FG Köln: Vermeidung von Nachzahlungszinsen
FG Köln, Urteil vom 25.3.2011 - 9 K 1726/10
Sachverhalt
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte verpflichtet ist, gegenüber dem Kläger festgesetzte Nachzahlungszinsen für den Monat Januar 2010 in Höhe von 2.731,25 € wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen.
Der Kläger erhielt im Dezember 2009 Mitteilung darüber, dass ihm aus einer Beteiligungsgesellschaft aufgrund einer dort durchgeführten Betriebsprüfung für die Jahre 2001 bis 2003 nachträgliche Einkommenserhöhungen zugerechnet werden und es daher zu Nachzahlungen zur Einkommensteuer und den entsprechenden Folgesteuern kommen werde.
Um die weitere Entstehung von Nachzahlungszinsen zu begrenzen, zahlte der Kläger nach Hochrechnung der voraussichtlichen Nachzahlungsbeträge am 21.01.2010, beim Beklagten am 25.01.2010 eingegangen, freiwillige Vorauszahlungen auf die Einkommensteuernachzahlung für die Jahre 2001 bis 2003, und zwar für 2001 in Höhe von 365.950 €, für das Jahr 2002 in Höhe von 129.650 € und für das Jahr 2003 in Höhe von 44.640 €, mithin in Höhe von insgesamt 520.240 €.
Mit Datum vom 29.01.2010 änderte der Beklagte die Bescheide zur Einkommensteuer 2001 bis 2003 gemäß § 164 Abs. 2 AO.
Dabei wurden zur Einkommensteuer 2001 Zinsen in Höhe von 151.884,50 € festgesetzt, und zwar von einem Nachzahlungsbetrag in Höhe von 370.450 € für die Zeitdauer vom 01.04.2003 bis zum 01.02.2010, mithin für 82 volle Monate zu 0,5 % = insgesamt 41 %.
Für die Einkommensteuer 2002 wurden Zinsen in Höhe von 48.815 € festgesetzt, und zwar von einem Nachzahlungsbetrag in Höhe von 130.900 € für die Zeitdauer vom 01.04.2004 bis zum 01.02.2010, mithin für 70 Monate zu 0,5 % = 35 %.
Für die Einkommensteuer 2003 wurden Zinsen in Höhe von 13.021 € festgesetzt, und zwar von einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 44.900 € für die Zeitdauer vom 01.04.2005 bis zum 01.02.2010, mithin für 58 volle Monate zu 0,5 % = 29 %.
Am 05.02.2010 beantragte der Kläger die Herabsetzung der Nachzahlungszinsen für die Jahre 2001 bis 2003. Dabei machte er geltend, dass aufgrund seiner freiwilligen Zahlung nach Nr. 70.1.2 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 233 a AO ein Erlass der festgesetzten Nachzahlungszinsen wegen sachlicher Unbilligkeit zu erfolgen habe.
Nach Nr. 70.1.2 AEAO zu § 233 a AO seien Nachzahlungszinsen nur für den Zeitraum bis zum Eingang der freiwilligen Leistung zu erheben. Der Eingang der freiwilligen Leistung sei zum 25.01.2010 erfolgt, die Nachzahlungszinsen seien ausweislich der vorgenannten Bescheide bis zum 01.02.2010 berechnet worden.
Hieraus ergebe sich für die Zinsen zur Einkommensteuer 2001 ein Erlassbetrag in Höhe von 1.852,25 €, für die Zinsen zur Einkommensteuer 2002 ein Erlassbetrag in Höhe von 654,50 € und für die Zinsen zur Einkommensteuer 2003 ein Erlassbetrag in Höhe von 224,05 €. Diese Beträge sind zwischen den Beteiligten rechnerisch unstreitig.
Dieser Erlassantrag des Klägers wurde vom Beklagten mit Bescheid vom 04.03.2010, der ohne Rechtsbehelfsbelehrung erging, abgelehnt. Dabei stellte der Beklagte darauf ab, dass nach Nr. 70.1.2 AEAO zu § 233 a AO ein Erlass bei einer vorzeitigen Zahlung nur für jeweils volle Monate vor Wirksamkeit der Steuerfestsetzung in Betracht komme. Die Beträge in Höhe von 540.240 € sei seitens des Klägers am 25.01.2010 gezahlt worden. Die Steuerfestsetzungen zur Einkommensteuer 2001 bis 2003 im Rahmen der Änderungsbescheide seien am 01.02.1010 wirksam geworden. Damit sei der für einen Erlass relevante Zeitraum kürzer als ein Monat.
