EuGH: Verlegung des steuerlichen Wohnsitzes in die Schweiz – Regelung eines Mitgliedstaats, die in einem solchen Fall die Besteuerung der nicht realisierten Wertzuwächse von Gesellschaftsanteilen vorsieht
GA Wathelet, Schlussanträge vom 27.9.2018 – C-581/17, Wächtler gegen Finanzamt Konstanz
ECLI:EU:C:2018:779
Volltext: BB-ONLINE BBL2018-2389-1
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I. Einleitung
1. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des am 21. Juni 1999 in Luxemburg unterzeichneten und am 1. Juni 2002 in Kraft getretenen Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit(2) (im Folgenden: FZA).
2. Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Martin Wächtler und dem Finanzamt Konstanz (im Folgenden: Finanzamt) wegen dessen Entscheidung, anlässlich der Verlegung des Wohnsitzes von Herrn Wächtler von Deutschland in die Schweiz den nicht realisierten Wertzuwachs der Beteiligung zu besteuern, die er an einer Gesellschaft schweizerischen Rechts hält, deren Geschäftsführer er zugleich ist.
II. Rechtsrahmen
A. FZA
3. Nach dem Wortlaut der Präambel des FZA sind die Vertragsparteien „entschlossen, [die] Freizügigkeit zwischen ihnen auf der Grundlage der in der [Union] geltenden Bestimmungen zu verwirklichen“.
4. Art. 1 des FZA bestimmt:
„Ziel dieses Abkommens zugunsten der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen [Union] und der Schweiz ist folgendes:
a) Einräumung eines Rechts auf Einreise, Aufenthalt, Zugang zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit und Niederlassung als Selbständiger sowie des Rechts auf Verbleib im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien;
… “
5. Nach Art. 4 („Recht auf Aufenthalt und Zugang zu einer Erwerbstätigkeit“) des FZA wird das Recht auf Aufenthalt und Zugang zu einer Erwerbstätigkeit … nach Maßgabe des Anhangs I eingeräumt.
6. Art. 16 („Bezugnahme auf das [Unions]recht“) des FZA sieht vor:
„1. Zur Erreichung der Ziele dieses Abkommens treffen die Vertragsparteien alle erforderlichen Maßnahmen, damit in ihren Beziehungen gleichwertige Rechte und Pflichten wie in den Rechtsakten der [Union], auf die Bezug genommen wird, Anwendung finden.
2. Soweit für die Anwendung dieses Abkommens Begriffe des [Union]srechts herangezogen werden, wird hierfür die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen [Union] vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung berücksichtigt. Über die Rechtsprechung nach dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens wird die Schweiz unterrichtet. Um das ordnungsgemäße Funktionieren dieses Abkommens sicherzustellen, stellt der Gemischte Ausschuss auf Antrag einer Vertragspartei die Auswirkungen dieser Rechtsprechung fest.“
7. Art. 21 („Beziehung zu den bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen“) des FZA sieht in den Abs. 2 und 3 vor:
„2. Keine Bestimmung dieses Abkommens ist so auszulegen, dass sie die Vertragsparteien daran hindert, bei der Anwendung ihrer Steuervorschriften eine Unterscheidung zwischen Steuerpflichtigen zu machen, die sich – insbesondere hinsichtlich ihres Wohnsitzes – nicht in vergleichbaren Situationen befinden.
3. Keine Bestimmung dieses Abkommens hindert die Vertragsparteien daran, Maßnahmen zu beschließen oder anzuwenden, um nach Maßgabe der Bestimmungen der nationalen Steuergesetzgebung einer Vertragspartei oder der zwischen der Schweiz einerseits und einem oder mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen [Union] andererseits geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen oder sonstiger steuerrechtlicher Vereinbarungen die Besteuerung sowie die Zahlung und die tatsächliche Erhebung der Steuern zu gewährleisten oder die Steuerflucht zu verhindern.“
8. Anhang I des FZA ist der Freizügigkeit gewidmet.
9. Art. 2 („Aufenthalt und Erwerbstätigkeit“) dieses Anhangs bestimmt:
„1. Unbeschadet der für die Übergangszeit gemäß Artikel 10 dieses Abkommens und Kapitel VII dieses Anhangs geltenden Bestimmungen haben die Staatsangehörigen einer Vertragspartei das Recht, sich nach Maßgabe der Kapitel II bis IV im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufzuhalten und dort eine Erwerbstätigkeit auszuüben. …“
10. Art. 9 („Gleichbehandlung“) des Anhangs I des FZA sieht in Abs. 2 vor:
„Ein Arbeitnehmer und seine … Familienangehörigen genießen dort die gleichen steuerlichen und sozialen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen.“
11. Kapitel III des Anhangs I des FZA, das den Selbständigen gewidmet ist, enthält die Art. 12 bis 16 dieses Anhangs. Art. 12 („Aufenthaltsregelung“) dieses Anhangs lautet wie folgt:
„1. Ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei, der sich zwecks Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei niederlassen will (im folgenden ‚Selbständiger‘ genannt), erhält eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Gültigkeitsdauer von mindestens fünf Jahren, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Erteilung, sofern er den zuständigen nationalen Behörden nachweist, dass er zu diesem Zweck niedergelassen ist oder sich niederlassen will.
… “
12. Art. 15 („Gleichbehandlung“) des Anhangs I des FZA bestimmt:
„1. Dem Selbständigen wird im Aufnahmestaat hinsichtlich des Zugangs zu einer selbständigen Erwerbstätigkeit und deren Ausübung eine Behandlung gewährt, die nicht weniger günstig ist als die den eigenen Staatsangehörigen gewährte Behandlung.
2. Artikel 9 dieses Anhangs gilt sinngemäß für die in diesem Kapitel genannten Selbständigen.“
B. Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
13. Am 11. August 1971 schlossen die Schweizerische Eidgenossenschaft und die Bundesrepublik Deutschland ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (im Folgenden: DBA Deutschland/Schweiz)(3).
14. Art. 4 des DBA Deutschland/Schweiz bestimmt:
„(1) Im Sinne dieses Übereinkommens bedeutet der Ausdruck ‚eine in einem Vertragsstaat ansässige Person‘ eine Person, die nach dem in diesem Staat geltenden Recht dort unbeschränkt steuerpflichtig ist.
…“
15. Art. 13 des DBA Deutschland/Schweiz sieht vor:
„(1) Gewinne aus der Veräußerung unbeweglichen Vermögens im Sinne des Artikels 6 Absatz 2 können in dem Vertragstaat besteuert werden, in dem dieses Vermögen liegt.
(2) Gewinne aus der Veräußerung beweglichen Vermögens, das Betriebsvermögen einer Betriebstätte darstellt, die ein Unternehmen eines Vertragstaates in dem anderen Vertragstaat hat, oder das zu einer festen Einrichtung gehört, über die eine in einem Vertragstaat ansässige Person für die Ausübung eines freien Berufes in dem anderen Vertragstaat verfügt, einschließlich derartiger Gewinne, die bei der Veräußerung einer solchen Betriebstätte (allein oder zusammen mit dem übrigen Unternehmen) oder einer solchen festen Einrichtung erzielt werden, können in dem anderen Staat besteuert werden.
…
(3) Gewinne aus der Veräußerung des in den Absätzen 1 und 2 nicht genannten Vermögens können nur in dem Vertragstaat besteuert werden, in dem der Veräußerer ansässig ist.
(4) Ungeachtet des Absatzes 3 können Gewinne aus der vollen oder teilweisen Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung an einer Gesellschaft in dem Vertragstaat besteuert werden, in dem die Gesellschaft ansässig ist, sofern der in dem anderen Vertragstaat ansässige Veräußerer eine natürliche Person ist,
a) die im Laufe der fünf Jahre vor der Veräußerung im Sinne des Artikels 4 im erstgenannten Vertragstaat ansässig war und
b) die in dem anderen Staat für den Veräußerungsgewinn keiner Steuer unterliegt.
Eine wesentliche Beteiligung ist gegeben, wenn der Veräußerer unmittelbar oder mittelbar zu mehr als einem Viertel am Kapital der Gesellschaft beteiligt war.
(5) Besteuert ein Vertragstaat bei Wegzug einer in diesem Staat ansässigen natürlichen Person den Vermögenszuwachs, der auf eine wesentliche Beteiligung an einer in diesem Staat ansässigen Gesellschaft entstanden ist, so wird bei späterer Veräußerung der Beteiligung, wenn der daraus erzielte Gewinn in dem anderen Staat gemäß Absatz 3 besteuert wird, dieser Staat bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns als Anschaffungskosten den Betrag zugrunde legen, den der erstgenannte Staat im Zeitpunkt des Wegzugs als Erlös angenommen hat.“
16. Art. 27 des DBA Deutschland/Schweiz lautet:
„(1) Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten tauschen die Informationen aus, die zur Durchführung dieses Abkommens oder zur Anwendung oder Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts betreffend Steuern jeder Art und Bezeichnung, die für Rechnung der Vertragsstaaten oder ihrer Länder, Kantone, Bezirke, Kreise, Gemeinden oder Gemeindeverbände erhoben werden, voraussichtlich erheblich sind, soweit die diesem Recht entsprechende Besteuerung nicht dem Abkommen widerspricht. Der Informationsaustausch ist durch die Artikel 1 und 2 nicht eingeschränkt.
