Niedersächsisches FG: Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen
Niedersächsisches FG, Urteil vom 21.12.2022 – 4 K 209/20
ECLI:DE:FGNI:2022:1221.4K209.20.00
Volltext BB-Online BBL2023-406-7
Nicht Amtlicher Leitsatz
Die Höhe der Säumniszuschläge ist nicht verfassungswidrig.
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Abrechnungsbescheids über die Frage, ob die darin ausgewiesenen Säumniszuschläge verfassungswidrig zu hoch sind.
Die Kläger sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Für die Jahre 2011, 2012, 2013, 2014 und 2017 entrichteten die Kläger die sich aus den jeweiligen Einkommensteuerbescheiden ergebenden Zahlungsbeträge nicht fristgerecht in vollständiger Höhe. Auch die Einkommensteuervorauszahlungen für das 4. Quartal 2018 entrichteten die Kläger nicht fristgemäß in vollständiger Höhe. Das beklagte Finanzamt (FA) ging insofern von der Verwirkung von Säumniszuschlägen bezogen auf die jeweiligen Einkommensteuern und die Einkommensteuervorauszahlung für das 4. Quartal 2018 sowie jeweils die zugehörigen Solidaritätszuschläge aus.
Unter dem ... beantragte der als Steuerberater tätige Kläger den Erlass eines Abrechnungsbescheids über die Säumniszuschläge. Aufgrund der angenommenen Verfassungswidrigkeit der steuerlichen Zinsen kündigte er an, gegen den Abrechnungsbescheid Einspruch einlegen zu wollen.
Das FA erließ einen Abrechnungsbescheid unter dem ..., in welchem es – im Einzelnen dargestellt – von der Verwirkung von Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt X € entsprechend der gesetzlichen Regelung ausging. Die konkreten Beträge stellte es darüber hinaus in insgesamt sechs Anlagen zum Bescheid dar, auf welche verwiesen wird.
In dem dagegen angestrengten Einspruchsverfahren wiesen die Kläger erneut auf die sich aus dem Zinsanteil der Säumniszuschläge ergebende Verfassungswidrigkeit hin. Zugleich strebten sie ein Ruhen des Verfahrens an und bezogen sich insofern auf ein anhängiges Verfahren betreffend Säumniszuschläge beim Finanzgericht Münster. Das FA wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom ... als unbegründet zurück. Die Säumniszuschläge in Höhe von X € seien verwirkt. Insofern nahm das FA im einzelnen Bezug auf die Anlagen 1-6 zur Einspruchsentscheidung, auf die auch hier verwiesen wird. Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 363 Abs. 1 AO sei nicht in Betracht gekommen, da das von den Klägern genannte Verfahren vor dem Finanzgericht Münster nicht vorgreiflich für den Streitfall der Kläger sei. Auch die Voraussetzungen für ein Ruhen des Verfahrens lägen nicht vor.
Hiergegen richtet sich die Klage. Nachdem sich die Begründung der Klage zunächst vornehmlich auf die Frage beschränkt hat, ob das Einspruchsverfahren hätte ruhend gestellt werden müssen, hat der Prozessbevollmächtigte im Schriftsatz vom 4. Januar 2021 klargestellt, es gehe ihm um eine Entscheidung in der Sache und er begehre die Zulassung der Revision.
Unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der in § 233a AO a.F. geregelten Nachzahlungszinsen (BVerfG-Beschluss vom 8. Juli 2021 1 BvR 2237/14 u.a., BVerfGE 158, 282) führen die Kläger sinngemäß aus, ihrer Ansicht zufolge seien auch die Säumniszuschläge der Höhe nach verfassungswidrig. Den Säumniszuschlägen wohne ein Zinsanteil inne. Die Verfassungswidrigkeit der Zinsen habe daher auch die Verfassungswidrigkeit der Säumniszuschläge zur Folge. Die vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochene Fortgeltungsanordnung für die bis einschließlich in das Jahr 2018 fallenden Verzinsungszeiträume könne nicht auf die Säumniszuschläge übertragen werden.
Die Säumniszuschläge seien dadurch entstanden, dass eine Aussetzung der Vollziehung verweigert worden sei. Es werde insofern auf den Erlassantrag vom ... verwiesen. Der Streit über die Einkommensteuern 2012-2014 sei bis heute (mitgeteilt am ...) nicht abgeschlossen. Daher komme es auch darauf an, ob die zugrundeliegende Steuerfestsetzung unzweifelhaft sei.
Die Kläger beantragen,
den Abrechnungsbescheid über Säumniszuschläge zur Einkommensteuer vom ... in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... abzuändern und die darin festgestellten Säumniszuschläge nur noch mit jeweils den hälftigen Beträgen festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA ist der Auffassung, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lasse sich nicht auf die Säumniszuschläge übertragen, da sich der gesetzlichen Regelung insofern ein fester, typisierter Zinssatz nicht entnehmen lasse.
