Betrag in C auszahlen zu lassen. So bekundete der Zeuge L in der mündlichen Verhandlung vom 04.06.2020 auf Nachfrage, warum Barzahlungen in dieser Größenordnung erfolgt seien: „Weil es einfach schneller ging“ (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.06.2020 Seite 4). In der Vernehmung am 17.03.2025 hat der Zeuge L auf Vorhalt dieser Aussage und der Frage, ob er dies erläutern könne, ausgeführt: „Weil Überweisungen mehrere Tage dauerten.“ Auf den Hinweis des Vorsitzenden, dass es auch Blitzüberweisungen gebe, hat der Zeuge zunächst erklärt, das hätten sie nicht gemacht, und hat dann aber weiter erklärt, sie hätten auch Blitzüberweisungen gemacht, aber die anderen Beträge bar abgewickelt. Auf die Frage, warum er sich das Geld nicht hat überweisen lassen, wenn – wie ihm vorgehalten und von ihm bestätigt wurde – die Bezahlung mit Bargeld zwei/drei Tage nach der Anlieferung erfolgte, hat er erklärt, dass er dies nicht mehr wisse. Aus Sicht des Senats steht die Aussage des Zeugen L in der mündlichen Verhandlung vom 04.06.2020, Barzahlungen seien „schneller“ (Protokoll vom 04.06.2020, Seite 4), im offenen Widerspruch zu den Kosten, der Sicherheit und dem Zeitaufwand der jeweils etwa … km umfassenden zusätzlichen Fahrten sowie zur Verfügbarkeit von Blitzüberweisungen und kann die gewählten Zahlungsmodalitäten nicht erklären. Selbst wenn – wie von der Insolvenzschuldnerin und der Klägerin vorgetragen – im Jahr 2012 Barzahlungen im Edelmetallhandel noch branchenüblich gewesen sein sollten, vermag dies allein das für den Senat nicht logisch nachvollziehbare Vorgehen im Streitfall nicht zu rechtfertigen.

Im Zusammenhang mit den soeben dargestellten Bargeldzahlungen hätten sich für die Insolvenzschuldnerin auch deshalb Verdachtsmomente aufdrängen müssen, weil die – wenn auch nur von ihr vermuteten – Zahlungsmodalitäten der NX GmbH gegenüber deren Lieferanten äußerst ungewöhnlich gewesen wären. Der Zeuge K hat in seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024, darauf angesprochen, warum Barzahlungen wichtig gewesen seien, erklärt, dies sei wichtig gewesen, weil ihre Kunden (Ergänzung vom Senat: hier war es vor allem die NX GmbH) dann wiederum ihre Lieferanten hätten auszahlen können. Dies hätten sie vermutet. Dies habe, meine er, z.B. auch die Scheideanstalt D T so gemacht. Sie hätten das auch mit dem Steuerberater durchgesprochen. Weiter hat der Zeuge K dazu erklärt, dass eine Blitzüberweisung nicht in Betracht gekommen sei, da z.B. der Zeuge L abends nicht an sein Geld gekommen wäre. Sie hätten auch nicht gewusst, welche Zahlungsmodalitäten der Zeuge L gehabt habe. Als er ihn mal darauf angesprochen habe, habe der Zeuge L die Frage abgeblockt (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024 Seite 9). Der Senat sieht auch hier objektive Anhaltspunkte, aufgrund derer den Geschäftsführern der Insolvenzschuldnerin Zweifel hätten kommen müssen. Denn es kann als derart ungewöhnlich angesehen werden, wenn der Vorlieferant (hier die NX GmbH) sich in einer Größenordnung von in der Regel mehr als 200.000 € am späten Abend in M vorzugsweise in bar bezahlen lässt, um seine eigenen Lieferanten noch zeitnah danach zu bezahlen und deshalb eine Blitzüberweisung abgelehnt hat. Dies stände im Übrigen auch im Widerspruch dazu, dass der Zeuge L das Bargeld – wie bereits ausgeführt – teils auch erst am nächsten oder übernächsten Tag bei der Insolvenzschuldnerin abgeholt hat.

 

(3) Die Insolvenzschuldnerin hat zur Überzeugung des Senats trotz dieser objektiven Anhaltspunkte, die sie bzw. ihre Geschäftsführer, der Zeugen K bzw. Herr H, von Anfang an hätten misstrauisch machen müssen, nicht alles Erforderliche getan, was von ihnen vernünftigerweise hätte verlangt werden können, um sich von der Zuverlässigkeit der NX GmbH zu überzeugen und um sicherzustellen, dass die an sie getätigten Umsätze der NX GmbH nicht Teil einer Umsatzkette sind, in der Umsatzsteuern hinterzogen bzw. ungerechtfertigte Steuervorteile erlangt werden.