Hiergegen legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein, der vom Beklagten mit Einspruchsentscheidung vom 29.04.2010 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Dabei stellte der Beklagte im Wesentlichen darauf ab, dass zwar ausnahmsweise im Falle einer vorzeitig erfolgten und vom Finanzamt angenommenen und behaltenen Zahlung ein Erlass von Nachzahlungszinsen geboten sei. Dies setze allerdings nach den Regelungen in Nr. 70.1.2 AEAO zu § 233 a AO voraus, dass bei einer erst nach Beginn des Zinslaufs erbrachten Leistung ein voller Monat bis zur Wirksamkeit der Steuerfestsetzung erreicht worden sei. Diese Voraussetzung sei aber im Streitfall aus dem im angefochtenen Verwaltungsakt zutreffend erläuterten Gründen nicht erfüllt.
Im Rahmen seiner hiergegen fristgerecht erhobenen Klage macht der Kläger geltend, dass die Finanzverwaltung sich nicht allein auf die Regelungen des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung stützen könne, sondern den ihr eingeräumten Ermessensspielraum unter vollständiger Aufklärung des Sachverhalts und unter Gewichtung der Umstände des Einzelfalles auszuschöpfen habe. Der Anwendungserlass erzeuge insbesondere keine Einengung des Ermessensspielraums der Finanzbehörde. In Einzelfällen könne vielmehr ein taggenauer Erlass von Nachzahlungszinsen gerechtfertigt sein. Ein solcher Einzelfall sei gegeben, wenn Zinsen nur deshalb entstünden, weil einerseits der Eingang der freiwilligen Vorauszahlung zuungunsten des Steuerpflichtigen nur für Zeiträume über einen vollen Monat angerechnet würden, andererseits aber Zinsen nur aufgrund der Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Satz 1 AO durch Aufrundung des Zinsablaufs auf einen vollen Monat entstünden. Eine solche doppelte Pauschalierung zu Lasten des Steuerpflichtigen sei als unbillig anzusehen.
Der Beklagte habe ausweislich der Begründung der Einspruchsentscheidung seine Ermessensentscheidung ohne eine einwandfreie und erschöpfende Ermittlung des Sachverhalts getroffen, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht eingehalten und das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit nicht ausreichend geprüft.
Im Streitfall sei der Erlass der Nachzahlungszinsen wegen sachlicher Unbilligkeit beantragt worden. Sachliche Unbilligkeit liege vor, wenn die Geltendmachung des Anspruchs auf die Verzinsung zwar dem Wortlaut der Vorschrift entspreche, aber nach dem Zweck des zugrundeliegenden Gesetzes nicht zu rechtfertigen sei, vielmehr dessen Wertungen entgegenlaufe. Allerdings dürfe die Billigkeitsprüfung nicht dazu führen, dass die bezweckte Gesetzeswirkung generell und korrigierend unterlaufen werde, der Billigkeitserlass habe Ausnahmecharakter und solle nur in besonders gelagerten Einzelfällen für Steuergerechtigkeit sorgen.
Ein solcher Einzelfall liege im Streitfall vor. Soweit ein Steuerpflichtiger auf die sich aus der Steuerfestsetzung ergebende Forderung bereits vor Wirksamkeit der Steuerfestsetzung freiwillige Leistungen erbringe und die Finanzbehörde diese Leistung annehme und behalte, seien Nachzahlungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen. Dabei würden zur Berechnung der Höhe des Erlasses sogenannte fiktive Erstattungszinsen typisierend für jeden vollen Monat ermittelt, in denen die freiwillige Vorauszahlung durch den Steuerpflichtigen vollzogen worden sei. Bestehe die Vorauszahlung keinen vollen Monat, werde zu Ungunsten des Steuerpflichtigen eine Abrundung der fiktiven Erstattungszinsen auf 0 € vorgenommen.
Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten aber auch Nachzahlungszinsen der Höhe nach nur für volle Monate erhoben werden. Der Steuergläubiger verzichte damit zugunsten einer Vereinfachung bewusst auf eine taggenaue Berechnung.