Aus den Gründen
I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Feststellung der Säumniszuschläge im angefochtenen Abrechnungsbescheid begegnet keinen Bedenken.
1. Das FA hat zurecht durch Abrechnungsbescheid entschieden und darin die verwirkten Säumniszuschläge unter Zugrundelegung der gesetzlichen Regelung der Höhe nach zutreffend festgestellt.
Gemäß § 218 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 AO entscheidet die Finanzbehörde über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) betreffen, durch Abrechnungsbescheid. Eine solche Streitigkeit liegt zwischen den Beteiligten vor, da der Prozessbevollmächtigte bereits vor Erlass des Abrechnungsbescheids auf die aus seiner Sicht gegebene verfassungswidrige Höhe der Säumniszuschläge abstellte.
Säumniszuschläge entstehen, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird. Für jeden angefangenen Monat der Säumnis ist ein Säumniszuschlag in Höhe von 1 % der abgerundeten rückständigen Steuer zu entrichten (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO). Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf die vom FA in dem angefochtenen Abrechnungsbescheid festgestellten Säumniszuschläge gegeben. Dabei steht es zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit, dass die festgestellten Säumniszuschläge – sofern die gesetzliche Regelung zugrunde zu legen ist –zutreffend berechnet worden sind.
2. Der Senat ist nicht von der Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung zur Höhe der Säumniszuschläge überzeugt. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht kam daher nicht in Betracht.
a) Die Frage, ob die Höhe der Säumniszuschläge den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, ist in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung – vornehmlich Verfahren die Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 FGO betreffend – umstritten. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und zur Vermeidung von Wiederholungen werden hier die unterschiedlichen Ansichten nur exemplarisch dargestellt:
Soweit ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge geäußert werden, unter anderem vom V. und vom VIII. Senat des BFH, wird im Wesentlichen darauf abgestellt, dass den Säumniszuschlägen eine (zinsähnliche) Funktion einer Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zukommt. Nachdem das Bundesverfassungsgericht unter Berücksichtigung einer Fortgeltungsanordnung für Verzinsungsräume bis zum 31. Dezember 2018 entschieden habe, dass im Hinblick auf die in § 233a AO a.F. geregelten Nachzahlungszinsen ein Zinssatz in Höhe von 6 % p.a. für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 vor dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr in Betracht komme (BVerfG-Beschluss vom 8. Juli 2021 1 BvR 2237/14 u.a., BVerfGE 158, 282), ergäben sich verfassungsrechtliche Zweifel im Hinblick auf die zinsähnliche Funktion der Säumniszuschläge. Da jedoch die Höhe der Säumniszuschläge nur insgesamt verfassungsmäßig oder verfassungswidrig sein könne, wirkten diese Zweifel auf die Höhe der Säumniszuschläge insgesamt (es wird insoweit exemplarisch verwiesen auf die BFH-Beschlüsse vom 23 Mai 2022 V B 4/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1030; vom 11. November 2022 VIII B 64/22 (AdV), DB 2022, 2970).
Demgegenüber hat der VI. Senat des BFH auch in Ansehung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge. Er stellt insofern auf die unterschiedlichen Zielsetzungen der Säumniszuschläge einerseits und der Verzinsung nach § 233a AO a.F. ab. Die Höhe der zinsähnlichen Funktion der Säumniszuschläge könne nicht belastbar beziffert werden, insbesondere folge ein solcher an Anteil von 50 % der Säumniszuschläge bzw. 0,5 % pro Monat nicht aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Steuerschuldners die Säumniszuschläge ihren Sinn als Druckmittel verlören und folglich ein hälftiger Erlass derselben in Betracht zu ziehen sei (exemplarisch BFH-Beschluss vom 28. Oktober 2022 VI B 15/22 (AdV), BFH/NV 2023, 47).
b) Der Senat schließt sich im vorliegenden Hauptsacheverfahren der Begründung in dem BFH-Beschluss vom 28. Oktober 2022 VI B 15/22 (AdV), BFH/NV 2023, 47 an, wonach (nicht einmal) ernstliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge bestehen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die genannte Entscheidung verwiesen. Für den Senat sind bezogen auf den Streitfall darüber hinaus insbesondere folgende Gesichtspunkte von Bedeutung:
Zunächst ist in der schon mehrfach genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich herausgestellt worden, dass andere – zinsähnliche – Tatbestände der AO einer gesonderten Betrachtung zu unterziehen sind. Zugleich zog das Bundesverfassungsgericht zur Begründung des Rechtfertigungsmaßstabs einer Ungleichbehandlung ausdrücklich den Gesichtspunkt heran, dass der für die Verzinsung maßgebliche Zeitpunkt der Steuerfestsetzung weitestgehend nicht durch die Steuerpflichtigen beeinflusst werden kann, was wiederum bei anderen Verzinsungstatbeständen der Fall sein könne (BVerfG-Beschluss vom 8. Juli 2021 1 BvR 2237/14 u.a., BVerfGE 158, 282, Rn. 118 ff., Rn 243). Ob die hier in Streit stehenden Säumniszuschläge entstehen, hängt maßgeblich vom Zutun der Steuerpflichtigen ab. Denn bei fristgemäßer und vollständiger Zahlung, gegebenenfalls unter Aufnahme eines gegenüber den Säumniszuschlägen „günstigeren“ Darlehens, entstehen die Säumniszuschläge nicht. Im Streitfall ist weder vorgetragen, noch anderweitig ersichtlich, dass die Kläger die jeweils rückständigen Steuern nicht hätten tilgen können. Sie hatten damit deren Verwirkung in der eigenen Hand.