Der gegenteiligen Auffassung der Klägerin, die Insolvenzschuldnerin bzw. ihre Geschäftsführer hätten alle erheblichen und ausreichenden Informationen und Auskünfte eingeholt, die sie hätten einholen können, und damit den von der Rechtsprechung des EuGH und BFH aufgestellten Anforderungen Genüge getan, vermag der Senat nicht zu folgen. Denn tatsächlich beschränkte sich die Insolvenzschuldnerin bei der Überprüfung der NX GmbH schon zu Beginn der Geschäftsbeziehung auf die Vorlage eines Kundendatenblattes (mit „allgemeinen“ Angaben wie Name, Vertreter, Firmensitz, Steuernummer, etc.), der Gewerbeummeldungen, eines Handelsregisterauszugs sowie der Ermächtigungen zur Abfrage beim für die NX GmbH zuständigen Finanzamt und beim Steuerberater der NX GmbH. Diese rein formalen Unterlagen reichen aber, auch wenn der Zeuge L bei den jeweiligen Anlieferungen für die NX GmbH zusätzlich sog. Eigentumserklärungen unterzeichnete, angesichts der oben aufgeführten, sich aufdrängenden Anhaltspunkte für mögliche Unregelmäßigkeiten nicht dergestalt aus, dass die Insolvenzschuldnerin bzw. ihre Geschäftsführer ohne weitere Nachfragen alleine anhand dieser Unterlagen von der Zuverlässigkeit der NX GmbH ausgehen durfte.

Vielmehr wäre es bezogen auf die NX GmbH, einem sog. Branchenneuling im Edelmetallhandel, erforderlich gewesen, die Herkunft vor allem des Silbergranulats und die ungewöhnliche Geschäftsabwicklung kritisch zu hinterfragen. Bestehen – wie im Streitfall – nicht nur unerhebliche Verdachtsmomente für mögliche Unregelmäßigkeiten kann von dem Erwerber vernünftigerweise verlangt werden, dass er Auskünfte auch zur allgemeinen Herkunft des Silbergranulats und zum Vorlieferanten, ohne dass diese zunächst konkret benannt werden müssen, einholt und dokumentiert; je mehr Verdachtsmomente für Unregelmäßigkeiten vorhanden sind, d.h. z.B. je ungewöhnlicher die Geschäftsabwicklung – wie hier u.a. auch z.B. die vermutete Bezahlung des Vorlieferanten durch den Zeugen L am späten Abend – ist, desto konkreter müssen die einzuholenden Auskünfte und Nachforschungen sein. Der Erwerber darf sich dann nicht mit einer bloß formal „sauberen“ Papierlage und einem „Abblocken“ von weiteren Fragen durch den Lieferanten begnügen.

Dass die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin den Zeugen L – wie von der Klägerin behauptet – in den ersten Gesprächen intensiv sowohl über die Herkunft der Edelmetalle als auch über dessen Tätigkeit befragt haben und der Zeuge L dies bestätigt habe, kann der Senat nicht feststellen. Die Aussage des Zeugen L ist nicht geeignet, diese Behauptung der Klägerin zu bestätigen. Zwar erklärte der Zeuge L in der mündlichen Verhandlung vom 04.06.2020 auf die Frage, ob er von der Insolvenzschuldnerin gefragt worden sei, wo die Ware herkomme und wie lange er in dem Geschäft bereits tätig gewesen sei: „Ja. Ich hatte den Eindruck, dass das intensiv gefragt wurde.“ (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.06.2020 Seite 6). Dieser Aussage ist jedoch kein Beweiswert beizumessen. Sie ist unsubstantiiert und hätte weiterer Erläuterungen bedurft, die er dem Senat auf weitere Nachfragen nicht geben konnte. So konnte der Zeuge L auf Nachfrage keine Angaben dazu machen, welche Antworten er damals auf die Frage der Insolvenzschuldnerin nach der Dauer seiner Geschäftstätigkeit und den Vorlieferanten gegeben habe; vielmehr erklärte er lediglich: „Das weiß ich heute nicht mehr“ (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.06.2020 Seite 7). Auch in der mündlichen Verhandlung vom 17.03.2025 erklärte der Zeuge auf entsprechende, wiederholte Nachfragen, er könne sich nicht mehr erinnern. Auch nachdem er auf die Frage, ob er von Herrn H oder Herrn K mal gefragt worden sei, wo die Ware herstamme, bekundete, sich nicht mehr zu erinnern, und der Klägervertreter ihm seine Aussage aus der mündlichen Verhandlung vom 04.06.2020 vorhielt und fragte, was denn nun stimme, erklärte der Zeuge, dass er sich daran heute nicht mehr erinnern könne. Vor diesem Hintergrund fehlt es an einer hinreichend konkreten, nachvollziehbaren und überprüfbaren Aussage des Zeugen L.