Am 25.01.2010, dem Tag der freiwilligen Zahlung durch den Kläger, habe der Zinslauf bereits begonnen. Bei einer Zinsfestsetzung an diesem Tag wären die Zinsen für den Monat Januar aber nach § 238 Abs. 1 Satz 2 AO noch mit 0 € festzusetzen gewesen, da ein voller Monat noch nicht erreicht gewesen sei. Durch Anwendung der Zugangsfiktion nach § 122 Abs. 2 AO sei die Festsetzung der am 29.01.2010 erlassenen Einkommensteuerbescheide zum 01.02.2010 wirksam geworden. Damit sei für die festzusetzenden Zinsen im Streitfall erneut eine Aufrundung zuungunsten des Steuerpflichtigen vorgenommen worden.
Es entspreche nicht den Wertungen des Gesetzes, wenn der Beklagte durch die Verrechnung mit fiktiven Erstattungszinsen einerseits die Zeit, in der der Kläger bereits gezahlt habe, auf volle Monate abrunde, andererseits aber gerade dadurch Nachzahlungszinsen für einen vollen Monat entstünden, dass die Wirksamkeit der Steuerfestsetzung auf den nächsten vollen Monat aufgerundet werde, der Nachzahlungstatbestand selber aber gar keinen vollen Monat mehr bestanden habe.
Der Beklagte habe die Ermessensentscheidung über den Erlass im Wesentlichen mit dem Verweis auf die entsprechenden Regelungen des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung begründet und sei auf den Sachverhalt und die Besonderheiten des vorliegenden Falles überhaupt nicht eingegangen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zum Erlass von Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer für die Jahre 2001 bis 2003 in Höhe von insgesamt 2.731,25 € zu verpflichten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.
Der Beklagte hat insoweit auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.
Aus den Gründen
Die Klage ist nicht begründet.
Der Beklagte war im Streitfall nicht aufgrund einer sogenannten Ermessensreduzierung auf Null dazu verpflichtet, die gesamten Nachzahlungszinsen zu erlassen.
Darüberhinaus liegen auch keine Ermessensfehler des Beklagten im Rahmen seiner Entscheidung, einen Erlass der Nachzahlungszinsen für den Monat Januar 2010 abzulehnen, vor.
I. Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des Falles unbillig wäre. Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gehören nach § 37 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 4 auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen wie Zinsen nach den §§ 233 ff. AO.
1. Grundsätzlich ist daher auch der Erlass von Zinsen aus Billigkeitsgründen nach § 227 AO möglich. Eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen kann gegeben sein, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrundeliegenden Gesetzes nicht oder nicht in vollem Umfang zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, rechtfertigen jedoch keinen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen. Ein Erlass aus Billigkeitsgründen darf jedenfalls nicht dazu führen, die generelle Geltungsanordnung eines den Anspruch aus dem Steuerverhältnis begründenden Gesetzes zu unterlaufen (vgl. Fritsch in Pahlke/König, Kommentar zur Abgabeordnung, 2. Auflage 2009, § 227 Rn. 13 mit Nachweisen zur ständigen Rechtsprechung des BFH).
2. Die Entscheidung über den Erlass von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis ist eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde im Sinne des § 5 AO, die gemäß § 102 FGO durch die Finanzgerichte nur eingeschränkt überprüft werden kann. Die gerichtliche Überprüfung einer solchen Ermessensentscheidung und damit auch einer Erlassentscheidung ist nach § 102 FGO darauf beschränkt, ob die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen überhaupt ausgeübt, ob sie bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Dabei kann aber im Einzelfall der Ermessensspielraum der Finanzbehörde so eingeengt sein, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht anzusehen ist; in diesem Fall liegt eine sogenannte Ermessensreduzierung auf Null vor. Ist in einem solchen Fall nur der Erlass eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis ermessensgerecht, kann das Gericht gemäß § 101 Satz 1 FGO die Verpflichtung zu diesem Erlass aussprechen (so die allgemeinen, in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsätze des BFH zur Überprüfung von Ermessensentscheidungen der Finanzbehörden durch die Finanzgerichte, aus neuerer Zeit etwa BFH-Entscheidungen vom 25.08.2010 X B 149/09, BFH/NV 2011, 266; sowie vom 26.08.2010 III R 80/07, BFH/NV 2011, 401).
