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Steuerrecht
27.03.2025
Steuerrecht
BVerfG: Verfassungsbeschwerde gegen Solidaritätszuschlag erfolglos

BVerfG, Urteil vom 26.3.2025 – 2 BvR 1505/20

ECLI:DE:BVerfG:2025:rs20250326.2bvr150520

Volltext:BB-ONLINE BBL2025-789-1

Amtliche Leitsätze

1. Die Ergänzungsabgabe nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG setzt einen finanziellen Mehrbedarf des Bundes voraus, der nach der vom Bundesverfassungsgericht nur beschränkt überprüfbaren Einschätzung des Gesetzgebers durch die Erfüllung einer vom Bund angeführten bestimmten Aufgabe voraussichtlich entstehen wird und zu dessen Deckung die Erhebung der Ergänzungsabgabe notwendig erscheint (aufgabenbezogener Mehrbedarf).

2. Ein evidenter Wegfall des einer Ergänzungsabgabe zugrunde gelegten finanziellen Mehrbedarfs begründet eine Verpflichtung des Gesetzgebers, die Abgabe aufzuheben oder die Voraussetzungen für ihre Erhebung anzupassen.

3. Die Erhebung der Ergänzungsabgabe ist von Verfassungs wegen weder von vornherein zu befristen noch auf Notlagen beschränkt.

4. Die Ergänzungsabgabe ist nicht als subsidiäres Finanzierungsinstrument ausgestaltet, das gegenüber dem nach Art. 106 Abs. 3 GG gemeinschaftlich dem Bund und den Ländern zustehenden Aufkommen aus den Gemeinschaftsteuern (insbesondere der Einkommen- und Körperschaftsteuer) oder aus anderen in Art. 106 Abs. 1 GG aufgeführten Bundessteuern nachrangig ist.

5. Bei einer an die Einkommensteuer angelehnten Ergänzungsabgabe kann die Steuererhebung mit einer sozialen Staffelung versehen werden, um dadurch der Verteilung der zusätzlichen Steuerlast nach der Leistungsfähigkeit in besonderem Maße Rechnung zu tragen.

Sachverhalt

Die Verfassungsbeschwerde der sechs Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer richtet sich gegen das Solidaritätszuschlaggesetz 1995 (SolZG 1995) in der Fassung des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 vom 10. Dezember 2019 (BGBl I S. 2115).

I. 1. Der – auch heute noch erhobene – Solidaritätszuschlag wurde mit Wirkung zum 1. Januar 1995 durch Art. 31 des Gesetzes über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte vom 23. Juni 1993 (Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms - FKPG, BGBl I S. 944 <975>) eingeführt. Er wird nach § 1 Abs. 1 SolZG 1995 als Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG erhoben. Seit dem Jahr 2021 werden nur noch bestimmte Gruppen der Einkommensteuerpflichtigen und nach wie vor alle Körperschaftsteuersubjekte mit dem Solidaritätszuschlag belastet. Bemessungsgrundlage für den Zuschlag sind im Falle der Veranlagung zur Einkommen- oder Körperschaftsteuer grundsätzlich die berechnete Einkommensteuer oder die festgesetzte Körperschaftsteuer (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 SolZG 1995) beziehungsweise die zu entrichtenden Vorauszahlungen (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 SolZG 1995). Wird die Einkommensteuer in Form der Lohnsteuer erhoben, ist für die Bemessung des Solidaritätszuschlags grundsätzlich diese maßgebend (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2a SolZG 1995). Im Falle des Kapitalertragsteuerabzugs (§§ 43 ff. des Einkommensteuergesetzes - EStG) bemisst sich der Solidaritätszuschlag nach der entsprechenden Kapitalertragsteuer (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 5 SolZG 1995). Dabei gilt die hierfür grundsätzlich angeordnete Abgeltungswirkung (vgl. § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG, § 31 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG), also die Nichtberücksichtigung entsprechender Kapitalerträge bei der Steuerveranlagung, auch für den Solidaritätszuschlag (vgl. § 1 Abs. 3 SolZG 1995). Im Übrigen lehnen sich Festsetzung und Erhebung des Solidaritätszuschlags an die entsprechenden Vorschriften des Einkommen- beziehungsweise Körperschaftsteuergesetzes an (vgl. § 1 Abs. 2 bis 4 SolZG 1995).

2. Der Zuschlagsatz zur Einkommen- oder Körperschaftsteuer betrug gemäß § 4 Satz 1 SolZG 1995 ursprünglich 7,5 Prozent der jeweiligen Bemessungsgrundlage. Mit Gesetz zur Senkung des Solidaritätszuschlags vom 21. November 1997 (BGBl I S. 2743 <2744>) wurde die Höhe des Zuschlagsatzes mit Wirkung ab dem Jahr 1998 auf 5,5 Prozent herabgesetzt, der seither gilt.

3. Abgabepflichtig sind nach § 2 SolZG 1995 zunächst natürliche Personen, die nach § 1 EStG einkommensteuerpflichtig oder nach § 2 des Außensteuergesetzes (AStG) erweitert beschränkt steuerpflichtig sind. Weiter wird der Solidaritätszuschlag von Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen erhoben, die nach § 1 oder § 2 KStG körperschaftsteuerpflichtig sind. In § 3 Abs. 3 bis 5 SolZG 1995 sind im Bereich der Einkommensteuer Freigrenzen vorgesehen. Überschreitet die Bemessungsgrundlage diese Freigrenzen nicht, fällt ein Solidaritätszuschlag nicht an.

4. Durch das Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 vom 10. Dezember 2019 (BGBl I S. 2115) wurden die Freigrenzen mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2021 deutlich angehoben. Ab diesem Zeitraum beliefen sich die (zwischenzeitlich wiederholt angehobenen) Freigrenzen auf zunächst grundsätzlich 16.956 Euro Einkommensteuer im Jahr für Einzelveranlagte beziehungsweise auf 33.912 Euro Einkommensteuer jährlich im Fall der Zusammenveranlagung. Diese Freigrenzen finden jedoch nicht für alle in § 3 Abs. 1 SolZG 1995 geregelten Bemessungsgrundlagen Anwendung. Vielmehr gelten sie nur für die Fälle der Veranlagung einkommensteuerpflichtiger Personen einschließlich der Auferlegung von Vorauszahlungen (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 3 Abs. 3 Satz 1 SolZG 1995) sowie für den Anwendungsbereich der Lohnsteuer (vgl. § 3 Abs. 4 bis 5 SolZG 1995). Für Körperschaftsteuersubjekte und dem Grundsatz nach auch für Bezieher privater Kapitaleinkünfte sind die Freigrenzen dagegen nicht anwendbar. Nach der Einschätzung der Bundesregierung im Gesetzentwurf vom 16. Oktober 2019 (vgl. BTDrucks 19/14103, S. 2) werden durch die Anhebung der Freigrenzen ab dem Veranlagungszeitraum 2021 rund 90 Prozent der Zahler von Lohnsteuer und veranlagter Einkommensteuer vollständig von der Entrichtung des Solidaritätszuschlags entlastet.

5. Auch der Zuschlagsatz von 5,5 Prozent der Bemessungsgrundlage gilt nicht für alle einkommensteuerpflichtigen Personen. Bereits § 4 Satz 2 SolZG 1995 in seiner ursprünglichen Fassung sah vor, dass bei einer Überschreitung der Freigrenzen nach § 3 Abs. 3, 4 und 5 SolZG 1995 nicht stets der Höchstzuschlagsatz zu entrichten war. Nach der aktuellen Fassung des § 4 Satz 2 SolZG 1995 beträgt der Solidaritätszuschlag grundsätzlich nicht mehr als 11,9 Prozent (in früheren Fassungen: 20 Prozent) des Unterschiedsbetrags zwischen der jeweiligen Bemessungsgrundlage und der maßgeblichen Freigrenze. Damit wird die sogenannte Milderungs- beziehungsweise Gleitzone zwischen den Freigrenzen und dem Höchstzuschlagsatz von 5,5 Prozent mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2021 (vgl. § 6 Abs. 21 SolZG 1995) erheblich ausgeweitet. Konkret stieg im Veranlagungszeitraum 2021 der Solidaritätszuschlagsatz bei Einzelveranlagten ab einer Einkommensteuer von 16.956 Euro (Freigrenze) kontinuierlich an, um bei 31.528 Euro Einkommensteuer die vollen 5,5 Prozent zu erreichen. Bei einer Zusammenveranlagung erstreckte sich in diesem Veranlagungszeitraum die Gleitzone von 33.912 Euro bis 63.056 Euro Einkommensteuer.