Im Übrigen haben weder die Insolvenzschuldnerin noch die Klägerin überhaupt Ausführungen dazu gemacht, welchen konkreten Inhalt die Gespräche mit dem Zeugen L gehabt haben sollen, d.h. welche Fragen dem Zeugen L gestellt worden sein sollen und welche konkreten Auskünfte und Informationen dieser tatsächlich erteilt habe und sie damit erhalten hätten. Aus der Aussage des Zeugen K in der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024 ergibt sich vielmehr, dass sie von der NX GmbH gerade keine Informationen zur Herkunft der Edelmetalle erhalten hatten. Er erklärte in seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024, dass der Zeuge L auf seine Frage, woher er seine Ware habe, die Frage abgeblockt habe (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024, Seite 9). Seinen in der Vernehmung anschließenden Ausführungen ist zu entnehmen, dass er sich mit dieser Antwort abgefunden und er nicht auf weitergehende Informationen bestanden hat. Denn er schilderte weiter, der Zeuge L sei über die Frage nicht amüsiert gewesen, was er jedoch als normale Reaktion angesehen habe; er selbst hätte – wie der Zeuge K erklärte – nicht anders reagiert. Auch dieser Umstand vermag die Insolvenzschuldnerin jedoch nicht zu entlasten. Im Gegenteil hätte dies dem Zeugen K Veranlassung geben müssen, weitere Nachfragen zu stellen.

Der Senat folgt auch weder der Einlassung des Zeugen K zur Überprüfbarkeit der Lieferkette in der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024 noch dem entsprechenden Vortrag der Klägerin, soweit beide in pauschaler Weise die Pflicht zur Nachverfolgung der bezogenen Ware auf den vorangegangenen Handelsstufen verneinen. Auf die Frage, warum keine weitergehenden Kontrollen auf der vorangegangenen Stufe – also den Lieferanten vor der NX GmbH – durchgeführt worden seien, erklärte der Zeuge K, man könne nicht alle Handelsstufen überprüfen. Ihnen sei zwar bewusst gewesen, dass ihre Lieferanten die Ware von jemanden gekauft hätten, sie könnten aber nur die Stufe vor der Insolvenzschuldnerin kontrollieren, da andernfalls der Gold- und Edelmetallhandel „tot“ sei (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024, Seite 14/15). Auch die Klägerin trägt in diesem Zusammenhang – unter anderem in den mündlichen Verhandlungen vom 02.12.2024 und 17.03.2025 (jeweils Seite 3 des Protokolls) vor, bei der Aufnahme der Geschäftsverbindung könne ein Unternehmer tatsächlich nur feststellen, ob es die Person, mit der man Geschäfte ausführen möchte, tatsächlich gebe, ob es eine Gewerbeanmeldung gebe, ob der Geschäftspartner steuerlich geführt werde und nicht mehr. Weitergehende Fragen, ob der Geschäftsbetrieb im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen geführt werde, könnten zwar gestellt werden, aber es müsste nicht erwartet werden, hierzu korrekte Antworten zu bekommen (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024 bzw. vom 17.03.2025, jeweils Seite 3). Diese Sichtweise greift nach Ansicht des Senats aber zu kurz. Denn – wie bereits dargelegt – genügt es nicht, sich allein auf eine formal „saubere“ Papierlage zu stützen, wenn konkrete Anhaltspunkte für mögliche Unregelmäßigkeiten auf Seiten der Lieferantin bestehen. Die Annahme, ein Erwerber habe bereits dann alles Erforderliche getan, wenn er formale Angaben prüft und weitergehende Nachfragen unterlässt bzw. solche unbeantwortet bleiben, würde dazu führen, dass sich ein Unternehmen trotz objektiver Verdachtsmomente für Unregelmäßigkeiten damit exkulpieren könnte, dass seine Nachfrage nach der Herkunft der Ware abgeblockt werde oder von dem Erwerber unterstellt werde, nicht wahrheitsgemäße Antworten zu erhalten und daher Nachfragen unterbleiben. Ein solches Verständnis widerspricht aber den Anforderungen an die Sorgfalt eines ordentlichen Unternehmers. Der Beklagte weist auch zu Recht darauf hin, dass die bloße Möglichkeit, nicht wahrheitsgemäße Antworten zu bekommen, einen Unternehmer nicht davon entbindet, entsprechende Fragen dennoch zu stellen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass auch die entsprechenden Antworten der Lieferantin nicht einfach hinzunehmen sind, sondern ggfls. nochmals kritisch zu hinterfragen sind: Je mehr objektive Verdachtsmomente bestehen, desto sorgfältiger und kritischer sind die Auskünfte zu hinterfragen. Im Zweifel muss der Erwerber von dem Geschäft dann auch eher Abstand nehmen bzw. die Geschäftsverbindung beenden Dies führt aber auch nicht dazu, dass – wie der Zeuge K in seiner Vernehmung vom 02.12.2024 vorgebracht hat – dann jeglicher Edelmetallhandel „tot“ sei, denn die weiteren Nachforschungspflichten beziehen sich nur auf die Lieferanten, bezüglich derer Verdachtsmomente für Unregelmäßigkeiten bestehen. Im Streitfall bestanden – wie ausgeführt – gerade erhebliche objektive Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten bei der NX GmbH, so dass von den Geschäftsführern der Insolvenzschuldnerin die Einholung weitergehender Auskünfte insbesondere zur Herkunft der Edelmetalle vernünftigerweise verlangt werden konnte. Dem sind die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin nicht nachgekommen.