3. Die Finanzverwaltung kann allerdings für die Ausfüllung der ihr eröffneten Ermessensspielräume im Rahmen sogenannter ermessenslenkender Verwaltungsvorschriften Regeln aufstellen, um damit eine möglichst einheitliche Ermessensausübung sicherzustellen. Hat die Finanzverwaltung solche Ermessensrichtlinien erlassen, so haben die Finanzgerichte grundsätzlich nur zu prüfen, ob sich die Finanzbehörden an diese ermessensausfüllenden Richtlinien gehalten haben und ob diese selbst die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhalten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch machen. Die Finanzverwaltung ist somit in geeigneten Fällen zum Erlass von Verwaltungsvorschriften berechtigt, die das Ermessen der nachgeordneten Finanzbehörden lenken und binden. Dabei müssen diese allgemeinen und grundlegenden Vorgaben für die Ermessensausübung aber stets eine sachgerechte Ermessenausübung gewährleisten und auch Raum für abweichende Ermessensentscheidungen lassen, soweit dies nach den besonderen Umständen des Einzelfalles geboten ist (vgl. BFH-Urteile vom 24.11.2005 V R 37/04, BStBl. II 2006, 466 und vom 11.04.2006 VI R 64/02, BStBl. II 2006, 642).
II. Die Finanzverwaltung hat für den Fall freiwilliger Zahlungen auf Steuernachforderungen vor deren Festsetzung im Rahmen des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung allgemeine ermessenslenkende Regeln aufgestellt, wie sich der Umstand einer solchen vorzeitigen Zahlung vor Steuerfestsetzung auf die Festsetzung von Nachzahlungszinsen bzw. auf die Entscheidung über den Erlass solcher Zinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen auswirkt.
1. Danach sind gemäß Nr. 70.1.1 AEAO zu § 233 a AO Nachzahlungszinsen zwar auch dann festzusetzen, wenn vor Festsetzung der Steuer freiwillige Leistungen erbracht werden. Diese sind jedoch aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, soweit der Steuerpflichtige auf die sich aus der Steuerfestsetzung ergebende Steuerzahlungsforderung bereits vor Wirksamkeit der Steuerfestsetzung freiwillige Leistungen erbracht und das Finanzamt diese Leistung angenommen und behalten hat. Nachzahlungszinsen sind damit nach Nr. 70.1.2 Satz 1 AEAO zu § 233 a AO nur für den Zeitraum bis zum Eingang der freiwilligen Leistung zu erheben.
Zugleich sieht jedoch Nr. 70.1.2 Satz 2 AEAO zu § 233 a AO vor, dass, soweit die freiwillige Leistung erst nach Beginn des Zinslaufs erbracht worden ist, Nachzahlungszinsen aus Vereinfachungsgründen insoweit zu erlassen sind, wie die freiwillige Leistung für jeweils volle Monate vor Wirksamkeit der Steuerfestsetzung erbracht worden ist (sogenannte fiktive Erstattungszinsen).
Aus dieser Regelung des Anwendungserlasses folgt mithin, dass die Finanzverwaltung hinsichtlich des Erlasses von Nachzahlungszinsen eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift des Inhalts geschaffen hat, dass der Erlass von Nachzahlungszinsen bei einer Zahlung nach Beginn des Zinslaufs, aber vor Steuerfestsetzung nur für jeweils volle Monate zwischen der freiwilligen Zahlung und dem Wirksamwerden der Steuerfestsetzung in Betracht kommt
Dieser Ermessensvorgabe wird die Entscheidung des Beklagten, die entstanden Nachzahlungszinsen für den Monat Januar nicht zu erlassen, in vollem Umfang gerecht. Denn zwischen der freiwilligen Zahlung des Klägers am 25.01.2010 und dem Ende des Zinslaufs durch Zugang der Einkommensteueränderungsbescheide am 01.02.2010 liegt kein voller Monat. Der Beklagte hat sich daher an die für ihn verbindliche Ermessensrichtlinie gehalten und im Rahmen seiner Ermessensentscheidung das Vorliegen von deren Voraussetzungen eingehend dargelegt. Eine weitergehende Begründung seiner Ermessensentscheidung oblag ihm dagegen nicht.