6. Die Einführung des Solidaritätszuschlags durch das FKPG vom 23. Juni 1993 war Teil eines umfangreichen Gesetzespakets. Zugleich wurden hierdurch die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu geordnet (sog. Solidarpakt I). Insbesondere wurden ein neues Finanzausgleichsgesetz (FAG) und ein Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost erlassen (Art. 33, 35 FKPG; BGBl I S. 944 <977, 982>), in denen umfangreiche Finanzhilfen für die neuen Länder beziehungsweise deren Gemeinden vorgesehen waren. Durch das Gesetz zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Solidarpaktfortführungsgesetz - SFG) vom 20. Dezember 2001 (BGBl I S. 3955) wurde der Solidarpakt für den Zeitraum 2005 bis einschließlich 2019 verlängert (sog. Solidarpakt II). Ziel war der Abbau der teilungsbedingten Sonderlasten der ostdeutschen Länder innerhalb einer Generation (vgl. BTDrucks 14/6577, S. 2; BRDrucks 485/01 <Beschluss>, S. 2).

II. 1. Die sechs Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer sind Mitglieder der Freien Demokratischen Partei (FDP) und waren im Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde zugleich Mitglieder des Deutschen Bundestages. In dieser Eigenschaft erhielten sie Entschädigungen und Amtszulagen nach dem Abgeordnetengesetz, die nach § 22 Nr. 4 Satz 1 EStG als sonstige Einkünfte der Einkommensteuer unterliegen. Dementsprechend waren die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer nach § 2 Nr. 1 SolZG 1995 abgabepflichtig für den Solidaritätszuschlag. Sie erhielten jeweils Vorauszahlungsbescheide für den Solidaritätszuschlag (vgl. § 1 Abs. 4 SolZG 1995) betreffend den Veranlagungszeitraum 2020 und die folgenden Veranlagungszeiträume. Dabei wurden die ab dem Veranlagungszeitraum 2021 wirksamen Änderungen durch das Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 lediglich bei den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern zu 2., zu 3., zu 5. und zu 6. bereits berücksichtigt, nicht dagegen bei den Beschwerdeführern zu 1. und zu 4.

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde greifen die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer unmittelbar das SolZG 1995 in der Fassung des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 vom 10. Dezember 2019 (BGBl I S. 2115) an. Sie wenden sich einerseits im Hinblick auf den Veranlagungszeitraum 2020 gegen die unveränderte Fortführung der Solidaritätszuschlagspflicht und andererseits ab dem Veranlagungszeitraum 2021 gegen den nur teilweisen Abbau des Solidaritätszuschlags. Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer rügen, das angegriffene Gesetz verletze sie in ihren Grundrechten aus Art. 14 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. Außerdem verstoße die darin angeordnete Fortführung des SolZG 1995 über das Jahr 2019 hinaus gegen Art. 6 Abs. 1 GG sowie das Gebot horizontaler Steuergerechtigkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG.

a) Das SolZG 1995 in der angegriffenen Fassung verletze die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer in ihrer Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG und damit zugleich in ihrer durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit.

aa) Die Belastung mit dem Solidaritätszuschlag falle in den Schutzbereich der eigentumsrechtlichen Gewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG, da die Abgabenpflicht an den Erwerb vermögenswerter Rechtspositionen anknüpfe. Die einkommensteuerpflichtigen Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer müssten den Solidaritätszuschlag zahlen, weil und soweit ihre Leistungsfähigkeit durch den Erwerb von Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinne erhöht sei. Das SolZG 1995 in der angegriffenen Fassung lege generell und abstrakt deren Pflichten fest und müsse als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG beziehungsweise als ein in die allgemeine Handlungsfreiheit eingreifendes Gesetz sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht mit dem Grundgesetz in Einklang stehen. Diesen Anforderungen werde das angegriffene Gesetz nicht gerecht.

bb) Das SolZG 1995 sei ab dem 1. Januar 2020 nicht mehr mit den finanzverfassungsrechtlichen Regelungen der Art. 105 ff. GG vereinbar. Der Bund habe mit dem „Dauer-Solidaritätszuschlag“ einseitig das verfassungsrechtliche Steuerverteilungssystem durch einfaches Gesetz geändert. In kompetenzrechtlicher Hinsicht sei hierdurch das Zustimmungsbedürfnis des Bundesrats zur Änderung der Einkommen- und Körperschaftsteuertarife (Art. 105 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 106 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG) ausgehebelt worden. Zudem müsse – was ab dem 1. Januar 2020 nicht mehr gewährleistet sei – der Solidaritätszuschlag die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Steuertypus der Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG fortwährend einhalten. Die Finanzverfassung des Grundgesetzes bilde eine in sich geschlossene Rahmen- und Verfahrensordnung und sei auf Formenklarheit und Formenbindung ausgelegt. Der strikten Beachtung der finanzverfassungsrechtlichen Zuständigkeitsbereiche von Bund und Ländern komme eine überragende Bedeutung für die Stabilität der bundesstaatlichen Verfassung zu. Über ihre Ordnungsfunktion hinaus entfalte die Finanzverfassung eine Schutz- und Begrenzungsfunktion, die es dem einfachen Gesetzgeber untersage, die ihm gesetzten Grenzen zu überschreiten. Dieser Schutz beziehe sich auch und vor allem auf das Vertrauen der Bürger, nur in dem durch die Finanzverfassung vorgegebenen Rahmen belastet zu werden.

(1) Für die im Wege der Auslegung zu ermittelnden verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG seien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Vorstellungen maßgeblich, die der verfassungsändernde Gesetzgeber erkennbar mit dem Charakter einer Ergänzungsabgabe verbunden habe. Daraus ergebe sich, dass eine verfassungsgemäße Erhebung einer Ergänzungsabgabe eine sachliche Begründung in Form eines zusätzlichen Finanzbedarfs des Bundes erfordere und zudem eine zeitliche Begrenzung durch den Wegfall des sachlichen Grundes erfahre. Die Zulässigkeit einer Ergänzungsabgabe beschränke sich damit auf einen temporären besonderen Finanzbedarf des Bundes für einen spezifischen Zweck. Ein allgemeiner Finanzierungsbedarf des Bundes reiche nicht aus. Denn nach der Vorstellung des verfassungsändernden Gesetzgebers habe die Ergänzungsabgabe den Zweck, anderweitig nicht auszugleichende Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt zu decken. In der amtlichen Begründung zum parallel eingebrachten Entwurf eines Ergänzungsabgabengesetzes sei ebenfalls davon die Rede gewesen, dass dem Bundesgesetzgeber ermöglicht werden solle, ohne eine Änderung der Steuersätze Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt zu decken, die auf anderem Wege, insbesondere durch Senkung von Ausgaben, nicht ausgeglichen werden könnten. Auf diese Weise trage die Abgabe, deren Erhebung keineswegs auf Dauer, sondern lediglich für Ausnahmelagen bestimmt sei, wesentlich zur inneren Festigung der bundesstaatlichen Finanzstruktur bei.

(2) Das Erfordernis eines sachlichen Grundes in Form eines zusätzlichen Finanzbedarfs des Bundes finde seine Begründung auch im systematischen Normenkontext des Finanzverfassungsrechts, insbesondere im bundesstaatlichen Verteilungsgefüge der Steuereinnahmen. Der Ordnungsrahmen des Art. 106 GG sehe hinsichtlich der Ertragshoheit vor, dass das Aufkommen bei der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer als sogenannte Gemeinschaftsteuern dem Bund und den Ländern je zur Hälfte zustehe (Art. 106 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG). Demgegenüber gebühre das Aufkommen aus der Ergänzungsabgabe allein dem Bund. Die Einführung einer Ergänzungsabgabe führe damit zu einer Verschiebung der Aufkommensverteilung zugunsten des Bundes. Könnte der Bund die Ergänzungsabgabe (zeitlich) unbeschränkt erheben, stünde ihm die Möglichkeit offen, einseitig das verfassungsrechtliche Steuerverteilungssystem durch einfaches Gesetz zu ändern. Vor diesem Hintergrund komme der Ergänzungsabgabe im finanzverfassungsrechtlichen System ein Ausnahmecharakter zu.