Die vorgenannten Ausführungen zu den Auskünften zur Herkunft der Edelmetalle gelten entsprechend auch für die – wenn auch von der Insolvenzschuldnerin nur vermuteten – ungewöhnlichen Zahlungsmodalitäten der NX GmbH gegenüber ihren Lieferanten (Bezahlung eines Vorlieferanten von in der Regel mehr als 200.000 € bar am späten Abend). Diese Vermutung hätte die Insolvenzschuldnerin bzw. den Geschäftsführer ebenfalls zur Einholung weiterer Auskünfte veranlassen müssen. Auch insoweit hat der Zeuge K sich jedoch mit dem Abblocken seiner Nachfrage nach den Zahlungsmodalitäten durch den Zeugen L abgefunden (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024, Seite 9). Dabei hätten bei einer Antwort weder konkrete geschäftliche Kontakte noch sonstige auf den jeweiligen Lieferanten schließen lassende Angaben gemacht werden müssen, die eine Gefahr für den Bestand des Unternehmens der NX hätten bedeuten können.

Der Senat ist auch davon überzeugt, dass die vorgenannten Ermittlungsmaßnahmen (insbesondere die nähere und kritische Hinterfragung der Herkunft vor allem des Silbergranulats und der ungewöhnlichen Geschäftsabwicklung), die von der Insolvenzschuldnerin vernünftigerweise verlangt werden konnten, dazu geführt hätten, dass, wenn sie eingehalten worden wären, sie nicht an einem Umsatz teilgenommen hätte, der in die auf der vorhergehenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung (bzw. Mehrwertsteuerbetrug) der NX GmbH einbezogen wäre. Von der Insolvenzschuldnerin wurde damit auch nichts verlangt, was unverhältnismäßig war.

 

(4) Die Insolvenzschuldnerin hat im Übrigen die von ihr angeführten „eigenen strengen Regeln“, die sie sich als Sicherheitsmaßnahme zur Überprüfung der Zuverlässigkeit von insbesondere großen Lieferanten selbst gesetzt haben will, bezogen auf die NX GmbH auch tatsächlich nicht insgesamt eingehalten.

Es entspricht – wie bereits oben ausgeführt – nicht den Tatsachen, dass die Insolvenzschuldnerin ihre Lieferanten – wie sie bzw. die Klägerin im Laufe des Verwaltungs- und Klageverfahrens ausgeführt hat – überprüft habe, indem diese monatlich durch die Vorlage der Umsatzsteuer-Voranmeldung bzw. der Bestätigung der Steuerberater über die Abgabe der jeweiligen Umsatzsteuer-Voranmeldung und der darin erklärten Umsätze mit der Insolvenzschuldnerin hätten nachweisen müssen, dass die Umsatzsteuer tatsächlich abgeführt worden sei, und dass für den Fall, dass die Nachweise nicht erbracht worden seien, die Geschäftsbeziehung mit dem jeweiligen Lieferanten unterbrochen bzw. abgebrochen worden sei. Die Insolvenzschuldnerin hat vielmehr trotz der nicht zeitnah nach dem Ablauf der Abgabefristen – insbesondere für die Voranmeldungszeiträume August 2012 und September 2012 – vorliegenden Bestätigungen die Geschäftsbeziehung mit der NX GmbH unvermindert und in erheblichem Umfang fortgeführt.

Die Insolvenzschuldnerin hat zudem auch die fehlende Änderung der Eintragung des Unternehmensgegenstands im Handelsregister – wie ebenfalls bereits oben dargelegt – nicht weiter hinterfragt. Die bloße Vorlage eines Handelsregisterauszugs, aus dem aber eine völlig andere Geschäftstätigkeit als die des Edelmetallhandels hervorgeht, kann nicht als vertrauensbegründend angesehen werden und entspricht nicht den eigenen „strengen Regeln“ der Insolvenzschuldnerin.

Auch der Umstand, dass die Insolvenzschuldnerin mit Schreiben vom 22.08.2012 eine Anfrage bei dem für die NX GmbH zuständigen Finanzamt C gerichtet hat, führt nicht zu ihrer Entlastung. Aus der unterbliebenen Reaktion des Finanzamts C auf dieses Schreiben vom 22.08.2012 kann – entgegen der Auffassung der Klägerin – gerade nicht geschlossen werden, dass es bei der NX GmbH keine steuerlichen Unregelmäßigkeiten gebe.