2. Die ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift der Nr. 70.1.2 Satz 2 AEAO zu § 233 a AO gewährleistet eine sachgerechte Ermessensausübung durch die nachgeordneten Finanzbehörden, wahrt dabei auch selbst die gesetzlichen Grenzen des Ermessens und macht von dem gesetzlich eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch. Insbesondere bewirkt die Ermessensrichtlinie auch keine planmäßige und damit ermessensfehlerhafte Benachteiligung der Steuerpflichtigen.
Denn zunächst einmal kann diese Regelung immer nur dazu führen, dass allenfalls für einen Monat mehr Nachzahlungszinsen erhoben als erlassen werden. Denn endet der Zinslauf in demselben Monat, in dem auch die freiwillige Zahlung erfolgte, so entstehen für diesen Monat nach § 238 Abs. 1 Satz 2 AO keine Nachzahlungszinsen. Nur wenn der Zinslauf in einem Folgemonat endet und die Zeitdauer zwischen der freiwilligen Zahlung und diesem zeitlichen Ende des Zinslaufs weniger als einen vollen Monat beträgt, kann es zu einem Auseinanderfallen von festzusetzenden und zu erlassenden Nachzahlungszinsen kommen. Allerdings muss dabei auch berücksichtigt werden, dass je kürzer der Zeitraum zwischen der freiwilligen Zahlung und dem Ende des Zinslaufs im Folgemonat ausfällt, umso größer der dem Steuerpflichtigen verbliebene Liquiditätsvorteil sein dürfte. Auf den Streitfall projiziert ist also zu berücksichtigen, dass angesichts der Zahlung am 25.01.2010 der Kläger noch in erheblichem Umfang im Januar 2010 über die freiwillig gezahlte Steuernachforderung verfügen konnte, sodass die Erhebung von Nachzahlungszinsen für den Monat Januar 2010 jedenfalls bei taggenauer Betrachtung in ganz überwiegendem Umfang (zu mehr als 80 %) gerechtfertigt ist.
Soweit daher mit den gesetzlichen Regelungen über die Verzinsung von Steuernachforderungen nach §§ 233 ff. AO ein Liquiditätsvorteil aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen abgeschöpft werden soll, so rechtfertigt jedenfalls dieser Gesetzeszweck im Streitfall die getroffene Ermessensentscheidung. Denn der Eingang einer freiwilligen Zahlung erst 5 Tage bevor ein weiterer voller Monat abgeschlossen ist und entsprechende Nachzahlungszinsen zur Entstehung bringt, bedeutet nämlich zugleich, dass über 25 Tage hinweg für den Steuerpflichtigen ein Liquiditätsvorteil bestand, dessen Abschöpfung weder unbillig noch unverhältnismäßig ist. Und auch der Umstand, dass diese Abschöpfung des Vorteils nicht auf einen taggenauen Anteil von 25/30 der Zinsen für einen Monat begrenzt wird, ist nicht zu beanstanden. Das Gericht stuft jedenfalls die wirtschaftliche und finanzielle Belastung des Steuerpflichtigen mit Nachzahlungszinsen von 0,5 % für einen Monat als zumindest derart überschaubar ein, dass von einem Verstoß gegen Verhältnismäßigkeitsmaßstäbe oder Grundsätze des Verbots der Übermaßbelastung nicht ernsthaft gesprochen werden kann. Dies umso mehr, wenn der Steuerpflichtige über 25 Tage dieses Monats hinweg noch über den Steuernachforderungsbetrag verfügen konnte.
3. Die Ermessensvorgabe der Nr. 70.1.2 Satz 2 AEAO zu § 233 a AO verstößt aber auch nicht gegen die grundlegenden in den §§ 233 a Abs. 2, 238 Abs. 1 Satz 2 AO zum Ausdruck gekommen gesetzgeberischen Wertungen zur Dauer des Zinslaufes, wonach Nachzahlungszinsen nur für jeweils volle Monate zu erheben sind.