(3) Die zeitliche Begrenzung der Ergänzungsabgabe folge daraus, dass sie aufgrund ihrer Stellung im finanzverfassungsrechtlichen Gesamtsystem der fortdauernden inhaltlichen Rechtfertigung bedürfe. Die zeitliche Begrenzung entspreche der Zweckkausalität der Ergänzungsabgabe, die einen temporären aufgabenbezogenen Mehrbedarf des Bundes finanzieren solle und kein dauerhaftes Instrument der Steuerumverteilung darstelle. Hierin unterscheide sich die Ergänzungsabgabe von den auf Dauer angelegten Steuern. Eine ursprünglich verfassungskonform eingeführte Ergänzungsabgabe könne daher mit Zeitablauf verfassungswidrig werden, wenn der beschriebene Sonderbedarf dauerhaft wegfalle. Wenngleich es nicht erforderlich sei, eine Ergänzungsabgabe von vornherein zu befristen, sei sie doch dann aufzuheben, wenn die Voraussetzungen ihrer Erhebung entfielen, also kein zusätzlicher Finanzbedarf des Bundes für den spezifischen Zweck mehr festzustellen sei. Gehe ein ursprünglich konkret gesteigerter Mittelbedarf des Bundes über die Zeiten in einer allgemeinen Finanzlücke auf, verlangten die Ordnung der Ertragskompetenzen und das Gleichgewicht des bundesstaatlichen Finanzausgleichs die Inanspruchnahme der strukturell nachhaltigen, regulären Instrumente des bundesstaatlichen Finanzrechts, um die Lücke zu schließen.

(4) Gemessen an diesen Maßstäben sei das SolZG 1995 mit dem Auslaufen des Solidarpakts II zum 31. Dezember 2019 verfassungsrechtlich nicht mehr zu rechtfertigen. Die finanzpolitische und finanzverfassungsrechtliche Sonderlage einer besonderen Aufbauhilfe zugunsten der neuen Länder müsse als beendet betrachtet werden.

(a) Der Solidaritätszuschlag sei bei seiner Einführung mit notwendigen finanziellen Anstrengungen für den Aufbau der neuen Länder begründet worden, die nach der damaligen Finanzlage des Bundes aus dem normalen Steueraufkommen nicht finanzierbar gewesen seien. Der Aufbau der neuen Länder habe sich finanziell vor allem in den Leistungen des Bundes auf Grundlage der Solidarpakte I und II manifestiert. Zwischen dem Solidaritätszuschlag und den Solidarpakten I und II bestehe damit unstreitig eine Verbindung, weil die Legitimation der Einführung des streitgegenständlichen Solidaritätszuschlags ausschließlich in dem zusätzlichen Finanzbedarf des Bundes im Rahmen der Wiedervereinigung gelegen habe. Der Solidarpakt II sei jedoch Ende des Jahres 2019 ausgelaufen und durch einen neuen Finanzausgleich ersetzt worden, der ab dem Jahr 2020 keine Sonderbedarfe für die neuen Länder mehr ausweise, sondern eine finanzverfassungsrechtliche Normallage abbilde. Ein besonderer Finanzbedarf zur Abdeckung weiterer wiedervereinigungsbedingter Ausgaben sei folgerichtig im Bundeshaushalt nicht mehr ausgewiesen. Somit entfalle der spezifische Mittelbedarf für die Aufgabe „Finanzierung des Aufbaus Ost“ mit der Folge, dass sich die Erhebung des Solidaritätszuschlags ab dem 1. Januar 2020 als verfassungswidriges „Dauerfinanzierungsinstrument“ darstelle. Trotz eines an sich bestehenden Beurteilungs- und Einschätzungsspielraums des Gesetzgebers sei aufgrund der evident zutage getretenen Änderung der Verhältnisse mit dem Auslaufen des Solidarpakts II die Rechtfertigung für den Solidaritätszuschlag ab dem 1. Januar 2020 entfallen.

(b) Im Übrigen liege auch keine verfassungsrechtlich zulässige Umwidmung des Solidaritätszuschlags für andere Haushaltszwecke als die Finanzierung der Wiedervereinigung Deutschlands vor. Eine explizite Umwidmung sei durch den Gesetzgeber nicht erfolgt. Eine implizite Umwidmung, insbesondere zur Bewältigung der finanziellen Lasten der Corona-Pandemie, sei verfassungsrechtlich unzulässig, da diese finanziellen Lasten Bund, Länder und Kommunen gleichermaßen träfen.

b) Zudem missachte das SolZG 1995 in der Fassung des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 vom 10. Dezember 2019 zulasten der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Ein vernünftiger, aus der Sache oder sonst sachlich einleuchtender Grund dafür, dass ein Teil der bisher abgabepflichtigen Personen den Solidaritätszuschlag weiterhin entrichten müsse, während ein anderer Teil hiervon befreit werde, sei nicht ersichtlich. Von einem solidarischen finanziellen Opfer aller Bevölkerungsgruppen, das der Gesetzgeber bei Einführung des SolZG 1995 vor Augen gehabt habe, könne nicht mehr die Rede sein.

aa) Es lägen in zweifacher Hinsicht Ungleichbehandlungen vor. Durch die selektive Abschaffung des Solidaritätszuschlags ab dem Jahr 2021 erfolge innerhalb der Gruppe aller nach dem Einkommensteuergesetz abgabepflichtigen Personen eine ungleiche Belastung einer sehr geringen Personenzahl. Nur noch etwa 900.000 Personen seien in voller Höhe mit dem Solidaritätszuschlag belastet. Schätzungsweise rund 33,7 Millionen einkommensteuerpflichtige Personen müssten keinen Solidaritätszuschlag mehr leisten und schätzungsweise weitere rund 2,8 Millionen Einkommensteuerpflichtige hätten nur noch einen gedeckelten Zuschlag zu entrichten. Weiter bestehe eine Ungleichbehandlung im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der Pflicht zur Zahlung des Solidaritätszuschlags auf die Kapitalertragsteuer. Die Freigrenzen fänden bei der Erhebung der Kapitalertragsteuer keine Anwendung. Steuerpflichtige könnten in solchen Fällen zwar nach § 32d Abs. 6 EStG eine sogenannte Günstigerprüfung veranlassen, die jedoch nur dann zur Anwendung des progressiven Einkommensteuertarifs nebst den Freigrenzen des SolZG 1995 führe, wenn die daraus resultierende Gesamtsteuerbelastung aus Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag geringer ausfalle als die Abgeltungsteuer in Höhe von 25 Prozent zuzüglich des ungemilderten Solidaritätszuschlagsatzes.

bb) Die aufgezeigten Ungleichbehandlungen seien verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

(1) Hinsichtlich der unterschiedlichen (sozialen) Staffelung des Zuschlags sei bereits das verwendete Instrument der Freigrenze ungeeignet. Im Gegensatz zu Freibeträgen bewirkten Freigrenzen, die durch einen sogenannten Fallbeileffekt gekennzeichnet seien und zudem den überwiegenden Teil der einkommensteuerpflichtigen Personen von der Abgabepflicht ausnähmen, willkürliche Progressionsverschärfungen und Progressionssprünge für diejenigen einkommensteuerpflichtigen Personen, deren Einkommensteuer über den Freigrenzen liege. Die Gleitzone vermöge den beschriebenen Effekt zwar abzumildern, könne jedoch den gleichheitswidrigen Rückgriff auf derart hohe Freigrenzen wie im Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 vorgesehen nicht rechtfertigen. Der Gesetzgeber könne sich auch nicht darauf berufen, dass durch die Regelung eines Freibetrags ein erheblicher Verwaltungsmehraufwand entstünde, da ein solcher tatsächlich nicht gegeben sei.

Weiter habe der Gesetzgeber keine sachgemäße Begründung für die Ungleichbehandlung angeführt. Die in den Gesetzesmaterialien (vgl. BTDrucks 19/14103, S. 1 f.) angestellten sozialpolitischen Erwägungen mit Lenkungszweck seien im Hinblick auf den Charakter des Solidaritätszuschlags als Ergänzungsabgabe sachfremd und könnten einen steuerlichen Progressionsknick in dieser ausgeprägten Form nicht rechtfertigen. Soweit das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung BVerfGE 32, 333 die soziale Staffelung einer Ergänzungsabgabe gebilligt habe, sei die damals zugrundeliegende Ausgangssituation eine andere gewesen als beim vorliegend angegriffenen Gesetz. Die im Gesetz vom 21. Dezember 1967 vorgesehene Ergänzungsabgabe sei bereits mit der sozialen Zielsetzung eingeführt worden, ungleiche Steuerbelastungen auszugleichen, die sich durch eine Erhöhung der Umsatzsteuer ergeben hätten. Grundsätzlich verschieden dazu sei jedoch der Grund für die Einführung des Solidaritätszuschlags 1995. Dieser habe dazu gedient, einen konkreten Finanzbedarf des Bundes zu decken. Ein solcher Finanzierungszweck trage eine soziale Staffelung nicht. Im Übrigen habe eine steuerliche Umverteilung grundsätzlich über das Instrument der Einkommensteuer zu erfolgen. Werde mit Blick auf sozialpolitische Aspekte eine Ent- oder Belastung bestimmter Einkommensgruppen angestrebt, müsse dies durch einen offenen und gleichheitsgerechten veränderten Tarifverlauf der Einkommensteuer geschehen und nicht durch Erhebung einer Ergänzungsabgabe.

(2) Auch die Ungleichbehandlung im Hinblick auf die Behandlung der Kapitalerträge lasse sich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen, insbesondere nicht durch die Möglichkeit der Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG. Vielmehr werde der Solidaritätszuschlag auf Kapitalerträge grundsätzlich unverändert erhoben. Ferner seien sowohl die Lohnsteuer als auch die Kapitalertragsteuer in ihrer Erhebungsform als Abgeltungsteuer Abzugsteuern, so dass eine Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen sei.

c) Überdies verstoße das SolZG 1995 in der Fassung des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 gegen das „Gebot horizontaler Steuergerechtigkeit“ aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie gegen Art. 6 Abs. 1 GG.

aa) Ein Verstoß gegen das „Gebot horizontaler Steuergerechtigkeit“ liege darin begründet, dass durch die Erhöhung der Freigrenzen Ehepaare als Wirtschaftsgemeinschaft mit identischer gemeinsamer Leistungsfähigkeit, aber verschiedenen individuellen Beiträgen zu den gemeinsamen Einkünften unterschiedlich besteuert würden. In bestimmten Einkommensregionen führe die Anhebung der Freigrenzen dazu, dass für Ehepaare ein steuerlicher Anreiz entstehe, eine getrennte Veranlagung statt einer gemeinsamen Veranlagung zu wählen, um so eine Minderbelastung von bis zu rund 900 Euro jährlich zu erreichen. Je höher der Anteil des Haupteinkommensbeziehers am gemeinsamen Einkommen sei, desto größere Einsparungen könnten hinsichtlich des Solidaritätszuschlags im Falle einer getrennten Veranlagung erzielt werden, so dass Ehepartner mit ungleicher Einkommensverteilung bei der Höhe des Solidaritätszuschlags bevorzugt würden. Dagegen könnten Ehegatten mit paritätischer Einkommensaufteilung keine Minderbelastung bei getrennter Veranlagung erreichen. Gründe, die diese Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich.

bb) Entgegen den verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 6 Abs. 1 GG sei die gesetzliche Neufassung auch geeignet, in die freie Entscheidung der Ehepartner über ihre Aufgabenverteilung in der Ehe einzugreifen. Denn durch die beschriebenen steuerlichen Vorteile gebe das angegriffene Gesetz Anreize, die Aufgabenverteilung in Richtung eines Zuverdienermodells beziehungsweise einer Hauptverdienerehe auszugestalten. Es sei mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar, Ehen mit eigenen Einkünften beider Ehepartner ohne besondere stichhaltige Gründe günstiger zu besteuern als Ehen, in denen ein Ehepartner die gesamten Einkünfte beziehe, der andere Ehepartner sich aber im Wirtschaftsleben nicht betätigen könne, etwa weil er im Haushalt tätig sei und die Kinder erziehe. Genauso könne es andersherum ohne besondere stichhaltige Gründe nicht mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar sein, Ehen, in denen ein Partner den überwiegenden Anteil an den gemeinsamen Einkünften erziele, günstiger zu besteuern als Ehen, in denen die Partner gleiche Beiträge zu den Gesamteinkünften leisteten, etwa weil beide eine gleichberechtigte Aufteilung der Erziehungs- und Hausarbeit anstrebten.

III. Zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen haben das Bundesministerium der Finanzen für die Bundesregierung, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen als Organteil des Deutschen Bundestages, der Präsident des Bundesfinanzhofs, die Bundesrechtsanwaltskammer, die Bundessteuerberaterkammer, der Deutsche Steuerberaterverband e.V. und der Bund der Steuerzahler Deutschland e.V. (gemeinsame Stellungnahme), der Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft e.V., der Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V., der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. sowie als sachkundige Dritte Prof. Dr. Hanno Kube (Universität Heidelberg), Prof. Dr. Roman Seer (Universität Bochum) und Prof. Dr. Henning Tappe (Universität Trier).

1. Das Bundesministerium der Finanzen hält das SolZG 1995 in der angegriffenen Fassung für verfassungsgemäß. Insbesondere bestünden weiterhin wiedervereinigungsbedingte Mehrbedarfe in Höhe von rund 13 Milliarden Euro jährlich. Diesen stünden Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag 1995 von zunächst noch 18,7 Milliarden Euro im Jahr 2020, ab dem Jahr 2021 aber nur noch in einer Höhe von rund 11 bis 13 Milliarden Euro jährlich gegenüber.

Zu dieser Einschätzung gelangt das Bundesministerium der Finanzen aufgrund eines von ihm in Auftrag gegebenen Gutachtens des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW) in Zusammenarbeit mit dem ifo Institut - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V. (ifo Institut). Das Gutachten wurde im April 2020 fertiggestellt und nimmt Entwicklungen auf Basis verschiedener Szenarien bis zum Jahr 2030 in den Blick. Es kommt zusammengefasst zu dem Schluss, dass die Wiedervereinigung immer noch ihre Spuren hinterlasse. Die einzelnen bundesstaatlichen Ebenen seien davon aber in unterschiedlichem Ausmaß betroffen. Direkte, auf die Vereinigung zurückgehende Belastungen könnten für die Länder und Kommunen kaum noch identifiziert werden. Hingegen ließen sich vereinigungsbedingte Mehrbelastungen auch weiterhin auf der Bundesebene feststellen, auch wenn sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Lebensverhältnisse zwischen Ost- und Westdeutschland in den letzten Jahrzehnten stark angenähert hätten. Die Wirtschaftskraft in den ostdeutschen Ländern liege nach wie vor deutlich niedriger als selbst in den strukturschwächeren westdeutschen Ländern.

Im Ergebnis beliefen sich die einigungsbedingten überproportionalen Belastungen des Bundes in den Jahren zwischen 2020 und 2030 zusammengefasst auf voraussichtlich jährlich rund 13 Milliarden Euro. Diesen Betrag dürften demgegenüber die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag (unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995) erst in der zweiten Hälfte der 2020er Jahre übertreffen. Im Gutachten sind die identifizierten vereinigungsbedingten überproportionalen Belastungen des Bundeshaushalts und das ermittelte Aufkommen durch den Solidaritätszuschlag bei Teilabschaffung zum 1. Januar 2021 in den nachfolgend wiedergegebenen Tabellen wie folgt zusammengefasst:

 

Vereinigungsbedingte überproportionale Belastungen des Bundeshaushalts
- in Millionen Euro -

 

2020

2025

2030

Allgemeine Bundesergänzungszuweisungen

1.452

1.665

1.863

Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen

„Strukturelle Arbeitslosigkeit“

268

237

0

Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen

„Kommunale Finanzkraft“

1.206   

1.459

1.715

Überproportionale (Investitions-)Ausgaben des

Bundes

1.731      

1.865

2.038

Überproportionale SGB II-Ausgaben des Bundes

1.799       

0

0

Überproportionale Ausgaben des Bundes für die

Grundsicherung im Alter

0

0

2

Überproportionale Wohngeldausgaben des Bundes       

13

0

0

Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz-

Zahlungen des Bundes

2.768    

2.950        

2.387

Überproportionale Zuschüsse des Bundes an die

Gesetzliche Rentenversicherung

4.567

5.166    

5.075

Insgesamt

13.804  

13.342  

13.080

Solidaritätszuschlag in den Jahren 2021, 2025 und 2030
- in Millionen Euro -

 

2021

2025

2030

Aufkommen Solidaritätszuschlag bei Teilabschaffung zum 1. Januar 2021   

11.394  

13.111

17.610

         

 

2. Die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Steuerberaterverband e.V. und der Bund der Steuerzahler Deutschland e.V., der Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft e.V., der Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V., der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. sowie Prof. Dr. Hanno Kube (Universität Heidelberg) und Prof. Dr. Roman Seer (Universität Bochum) halten die Verfassungsbeschwerde im Ergebnis für zulässig und begründet (so tendenziell auch die Stellungnahme der Bundessteuerberaterkammer). Insbesondere erachten sie die Weitererhebung des Solidaritätszuschlags nach Auslaufen des Solidarpakts II Ende 2019 übereinstimmend für verfassungswidrig.

a) Verfassungsrechtliche Voraussetzung für die Erhebung einer Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG sei ein besonderer Finanzbedarf des Bundes („fiskalische Ausnahmelage“). Wenn sich dieser Sonderbedarf in eine allgemeine Finanzierungslücke umwandele („fiskalische Normallage“), dürfe der Bund keine Ergänzungsabgabe mehr erheben. Vielmehr sei er dann verpflichtet, eine grundlegende Anpassung des Finanzausgleichssystems mit den Ländern anzustreben. Konkret für den Fall des SolZG 1995 habe zunächst unzweifelhaft ein Sonderbedarf des Bundes im Hinblick auf wiedervereinigungsbedingte Lasten bestanden. Spätestens jedoch mit dem Auslaufen des Solidarpakts II sei eine fiskalische Normallage eingetreten. Die insoweit vom Gesetzgeber des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 angeführten Gründe für eine Weitererhebung (vgl. BTDrucks 19/14103, S. 1) änderten daran nichts, weil es sich bei den dort genannten Finanzierungslasten um Daueraufgaben und nicht mehr um vorübergehende Bedarfsspitzen handele.

b) Weiter erheben die genannten Verbände und sachkundige Dritte überwiegend verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf den von ihm bejahten fortbestehenden besonderen Finanzbedarf des Bundes nur eine eng begrenzte Personengruppe mit dem Solidaritätszuschlag belaste. Es handele sich insoweit um einen verfassungswidrigen „Formenmissbrauch“, da es der Sache nach um keine Sonderbedarfsdeckung, sondern um eine sozialpolitisch motivierte Korrektur der allgemeinen einkommensteuerlichen Belastungen gehe. Dadurch werde auch das Zustimmungserfordernis des Bundesrats nach Art. 105 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 106 Abs. 3 GG unterlaufen.

3. Demgegenüber gehen die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und Prof. Dr. Henning Tappe (Universität Trier) davon aus, dass die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig, jedenfalls aber unbegründet sei. Insbesondere sei für die Erhebung einer Ergänzungsabgabe kein besonderer Finanzbedarf des Bundes zu fordern; ein allgemeiner Finanzbedarf reiche insoweit aus. Selbst wenn man das Gegenteil annähme, bestünden immer noch wiedervereinigungsbedingte Mehrbedarfe des Bundes, welche die Erhebung des Solidaritätszuschlags rechtfertigten. Eine rechtserhebliche Verknüpfung zwischen dem Solidarpakt II und dem SolZG 1995 bestehe nicht. Die durch die Ausweitung der Freigrenzen bewirkte Herausnahme einer Vielzahl von Abgabepflichtigen sei durch das Sozialstaatsprinzip gerechtfertigt.

4. Der Präsident des Bundesfinanzhofs hat in seiner Stellungnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 17. Januar 2023 - IX R 15/20 -, BFHE 279, 403 verwiesen.

IV. Der Senat hat am 12. November 2024 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer ihr bisheriges Vorbringen ergänzt und vertieft haben. Als sachkundige Dritte sind neben Prof. Dr. Hanno Kube (Universität Heidelberg) und Prof. Dr. Henning Tappe (Universität Trier) auch Dr. Stefan Bach (DIW Berlin) und Prof. Reint E. Gropp, Ph.D. (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle) angehört worden.

Dr. Stefan Bach hat im Vorgriff auf die mündliche Verhandlung eine Aktualisierung der in dem im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen erstellten Gutachten bezifferten vereinigungsbedingten überproportionalen Belastungen des Bundeshaushalts und des Aufkommens des Solidaritätszuschlags vorgelegt. Danach verringern sich die ermittelten vereinigungsbedingten überproportionalen Belastungen des Bundes im Jahr 2020 um 1,08 Milliarden Euro und im Jahr 2025 um 664 Millionen Euro. Im Jahr 2030 steigen sie dagegen um 945 Millionen Euro an. Das Aufkommen aus der Erhebung des Solidaritätszuschlags soll nach dieser aktualisierten Ermittlung in dem Zeitraum von 2021 bis 2030 geringer anzusetzen sein als im Gutachten angenommen. Im Jahr 2021 sei eine Verringerung von 366 Millionen Euro zu verzeichnen. Für das Jahr 2025 soll sich das prognostizierte Aufkommen um 611 Millionen Euro reduzieren und im Jahr 2030 soll schließlich das erwartete Aufkommen um 1,96 Milliarden Euro schrumpfen. Prof. Reint E. Gropp, Ph.D. hat das Gutachten für in sich schlüssig gehalten, aber dessen Grundannahmen zur Frage der Wiedervereinigungsbedingtheit der angesetzten überproportionalen Mehrausgaben für die neuen Länder in Zweifel gezogen.

Aus den Gründen

39        B. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

40        I. Die Beschwerdebefugnis ist bei sämtlichen Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern gegeben, soweit sie eine Verletzung der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG beziehungsweise der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG sowie einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG rügen. Dagegen ist eine Beschwerdebefugnis, soweit eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG und weiter ein Verstoß gegen die horizontale Steuergerechtigkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG geltend gemacht wird, nicht hinreichend dargelegt und auch sonst nicht ersichtlich. Letzteres berührt die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde insgesamt jedoch nicht, da die erhobenen Rügen denselben Streitgegenstand betreffen (vgl. BVerfGE 151, 202 <273 ff. Rn. 86, 90, 97> - Europäische Bankenunion).

41        1. Die Beschwerdebefugnis setzt die hinreichend begründete Behauptung voraus, durch einen Akt der öffentlichen Gewalt in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt zu sein. Dazu müssen sowohl die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung (2.) als auch die eigene, unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit (3.) in einer den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Weise dargelegt sein (vgl. BVerfGE 159, 355 <375 Rn. 25> - Bundesnotbremse II (Schulschließungen)). Zu den Anforderungen an die Begründung der Verfassungsbeschwerde gehört, das als verletzt behauptete Recht zu bezeichnen und den seine Verletzung enthaltenden Vorgang substantiiert und konkret bezogen auf die eigene Situation darzulegen. Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffene Maßnahme verletzt sein sollen (vgl. BVerfGE 159, 223 <270 Rn. 89> m.w.N. - Bundesnotbremse I (Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen)).

42        2. Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer haben eine mögliche Verletzung ihrer Grundrechte durch das SolZG 1995 zumindest teilweise hinreichend dargelegt.

43        a) Sie haben substantiiert und schlüssig ausgeführt, dass das angegriffene Gesetz sie in ihrer Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG beziehungsweise in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzen könnte. Dabei haben sie sich sowohl mit der Rechtsprechung des Senats zum Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG im Falle der Erhebung von Steuern, die – wie etwa die Gewerbe- und Einkommensteuer – an den Hinzuerwerb oder das Innehaben vermögenswerter Rechtspositionen anknüpfen (vgl. BVerfGE 115, 97 <110 ff.>; 162, 325 <345 Rn. 76> - Zinsen Kernbrennstoffsteuer), als auch mit den vom Bundesverfassungsgericht zum Typus der Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG entwickelten Maßstäben (vgl. BVerfGE 32, 333) auseinandergesetzt. Auch soweit ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG im Hinblick auf die Anhebung der Freigrenzen für bestimmte Abgabepflichtige und die damit verbundene soziale Staffelung des Solidaritätszuschlags gerügt wird, ist die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung noch hinreichend dargelegt.

44        b) Dagegen genügt die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich des weiter geltend gemachten Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 GG nicht den an sie zu stellenden Begründungsanforderungen. Insoweit wird bereits unabhängig von den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer (vgl. Rn. 50) nicht hinreichend deutlich, weshalb auf der Grundlage gefestigter verfassungsrechtlicher Maßstäbe eine Verletzung dieses Grundrechts in Betracht kommen sollte.

45        aa) Neben dem Diskriminierungsverbot von Ehen gegenüber anderen Lebensgemeinschaften (vgl. BVerfGE 76, 1 <72>; 99, 216 <232>; 114, 316 <333>) folgt aus Art. 6 Abs. 1 GG auch, dass der Gesetzgeber Regelungen zu vermeiden hat, die geeignet sind, in die freie Entscheidung der Ehegatten über ihre Aufgabenverteilung in der Ehe einzugreifen (vgl. BVerfGE 87, 234 <258 f.>; 107, 27 <53>; 133, 377 <410 Rn. 82>; stRspr). In diesen Bereich fällt auch die Entscheidung darüber, ob ein Ehegatte sich ausschließlich dem Haushalt widmen oder beruflich tätig sein und eigenes Einkommen erwerben will (vgl. BVerfGE 21, 329 <353>; 107, 27 <53>; 133, 377 <410 Rn. 82>; stRspr). Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer sehen hieran anknüpfend einen solchen Eingriff in die Entscheidungsfreiheit der Ehegatten darin, dass das SolZG 1995 durch seine Freigrenzen in bestimmten Kon-stellationen Anreize gebe, die Aufgabenverteilung in der Ehe in Richtung eines Zuverdienermodells auszugestalten.

46        bb) In der Tat führen die Freigrenzen im Veranlagungszeitraum 2021 bei einem zu versteuernden Gesamteinkommen der Ehegatten in einem Bereich von 160.000 Euro bis 373.000 Euro dazu, dass Ehegatten mit unterschiedlich hohen Einkommen (konkret muss das geringere zu versteuernde Einkommen zwischen etwa 45.000 Euro und 96.000 Euro liegen, das höhere zwischen circa 100.000 Euro und 304.000 Euro) bei Wahl der Einzelveranlagung (§ 26a EStG) einen Steuervorteil in Höhe von bis zu 932 Euro (vgl. Stiller, FR 2023, S. 385 <389>) gegenüber der Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) erzielen können. Dagegen steht dieser Steuervorteil Ehegatten mit demselben Gesamteinkommen, das sich aber aus zwei gleich hohen Einzeleinkommen der Ehegatten zusammensetzt, nicht offen, und zwar unabhängig davon, ob sie Einzel- oder Zusammenveranlagung wählen (vgl. Stiller, FR 2023, S. 385 <389 ff.>; Broer, Wirtschaftsdienst 2019, S. 697 <699 ff.>).

47        cc) Allerdings ist nicht ansatzweise dargelegt oder sonst ersichtlich, inwieweit ein jährlicher Steuervorteil von weniger als 1.000 Euro Ehepaare mit Einkommen in der genannten Höhe realistischerweise veranlassen könnte, ihre auf die Einkommenserzielung bezogene Aufgabenverteilung zu überdenken. Überdies setzt der Eintritt des Vorteils voraus, dass selbst der Ehegatte mit dem niedrigeren zu versteuernden Einkommen ein solches in beträchtlicher Höhe erzielt, was in der Regel nur mit einer Vollzeittätigkeit gelingen dürfte. Dann besteht aber auch nicht die Gefahr einer substantiellen Verschiebung der jeweiligen Aufgaben zwischen den Ehegatten. Schließlich kommt hinzu, dass für einen umfassenden Vorteilhaftigkeitsvergleich zwischen Einzel- und Zusammenveranlagung neben den für die soeben geschilderte Begünstigung relevanten Gesichtspunkten des Ehegattensplittings (§ 32a Abs. 5 EStG) und der Freigrenzen des SolZG 1995 noch weitere Aspekte entscheidend sind (z.B. das Vorliegen negativer Einkünfte oder die Anwendung des Progressionsvorbehalts, vgl. Paus, EStB 2016, S. 74 <76 ff.>).

48        c) Der von den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern ferner gerügte Verstoß gegen das Gebot horizontaler Steuergerechtigkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht hinreichend dargelegt. Sie haben insoweit einen Vergleich zwischen Ehepaaren mit gleichen und ungleichen Anteilen am Gesamteinkommen angestellt. Eine solche Gegenüberstellung ist jedoch kein sachgerechter, am System des Einkommensteuerrechts orientierter Vergleichstatbestand (vgl. BVerfGE 9, 237 <243>). Das Einkommensteuerrecht beruht auf dem Grundsatz der Individualbesteuerung und ist auf die Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen hin angelegt (vgl. BVerfGE 6, 55 <67>; 9, 237 <243>; 82, 60 <86>; 107, 27 <47>). Beruht aber das System der Einkommensteuer nicht auf der steuerlichen Leistungsfähigkeit der Ehepaare, sondern auf der der einzelnen Steuerpflichtigen, dann kann unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG nicht die steuerliche Belastung von Ehepaaren, sondern nur von einzelnen Steuerpflichtigen miteinander verglichen werden (vgl. BVerfGE 9, 237 <243>).

49        3. Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer haben auch hinreichend dargelegt, durch das angegriffene Gesetz selbst (a) und gegenwärtig (b) betroffen zu sein (vgl. BVerfGE 109, 279 <305>; 115, 118 <137>; 123, 267 <329>; 140, 42 <57 Rn. 55>). Eine unmittelbare Betroffenheit ist zwar nicht gegeben; die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer können sich aber auf eine Ausnahme von diesem Erfordernis berufen (c).

50        a) Selbstbetroffenheit liegt vor, wenn der Beschwerdeführer Adressat der Norm ist (vgl. BVerfGE 102, 197 <206 f.>; 140, 42 <57 Rn. 57> m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall. Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer haben durch Vorlage der an sie gerichteten Vorauszahlungsbescheide für den Solidaritätszuschlag ausreichend belegt, dass sie nach dem angegriffenen Gesetz im Jahr 2020 und auch ab dem Jahr 2021 weiterhin abgabepflichtig waren und sie damit hinsichtlich einer möglichen Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG selbst betroffen sind. Ausweislich der eingereichten Vorauszahlungsbescheide wurden gegen sie jeweils mit Wirkung ab dem Jahr 2020 Vorauszahlungen auf den Solidaritätszuschlag festgesetzt. Sofern die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer auch eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG und einen Verstoß gegen die horizontale Steuergerechtigkeit geltend gemacht haben, haben sie hingegen nicht dargelegt, dass sie von den insoweit grundrechtlich allein geschützten Konstellationen (vgl. Rn. 44 ff., 48) selbst betroffen sind.

51        b) Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer waren zu dem insoweit zunächst maßgeblichen Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde (vgl. BVerfGE 159, 223 <269 Rn. 86>; 161, 299 <334 Rn. 82> - Impfnachweis (COVID-19)) auch gegenwärtig betroffen.

52        aa) Gegenwärtig ist die Betroffenheit, wenn die angegriffene Vorschrift auf die Rechtsstellung des Beschwerdeführers aktuell und nicht nur potentiell einwirkt, wenn das Gesetz die Normadressaten mit Blick auf seine künftig eintretende Wirkung zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen zwingt oder wenn klar abzusehen ist, dass und wie der Beschwerdeführer in der Zukunft von der Regelung betroffen sein wird (vgl. BVerfGE 97, 157 <164>; 102, 197 <207>; 114, 258 <277>; 140, 42 <58 Rn. 59>). Allein die vage Aussicht, dass er irgendwann einmal in der Zukunft von der beanstandeten Gesetzesvorschrift betroffen sein könnte, genügt hingegen nicht (vgl. BVerfGE 141, 121 <128 Rn. 28>; 158, 210 <237 Rn. 65> - Einheitliches Patentgericht II - eA; 159, 223 <269 Rn. 86>; 161, 299 <334 Rn. 82>).

53        bb) Mit der Vorlage der jeweiligen Vorauszahlungsbescheide für den Solidaritätszuschlag haben die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer ihre gegenwärtige Betroffenheit durch das angegriffene Gesetz im Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde nicht nur für das Jahr 2020, sondern auch darüber hinaus hinreichend belegt. Der Umstand, dass die von den Beschwerdeführern zu 1. und zu 4. mit der Verfassungsbeschwerde vorgelegten Vorauszahlungsbescheide noch nicht die durch das Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 ab dem Veranlagungszeitraum 2021 geänderte Rechtslage berücksichtigen, ist unschädlich. Denn aufgrund der Einkommensverhältnisse der beiden Beschwerdeführer ist davon auszugehen, dass sie auch ab dem Veranlagungszeitraum 2021 Solidaritätszuschlag zahlen.

54        c) Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer haben auch in hinreichender Weise eine Ausnahme von dem Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit dargelegt.

55        aa) Eine unmittelbare Betroffenheit setzt grundsätzlich voraus, dass die Einwirkung auf die Rechtsstellung des Betroffenen nicht erst vermittels eines weiteren Akts bewirkt wird oder vom Ergehen eines solchen Akts abhängig ist (vgl. BVerfGE 115, 118 <137>; 125, 39 <75 f.>; 126, 112 <133>; 140, 42 <58 Rn. 60>). Setzt das Gesetz zu seiner Durchführung rechtsnotwendig oder auch nur nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis einen besonderen, vom Willen der vollziehenden Gewalt beeinflussten Vollzugsakt voraus, so kann sich die Verfassungsbeschwerde nur gegen diesen als den unmittelbaren Eingriff in die Rechte des Einzelnen richten, und der Beschwerdeführer hat einen gegen den Vollzugsakt etwa gegebenen Rechtsweg zu erschöpfen, bevor er die Verfassungsbeschwerde erhebt (vgl. BVerfGE 1, 97 <102 f.>; 72, 39 <43>; 90, 128 <136>; 93, 319 <338>; 109, 279 <306>; 110, 370 <381 f.>). Das SolZG 1995 ist nicht selbstvollziehend, sondern bedarf der Umsetzung durch Steuerbescheide. Solche waren zum Zeitpunkt der Einreichung der Verfassungsbeschwerde in Form von Vorauszahlungsbescheiden gegenüber den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern ergangen. Hiergegen hätten diese den finanzgerichtlichen Rechtsweg beschreiten können.

56        bb) Gleichwohl scheitert die Verfassungsbeschwerde hier nicht daran, dass die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer dies unterlassen haben. Denn in Anbetracht der besonderen Umstände des Falles greift vorliegend eine Ausnahme vom Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit.

57        (1) Die besondere Zulässigkeitsvoraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit beruht auf dem in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommenden und dieser Vorschrift zugrundeliegenden Gedanken der Subsidiarität (vgl. BVerfGE 72, 39 <43>; 137, 108 <136 Rn. 62>). Der Grundsatz der Subsidiarität ist ausnahmsweise ohne Ergreifen fachgerichtlicher Rechtsbehelfe gewahrt, soweit es Beschwerdeführern unzumutbar wäre, fachgerichtlichen Rechtsschutz suchen zu müssen (vgl. BVerfGE 115, 118 <137>; 142, 234 <250 Rn. 23>; 150, 309 <326 f. Rn. 44 f.>). Einen Rechtsbehelf ergreifen zu müssen, kann unter anderem dann unzumutbar sein, wenn dies im Hinblick auf eine entgegenstehende Rechtsprechung oder aus sonstigen Gründen offensichtlich aussichts- oder sinnlos erscheint (vgl. BVerfGE 70, 180 <186>; 102, 197 <208>; 150, 309 <327 Rn. 45>). In solchen Fällen ist nicht nur eine Ausnahme vom Grundsatz der Subsidiarität geboten, vielmehr ist ausnahmsweise auch die unmittelbare Betroffenheit eines Beschwerdeführers durch eine angegriffene Regelung trotz deren Vollzugsbedürftigkeit anzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 28. Dezember 2020 - 1 BvR 2692/20 -, Rn. 7).

58        (2) Vorliegend kann den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern spätestens seit dem Erlass des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 17. Januar 2023 - IX R 15/20 -, BFHE 279, 403 nicht mehr entgegengehalten werden, es sei ihnen zumutbar gewesen, zunächst den finanzgerichtlichen Rechtsweg zu durchlaufen. Der Bundesfinanzhof, der schon bislang in gefestigter Rechtsprechung den Solidaritätszuschlag unter Anwendung der vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung BVerfGE 32, 333 zu den Anforderungen an eine Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG entwickelten Maßstäbe für verfassungsgemäß gehalten hatte (vgl. etwa BFH, Urteile vom jeweils 21. Juli 2011 - II R 50/09 -, juris; - II R 52/10 -, BFHE 234, 250 <zu den Veranlagungszeiträumen 2005 bzw. 2007>; BFH, Urteile vom jeweils 14. November 2018 - II R 63/15 -, BFHE 266, 133; - II R 64/15 -, BFHE 263, 35 <jeweils zu dem Veranlagungszeitraum 2011>), hat sich in seinem Urteil vom 17. Januar 2023 - IX R 15/20 -, BFHE 279, 403 eingehend mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des SolZG 1995 in der angegriffenen Fassung befasst und ist zu der Einschätzung gelangt, dass die Weitererhebung dieses Zuschlags auch für die Veranlagungszeiträume 2020 und 2021 mit dem Grundgesetz in Einklang stehe. Mit der Verfassungsbeschwerde werden keine zusätzlichen Gesichtspunkte geltend gemacht, die nicht bereits in der genannten Entscheidung eine Rolle gespielt hätten. Die Anrufung der Fachgerichte gegen die ergangenen Steuerbescheide wäre mithin offensichtlich aussichtslos gewesen und ist den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern daher nicht zumutbar.

59        II. Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer haben auch die Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde eingehalten.

60        1. Eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde ist nach § 93 Abs. 3 BVerfGG binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des angegriffenen Gesetzes zu erheben. Dagegen ist die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde wegen gesetzgeberischen Unterlassens nicht an eine Frist gebunden; allerdings gilt dies nur im Falle eines echten Unterlassens, wenn also der Gesetzgeber im Hinblick auf einen verfassungsrechtlichen Auftrag, der auch in der Verpflichtung zur Nachbesserung bestehen kann, gänzlich untätig geblieben ist (vgl. BVerfGE 56, 54 <70 f.>; 58, 208 <218>; 69, 161 <167>; 77, 170 <214>). Enthält ein Gesetz hingegen eine Regelung zu den geltend gemachten Ansprüchen, hat der Gesetzgeber es nicht „unterlassen“, über diese Ansprüche zu entscheiden (sog. unechtes Unterlassen; vgl. BVerfGE 13, 284 <287>; 29, 268 <273>; 56, 54 <71 f.>). Wer eine solche Regelung als unzureichend bewertet, ist gehalten, sie im Rahmen der Anfechtung eines Vollzugsakts oder − sofern die Voraussetzungen hierfür vorliegen − unmittelbar mit einer Verfassungsbeschwerde innerhalb der maßgeblichen Frist anzugreifen (vgl. BVerfGE 56, 54 <71 f.>).

61        2. Gemessen hieran handelt es sich bei dem von den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern angegriffenen Gesetz nicht um einen Fall des echten gesetzgeberischen Unterlassens. Im Jahr 2019 wurde die von ihnen beziehungsweise ihrer Bundestagsfraktion geforderte vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags 1995 mit Auslaufen des Solidarpakts II erneut zum Gegenstand politischer Debatten gemacht. Der Gesetzgeber folgte diesem Begehren jedoch nicht, sondern wählte eine andere Lösung. Mit dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 vom 10. Dezember 2019 (Inkrafttreten am 13. Dezember 2019) entschied er, den Solidaritätszuschlag 1995 im Jahr 2020 noch vollständig (weiter) zu erheben und anschließend (ab dem Jahr 2021) nur noch bestimmte Steuerpflichtige mit dem Zuschlag zu belasten. Der Gesetzgeber hat mit diesem Gesetz nicht nur die bisher bestehenden Regelungen des SolZG 1995 nach dem Auslaufen des Solidarpakts II für das Jahr 2020 (erneut) in seinen Willen aufgenommen, sondern hat sie (ab dem Jahr 2021) − für bestimmte Steuerpflichtige im Vergleich zu nunmehr von dieser Ergänzungsabgabe ausgenommenen Einkommensteuerpflichtigen unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten nachteilig − verändert. Gegen beide − vom Gesetzgeber letztlich in einen untrennbaren Zusammenhang gestellten − Entscheidungen wenden sich die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer. Somit ist für die Verfassungsbeschwerde insgesamt die ab dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 zu bemessende Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG maßgebend (vgl. BVerfGE 78, 350 <356>; 111, 382 <411>; 131, 316 <333>). Diese Frist ist mit der am 24. August 2020 beim Bundesverfassungsgericht eingegangenen Verfassungsbeschwerde gewahrt.