Ferner hat die Insolvenzschuldnerin trotz der unterbliebenen Reaktion auch erst mit Schreiben vom 25.10.2012 das Finanzamt C an die Beantwortung des Schreibens vom 22.08.2012 erinnert. Das von der Klägerin angeführte Telefonat zwischen einer Mitarbeiterin des Finanzamts C und dem Zeugen K fand, wie sich für den Senat aus der Gesprächsnotiz in den Finanzamtsakten der NX GmbH ergibt, dann auch erst am 30.10.2012 statt. Dazu, dass dieses Telefonat zu einem früheren Zeitpunkt geführt worden sei, machten die Zeugen K (in der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024) und L (in der mündlichen Verhandlung vom 17.03.2025) keine substantiierten Ausführungen. Vor diesem Hintergrund ist auch der Vortrag der Klägerin, dem Zeugen L sei, als keine zeitnahe Antwort auf das Schreiben vom 22.08.2012 durch das Finanzamt C erfolgt sei, mitgeteilt worden, dass ohne die begehrten Auskünfte der Finanzverwaltung die Geschäftsbeziehungen unverzüglich beendet würden, nicht nachvollziehbar bzw. wurde jedenfalls von der Insolvenzschuldnerin nicht in die Tat umgesetzt. Denn ein Kontakt zum Finanzamt – eine „Reaktion“ auf das Schreiben vom 22.08.2012 – erfolgte vielmehr erst mit dem Telefonat am 30.10.2012, mithin mehr als zwei Monate nach Absendung des Schreibens. Eine Beendigung der Geschäftsbeziehung ist in der Zeit bis dahin nicht erfolgt, obwohl der Insolvenzschuldnerin keine Auskünfte der Finanzverwaltung vorlagen; die Geschäftsbeziehung beendete die Insolvenzschuldnerin erst mit Schreiben vom 14.12.2012. Auch insoweit hat sie ihre eigenen „strengen Regeln“ nicht eingehalten.

Die Insolvenzschuldnerin kann sich mit dem Hinweis auf die Beendigung der Geschäftsbeziehung am 14.12.2012 auch nicht nachträglich entlasten. Der von der Insolvenzschuldnerin in dem Kündigungsschreiben vom 14.12.2012 angeführte Grund, dass die am 10.12.2012 abzugebende Bestätigung über die Umsatzsteuer-Voranmeldung nicht vorgelegt worden sei, die NX GmbH es offenbar noch nicht einmal für nötig halte, eine Verzögerung zu entschuldigen und ein derartiges Verhalten mit ihrer Geschäftspolitik nicht vereinbar sei, erscheint dem Senat als bloß vorgeschoben. Denn am Vortag, dem 13.12.2012 nahm die Insolvenzschuldnerin noch eine Lieferung von rund 197 kg Silbergranulat zu einem Preis von ca. 182.000 € brutto an.

Ebenfalls kann der von der Klägerin als ihre Sicherheitsvorkehrung angeführte Umstand, dass Herr H die Räumlichkeiten der F & S GbR, des Büro-Service-Unternehmens, im Oktober 2012 aufgesucht und dort eine Besprechung mit dem Zeugen L stattgefunden habe, nicht als vertrauensbegründend insbesondere für die Aufnahme der Geschäftsbeziehungen mit der NX GmbH bewertet werden. Denn der Besuch fand frühestens im Oktober 2012 statt. Dies schließt der Senat zum einen aus der Rechnung der F & S GbR vom 31.10.2012 für den Monat Oktober 2012, in der auch die Anmietung eines Raums für eine halbe Stunde in Rechnung gestellt wurde. Zum anderen führte Herr H selbst in seiner im gerichtlichen AdV-Verfahren wegen der Arrestanordnung (15 V 3684/13) abgegebenen Erklärung „ASt 6“ aus, dass die Besprechung im Oktober/November stattgefunden habe. Der Besuch fand mithin zu einem Zeitpunkt statt, als bereits – wie oben dargelegt – Edelmetalle in beträchtlichen Mengen und Umsätze in Millionenhöhe getätigt waren. Außerdem spricht eine Besprechung in den Räumlichkeiten eines Büroservice-Unternehmens nicht gerade dafür, dass dort ein für Beständigkeit bürgendes Unternehmen beherbergt wird.

Die Klägerin kann sich auch nicht darauf zurückziehen, dass der Beklagte am 18.09.2012 eine Umsatzsteuer-Nachschau bei der Insolvenzschuldnerin durchgeführt hat, denn im Rahmen der Nachschau sind dem Prüfer schon keine Unterlagen zu den Geschäften mit der NX GmbH vorgelegt worden.

 

(5) Nach alledem ist der Senat unter Einbeziehung sämtlicher vorgenannter Umstände auch davon überzeugt, dass die Insolvenzschuldnerin von Beginn der Geschäftsbeziehung mit der NX GmbH an lediglich bemüht war, eine „formelle Fassade“ aufzubauen, insbesondere durch den Entwurf des Merkblatts, das ausführliche Kundendatenblatt sowie dem Einfordern von sog. Eigentumserklärungen. Gleichwohl ist festzustellen, dass die Insolvenzschuldnerin bereits im August/September nicht sämtliche Unterlagen für diese „formelle Fassade“ eingefordert hatte. Spätestens im Oktober 2012 muss sie auch erkannt haben, dass die ihr bis dahin vorgelegten Unterlagen nicht ausreichten, um die „formelle Fassade“ zu belegen. Denn sie forderte erst zu diesem Zeitpunkt von der BF-GmbH die Bestätigung über die Umsatzsteuer-Voranmeldung der NX GmbH für August 2012, dem ersten Monat der Handelsbeziehungen, an. Diese Bestätigung für den Voranmeldungszeitraum August 2012, die erste Umsatzteuer-Voranmeldung, die die Geschäftsbeziehung zwischen der NX GmbH und der Insolvenzschuldnerin hat betreffen können, ist bei der Insolvenzschuldnerin am 23.10.2012 eingegangen. Auch weitere Unterlagen wurden erst im Oktober 2012 eingefordert. So erinnerte die Insolvenzschuldnerin – wie ausgeführt – erst mit Schreiben vom 25.10.2012 an die ausstehende Antwort des Finanzamts C auf ihr Schreiben vom 22.08.2012. Kurz darauf, spätestens am 30.10.2012 forderte sie von dem Zeugen L erneut eine Bestätigung des Finanzamts an, in der bestätigt werde, dass die NX GmbH umsatzsteuerlicher Unternehmer im Sinne des § 2 UStG sei. Die Aussage des Zeugen K in der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2024 bestätigt diesen Ablauf. Danach meldete sich der Zeuge L telefonisch bei ihm und berichtete, dass er im Finanzamt sei, dort aber keine Unbedenklichkeitsbescheinigung erhalten habe. Der Zeuge K habe ihm daraufhin mitgeteilt, dass ohne eine solche Bestätigung sie keinen Handel mit ihm treiben könnten. Im Anschluss sei es zu einem Gespräch mit einer Mitarbeiterin des Finanzamts gekommen, das – wie ausgeführt – am 30.10.2012 stattfand. Ebenso fand der Besprechungstermin im Oktober 2012 statt und auch das von der Insolvenzschuldnerin eingeholte Gutachten datiert vom 22.10.2012.

Aber auch die von der Insolvenzschuldnerin im weiteren Verlauf eingeholten Unterlagen und Informationen sind nicht geeignet, das unterlassene (weitere) Auskunftsverlangen u.a. bezogen auf die Herkunft der Edelmetalle gegenüber der NX GmbH zu ersetzen. Diese sind zudem inhaltlich nicht ausreichend, um die objektiven Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten zu entkräften. Trotz der fortbestehenden Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten auf Seiten der NX GmbH unterließ es die Insolvenzschuldnerin auch im Oktober und danach, weitergehende Auskünfte zur Herkunft der gehandelten Edelmetalle, insbesondere zu dem weiterhin in erheblichem Umfang gehandelten Silbergranulat einzuholen; im November erwarb die Insolvenzschuldnerin von der NX GmbH ca. 880 kg Silbergranulat zu einem Preis von ca. 830.000 € brutto. Ebenso blieb eine Aufklärung hinsichtlich der weiterhin gleichen und ungewöhnlichen Geschäftsabwicklung durch die NX GmbH aus, obwohl ein solches Auskunftsverlangen unter Berücksichtigung der bestehenden Verdachtsmomente noch immer naheliegend und geboten gewesen wäre. Der Senat verweist insoweit auf die obigen Ausführungen unter II. 2. c. bb. (2).

 

(6) Den weiteren von der Klägerin gestellten Beweisanträgen war nicht nachzugehen.

Ein zulässiger Beweisantrag setzt voraus, dass er hinreichend substantiiert ist. Dazu bedarf es der genauen Angabe des Beweisthemas und des voraussichtlichen Ergebnisses der Beweisaufnahme in Bezug auf einzelne konkrete Tatsachen. Beweisermittlungs- und Beweisausforschungsanträge, die so unbestimmt sind, dass im Grunde erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken soll, brauchen dem Gericht eine Beweisaufnahme dagegen nicht nahezulegen (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 23.10.2014 V R 23/13, BFHE 247, 480, BStBl II 2015, 313). Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das angebotene Beweismittel für die zu treffende Entscheidung untauglich ist, wenn es auf die Beweistatsache unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Finanzgerichts nicht ankommt oder wenn die Beweistatsache als wahr unterstellt wird.

Die von der Klägerin in den gestellten Beweisanträgen genannten Beweistatsachen sind für die Entscheidung des Senats unerheblich bzw. können als wahr unterstellt werden.

Dies gilt insbesondere für die Anträge auf Vernehmung des Herrn T T als Zeugen (vgl. Schreiben der Klägerin vom 24.02.2025, Gerichtsakte - Bl. 1090). Die angegebenen Beweistatsachen sind nicht entscheidungserheblich; vor allem die zu den Beweisanträgen zu 3. und 4. betreffen schon nicht das Streitjahr 2012, da Herr T T erst im Jahr 2013 Edelmetallgeschäfte mit der Insolvenzschuldnerin getätigt hat.

Hinsichtlich des Herrn J L, dessen Vernehmung als Zeuge ebenfalls beantragt wurde (vgl. Schreiben der Klägerin vom 24.02.2025, Gerichtsakte Bl. 1090), werden die unter Beweis gestellten Tatsachen als wahr unterstellt.