…
(3) Die Absätze 1 und 2 sind nicht so auszulegen, als verpflichteten sie einen Vertragsstaat,
a) Verwaltungsmaßnahmen durchzuführen, die von den Gesetzen und der Verwaltungspraxis dieses oder des anderen Vertragsstaates abweichen;
b) Informationen zu erteilen, die nach den Gesetzen oder im üblichen Verwaltungsverfahren dieses oder des anderen Vertragsstaates nicht beschafft werden können;
c) Informationen zu erteilen, die ein Handels-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschäftsverfahren preisgeben würden oder deren Erteilung der öffentlichen Ordnung (ordre public) widerspräche.
(4) Ersucht ein Vertragsstaat gemäß diesem Artikel um Informationen, so nutzt der andere Vertragsstaat die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Beschaffung der erbetenen Informationen, selbst wenn er diese Informationen für seine eigenen steuerlichen Zwecke nicht benötigt. Die im vorstehenden Satz enthaltene Verpflichtung unterliegt den Beschränkungen gemäß Absatz 3, wobei diese jedoch in keinem Fall so auszulegen sind, dass ein Vertragsstaat die Erteilung von Informationen nur deshalb ablehnen kann, weil er kein inländisches Interesse an solchen Informationen hat.
(5) Absatz 3 ist in keinem Fall so auszulegen, als könne ein Vertragsstaat die Erteilung von Informationen nur deshalb ablehnen, weil die Informationen sich bei einer Bank, einem sonstigen Finanzinstitut, einem Bevollmächtigten, Vertreter oder Treuhänder befinden oder weil sie sich auf das Eigentum an einer Person beziehen. Ungeachtet des Absatzes 3 oder entgegenstehender Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts verfügen die Steuerbehörden des ersuchten Vertragsstaats, sofern dies für die Erfüllung der Verpflichtungen unter diesem Absatz erforderlich ist, über die Befugnis, die Offenlegung der in diesem Absatz genannten Informationen durchzusetzen.“
C. Deutsches Recht
17. Gemäß § 1 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) (BGBl. 2009 I S. 3366, 3862) sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.
18. § 17 Abs. 1 und 2 EStG lautet:
„(1) Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 Prozent beteiligt war. …
(2) Veräußerungsgewinn im Sinne des Absatzes 1 ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. …“
19. § 6 des Außensteuergesetzes (AStG) sieht vor:
„(1) Bei einer natürlichen Person, die insgesamt mindestens zehn Jahre nach § 1 Abs. 1 [EStG] steuerpflichtig war und deren unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts endet, ist auf Anteile im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 [EStG] im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht § 17 [EStG] auch ohne Veräußerung anzuwenden, wenn im Übrigen für die Anteile zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind.
…
(4) Vorbehaltlich des Absatzes 5 ist die nach Absatz 1 geschuldete Einkommensteuer auf Antrag in regelmäßigen Teilbeträgen für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren seit Eintritt der ersten Fälligkeit gegen Sicherheitsleistung zu stunden, wenn ihre alsbaldige Einziehung mit erheblichen Härten für den Steuerpflichtigen verbunden wäre. Die Stundung ist zu widerrufen, soweit die Anteile während des Stundungszeitraums veräußert werden oder verdeckt in eine Gesellschaft im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 [EStG] eingelegt werden oder einer der Tatbestände des § 17 Abs. 4 [EStG] verwirklicht wird. […]
(5) Ist der Steuerpflichtige im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Staates, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum … anwendbar ist …, und unterliegt er nach der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht in einem dieser Staaten (Zuzugsstaat) einer der deutschen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht, so ist die nach Absatz 1 geschuldete Steuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden. Voraussetzung ist, dass die Amtshilfe und die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung der geschuldeten Steuer zwischen der Bundesrepublik Deutschland und diesem Staat gewährleistet sind. …
Die Stundung ist zu widerrufen,
1. soweit der Steuerpflichtige oder sein Rechtsnachfolger im Sinne des Satzes 3 Nr. 1 Anteile veräußert oder verdeckt in eine Gesellschaft im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 [EStG] einlegt oder einer der Tatbestände des § 17 Abs. 4 [EStG] erfüllt wird;
2. soweit Anteile auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person übergehen, die nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens einer der deutschen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt;
3. soweit in Bezug auf die Anteile eine Entnahme oder ein anderer Vorgang verwirklicht wird, der nach inländischem Recht zum Ansatz des Teilwerts oder des gemeinen Werts führt;
4. wenn für den Steuerpflichtigen oder seinen Rechtsnachfolger im Sinne des Satzes 3 Nr. 1 durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts keine Steuerpflicht nach Satz 1 mehr besteht.“
III. Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
20. Herr Wächtler ist ein deutscher Staatsangehöriger, der gemeinsam mit einem Mitgesellschafter auf dem Gebiet der IT‑Beratung tätig ist. Seit dem 1. Februar 2008 ist er Geschäftsführer der Gesellschaft schweizerischen Rechts MWK-Consulting GmbH, die ihren Sitz in der Schweiz hat und an der er seit ihrer Gründung im Juli 2007 50 % der Gesellschaftsanteile hält.
21. Herr Wächtler wohnte in der Grenzstadt Konstanz (Deutschland), verlegte seinen Wohnsitz aber am 1. März 2011 in die Schweiz, um sich täglich zur Arbeit begeben zu können, ohne die Grenze zu überschreiten. Gemäß § 6 AStG und § 17 EStG führte die Verlegung seines Wohnsitzes in die Schweiz dazu, dass der nicht realisierte Wertzuwachs seiner Beteiligung an der MWK-Consulting der Einkommensteuer unterworfen wurde, obwohl keine Veräußerung dieses Vermögenswerts erfolgte.
22. Im Rahmen des Veranlagungsverfahrens vor dem Finanzamt machte Herr Wächtler geltend, dass diese Besteuerung nicht mit dem FZA in Einklang stehe, das die gegenseitige Niederlassungsfreiheit natürlicher Personen in der Union und in der Schweiz garantiere. Nach seiner Ansicht sei die Besteuerung latenter und somit nicht realisierter Wertzuwächse geeignet, eine natürliche Person davon abzuhalten, ihren Wohnsitz in die Schweiz zu verlegen, zumal mangels einer tatsächlichen Veräußerung seiner Beteiligung an der MWK-Consulting kein Mittelzufluss stattgefunden habe und daher keine Liquidität vorhanden sei, um die Steuerschuld zu begleichen. Außerdem trug er vor, eine derartige Besteuerung des Wertzuwachses ohne Anspruch auf die in § 6 Abs. 5 AStG vorgesehene Stundungsregelung gehe über das hinaus, was zur Vermeidung von Steuerflucht nötig sei.
23. Nach Auffassung des Finanzamts muss der Wertzuwachs in derselben Weise besteuert werden, wenn der deutsche Steuerpflichtige seinen Wohnsitz in einen Mitgliedstaat der Union oder in einen Staat verlegt, auf den das EWR-Abkommen Anwendung findet. Insoweit sehe § 6 Abs. 5 AStG vor, dass die Steuer auf den Wertzuwachs bis zur tatsächlichen Veräußerung der Vermögenswerte zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet werde, vorausgesetzt, dass der neue Wohnsitzstaat Amtshilfe und Unterstützung bei der Beitreibung der geschuldeten Steuer leiste. Mit der Schweiz bestehe aber kein Abkommen zur Unterstützung bei der Beitreibung der Steuer, was die benachteiligende Behandlung von Steuerpflichtigen rechtfertige, die ihren Wohnsitz in diesen Staat verlegten. Schließlich vertrat das Finanzamt die Auffassung, zu einer Doppelbesteuerung werde es nicht kommen, weil die Schweiz die Wertzuwächse nicht besteuere.
24. Herr Wächtler erhob Klage beim Finanzgericht Baden-Württemberg (Deutschland), das Zweifel hegt, ob die in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften mit Art. 21 Abs. 1, den Art. 45 und 49 AEUV sowie mit der Präambel, den Art. 1, 2, 4, 6, 7, 16 und 21 und Anhang I Art. 9 des FZA vereinbar sind.
25. Das Finanzgericht Baden-Württemberg hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Sind die Vorschriften des FZA, insbesondere dessen Präambel sowie die Art. 1, 2, 4, 6, 7, 16 und 21 und Anhang I Art. 9 dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach der, damit kein Besteuerungssubstrat entgeht, latente, noch nicht realisierte Wertsteigerungen von Gesellschaftsrechten (ohne Aufschub) besteuert werden, wenn ein in diesem Staat zunächst unbeschränkt steuerpflichtiger Staatsangehöriger dieses Mitgliedstaats seinen Wohnsitz von diesem Staat in die Schweiz und nicht in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen Staat verlegt, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) Anwendung findet?
IV. Verfahren vor dem Gerichtshof
26. Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 4. Oktober 2017 beim Gerichtshof eingegangen. Herr Wächtler, die deutsche, die spanische, die italienische und die österreichische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.
27. Am 31. Mai 2018 hat der Gerichtshof die Kommission aufgefordert, bis zum 15. Juni 2018 sämtliche Unterlagen der vorbereitenden Arbeiten zum FZA sowie alle sonstigen Elemente der Verhandlungen vorzulegen, denen sich der Inhalt entnehmen lässt, den die Parteien dieses Abkommens dem in Art. 1 Buchst. a FZA verwendeten Begriff „Niederlassung“ verleihen wollten, vor allem nach Ablauf des nach Art. 10 FZA vorgesehenen Übergangszeitraums. Die Kommission ist dieser Aufforderung innerhalb der vom Gerichtshof gesetzten Frist nachgekommen.
28. Am 2. Juli 2018 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, in der Herr Wächtler, die deutsche und die spanische Regierung sowie die Kommission mündliche Erklärungen abgegeben haben.
V. Würdigung
29. Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 1, 2, 4, 6, 7, 16 und 21 sowie Art. 9 des Anhangs I des FZA dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die die Besteuerung (ohne Aufschub) des noch nicht realisierten Wertzuwachses von Gesellschaftsrechten vorsieht, wenn ein in diesem Staat zunächst unbeschränkt steuerpflichtiger Staatsangehöriger dieses Mitgliedstaats seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegt, während die Steuer auf solche Wertzuwächse bei einer Verlegung des Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen Staat, auf den das EWR-Abkommen Anwendung findet, zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet wird, sofern die gegenseitige Amtshilfe und Unterstützung bei der Beitreibung von Steuern zwischen Deutschland und diesem Staat gewährleistet sind.
A. Zusammenfassung der Erklärungen der Parteien
30. Herr Wächtler ist der Ansicht, das FZA gewähre ihm ein Recht auf Niederlassung, das dem vergleichbar sei, das Art. 49 AEUV innerhalb der Union garantiere. Hiervon ausgehend stellt er die Vereinbarkeit der Besteuerung nicht realisierter Wertzuwächse – ohne die Möglichkeit einer Stundung – mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs auf diesem Gebiet in Frage.
31. Auf der gleichen Linie vertritt die Kommission die Auffassung, Herr Wächtler sei ein Selbständiger im Sinne von Art. 12 des Anhangs I des FZA, so dass die ihm gegenüber vorgenommene Besteuerung eine unverhältnismäßige Beschränkung des Niederlassungsrechts darstelle, das diese Bestimmung ihm gewähre.
32. Demgegenüber vertritt die deutsche Regierung, unterstützt durch die spanische und die österreichische Regierung, die Auffassung, das FZA dehne die durch den AEU-Vertrag eingeführte Niederlassungsfreiheit nur teilweise und durch die spezifischen Bestimmungen des FZA begrenzt auf die Beziehungen zwischen der Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft aus.
33. Insoweit ist sie der Ansicht, dass die Gründung und Geschäftsführung eines schweizerischen Unternehmens durch Herrn Wächtler nicht in den Anwendungsbereich des FZA falle, weil es sich dabei nicht um eine selbständige Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 12 Abs. 1 des Anhangs I des FZA handele.
34. Darüber hinaus beeinträchtige die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Besteuerung Herrn Wächtler auch nicht in den Rechten, die ihm das FZA in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer gewähre.
B. Persönlicher Anwendungsbereich des FZA: Ist Herr Wächtler Arbeitnehmer oder Selbständiger?
35. Art. 1 Buchst. a des FZA gewährt den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Union und der Schweiz ein Recht auf Einreise, Aufenthalt, Zugang zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, Niederlassung als Selbständiger sowie das Recht auf Verbleib im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien.
36. Es ist daher zu prüfen, ob Herr Wächtler als Arbeitnehmer oder als Selbständiger in den persönlichen Anwendungsbereich des FZA fällt(4).
37. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts soll seine berufliche Tätigkeit als nichtselbständig einzustufen sein, weil Herr Wächtler als Geschäftsführer seiner Gesellschaft eine Vergütung erhalte.
38. Dieser Prämisse kann ich mich nicht anschließen. Vielmehr bin ich mit der österreichischen Regierung und der Kommission der Auffassung, dass Herr Wächtler sich ungeachtet der von ihm als Gegenleistung für seine Geschäftsführertätigkeit bezogenen Vergütung nicht in einem Unterordnungsverhältnis befindet, das wesentliches Merkmal eines Arbeitsverhältnisses ist(5).
39. Wie sich nämlich aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt, ist Herr Wächtler ein unabhängiger Unternehmer auf dem Gebiet der IT‑Beratung. Der Umstand, dass er sich entschlossen hat, seine wirtschaftliche Tätigkeit durch Gründung einer Gesellschaft zu gestalten, und sich für seine Leistungen als Geschäftsführer dieser Gesellschaft eine Vergütung zahlen lässt, ändert nichts an der Tatsache, dass er zu 50 % an dieser Gesellschaft beteiligt ist und sich dieser gegenüber nicht in einem Unterordnungsverhältnis befindet(6).
40. Außerdem betrifft ihn die im Ausgangsverfahren in Rede stehende deutsche Regelung, auf deren Grundlage das deutsche Finanzamt den Wertzuwachs seiner Beteiligung an der Gesellschaft besteuert hat, nicht in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer, sondern als Anteilseigner dieser Gesellschaft.
41. Gleichwohl soll die Verwaltung von Beteiligungen an einem Unternehmen nach Auffassung der deutschen Regierung, die insoweit von der spanischen und der österreichischen Regierung unterstützt wird, nicht unter den Begriff „selbständige Erwerbstätigkeit“ im Sinne von Art. 12 Abs. 1 des Anhangs I des FZA fallen.
42. Die deutsche Regierung stützt sich insoweit auf die Nrn. 67 bis 71 der Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Picart (C‑355/16, EU:C:2017:610), denen zufolge – auch wenn sich die Gründung und Leitung von Unternehmen, wie aus Art. 49 Abs. 2 AEUV hervorgehe, von selbständigen Erwerbstätigkeiten unterscheide – dem Kontext und dem Zweck des FZA in keiner Weise entnommen werden könne, dass dessen Vertragsparteien dem Begriff „Selbständiger“ eine andere als die gewöhnliche Bedeutung hätten beilegen wollen, nämlich die einer selbständigen Erwerbstätigkeit(7).
43. Diese Argumentation geht meines Erachtens ins Leere, weil es sich bei der Tätigkeit, die Herr Wächtler in der Schweiz ausübt, nicht wie im Fall von Herrn Picart um die Verwaltung von Beteiligungen handelt. Im Gegensatz zu Herrn Christian Picart ist Herr Wächtler kein Investor oder schlichter passiver Anteilseigner, sondern ein selbständiger Unternehmer, dessen wirtschaftliche Tätigkeit darin besteht, über eine Gesellschaft IT‑Beratungsleistungen zu erbringen.
44. Diese Beurteilung wird durch eine Auslegung des FZA bestätigt, die im Einklang mit der in Art. 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge(8) wiedergegebenen Regel des Völkergewohnheitsrechts steht, die die Organe der Union bindet und Bestandteil der Rechtsordnung der Union ist(9). Nach dieser Regel ist ein völkerrechtlicher Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Licht seines Ziels und Zwecks auszulegen(10). Außerdem ist einem Begriff nach dieser Bestimmung eine besondere Bedeutung beizulegen, wenn feststeht, dass dies die Absicht der Parteien war(11).
45. Zwar ist nach Art. 12 Abs. 1 des Anhangs I des FZA als Selbständiger „[e]in Staatsangehöriger einer Vertragspartei [anzusehen], der sich zwecks Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei niederlassen will“; aus der Präambel sowie aus Art. 1 Buchst. a und Art. 16 Abs. 2 des FZA ergibt sich aber, dass dieses Abkommen das Ziel verfolgt, „die Freizügigkeit zugunsten der Staatsangehörigen der Union und denen der Schweizerischen Eidgenossenschaft auf der Grundlage der in der Union geltenden Bestimmungen zu verwirklichen, deren Begriffe im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs ausgelegt werden müssen“(12).
46. Zu Art. 49 AEUV – und vor Unterzeichnung des FZA – hat der Gerichtshof entschieden, dass der Begriff „selbständige Erwerbstätigkeit“ dahin zu verstehen ist, dass er die Tätigkeiten einer natürlichen Person umfasst, die diese als Geschäftsführer einer Gesellschaft ausübt, deren einziger Anteilsinhaber sie ist, oder als Geschäftsführer einer Gesellschaft, an der sie keine Anteile hält(13). Ich sehe keinen Grund, hinsichtlich der Tätigkeiten von Herrn Wächtler, der Geschäftsführer der MWK-Consulting ist und 50 % der Anteile an dieser Gesellschaft hält, von dieser Auslegung abzuweichen.