Überdies ist nach Auffassung des Senats die Funktion der Säumniszuschläge noch weitergehend zu berücksichtigen. Diesen kommt nach der genannten Rechtsprechung (BFH-Beschluss vom 28. Oktober 2022 VI B 15/22 (AdV), BFH/NV 2023, 47 m.w.N.) auch die Funktion zu, den aus der versäumten Steuerzahlung resultierenden Verwaltungsaufwand abzugelten. Dieser Verwaltungsaufwand, etwa durch die dadurch entstehende Notwendigkeit einer Mahnung und der Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, ist aber im Grundsatz unabhängig von der Höhe der rückständigen Steuerzahlungen. Für den Streitfall, in welchem kleinere rückständige Steuerbeträge und folglich Säumniszuschläge eher in geringer Höhe entstanden sind, bedeutet dies, dass der pauschal abzugeltende Verwaltungsaufwand bereits einen erheblichen Teil der verwirkten Säumniszuschläge ausmacht, während er bei höheren Beträgen anteilig geringer ausfiele. Der ohnehin nicht bezifferbare Zinsanteil der Säumniszuschläge liegt daher zur Überzeugung des Senats nicht einmal in der Nähe eines Zinssatzes von 0,5 % pro Monat.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass auch nach der zitierten Rechtsprechung des BFH, welche im Grundsatz von ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge ausgeht, insofern keine Zweifel bestehen, als die Säumniszuschläge vor dem 1. Januar 2019 entstanden sind (BFH-Beschluss vom 23. Mai 2022 V B 4/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1030). Dies wiederum folgt aus der Fortgeltungsanordnung für die Regelungen zur Verzinsung nach § 233a AO aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG-Beschluss vom 8. Juli 2021 1 BvR 2237/14 u.a., BVerfGE 158, 282). Auch diese Überlegung macht sich der Senat zu eigen, sodass für die im Einzelnen in der Anlage zum Abrechnungsbescheid und in der Anlage zur Einspruchsentscheidung vor dem 1. Januar 2019 verwirkten Säumniszuschläge auch aus diesen Gründen keine Verfassungswidrigkeit der Säumniszuschläge hergeleitet werden kann.
Unerheblich ist nach Auffassung des Senats, aus welchen Gründen die Säumniszuschläge entstanden sind. Zwar wird aus dem Vortrag der Kläger nicht recht deutlich, ob sie insofern verfassungsrechtliche oder einfachgesetzliche Aspekte ansprechen wollen. Dies kann aber dahinstehen, da eine verfassungsrechtliche Dimension nicht ersichtlich ist und die Einwendungen der Kläger einfachgesetzlich nicht im Rahmen des Abrechnungsbescheids berücksichtigt werden können. Denn sofern eine Aussetzung der Vollziehung nicht in Betracht kam, weil kein förmlicher Rechtsbehelf gegen eine Steuerfestsetzung vorlag, ist dies wiederum auf ein (unterlassenes) Handeln der Kläger zurückzuführen. Im Streitfall musste zudem der Kläger als Steuerberater wissen, dass eine Aussetzung der Vollziehung einen Einspruch voraussetzt und bei anderweitigen Anträgen etwa auf Erlass oder schlichte Änderung nicht in Betracht kommt. Überdies sind derartige Gesichtspunkte auch schon nicht Gegenstand der gesetzlichen Regelung nach § 240 Abs. 1 AO und können daher allenfalls in Billigkeitsverfahren eine Rolle spielen.
c) Eine Vorlage an das allein für die Verwerfung einer gesetzlichen Norm zuständige Bundesverfassungsgericht kommt unter diesen Voraussetzungen nicht in Betracht. Hierfür erforderlich wäre, dass der Senat die Vorschrift des § 240 Abs. 1 AO für verfassungswidrig hält (Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes, §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG). Dies ist wie unter b) dargelegt nicht der Fall.
II. Das Verfahren war auch nicht gemäß § 155 FGO, § 251 Satz1 ZPO ruhend zu stellen, da es an einem entsprechenden Antrag der Klägerseite fehlt und vielmehr die Kläger ausdrücklich um eine Entscheidung in der Sache nachsuchten.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen.