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Steuerrecht
29.08.2012
Steuerrecht
FG Sachsen: Verschmelzung von Genossenschaften – Verlust der wirtschaftlichen Identität

FG Sachsen, Urteil  vom 22.09.2011 - Aktenzeichen 1 K 934/07
Redaktionelle Leitsätze: 1. § 8 Abs. 4 KStG 1999 gilt für Körperschaften und damit auch für Genossenschaften. Bei der Übertragung von Genossenschaftsanteilen geht die wirtschaftliche Identität der Genossenschaft verloren, wenn durch die Anteilsübertragung das gleiche wirtschaftliche Ergebnis erreicht wird wie bei der Übertragung der Mehrheit der Anteile an einer Kapitalgesellschaft. 2. Bei der Verschmelzung einer Genossenschaft auf eine andere Genossenschaft tritt ein Verlust der wirtschaftlichen Identität nicht ein - und ist § 8 Abs. 4 KStG 1999 nicht anwendbar -, wenn die Zahl der neuen Mitglieder die Zahl der Altmitglieder nicht übersteigt und wenn die neuen Mitglieder nicht in der Lage sind, Beschlüsse gegen den Willen der Altmitglieder zu fassen.
  Redaktionelle Normenkette: KStG 1999 § 8 Abs. 4 S. 1; KStG 1999 § 8 Abs. 4 S. 2; GenG § 43 Abs. 3; GewStG 1999 § 10a S. 1; GewStG 1999 § 10a S. 2;
Tatbestand: 
Die Beteiligten streiten darüber, ob nach einer Verschmelzung ein Verlustabzug und ein vortragsfähiger Gewerbeverlust, die gegenüber der Klägerin festgestellt worden sind, berücksichtigt werden können. 
Mit Vertrag vom xxxxxxx wurde die frühere A. eG (übertragende Gesellschaft) mit Wirkung zum 1. Januar 1999 auf die B. eG (übernehmende Gesellschaft = Klägerin) verschmolzen. Die Anzahl der Genossenschaftsmitglieder der Klägerin war höher als die der A. eG, doch hatten die Genossenschaftsmitglieder der A. eG eine höhere Zahl von Genossenschaftsanteilen gezeichnet. Bei Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 1999 blieb ein Verlust in Höhe von xxxxxx DM aus dem Verlustfeststellungsbescheid zum 31. Dezember 1998, bei Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags 1999 und bei Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1999 blieb ein Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 1998 in Höhe von xxxxxxx DM unberücksichtigt, weil das Finanzamt davon ausging, dass die Klägerin mit der Verschmelzung ihre wirtschaftliche Identität im Sinne des § 8 Abs. 4 KStG 1999 verloren habe. 
Entscheidungsgründe 
I. Das Gericht legt den protokollierten Klageantrag dahingehend aus, dass der festgestellte vortragsfähige Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 1998 in voller Höhe bei der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags 1999 vom Gewerbeertrag abgezogen und der danach verbleibende Gewerbeverlust bei der gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1999 berücksichtigt werden soll. Nur dieser Antrag entspricht dem Gesetz (§ 10a S. 1 und 2 GewStG 1999) und wurde im Übrigen in dieser Form in den Schreiben vom 4. Mai und 19. September 2007 gestellt. 
II. Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat durch die Verschmelzung ihre wirtschaftliche Identität i.S. des § 8 Abs. 4 KStG 1999 nicht verloren. 
1. Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1999, für die Ermittlung des Gewerbeertrages i.V.m. § 10a Satz 4 des GewStG 1999, ist Voraussetzung für den Abzug von Verlusten nach § 10d EStG und für die Kürzung des Gewerbeertrages um Fehlbeträge bei einer Körperschaft, dass sie nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. § 8 Abs. 4 KStG 1999 definiert die sog. wirtschaftliche Identität einer Körperschaft nicht, sondern bestimmt in Satz 2 lediglich beispielhaft „insbesondere"), wann eine wirtschaftliche Identität nicht mehr gegeben ist. Nach diesem Satz 2 des § 8 Abs. 4 KStG 1999 fehlt einer Kapitalgesellschaft die wirtschaftliche Identität, wenn mehr als die Hälfte der Geschäftsanteile übertragen werden und die Kapitalgesellschaft den Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen fortführt. Die wirtschaftliche Identität einer Körperschaft als Rechtsperson bestimmt sich damit durch ihren Unternehmensgegenstand, ihr verfügbares Betriebsvermögen und die qualifizierte Änderung der Beteiligungsverhältnisse. 