47. Zudem wäre eine gegenteilige Auslegung, die Herrn Wächtler vom Bedeutungsumfang des Begriffs „Selbständiger“ und somit vom Anwendungsbereich des FZA ausschließen würde, weder mit dem Ziel und Zweck dieses Abkommens vereinbar, noch entspräche sie Treu und Glauben, weil sie dem FZA die praktische Wirksamkeit nehmen würde.
48. Indem das FZA zum einen zwischen Arbeitnehmern(14), Selbständigen(15), Dienstleistungserbringern(16) und Personen unterscheidet, die keine Erwerbstätigkeit ausüben(17), und zum anderen Personen jeweils einer dieser großen Kategorien zuordnet(18), will es nämlich alle Kategorien natürlicher Personen erfassen, denen das Unionsrecht Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit gewährt. Herrn Wächtler die Eigenschaft eines Selbständigen abzusprechen würde bedeuten, ihn von den vier Personenkategorien des FZA auszuschließen.
49. Die von der Kommission auf Anforderung des Gerichtshofs vorgelegten Dokumente zu den Verhandlungen über das FZA bestätigen diese Auslegung.
50. Was die Schweizerische Eidgenossenschaft betrifft, ergibt sich nämlich aus deren Entwurf eines Abkommens vom 21. April 1995, dass dieses auf alle Erwerbstätigkeiten Anwendung finden und den Staatsangehörigen jeder Vertragspartei das Recht zur Ausübung einer solchen Tätigkeit im Gebiet der anderen Vertragspartei einräumen sollte. Diese Erwerbstätigkeiten waren nur in die von Arbeitnehmern und in die von Selbständigen unterteilt, auch wenn der schweizerische Ansatz zu Beginn der Verhandlungen noch detaillierter war und zwischen Saisonarbeitern, Grenzgängern, anderen Arbeitnehmern, Selbständigen, Dienstleistungserbringern und nicht wirtschaftlich Tätigen unterschied, eine Unterscheidung, die die Union lediglich als „Diskussionspunkt“ akzeptierte(19).
51. Für die Union und ihre Mitgliedstaaten hat der Rat am 31. Oktober 1994 ein Verhandlungsmandat für ein bilaterales Abkommen mit der Schweiz im Bereich der Freizügigkeit verabschiedet, in dem angegeben war, dass dieses Abkommen die Anwendung des gesamten gemeinschaftlichen Besitzstands im betreffenden Bereich vorsehen müsse, darunter insbesondere die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und das Niederlassungsrecht.
52. Zwar wurde der Begriff „Erwerbstätigkeit“ [„activité lucrative“] im Lauf der Verhandlungen zunächst durch „unselbständige und selbständige Erwerbstätigkeit“ [„activité économique salariée et non salariée“](20) ersetzt, bis man sich schließlich auf die Begriffe „unselbständige Erwerbstätigkeit“ und „Recht auf … Niederlassung als Selbständiger“ einigte, die in Art. 1 Buchst. a des FZA übernommen wurden.
53. Außerdem wurde die ursprüngliche Definition des Selbständigen als „Staatsangehöriger einer Vertragspartei, der sich zwecks Ausübung einer unabhängigen Erwerbstätigkeit [activité indépendante] im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei niederlassen will“(21), durch „Staatsangehöriger einer Vertragspartei, der sich zwecks Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit [activité non salariée] im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei niederlassen will“ ersetzt(22), die Definition, die schließlich in Art. 12 Abs. 1 des Anhangs I des FZA übernommen wurde.
54. Nach meiner Auffassung zeigen diese Aspekte, dass die Parteien, obwohl sie die Tätigkeit von Selbständigen als selbständige Erwerbstätigkeit definierten, den gemeinsamen Willen hatten, mit Ausnahme der Erbringung von Dienstleistungen jede wirtschaftliche Tätigkeit oder Erwerbstätigkeit einer natürlichen Person zu erfassen, die nicht unter den Begriff „Arbeitnehmer“ fällt, weshalb der Begriff „unabhängige Erwerbstätigkeit“ durch den Begriff „selbständige Erwerbstätigkeit“ ersetzt wurde. In diesem Sinne würde sogar ein Investor als Person, die eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, vom Anwendungsbereich des FZA erfasst.
55. Es überrascht daher nicht, dass der Bundesrat bei der Vorlage des FZA an die Schweizerische Bundesversammlung den Inhalt dieses Abkommens, soweit er die Selbständigen betrifft, unter Verweis auf das Unionsrecht wie folgt beschrieben hat:
„Die Regeln des Freien Personenverkehrs – wie sie innerhalb der [Union] bereits zur Anwendung kommen – gelten grundsätzlich nach Ablauf der Übergangsfrist auch für die Schweiz. …
Der Freie Personenverkehr, der bereits im EWG-Vertrag in den Artikel[n] 48 ff. definiert wurde, umfasst die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der Selbstständigerwerbenden, d. h. alle Bürger der EU können ihren Arbeitsplatz und ihren Aufenthaltsort innerhalb des Binnenmarktes frei wählen und genießen dort dieselben Rechte wie die inländische Bevölkerung. Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Aufenthaltsrechts ist die Aufnahme einer selbstständigen oder unselbstständigen Tätigkeit …
…
Gemäß ‚Acquis‘ genießen auch selbständig Erwerbstätige, die sich in einem Vertragsstaat niederlassen oder grenzüberschreitende Dienstleistungen erbringen, Freizügigkeit. Die Niederlassungsfreiheit umfasst das Recht zur Aufnahme und Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit, sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates, wie sie für seine eigenen Staatsangehörigen gelten. Die selbständig Erwerbstätigen haben wie die Arbeitnehmer Anspruch auf Familiennachzug.
…“(23)
56. Schließlich müsste sich nach meiner Überzeugung, wenn die Vertragsparteien bestimmte Selbständige aufgrund ihrer Tätigkeiten oder ihrer Organisation vom Anwendungsbereich des FZA hätten ausschließen wollen, angesichts der zu Beginn der Verhandlungen sehr weitgehenden Vorstellung der Parteien aus den von der Kommission vorgelegten Dokumenten ein Hinweis darauf ergeben, dass von einem gewissen Zeitpunkt an ein restriktiverer Ansatz verfolgt worden sei. Davon ist in den vorgelegten Dokumenten aber keine Spur zu finden.
57. Folglich bin ich der Auffassung, dass Herr Wächtler als Selbständiger in den Anwendungsbereich des FZA fällt.
C. Zum Vorliegen einer Beschränkung des den Selbständigen durch das FZA gewährten Niederlassungsrechts
58. Nach Art. 1 Buchst. a des FZA besteht eines der Ziele dieses Abkommens darin, den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Union und der Schweiz ein Recht auf Niederlassung als Selbständiger einzuräumen. Art. 4 des FZA sieht vor, dass die Modalitäten der Ausübung dieses Rechts im Anhang I dieses Abkommens festgelegt werden.
59. Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 1 des Anhangs I des FZA gewährt den Staatsangehörigen einer Vertragspartei – soweit es um Selbständige geht – das Recht, sich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufzuhalten und dort eine Erwerbstätigkeit auszuüben.
60. Art. 15 des Anhangs I des FZA sieht vor, dass dem Selbständigen im Aufnahmestaat hinsichtlich des Zugangs zu einer selbständigen Erwerbstätigkeit und deren Ausübung eine Behandlung gewährt wird, die nicht weniger günstig ist als die den eigenen Staatsangehörigen gewährte Behandlung, und dass Art. 9 dieses Anhangs sinngemäß für die in diesem Kapitel genannten Selbständigen gilt. Gemäß Abs. 2 dieses Artikels kann der Selbständige im Aufnahmeland dieselben steuerlichen Vergünstigungen in Anspruch nehmen wie die Selbständigen, die ihre Erwerbstätigkeit in diesem Land ausüben und dort wohnen(24).
61. Daher stellt sich die Frage, ob das FZA grundsätzlich jede Einschränkung der Niederlassungsfreiheit Selbständiger verbietet, einschließlich der vom Ursprungsstaat festgelegten Beschränkungen, obwohl seine materiellen Bestimmungen, insbesondere Art. 9 Abs. 2 des Anhangs I des FZA und Art. 15 Abs. 1 dieses Anhangs, ausdrücklich nur den Aufnahmestaat betreffen.
62. Vorab ist festzuhalten, wie der Gerichtshof entschieden hat, dass aus der Präambel sowie aus Art. 1 Buchst. a und Art. 16 Abs. 2 des FZA hervorgeht, dass „dessen Ziel darin [besteht], im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien dieses Abkommens die Freizügigkeit zugunsten der Staatsangehörigen der Union und denen der Schweizerischen Eidgenossenschaft auf der Grundlage der in der Union geltenden Bestimmungen zu verwirklichen, deren Begriffe im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs ausgelegt werden müssen“(25).
63. So kann die Auslegung der unionsrechtlichen Bestimmungen über den Binnenmarkt zwar nicht automatisch auf die Auslegung des FZA übertragen werden, sofern dies nicht in diesem Abkommen selbst ausdrücklich vorgesehen ist(26), was hier aber insoweit der Fall ist, als Art. 16 Abs. 2 des FZA vorschreibt, bei der Auslegung des in seinem Art. 1 Buchst. a verwendeten Begriffs „Recht auf Niederlassung“ die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung zu berücksichtigen.
64. Der Gerichtshof hatte aber schon 1988 im Hinblick auf die Bestimmungen des EWG-Vertrags, die die Niederlassungsfreiheit gewährleisten, entschieden, dass „diese Bestimmungen [zwar] ihrer Fassung nach insbesondere die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sicherstellen [sollen], … es aber auch dem Herkunftsstaat [verbieten], die Niederlassung seiner Staatsangehörigen … in einem anderen Mitgliedstaat zu behindern“(27).
65. Als die Vertragsparteien dem FZA u. a. das Ziel vorgaben, das Recht auf Niederlassung als Selbständiger zu garantieren, wussten sie sehr wohl, dass dieses Recht sowohl gegenüber dem Aufnahmestaat als auch gegenüber dem Herkunftsstaat Rechte gewähren würde, und haben die durch dieses Abkommen eingeräumten Rechte nicht ausdrücklich auf den Aufnahmestaat beschränkt.
66. Unter diesem Gesichtspunkt führt eine Auslegung des FZA, die mit Art. 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge im Einklang steht, d. h. eine Auslegung nach Treu und Glauben, die nicht nur die gewöhnliche Bedeutung berücksichtigt, die dem Wortlaut dieses Abkommens in seinem Zusammenhang zukommt, sondern auch dessen Ziel und Zweck, zu dem Ergebnis, dass der Herkunftsstaat keine restriktiven Maßnahmen erlassen darf, die dazu führen, eine Person von der Ausübung des Niederlassungsrechts abzuhalten. Solche Maßnahmen stünden nämlich in offensichtlichem Widerspruch zum „Geist“(28) des FZA.
67. Die durch das FZA verwirklichte Freizügigkeit würde nämlich „beeinträchtigt, wenn ein Staatsangehöriger eines Vertragsstaats in seinem Herkunftsland einen Nachteil allein deshalb erlitte, weil er sein Freizügigkeitsrecht ausgeübt hat“(29). Wenn dies für eine Person gilt, die nach Ausübung dieses Rechts in ihren Herkunftsstaat zurückkehrt, muss dies erst recht für eine Person gelten, die es ausüben möchte, um sich in einem anderen Staat niederzulassen, daran aber durch ihren Herkunftsstaat gehindert wird.
68. Auf den Grundsatz der Gleichbehandlung, der in mehreren Bestimmungen des FZA vorgesehen ist, darunter insbesondere in Art. 9 Abs. 2 des Anhangs I, auf den Art. 15 Abs. 2 dieses Anhangs verweist, kann sich ein selbständiger Staatsangehöriger einer Vertragspartei folglich auch gegenüber seinem Herkunftsstaat berufen(30).
69. Daher ist zu prüfen, ob Herr Wächtler durch die Ausübung seines Rechts, sich als Selbständiger in der Schweiz niederzulassen, einen steuerlichen Nachteil gegenüber anderen gebietsansässigen deutschen Staatsangehörigen erlitten hat, die selbständig sind und Anteile an Schweizer Gesellschaften halten, aber im Gegensatz zu ihm ihren Wohnsitz in Deutschland belassen oder in einen anderen Mitgliedstaat der Union oder in einen Staat verlegt haben, auf den das EWR-Abkommen Anwendung findet.
70. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Besteuerung von Wertzuwächsen bei Verlegung des Wohnsitzes des Steuerpflichtigen ins Ausland stammt aus der Zeit nach Unterzeichnung des FZA(31).
71. Für diese spätere Rechtsprechung des Gerichtshofs sieht Art. 16 Abs. 2 des FZA vor, dass die Schweiz darüber unterrichtet wird und der Gemischte Ausschuss deren Auswirkungen feststellt. Im Hinblick auf diese Rechtsprechung ist dieser Ausschuss aber nicht tätig geworden.
72. Da das FZA auf Begriffe des Unionsrechts verweist, bin ich mit der Kommission der Ansicht, dass die einschlägige, nach Unterzeichnung des Abkommens entwickelte Rechtsprechung des Gerichtshofs zu berücksichtigen ist, sofern sie nicht von den Grundsätzen abweicht, die bereits in der zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des FZA bestehenden Rechtsprechung aufgestellt waren.
73. Meines Erachtens erfüllt das Urteil vom 11. März 2004, de Lasteyrie du Saillant (C‑9/02, EU:C:2004:138), diese Voraussetzung.
74. In diesem Urteil weist nämlich nichts auf eine Änderung der Rechtsprechung des Gerichtshofs hin; wie die Kommission in Rn. 40 ihrer schriftlichen Erklärung vorträgt, stützt sich dieses Urteil im Gegenteil auf Grundsätze, die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs vor 1999 herausgearbeitet wurden. Außerdem hatte die Französische Republik, die Beklagte des Ausgangsverfahrens, weder die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit gegenüber dem Herkunftsstaat noch überhaupt das Vorliegen einer Beschränkung in Frage gestellt, sondern ihre Ausführungen auf die möglichen Rechtfertigungen einer solchen Beschränkung dieser Freiheit konzentriert(32). Zudem war diese Rechtssache einer Kammer mit drei Richtern zugewiesen worden, was darauf hindeutet, dass sie keine Fragen von einer Tragweite aufwarf, die deren Behandlung durch einen erweiterten Spruchkörper verdient hätte. Schließlich war Generalanwalt Mischo in seinen Schlussanträgen(33) zu demselben Ergebnis gelangt wie der Gerichtshof, was ebenfalls nahelegt, dass die von diesem gefundene Lösung nicht überraschend war.
75. Auch wenn die spätere Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Besteuerung nicht realisierter Wertzuwächse(34) im Hinblick auf Rechtfertigungsgründe weniger streng war, hat sie sich bezüglich der Feststellung des Vorliegens einer Beschränkung einer Grundfreiheit der Freizügigkeit nicht geändert.
76. Im vorliegenden Fall werden deutsche Steuerpflichtige, die Anteile an Schweizer Gesellschaften halten und ihren Wohnsitz in die Schweiz verlegen, in zweierlei Hinsicht unterschiedlich behandelt, nämlich einerseits im Vergleich zu deutschen Steuerpflichtigen, die solche Anteile halten, aber ihren Wohnsitz in Deutschland belassen, und andererseits im Vergleich zu deutschen Steuerpflichtigen, die ebenfalls solche Anteile halten, aber ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat der Union oder in einen Staat verlegen, auf den das EWR-Abkommen Anwendung findet.
77. Im ersten Fall werden die Wertzuwächse erst zum Zeitpunkt ihrer Realisierung, d. h. bei der Veräußerung der Vermögenswerte, besteuert(35). Diese unterschiedliche Behandlung ist jedoch nicht Gegenstand der vom vorlegenden Gericht gestellten Frage, die im Gegenteil nur auf den zweiten Fall abzielt, in dem die geschuldete Steuer auf die Wertzuwächse ohne Zinsen oder Sicherheitsleistung bis zur Veräußerung der Vermögenswerte gestundet wird, sofern der Steuerpflichtige im Aufnahmestaat einer der deutschen Einkommensteuer vergleichbaren Besteuerung unterliegt und die Amtshilfe und die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Steuern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und diesem Staat garantiert werden(36), während eine solche Stundung bei Verlegung des Wohnsitzes in einen anderen, von Art. 6 Abs. 5 AStG nicht erfassten Staat nicht stattfindet, was zumindest einen Liquiditätsnachteil entstehen lässt(37).
78. In diesem Zusammenhang hat eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die die sofortige Besteuerung der noch nicht realisierten Wertzuwächse bei Verlegung des Wohnsitzes des Steuerpflichtigen vorsieht, eine abschreckende Wirkung auf Steuerpflichtige, die sich in der Schweiz niederlassen möchten, und stellt daher eine Einschränkung des Niederlassungsrechts dar, die das FZA ihnen gewährt(38).
D. Zur Rechtfertigung der Beschränkung des Niederlassungsrechts, das das FZA Selbständigen gewährt
1. Zur Vergleichbarkeit der objektiven, von ihrem jeweiligen Wohnsitz abhängigen Situationen der Steuerpflichtigen
79. Art. 21 Abs. 2 des FZA bestimmt, dass keine Bestimmung dieses Abkommens so auszulegen ist, dass sie die Vertragsparteien daran hindert, bei der Anwendung ihrer Steuervorschriften eine Unterscheidung zwischen Steuerpflichtigen zu machen, die sich – insbesondere hinsichtlich ihres Wohnsitzes – nicht in vergleichbaren Situationen befinden(39).
80. Was die Besteuerung nicht realisierter Wertzuwächse betrifft, hat der Gerichtshof bislang nur die Frage behandelt, ob die Situation eines Steuerpflichtigen, der seinen Wohnsitz von einem Mitgliedstaat in einen anderen verlegt, mit der eines Steuerpflichtigen vergleichbar ist, der ihn im ersten Mitgliedstaat belässt, und zwar im Hinblick auf die in diesem Staat vor der Verlegung des Wohnsitzes erzielten Wertzuwächse.