Der Antrag auf Beiziehung einer etwaig existierenden Ermittlungsakte gegen den Zeugen U (vgl. Schreiben der Klägerin vom 24.02.2025 – Gerichtsakte Bl. 1090 – sowie vom 29.11.2021 – Gerichtsakte Bl. 683 –), war ebenfalls abzulehnen. Die Klägerin hat weder substantiiert vorgetragen, dass ein entsprechendes Ermittlungsverfahren tatsächlich anhängig ist oder war, noch war für den Senat sonst ersichtlich, dass eine entsprechende Ermittlungsakte überhaupt existiert. Der Zeuge U hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 17.03.2025 auf entsprechende Nachfrage, ob gegen ihn ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der Insolvenzschuldnerin, mit deren Lieferanten NX GmbH oder mit deren Kunden UCN GmbH anhängig ist oder war, dies auch verneint.

Auch den Anträgen auf Beiziehung der Verfahrens- und Strafakten zur UCN GmbH und zur B GmbH (vgl. Schreiben der Klägerin vom 24.02.2025 - Gerichtsakte Bl. 1090 -, vom 10.11.2022 - Gerichtsakte, Bl. 747, sowie vom 29.11.2021 - Gerichtsakte, Bl. 684) war nicht zu folgen. Diese Akten betreffen nicht die im Streitfall relevante „Eingangsseite“ der Insolvenzschuldnerin. Die UCN GmbH war die Abnehmerin der Insolvenzschuldnerin und die B GmbH nach Aktenlage die Abnehmerin der UCN GmbH. Damit betreffen die Akten der UCN GmbH die „Eingangsseite“ der UCN GmbH und damit zugleich die hier nicht streitbefangenen Ausgangsumsätze der Insolvenzschuldnerin, während die Akten der B GmbH lediglich die „Ausgangsseite“ der UCN GmbH betreffen und keine direkte Berührung zur Insolvenzschuldnerin besteht. Eine Geschäftsbeziehung zwischen der Insolvenzschuldnerin und der B GmbH bestand im Streitjahr 2012 nicht und selbst wenn dies so wäre, wäre dies auch unerheblich, da insoweit wiederum nur die Ausgangsumsätze der Insolvenzschuldnerin betroffen wären.

Soweit die Beweisanträge sich darauf beziehen, dass ein seriöser Markt für den Handel mit Silbergranulat existiert, wird diese Tatsache als wahr unterstellt. Dies hat aber keinen Einfluss auf die Feststellungen im konkreten Streitfall. Im Übrigen fehlt es den entsprechenden Anträgen an der erforderlichen Substantiierung bzw. handelt es sich um unzulässige Ausforschungsbeweisanträge. Aus den vorgenannten Gründen war auch dem hilfsweise gestellten Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Existenz eines seriösen Marktes für den Handel mit Silbergranulat – auch im Rahmen eines Reihengeschäfts – bzw. dass ein solcher Markt in dem Veranlagungsjahr 2012 existiert hat (vgl. Schreiben der Klägerin vom 29.11.2021, Gerichtsakte Bl. 685) nicht nachzugehen.

Mangels Entscheidungserheblichkeit war schließlich auch der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass der von der Insolvenzschuldnerin angebotene Ankaufspreis für Silbergranulat im Jahr 2012 in Höhe von 32 € unter KitCo auf dem Edelmetallmarkt angeboten werden konnte, ohne dass innerhalb der Lieferkette ein Umsatzsteuerkarussell vorliegt, mithin der angebotene Ankaufspreis in der Höhe handelsüblich, seriös und realistisch war (vgl. Schreiben vom 14.01.2022, Gerichtsakte Bl. 713) zurückzuweisen.

Der Senat sieht auch sonst keinen Anlass, (weitere) Beweiserhebungen durchzuführen.

cc. Soweit nach nationalem Recht – entgegen der Ausführungen unter bb. – für ein „Wissenmüssen“ der Einbeziehung in eine Umsatzsteuerhinterziehung eine Definition der Verschuldensform für notwendig gehalten werden sollte, setzt dies nach Auffassung des Senats (in Anlehnung an § 122 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) mindestens Fahrlässigkeit voraus. Im Streitfall lässt es der Senat dahinstehen, ob hierbei jeder Grad von Fahrlässigkeit, also auch einfache Fahrlässigkeit ausreicht, wie es das FG Baden-Württemberg (Urteil vom 04.06.2020 1 K 2492/19, EFG 2020, 1805) ausgeführt hat. Denn der Insolvenzschuldnerin, vertreten durch ihre Geschäftsführer, ist grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen.

Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (vgl. § 276 Abs. 2 BGB). Ein Steuerpflichtiger handelt danach im Kontext seiner unternehmerischen Pflichten, um sicherzustellen, nicht in eine umsatzsteuerliche Betrugskette eingebunden zu sein oder eine solche Betrugskette mittelbar zu unterstützen, fahrlässig, wenn er bei gehöriger Aufmerksamkeit und sorgfältigem Handeln die Einbeziehung in eine Mehrwertsteuerhinterziehung hätte erkennen müssen. Grob fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich großem Maße verletzt (vgl. u.a. BFH-Urteile vom 04.05.2004 – VII B 259/03, juris; vom 28.06.1983 – VIII R 37/ 81, BStBl II 1984, 2). Dies bedeutet, dass schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und dass nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten müsste. Es handelt sich um eine schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Dabei wird sowohl ein objektiv grober Pflichtverstoß als auch ein subjektiv unentschuldbares Fehlverhalten vorausgesetzt (vgl. u.a. BFH-Urteile vom 10.02.2015 – IX R 18/14, BFH/NV 2015, 1120; vom 23.09.2008 - VII R 27/07, BFH/NV 2009, 248).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe handelte die Insolvenzschuldnerin, vertreten durch ihre Geschäftsführer, grob fahrlässig. Wie ausgeführt hatte die Geschäftsführung der Insolvenzschuldnerin – bestehend aus zwei Rechtsanwälten – nach Überzeugung des Senats ein erhebliches Problembewusstsein hinsichtlich der im Edelmetallhandel, explizit im Silbergranulathandel, typischen betrügerischen Handlungen; dies gilt insbesondere für Herrn H. Das Wissen der Geschäftsführer war der Insolvenzschuldnerin zuzurechnen. Die oben aufgeführten Gesamtumstände lassen darüber hinaus erkennen, dass die Geschäftsführer die ihnen obliegenden Sorgfaltsanforderungen dabei in einem erheblichen Maße verletzt haben. Soweit die Insolvenzschuldnerin (bzw. im Klageverfahren die Klägerin) sich dahingehend eingelassen hat, die Geschäftsführer hätten die vorgenannten objektiven Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten bei der NX GmbH nicht erkannt, wird dies vom Senat als reine Schutzbehauptung gewertet. Angesichts der offensichtlichen Risiken eines möglichen Einbezugs in eine Umsatzsteuerbetrugskette erscheint das Verhalten der Geschäftsführer dem Senat als Ausdruck einer groben Sorgfaltsverletzung. Dies gilt umso mehr, als es sich bei den Geschäftsführern jeweils mit dem Beruf Rechtsanwalt um rechtskundige Personen handelt, die sich – wie von der Insolvenzschuldnerin bzw. Klägerin auch ausgeführt – Kenntnisse über die Branche angelesen und über potentielle Risiken informiert haben und die in der Person des Herrn H auch über das konkrete Steuerstrafverfahren gegen Herrn T in diesem Kontext informiert waren. Hinzu kommt, dass gravierende Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten der NX GmbH vorlagen, die nicht unbemerkt bleiben konnten und vor denen die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin zur Überzeugung des Senats die Augen verschlossen haben.

Dass der als Zeuge benannte Herr J L als ihr steuerlicher Berater – vom Senat insoweit als wahr unterstellt – den Geschäftsführern ein Konzept zur Vermeidung einer Beteiligung an einem Umsatzsteuerkarussell unterbreitete und dieses mit ihnen gemeinsam entwickelte, die Geschäftsführer sich rückversicherten und dieser den Geschäftsführern bestätigte, dass das von ihnen geplante und umgesetzte Geschäftsmodell sinnvoll ist, die geplante und umgesetzte Kaufabwicklung unbedenklich sei, die verfolgten Sicherungsmaßnahmen ausreichend seien und die Geschäftsführer sämtliche Vorsichtsmaßnahmen getroffen hätten, um nicht an einem Umsatzsteuerkarussell beteiligt zu sein und sich ihre Geschäftsführer bei ihm durch weitere entsprechende Rückfragen abgesichert haben, vermag dies die Geschäftsführer nicht zu entlasten. Denn zum einen wurden – wie ausgeführt – die von der Insolvenzschuldnerin aufgestellten „strengen Regeln“, die sie sich als Sicherheitsmaßnahme zur Überprüfung der Zuverlässigkeit von insbesondere großen Lieferanten gesetzt haben will, bezogen auf die NX GmbH tatsächlich nicht insgesamt eingehalten. Zum anderen wäre – unterstellt, Herr J L hat auf eine entsprechende Rückfrage den Geschäftsführern bestätigt, sie hätten alles Erforderliche getan – eine unzutreffende Auskunft durch den steuerlichen Berater gegeben worden, die der Insolvenzschuldnerin zuzurechnen ist. Eine Berufung auf eine solche fehlerhafte Information kann die grobe Fahrlässigkeit der Insolvenzschuldnerin, vertreten durch ihre Geschäftsführer, nicht entkräften. Dies gilt vor alledem, da die tatsächlichen Umstände – wie dargelegt – für einen durchschnittlichen Kaufmann erkennbar und evident für ein Abstandnehmen von der Geschäftsbeziehung mit der NX GmbH sprachen.

 

dd. Der Beklagte hat den von der Insolvenzschuldnerin geltend gemachten Vorsteuerabzug aus den streitbefangenen Gutschriften auch zu Recht vollumfänglich versagt. Die Versagung ist betragsmäßig nicht auf einen durch die Hinterziehung entstandenen Steuerschaden des Fiskus begrenzt (EuGH-Urteil vom 24.11.2022 - C-596/21, Finanzamt M, BFH/NV 2023, 253; Urteil des FG Nürnberg vom 18.04.2023 2 K 345/20, EFG 2023, 1182).

 

II. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Nach § 143 Abs. 2 FGO umfasst die Kostenentscheidung auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

 

III. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zugelassen.

 

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