Zwar hat im Streitfall ein Liquiditätsvorteil des Klägers im Monat Januar nur bis zur freiwilligen Zahlung am 25.01.2010 und damit für weniger als einen Monat bestanden, sodass im Ergebnis, wenn man in der Bezahlung der Steuernachforderung einen sachlichen Billigkeitsgrund dafür sieht, den Zinslauf zu begrenzen, im Monat Januar ein voller Monat als Voraussetzung für die Erhebung von Nachzahlungszinsen nicht erreicht wird. Andererseits gilt die Regelung des § 238 Abs. 1 Satz 2 AO auch für Erstattungszinsen. Das heißt, dass auch im Falle eines Erstattungsanspruchs aufgrund von überbezahlten Vorauszahlungen und/oder Steuerabzugsbeträgen im Wege der Lohn- oder Kapitalertragsteuer oder des Zinsabschlags nach der gesetzgeberischen Konzeption des § 238 Abs. 1 Satz 2 AO eine Verzinsung dieser Erstattungsbeträge ebenfalls nur für volle Monate vorzunehmen ist. Wird also etwa eine Steuerfestsetzung mit einem Erstattungsbetrag nach Ablauf der Karenzzeit zum 29. eines Monats wirksam, so braucht der Steuergläubiger diesen ihm entstandenen Liquiditätsvorteil für die Zeitspanne von nahezu einem Monat nicht zu verzinsen, weil der Zinslauf nicht die Zeitdauer eines vollen Monats erreicht. Dies bedeutet aber zugleich, dass bereits nach der gesetzlichen Grundkonzeption der Steuerpflichtige Zinsnachteile jedenfalls in dem Fall hinnehmen muss, in dem ihm ein an sich nach § 233 a AO zu verzinsender Erstattungsanspruch gegen den Steuergläubiger zusteht, dessen Verzinsung jedoch deshalb unterbleibt, weil die Zeitdauer des Zinslaufs keinen vollen Monat beträgt. Muss aber der Steuergläubiger im Falle einer Erstattungsverpflichtung einen ihm nahezu einen Monat verbleibenden Liquiditätsvorteil nicht verzinsen, so widerspricht es gleichfalls nicht grundlegenden gesetzgeberischen Wertungen, wenn sich der Erlass von Nachzahlungszinsen auf die Zeitdauer von vollen Monaten zwischen der freiwilligen Leistung und dem Ende des Zinslaufs beschränkt. Die gesetzlich in § 238 Abs. 1 Satz 2 AO angeordnete wirtschaftliche und finanzielle Belastung durch die unterbleibende Verzinsung eines Erstattungsanspruchs steht insoweit demjenigen Nachteil gleich, den der Steuerpflichtige dadurch erleidet, dass er für einen vollen Monat Nachzahlungszinsen auf einen Steuerbetrag bezahlen muss, den er unter Umständen nur für wenige Tage zur Verfügung hatte und über den der Steuergläubiger sodann ohne Liquiditäts- und Zinsnachteile uneingeschränkt verfügen konnte. Und ebenso stehen diese sowohl vom Erstattungsgläubiger als auch vom freiwillig Leistenden zu tragenden Zinsnachteile denjenigen gleich, die der Steuergläubiger selbst zu tragen hat, soweit sein Steuernachforderungsanspruch keinen vollen Monat des Zinslaufs erreicht.
Die Ermessensvorgabe der Nr. 70.1.2 Satz 2 AEAO zu § 233 a AO gewährleistet daher im Ergebnis eine sachgerechte Ermessensausübung.
4. Im Streitfall sind auch keine besonderen Umstände ersichtlich, die es erforderlich machen würden, von den ermessensregelnden Vorgaben des Anwendungserlasses abzuweichen.
Der Gesetzgeber hat in den §§ 233 a Abs. 2, 238 Abs. 1 Satz 2 AO eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung im Bereich der Nachzahlungs- und der Erstattungszinsen eine taggenaue Zinsberechnung nicht für geboten erachtet, sondern die monatsweise Berechnung und Berücksichtigung von Erstattungs- und Nachforderungszinsen als gerechtfertigt ansieht. Dem hat sich die Finanzverwaltung für den Bereich des Erlasses von Nachzahlungszinsen wegen vorzeitiger Zahlungen im Rahmen einer Ermessensrichtlinie angeschlossen. Das Gericht vermag nicht zu erkennen, dass die besondere Situation des Erlasses von Nachzahlungszinsen bei freiwilliger Leistung eine abweichende, nämlich taggenaue Betrachtung erfordert, oder gar die Regelung des § 238 Abs. 1 Satz 2 AO hinsichtlich des Entstehens von Nachzahlungszinsen nur für jeweils volle Monate zwingend zu einem vollständigen Erlass aller Nachlasszahlungszinsen führen muss.
Denn wie bereits dargelegt, müssen im Anwendungsbereich des § 238 Abs. 1 Satz 2 AO sowohl Steuergläubiger als auch Steuerpflichtiger Zinsnachteile hinnehmen, sodass die Entstehung vergleichbarer Nachteile beim Erlass von Nachzahlungszinsen keine Korrektur erfordert. Zudem handelt es sich um wirtschaftlich und finanziell überschaubare Nachteile, die zudem noch, je nach dem, zu welchem Zeitpunkt im Monat der Steuerpflichtige seine freiwillige Zahlung erbracht hat, durch entsprechende Liquiditätsvorteile erheblich gemildert werden.
Darüberhinaus hat es der Steuerpflichtige auch selbst in der Hand, durch eine Zahlung vor Ablauf oder zumindest zum Ablauf der Karenzzeit sicherzustellen, dass festzusetzende und zu erlassende Nachzahlungszinsen in ihrem Umfang nicht zu seinem Nachteil voneinander abweichen.
Und auch die Zufälligkeit, dass die Steuerfestsetzungen im Streitfall erst zum 01.02.2010 wirksam geworden sind, stellt keinen Anlass und keine Rechtfertigung dafür dar, im Wege einer Billigkeitsmaßnahme die für Januar 2010 entstandenen Nachzahlungszinsen zu erlassen. Zwar trifft es zu, dass im Falle einer Bekanntgabe der Steuerfestsetzungen noch bis zum 30.01.2010 für den Monat Januar 2010 gemäß § 238 Abs. 1 Satz 2 AO keine Nachzahlungszinsen entstanden wären. Diese Feststellung betrifft aber jeden Fall der Entstehung von Nachzahlungszinsen und steht völlig losgelöst von der Tatsache einer freiwilligen Zahlung. Auch ohne eine solche vorzeitige Zahlung hätte für den Kläger aus Gründen der Begrenzung der Nachzahlungszinsen ein erhebliches Interesse daran bestanden, dass ihm die Steuerfestsetzungen noch im Januar 2010 oder gar noch früher bekannt gegeben werden. Ein spezifischer Zusammenhang mit der vorliegenden Fallkonstellation einer vorzeitigen Zahlung ist hinsichtlich dieser allgemeinen Interessenlage nicht erkennbar.
5. Auch wenn daher im Ergebnis möglicherweise eine taggenaue Berechnung von Nachzahlungszinsen in Fällen der freiwilligen Vorabzahlung allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen eher entgegenzukommen vermag und auch unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten die größere Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz dafür sprechen könnte, in diesen Fällen Nachzahlungszinsen taggenau ab dem Zahlungszeitpunkt zu erlassen, so führen diese Erwägungen im Streitfall nicht zur Feststellung einer Ermessensreduzierung auf Null. Denn die genannten Gründe der Verwaltungsvereinfachung, die gesamte gesetzgeberische Konzeption im Bereich des § 238 Abs. 1 Satz 2 AO, die begrenzte Anzahl der Fallkonstellationen, in denen die Problematik akut wird sowie insbesondere die überschaubaren nachteiligen wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen verdeutlichen, dass die Ermessensregelung der Nr. 70.1.2 Satz 2 AEAO zu § 233 a AO zumindest vertretbar ist.
6. Da im Streitfall auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass dem Beklagten im Rahmen seiner Ermessensentscheidung ein Ermessensfehler, etwa in Gestalt eines Ermessensnichtgebrauchs, eines Ermessensfehlgebrauchs oder einer Ermessensüberschreitung, unterlaufen ist, ist die Klage insgesamt unbegründet.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
IV. Das Gericht lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu, da die Klägerin mit beachtlichen Argumenten die Rechtmäßigkeit der ermessensregelnden Verwaltungsvorschrift der Nr. 70.1.2 Satz 2 AEAO zu § 233 a AO
angreift, zu dieser Frage bislang nur Entscheidungen von Finanzgerichten mit unterschiedlichen Ergebnissen vorliegen (vgl. Urteile des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 24.04.2002 2 K 651/00, EFG 2003, 135 sowie vom 18.06.2002 6 K 449/00, EFG 2003, 17; des Finanzgerichts München vom 21.05.2003 10 K 1892/00, EFG 2003, 1512 sowie des Finanzgerichts Nürnberg vom 21.01.2004 III 30/2002, n.v.) und daher eine klärende höchstrichterliche Stellungnahme erforderlich erscheint.