81. Dem Gerichtshof zufolge gleicht nämlich, „was die Regelung eines Mitgliedstaats über die Besteuerung der in seinem Hoheitsgebiet entstandenen Wertzuwächse betrifft, … die Situation [eines Steuerpflichtigen, der seinen Wohnsitz] in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, in Bezug auf die Besteuerung der Wertzuwächse beim Vermögen, die im ersten Mitgliedstaat vor der Verlegung des [Wohnsitzes] erzielt wurden, der Situation [eines Steuerpflichtigen, der seinen Wohnsitz] in diesem Mitgliedstaat belässt“(40).
82. Daher ist zu prüfen, ob dies auch für Steuerpflichtige gilt, die ihren Wohnsitz von einem Mitgliedstaat in die Schweiz verlegen, jedoch in Bezug auf Wertzuwächse, die vor der Verlegung des Wohnsitzes im Hoheitsgebiet der Schweiz entstanden sind(41), und zwar nicht im Vergleich zu einem Steuerpflichtigen, der seinen Wohnsitz im Staat der Besteuerung belässt, sondern zu einem Steuerpflichtigen, der ihn in einen anderen Mitgliedstaat der Union oder in einen Staat verlegt, auf den das EWR-Abkommen Anwendung findet.
83. Meines Erachtens betrifft das Problem, das die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung aufwirft, nicht den Ort, sondern den Zeitpunkt der Entstehung der Wertzuwächse.
84. Die fragliche Besteuerung der nicht realisierten Wertzuwächse hängt nämlich nicht davon ab, ob diese im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland entstanden sind (was hier nicht der Fall ist), sondern vom Zeitpunkt ihrer Entstehung, zu dem Herr Wächtler in Deutschland wohnhaft war und deshalb in diesem Staat der unbeschränkten Steuerpflicht unterlag, d. h. mit all seinen Einkünften unabhängig von ihrer Herkunft.
85. Das ergibt sich aus Art. 13 Abs. 3 des DBA Deutschland/Schweiz(42) in Verbindung mit dem Wortlaut von § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG.
86. Art. 13 Abs. 3 des DBA Deutschland/Schweiz räumt nämlich dem Staat, in dem der Veräußerer ansässig ist, im vorliegenden Fall Deutschland, das Recht auf Besteuerung des Wertzuwachses von Beteiligungen an einer Gesellschaft ein, weil der für die Besteuerung des Wertzuwachses maßgebliche Zeitpunkt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG(43) der Zeitpunkt der Aufgabe des Wohnsitzes ist. Zu diesem Zeitpunkt endet die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland.
87. Folglich übt die Bundesrepublik Deutschland ihr Besteuerungsrecht in beiden Fällen, nämlich dem eines deutschen Steuerpflichtigen, der Schweizer Anteile hält und seinen Wohnsitz von Deutschland in die Schweiz verlegt, und dem eines deutschen Steuerpflichtigen, der solche Anteile hält, seinen Wohnsitz aber von Deutschland in einen anderen Mitgliedstaat der Union oder in einen Staat verlegt, auf den das EWR-Abkommen Anwendung findet, auf derselben Grundlage aus, nämlich gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG, und unterwirft dieselben Wertzuwächse derselben Steuer, die auf dieselbe Weise berechnet wird.
88. Unter diesen Umständen halte ich die Situationen in diesen beiden Fällen von Steuerpflichtigen für objektiv vergleichbar, und zwar unabhängig davon, wo die Wertzuwächse entstanden sind(44).
2. Zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses
89. Nach Art. 21 Abs. 3 des FZA hindert keine seiner Bestimmungen die Vertragsparteien daran, Maßnahmen zu beschließen oder anzuwenden, um nach Maßgabe der Bestimmungen der nationalen Steuergesetzgebung einer Vertragspartei oder der zwischen der Schweiz einerseits und einem oder mehreren Mitgliedstaaten andererseits geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen oder sonstiger steuerrechtlicher Vereinbarungen die Besteuerung sowie die Zahlung und die tatsächliche Erhebung der Besteuerung zu gewährleisten oder die Steuerflucht zu verhindern.
90. Diese Bestimmung gestattet den Vertragsparteien, Beschränkungen des Rechts auf Niederlassung einzuführen, die darauf abzielen, die Besteuerung sowie die Zahlung und die tatsächliche Erhebung der Besteuerung zu gewährleisten oder die Steuerflucht zu verhindern. Eine solche Beschränkung ist aber nur zulässig, wenn sie geeignet ist, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zu seiner Erreichung erforderlich ist(45).
91. In diesem Zusammenhang vertreten die spanische und die österreichische Regierung die Ansicht, die in Rede stehende Beschränkung könne durch die Notwendigkeit gerechtfertigt werden, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsrechte zwischen den Staaten sicherzustellen. Die deutsche Regierung ist ihrerseits der Ansicht, diese Beschränkung sei durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die tatsächliche Erhebung der Steuer sicherzustellen.
a) Zur Notwendigkeit, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsrechte sicherzustellen
92. Was diesen Rechtfertigungsgrund betrifft, und unabhängig von der Frage, ob es mit Art. 16 Abs. 2 des FZA vereinbar wäre, sich auf ihn zu berufen(46), ist die Bundesrepublik Deutschland durch nichts gehindert, ihr Recht auf Besteuerung der nicht realisierten Wertzuwächse von Anteilen an einer Gesellschaft schweizerischen Rechts auszuüben, die in einem Zeitraum entstanden sind, in dem der durch diese Wertzuwächse Begünstigte in Deutschland wohnhaft und dort unbeschränkt steuerpflichtig war.
93. Abgesehen davon könnte die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsrechte es nur rechtfertigen, bei der Besteuerung der Wertzuwächse Steuerpflichtige, die ihren Wohnsitz in einen anderen Staat verlegen, und solche, die ihn im Staat der Besteuerung belassen, unterschiedlich zu behandeln.
94. Der Gerichtshof hat nämlich entschieden, dass die Besteuerung der Wertzuwächse zum Zeitpunkt der Verlegung des Wohnsitzes geeignet ist, die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsrechte sicherzustellen, weil sie darauf abzielt, die nicht realisierten Wertzuwächse, die unter der Steuerhoheit des Herkunftsmitgliedstaats vor der Verlegung des Wohnsitzes erzielt wurden, der Steuer in diesem Staat zu unterwerfen, während danach erzielte Wertzuwächse ausschließlich im Aufnahmemitgliedstaat, in dem sie erzielt wurden, besteuert werden(47).
95. Im vorliegenden Fall werden hingegen Steuerpflichtige, die ihren Wohnsitz von Deutschland ins Ausland verlegen, bei der Besteuerung der Wertzuwächse je nachdem unterschiedlich behandelt, ob es sich bei dem Zuzugsstaat zum einen um einen Mitgliedstaat oder einen Staat handelt, auf den das EWR-Abkommen Anwendung findet, oder aber zum anderen um einen Drittstaat.
b) Zur Notwendigkeit, die tatsächliche Erhebung der Steuer sicherzustellen
96. Dieser in Art. 21 Abs. 3 des FZA vorgesehene Rechtfertigungsgrund ist der einzige, auf den sich die deutsche Regierung beruft.
97. Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass die Unterstützung durch den Aufnahmestaat, auf die der Staat der Besteuerung angewiesen ist, von dem Zeitpunkt an, zu dem die Steuer auf die Wertzuwächse bei Verlegung des Wohnsitzes des Steuerpflichtigen ins Ausland endgültig festgesetzt wird, nicht die korrekte Festsetzung der Steuer, sondern nur ihre Einziehung betrifft(48).
98. Zwischen Mitgliedstaaten war diese Unterstützung zum Zeitpunkt des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalts durch die Richtlinie 2008/55/EG des Rates vom 26. Mai 2008 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Abgaben, Zölle, Steuern und sonstige Maßnahmen(49) gewährleistet, die später durch die Richtlinie 2010/24/EU des Rates vom 16. März 2010 über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen(50) aufgehoben und ersetzt wurde.
99. Auf der Grundlage dieser zwischen Mitgliedstaaten bestehenden Unterstützung bei der Einziehung der Steuer auf die Wertzuwächse ist der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass „der fragliche Mitgliedstaat [dem Risiko der Nichteinziehung dieser Steuer] im Rahmen seiner für aufgeschobene Zahlungen von Steuerschulden geltenden nationalen Regelung durch Maßnahmen wie die Stellung einer Bankgarantie begegnen [kann]“(51).
100. Im vorliegenden Fall weist die deutsche Regierung zutreffend darauf hin, dass zwischen Deutschland und der Schweiz kein Mechanismus gegenseitiger Unterstützung bei der Einziehung der Steuern besteht.
101. Zum einen finden nämlich die Richtlinien 2008/55 und 2010/24 auf die Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz keine Anwendung und zum anderen sieht Art. 27 des DBA Deutschland/Schweiz eine gegenseitige Unterstützung nur auf dem Gebiet des Informationsaustauschs vor, was die Einziehung der Steuern ausschließt.