§ 8 Abs. 4 KStG 1999 gilt auch für Genossenschaften, nachdem sich Satz 1 der Vorschrift auf „Körperschaften" bezieht. Das in Satz 2 für Kapitalgesellschaften beschriebene Beispiel ist Wertungsmaßstab für andere Fälle des Verlustes der wirtschaftlichen Identität. Bei anderen Körperschaften als Kapitalgesellschaften fehlt die wirtschaftliche Identität, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der dem für Kapitalgesellschaften definierten wertungsmäßig vergleichbar ist. Bezogen auf die Übertragung von Genossenschaftsanteilen bedeutet dies, dass eine Fallgestaltung vorliegen muss, bei der das gleiche wirtschaftliche Ergebnis erreicht wird wie bei der Übertragung der Mehrheit der Anteile einer Kapitalgesellschaft (vgl. BMF im Schreiben vom 16. April 1999 IV C 6 - S 2745 - 12/99 Tz. 24: „Der Ausschluss des Verlustabzugs nach § 8 Abs. 4 KStG gilt nicht nur für Kapitalgesellschaften, sondern auch für andere Körperschaften. Die Übertragung von mehr als 50 % der Anteile bezieht sich in diesen Fällen auf die Beteiligungs- und Mitgliedschaftsrechte"). 
2. Das Gericht ist der Auffassung, dass im Streitfall eine solche vergleichbare Fallgestaltung nicht vorliegt. Bei Genossenschaften tritt ein Verlust der wirtschaftlichen Identität im Sinn des § 8 Abs. 4 KStG 1999 nur dann ein, wenn die Zahl der neuen Mitglieder die Zahl der Altmitglieder übersteigt. Dies ist hier nicht der Fall. 
Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999 ist u.a. die Übertragung der „Geschäftsanteile" der betreffenden Kapitalgesellschaft auf eine qualifizierte Mehrheit von neuen Gesellschaftern. Zugrunde liegt dieser Regelung die Vorstellung des Gesetzgebers, dass mit dem Verlust von mehr als der Hälfte der (stimmrechtsvermittelnden) Anteile ein Verlust der wirtschaftlichen Identität einhergeht. Denn dann gehen der Einfluss und die Möglichkeit einer Beschlussfassung innerhalb der Körperschaft auf andere Personen über. Entscheidend ist also, ob der Gesellschafter-/Mitgliedereinfluss nach der Verschmelzung ein anderer ist als zuvor. 
Im Streitfall hat die Klägerin ihre wirtschaftliche Identität mit der Verschmelzung nicht verloren. Denn die Zahl der Neumitglieder anlässlich der Verschmelzung ist geringer als die Zahl der vorhandenen Mitglieder der Klägerin. Damit sind weniger Stimmrechte (Mitgliedschaftsrechte, vgl. hierzu auch BMF-Erlass vom 16. April 1999 Tz. 29, 30) neu ausgegeben worden als vorhanden waren. Die neuen Mitglieder sind nicht in der Lage, Beschlüsse gegen den Willen der Altmitglieder zu fassen. Denn jedes Genossenschaftsmitglied hat - unabhängig von der Zahl der gezeichneten Geschäftsanteile - in der Generalversammlung eine Stimme (§ 43 Abs. 3 Satz 1 Genossenschaftsgesetz). Die Satzung der Klägerin trifft hierzu keine abweichende Regelung. Nach § 26 d Abs. 2 der Satzung hat jedes Mitglied bei der Wahl der Vertreterversammlung eine Stimme. 
Hinzu kommt, dass Genossenschaften nicht kapitalistisch, sondern personalistisch ausgestaltet sind. Zweck einer Genossenschaft ist es, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern (§ 1 Abs. 1 Genossenschaftsgesetz). Die Genossenschaft stellt nicht auf die Erzielung einer Kapitalrendite, sondern auf die persönliche Förderung der Mitglieder ab. Deshalb ist entscheidendes Kriterium die persönliche Mitgliedschaft und nicht die Kapitaleinlage. 
Diese Auffassung wurde im Übrigen auch von der Oberfinanzdirektion im Verfahren eines anderen Steuerpflichtigen vertreten (vgl. Schreiben des Finanzamts vom 4. April 2006, Blatt 71 Gerichtsakte). 
3. 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, weil das Verfahren Rechtsfragen berührt, die von allgemeiner Bedeutung sind. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und den Vollstreckungsschutz beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. 
 

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