102. Außerdem haben Deutschland und die Schweiz nach dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt zwar das am 25. Januar 1988 in Straßburg unterzeichnete Übereinkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen(52) ratifiziert, aber die Anwendung der Art. 11 bis 16 dieses Übereinkommens hinsichtlich der Unterstützung bei der Einziehung von Steuern durch in ihren Ratifikationsurkunden niedergelegten Vorbehalt ausgeschlossen.
103. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung ist zwar geeignet, die tatsächliche Erhebung der Steuer sicherzustellen, geht jedoch meines Erachtens über das hinaus, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.
104. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ungleichbehandlung ergibt sich nämlich daraus, dass eine Stundung der Steuer auf die Wertzuwächse bis zum Zeitpunkt der Veräußerung der betreffenden Vermögenswerte versagt wird, eine Vergünstigung, die denjenigen deutschen Steuerpflichtigen gewährt wird, die ihren Wohnsitz von Deutschland in einen anderen Mitgliedstaat oder in einen Staat verlegen, auf den das EWR-Abkommen Anwendung findet.
105. Wenn die Notwendigkeit besteht, die tatsächliche Erhebung der Steuer sicherzustellen, wäre Deutschland nicht gehindert, beim Fehlen eines Mechanismus gegenseitiger Unterstützung auf diesem Gebiet zwischen Deutschland und dem Aufnahmestaat vom Steuerpflichtigen zu verlangen, eine Bankgarantie zu stellen, eine Maßnahme, die dem Gerichtshof zufolge das Risiko der Nichteinziehung der Steuer vermindern kann(53).
106. Die sofortige Zahlung der Steuer auf die Wertzuwächse könnte nämlich für den Steuerpflichtigen zu ernsthaften Liquiditätsschwierigkeiten führen und ihn zwingen, den betreffenden Vermögenswert zu veräußern, obwohl er beim Wegzug aus dem Staat der Besteuerung keine dahin gehende Absicht hatte und dies auch durch keine andere wirtschaftliche Erwägung geboten war.
107. Zudem stelle ich fest, dass § 6 Abs. 4 AStG vorsieht, die Zahlung der Steuer in regelmäßigen Teilbeträgen für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren seit Eintritt der ersten Fälligkeit zu stunden, wenn ihre alsbaldige Einziehung mit erheblichen Härten für den Steuerpflichtigen verbunden wäre. Diese Möglichkeit setzt eine Sicherheitsleistung des Steuerpflichtigen voraus.
108. Diese Vorschrift kommt aber einer echten automatischen Stundung (ohne Zinsen und Sicherheitsleistung), wie § 6 Abs. 5 AStG sie vorsieht, aus den folgenden Gründen nicht gleich. Erstens kommt sie nur in Betracht, wenn die alsbaldige Zahlung der Steuer mit erheblichen Härten für den Steuerpflichtigen verbunden wäre, während die in § 6 Abs. 5 AStG vorgesehene Stundung automatisch und unabhängig von der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen gewährt wird. Zweitens muss der Steuerpflichtige eine Sicherheit leisten, obwohl er dazu in dem in § 6 Abs. 5 AStG vorgesehenen Fall nicht verpflichtet ist. Drittens schließlich beginnt die Zahlung der Steuer in regelmäßigen Teilbeträgen(54) sofort und die Steuer muss innerhalb eines Zeitraums von höchstens fünf Jahren entrichtet sein, und zwar selbst dann, wenn in diesem Zeitraum keine Veräußerung stattfindet, während § 6 Abs. 5 AStG eine Stundung bis zur Veräußerung vorsieht.
109. In diesem Kontext hängt die Beantwortung der Frage, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende deutsche Regelung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt, im Wesentlichen von einer Würdigung der Tatsachen ab, die darin besteht, zu prüfen, ob in Anbetracht der Höhe der gegen Herrn Wächtler festgesetzten Steuer auf die Wertzuwächse nicht auch die Stellung einer angemessenen Sicherheit die Zahlung der Steuer zum Zeitpunkt der Veräußerung seiner Anteile an der MWK-Consulting sicherstellen könnte.
110. Meines Erachtens ist es Sache des vorlegenden Gerichts, diese Prüfung vorzunehmen.
VI. Ergebnis
111. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Finanzgericht Baden-Württemberg (Deutschland) zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:
Art. 1 Buchst. a des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit sowie die Art. 12 und 15 seines Anhangs I sind dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach der latente, noch nicht realisierte Wertsteigerungen von Gesellschaftsrechten ohne Aufschub besteuert werden, wenn ein in diesem Staat zunächst unbeschränkt steuerpflichtiger Staatsangehöriger dieses Mitgliedstaats seinen Wohnsitz von diesem Staat in die Schweiz verlegt.
1 Originalsprache: Französisch.
2 ABl. 2002, L 114, S. 6.
3 Abkommen vom 11. August 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (BGBl. 1972 II, S. 1022) in der Fassung des Protokolls vom 27. Oktober 2010 (BGBl. 2011 II, S. 1092).
4 Außer Frage steht, dass Herr Wächtler weder eine Person, die keine Erwerbstätigkeit ausübt, noch ein Dienstleistungserbringer im Sinne von Art. 5 des FZA ist. Die IT‑Beratungsleistungen, die er über MWK-Consulting erbringt, überschreiten nämlich die in Art. 5 Abs. 1 des FZA vorgesehene Grenze einer tatsächlichen Dauer von 90 Arbeitstagen pro Kalenderjahr. Vgl. Urteil vom 12. November 2009, Grimme C‑351/08, EU:C:2009:697, Rn. 44.
5 Vgl. Urteile vom 27. Juni 1996, Asscher (C‑107/94, EU:C:1996:251, Rn. 25), vom 20. November 2001, Jany u. a. (C‑268/99, EU:C:2001:616, Rn. 34, 37 und 38), sowie vom 28. Februar 2013, Petersen und Petersen (C‑544/11, EU:C:2013:124, Rn. 32).
6 Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Juni 1996, Asscher (C‑107/94, EU:C:1996:251‚ Rn. 10, 11, 26 und 27), in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass der Geschäftsführer einer Gesellschaft kein Arbeitnehmer ist, sondern eine selbständige Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 49 AEUV ausübt, und zwar auch dann, wenn er an der betreffenden Gesellschaft nicht beteiligt ist, wie dies im Übrigen bei Herrn Asscher im Verhältnis zu der Gesellschaft belgischen Rechts Vereudia der Fall war.
7 In seinem Urteil hat der Gerichtshof es nicht für erforderlich gehalten, sich zu der Frage zu äußern, ob die Verwaltung von Beteiligungen eine selbständige Erwerbstätigkeit war. Vgl. Urteil vom 15. März 2018, Picart (C‑355/16, EU:C:2018:184, Rn. 21).
8 Das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (United Nations Treaty Series, Bd. 1155, S. 331) wurde am 23. Mai 1969 in Wien geschlossen.
9 Vgl. Urteil vom 27. Februar 2018, Western Sahara Campaign UK (C‑266/16, EU:C:2018:118, Rn. 58).
10 Vgl. Urteil vom 15. Juli 2010, Hengartner und Gasser (C‑70/09, EU:C:2010:430, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).
11 Vgl. Urteil vom 27. Februar 2018, Western Sahara Campaign UK (C‑266/16, EU:C:2018:118, Rn. 70).
12 Urteil vom 19. November 2015, Bukovansky (C‑241/14, EU:C:2015:766, Rn. 40). Vgl. in diesem Sinne auch Urteile vom 15. Juli 2010, Hengartner und Gasser (C‑70/09, EU:C:2010:430, Rn. 37), vom 27. Februar 2014, Vereinigtes Königreich/Rat (C‑656/11, EU:C:2014:97, Rn. 55), sowie vom 21. September 2016, Radgen (C‑478/15, EU:C:2016:705, Rn. 36).
13 Vgl. Urteil vom 27. Juni 1996, Asscher (C‑107/94, EU:C:1996:251, Rn. 10, 11, 26 und 27).
14 Vgl. Art. 6 bis 11 des Anhangs I des FZA.
15 Vgl. Art. 12 bis 16 des Anhangs I des FZA.
16 Vgl. Art. 17 bis 23 des Anhangs I des FZA.
17 Vgl. Art. 24 des Anhangs I des FZA.
18 Vgl. Urteil vom 12. November 2009, Grimme (C‑351/08, EU:C:2009:697, Rn. 34).
19 Vgl. die Zusammenfassung der Besprechung zwischen der EU und der Schweiz zur Freizügigkeit von Personen, die am 15. Februar 1995 stattfand.
20 Vgl. Art. 1 des Entwurfs eines Abkommens vom 11. April 1997 (der die von der Union vorgeschlagenen Änderungen enthielt).
21 Vgl. Art. 13 Abs. 1 des Anhangs I zum Entwurf eines Abkommens über die Freizügigkeit in der am 11. Juli 1996 von der schweizerischen Delegation und am 7. Oktober 1996 von der Delegation der Union überarbeiteten Fassung. Hervorhebung nur hier.
22 Vgl. Art. 12 Abs. 1 des Entwurfs der Anlage I des FZA vom 11. April 1997. Hervorhebung nur hier.
23 Botschaft zur Genehmigung der sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und der EG vom 23. Juni 1999 (BBl 1999 6128), S. 6310 und 6311. Hervorhebung nur hier.
24 Vgl. Urteil vom 28. Februar 2013, Ettwein (C‑425/11, EU:C:2013:121, Rn. 43).
25 Urteil vom 19. November 2015, Bukovansky (C‑241/14, EU:C:2015:766, Rn. 40; Hervorhebung nur hier). Vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 21. September 2016, Radgen (C‑478/15, EU:C:2016:705, Rn. 36).
26 Vgl. Urteil vom 15. März 2018, Picart (C‑355/16, EU:C:2018:184, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).
27 Vgl. Urteil vom 27. September 1988, Daily Mail and General Trust (C‑81/87, EU:C:1988:456, Rn. 16). Vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 16. Juli 1998, ICI (C‑264/96, EU:C:1998:370, Rn. 21).
28 Ich greife hier den Ausdruck auf, den der Internationale Gerichtshof in seinem Urteil vom 27. Juni 1986 in der Sache „Militärische und paramilitärische Aktivitäten in und gegen Nicaragua“ (Nicaragua/Vereinigte Staaten von Amerika) (I.C.J Reports 1986, S. 14) bei seiner Beurteilung der Aktivitäten der Vereinigten Staaten in Nicaragua im Hinblick auf den am 21. Januar 1956 in Managua unterzeichneten Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Republik Nicaragua (United Nations Treaty Series, Bd. 367, S. 3) verwendet hat. Ohne eine spezifische Bestimmung dieses Vertrags heranzuziehen, die durch das Verhalten der Vereinigten Staaten verletzt worden sei, hat der Internationale Gerichtshof entschieden, dass „einige Aktivitäten der Vereinigten Staaten gegen den Geist eines bilateralen Vertrags verstoßen, der darauf abzielt, die Freundschaft zwischen den beiden Staaten, die dessen Vertragsparteien sind, zu fördern“ (Rn. 275, Hervorhebung nur hier). Nach einer Aufzählung der in Rede stehenden Aktivitäten hat er hinzugefügt, dass ein zur Erreichung des in der Präambel dieses Vertrags beschriebenen Ziels untauglicheres Verhalten kaum vorstellbar sei (vgl. Rn. 275).
29 Vgl. Urteil vom 15. Dezember 2011, Bergström (C‑257/10, EU:C:2011:839, Rn. 28).
30 Vgl. Urteile vom 19. November 2015, Bukovansky (C‑241/14, EU:C:2015:766, Rn. 36), und vom 21. September 2016, Radgen (C‑478/15, EU:C:2016:705, Rn. 40).
31 Das FZA wurde am 21. Juni 1999 unterzeichnet. Das erste Urteil des Gerichtshofs auf diesem Gebiet erging fast fünf Jahre später (vgl. Urteil vom 11. März 2004, de Lasteyrie du Saillant, C‑9/02, EU:C:2004:138).
32 Vgl. Urteil vom 11. März 2004, de Lasteyrie du Saillant (C‑9/02, EU:C:2004:138, Rn. 24).
33 Vgl. Schlussanträge von Generalanwalt Mischo in der Rechtssache de Lasteyrie du Saillant (C‑9/02, EU:C:2003:159).
34 Vgl. u. a. Urteile vom 7. September 2006, N (C‑470/04, EU:C:2006:525, Rn. 35 bis 39), vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785), vom 23. Januar 2014, DMC (C‑164/12, EU:C:2014:20), vom 21. Dezember 2016, Kommission/Portugal (C‑503/14, EU:C:2016:979, Rn. 43 bis 47), sowie vom 14. September 2017, Trustees of the P Panayi Accumulation & Maintenance Settlements (C‑646/15, EU:C:2017:682).
35 Vgl. § 17 EStG.
36 Vgl. § 6 Abs. 5 AStG.
37 Der Liquiditätsnachteil kann zu schwerer wiegenden Folgen führen. Siehe Nr. 106 der vorliegenden Schlussanträge.
38 Vgl. in Bezug auf natürliche Personen Urteile vom 11. März 2004, de Lasteyrie du Saillant (C‑9/02, EU:C:2004:138, Rn. 45 bis 48), vom 7. September 2006, N (C‑470/04, EU:C:2006:525, Rn. 35 bis 39), sowie vom 21. Dezember 2016, Kommission/Portugal (C‑503/14, EU:C:2016:979, Rn. 43 bis 47).
39 Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 2013, Ettwein (C‑425/11, EU:C:2013:121, Rn. 45).
40 Urteil vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 38). Hervorhebung nur hier. Vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 14. September 2017, Trustees of the P Panayi Accumulation & Maintenance Settlements (C‑646/15, EU:C:2017:682, Rn. 49).
41 Wertzuwächse, die nach der Verlegung des Wohnsitzes in die Schweiz in deren Hoheitsgebiet entstehen, können die Niederlassung einer Person in der Schweiz nicht verhindern, weil sie erst nach der Verlegung des Wohnsitzes in diesen Staat und in einer Weise besteuert werden, die nicht an diesen Wohnsitzwechsel anknüpft.
42 Meines Erachtens hat die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung rechtsfehlerhaft Art. 13 Abs. 5 des DBA Deutschland/Schweiz als Rechtsgrundlage der Besteuerung der Wertzuwächse im Ausgangsverfahren bezeichnet, denn diese Vorschrift gestattet der Bundesrepublik Deutschland nur, bei Wegzug einer in diesem Staat ansässigen Person den Wertzuwachs einer wesentlichen Beteiligung an einer Gesellschaft in den Fällen zu besteuern, in denen diese Gesellschaft ebenfalls in Deutschland ansässig ist. Im vorliegenden Fall ist die in Rede stehende Gesellschaft aber in der Schweiz ansässig. Vgl. in diesem Sinne auch Nr. 2 des Briefwechsels vom 11. August 1971, der Bestandteil des DBA Deutschland/Schweiz ist und demzufolge „die in Artikel 13 Absatz 5 des Abkommens vorgesehene Lösung davon ausgeht, dass die Besteuerung des Wertzuwachses auf wesentliche Beteiligungen an Gesellschaften, die in dem besteuernden Staat ansässig sind, …beschränkt ist“ (Hervorhebung nur hier).
43 „Bei einer natürlichen Person, die insgesamt mindestens zehn Jahre nach § 1 Abs. 1 [EStG] unbeschränkt steuerpflichtig war und deren unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts endet, ist auf Anteile im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 [EStG] im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht § 17 [EStG] auch ohne Veräußerung anzuwenden, wenn im Übrigen für die Anteile zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind“. Hervorhebung nur hier.
44 Vgl. entsprechend Urteile vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation (C‑374/04, EU:C:2006:773‚ Rn. 68), vom 14. Dezember 2006, Denkavit Internationaal und Denkavit France (C‑170/05, EU:C:2006:783‚ Rn. 35), vom 8. November 2007, Amurta (C‑379/05, EU:C:2007:655‚ Rn. 38), sowie vom 20. Mai 2008, Orange European Smallcap Fund (C‑194/06, EU:C:2008:289‚ Rn. 78 und 79).
45 Vgl. Urteil vom 14. Februar 1995, Schumacker (C‑279/93, EU:C:1995:31, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
46 Er wurde vom Gerichtshof erstmals nach Unterzeichnung des FZA im Urteil vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 45), anerkannt. Außerdem ist dieses Urteil offenbar weder der Schweiz mitgeteilt worden, noch hat der Gemischte Ausschuss des FZA die Auswirkungen dieses Urteils festgestellt.
47 Vgl. Urteile vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 47 und 48), und vom 21. Dezember 2016, Kommission/Portugal (C‑503/14, EU:C:2016:979, Rn. 57).
48 Vgl. Urteil vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 78).
49 ABl. 2008, L 150, S. 28. Vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 78).
50 ABl. 2010, L 84, S. 1.
51 Urteil vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 74).
52 Sammlung der Europäischen Verträge Nr. 127.
53 Vgl. Urteile vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 74), und vom 21. Dezember 2016, Kommission/Portugal (C‑503/14, EU:C:2016:979, Rn. 59). Ich stelle fest, dass der Gerichtshof nach anfänglicher Zurückhaltung schließlich zumindest im Grundsatz der Lösung zugestimmt hat, die Stundung der Steuer auf die Wertzuwächse von der Voraussetzung einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen. Das zeigt ein Vergleich zwischen den Urteilen vom 11. März 2004, de Lasteyrie du Saillant (C‑9/02, EU:C:2004:138‚ Rn. 47), und vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785‚ Rn. 74).
54 Ob diese Teilbeträge Zinsen enthalten, ist nicht klar. Der Wortlaut von § 6 Abs. 4 AStG schließt diese Möglichkeit nicht aus.