62        C. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Das SolZG 1995 in der Fassung des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 verletzt die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG (I.). Auch ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG (II.) liegt nicht vor.

63        I. Die in Art. 14 Abs. 1 GG verbürgte Eigentumsgarantie der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer ist nicht verletzt. Das SolZG 1995 ist als Inhalts- und Schrankenbestimmung dieses Grundrechts (1.) gerechtfertigt (2.).

64        1. Das angegriffene Gesetz stellt eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar.

65        a) Der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) kommt im Gesamtgefüge der Grundrechte die Aufgabe zu, dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern und ihm damit eine eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 24, 367 <389>; 104, 1 <8>; 164, 76 <111 Rn. 108> - Körperschaftsteuerminderungspotenzial II; 164, 139 <170 Rn. 89> - Körperschaftsteuerminderungspotenzial III). Zu diesem Zweck soll der Bestand der geschützten Rechtspositionen gegenüber Maßnahmen der öffentlichen Gewalt bewahrt werden (vgl. BVerfGE 83, 201 <208>; 164, 76 <111 Rn. 108>; 164, 139 <171 Rn. 90>). Unter den Schutz der Eigentumsgarantie fallen grundsätzlich alle vermögenswerten Rechte, die dem Berechtigten von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigener Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf (vgl. BVerfGE 112, 93 <107>; 115, 97 <110 f.>; 123, 186 <258>; 126, 331 <358>; 162, 325 <344 f. Rn. 74>; 164, 76 <111 Rn. 107>; 164, 139 <170 Rn. 89>). Der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz umfasst damit zwar erheblich mehr als den Schutz des zivilrechtlichen Eigentums und erstreckt sich auch auf nicht dingliche vermögenswerte Rechtspositionen (vgl. BVerfGE 95, 267 <300>; 162, 325 <345 Rn. 74>). Er bleibt aber an Rechtspositionen gebunden (vgl. BVerfGE 95, 267 <300>; 162, 325 <345 Rn. 74>). Kein Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG ist das Vermögen, das selbst kein Recht, sondern den Inbegriff aller geldwerten Güter einer Person darstellt (vgl. BVerfGE 74, 129 <148>; 91, 207 <220>; 95, 267 <300>; 153, 182 <307 Rn. 333> - Suizidhilfe; 162, 325 <345 Rn. 74>; stRspr).

66        aa) Art. 14 Abs. 1 GG schützt daher grundsätzlich nicht vor der staatlichen Auferlegung von Geldleistungspflichten (vgl. BVerfGE 81, 108 <122>; 89, 48 <61>; 91, 207 <220>; 95, 267 <300>; 96, 375 <397>; 162, 325 <345 Rn. 75>). Diese sind nicht mittels eines bestimmten Eigentumsobjekts zu erfüllen, sondern werden aus dem fluktuierenden Vermögen bestritten (vgl. BVerfGE 95, 267 <300>; 162, 325 <345 Rn. 75>). Etwas anderes kommt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die Geldleistungspflichten den Betroffenen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse so grundlegend beeinträchtigen, dass sie eine erdrosselnde Wirkung haben (vgl. BVerfGE 78, 214 <230>; 78, 232 <243>; 81, 108 <122>; 95, 267 <300>; 162, 325 <345 Rn. 75>).

67        bb) Lediglich für Steuern, die – wie etwa die Gewerbe- und die Einkommensteuer – an den Hinzuerwerb oder das Innehaben vermögenswerter Rechtspositionen anknüpfen, hat der Senat entschieden, dass es sich um einen Eingriff in die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG handelt (vgl. BVerfGE 115, 97 <110 ff.>; 162, 325 <345 Rn. 76>). Ist es Sinn der Eigentumsgarantie, das private Innehaben und Nutzen vermögenswerter Rechtspositionen zu schützen, greift auch ein Steuergesetz in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie ein, wenn der Steuerzugriff tatbestandlich an das Innehaben von vermögenswerten Rechtspositionen anknüpft und so deren privaten Nutzen zugunsten der Allgemeinheit einschränkt (vgl. BVerfGE 115, 97 <111>; 162, 325 <345 Rn. 76>). Das Steuergesetz stellt sich insoweit als rechtfertigungsbedürftige Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar (vgl. BVerfGE 115, 97 <111 f.>; 162, 325 <345 Rn. 76>).

68        b) Bemessungsgrundlage des SolZG 1995 ist die – in verschiedenen Formen erhobene – Einkommen- beziehungsweise Körperschaftsteuer (vgl. § 3 Abs. 1 SolZG). Das Gesetz knüpft somit (mittelbar) an den Hinzuerwerb oder das Innehaben vermögenswerter Rechtspositionen an und stellt sich folglich nach den beschriebenen Maßstäben als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar.

69        2. Eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ist nur dann verfassungsgemäß, wenn sie sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht mit dem Grundgesetz in Einklang steht (vgl. BVerfGE 34, 139 <146>; 52, 1 <27>; 62, 169 <183>; 102, 1 <17>; 110, 1 <28>). Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Kompetenznormen des Grundgesetzes nicht nur festlegen, welcher Gesetzgeber (Bund oder Land) zum Erlass einer Regelung zuständig ist, sondern zugleich auch den Umfang der Regelungsbefugnis bestimmen (vgl. BVerfGE 34, 139 <146>; 55, 274 <298>). Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird das angegriffene Gesetz gerecht. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Erhebung des Solidaritätszuschlags als Ergänzungsabgabe im Sinne von Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG folgt aus Art. 105 Abs. 2 Satz 2 GG; die sich aus dem Typusbegriff einer Ergänzungsabgabe ergebenden Voraussetzungen für eine fortdauernde Erhebung des Solidaritätszuschlags sind bislang nicht evident entfallen (a). Das angegriffene Gesetz genügt zudem in materieller Hinsicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben (b).

70        a) Zum Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 im Dezember 2019 kam dem Bundesgesetzgeber nach den finanzverfassungsrechtlichen Bestimmungen die Gesetzgebungskompetenz für die (modifizierte) Fortführung des Solidaritätszuschlags ab dem Jahr 2020 zu. Die finanzverfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Erhebung einer Ergänzungsabgabe sind auch seither (noch) nicht evident entfallen. Für die in Art. 105 und Art. 106 GG aufgeführten Steuern und Steuerarten sind die vom Grundgesetz verwendeten Typusbegriffe maßgebend (aa). Hinsichtlich des Steuertypus der Ergänzungsabgabe kann ein evidenter Wegfall der für ihre Erhebung erforderlichen Voraussetzungen den Gesetzgeber verpflichten, die Abgabe aufzuheben oder ihre Voraussetzungen anzupassen (bb). Daher kommt es maßgeblich darauf an, welche Merkmale eine Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG prägen und ob diese zum Zeitpunkt des Erlasses des Steuergesetzes vorlagen und auch heute noch nicht evident entfallen sind (cc). Im Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 am 10. Dezember 2019 hatte der Bund die dafür erforderliche Gesetzgebungskompetenz; er ist von Verfassungs wegen auch nicht verpflichtet, das SolZG 1995 wegen eines späteren evidenten Wegfalls des angeführten aufgabenbezogenen Mehrbedarfs aufzuheben (dd).

71        aa) Nach Art. 105 Abs. 2 Satz 2 GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebung über die übrigen Steuern (d.h. Steuern, die neben den gemäß Art. 105 Abs. 1 GG der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes unterliegenden Zöllen und Finanzmonopolen sowie der in Art. 105 Abs. 2 Satz 1 GG als weiterer Gegenstand konkurrierender Gesetzgebung erwähnten Grundsteuer erhoben werden), wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen. Gemäß Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG steht dem Bund das Aufkommen aus der Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer zu.

72        Für die in Art. 105 und Art. 106 GG aufgeführten Steuern und Steuerarten verwendet das Grundgesetz Typusbegriffe (vgl. BVerfGE 145, 171 <193 Rn. 65>). Bei den Einzelsteuerbegriffen der Art. 105 GG und Art. 106 GG kommt es für die Typusbildung auf die Sicht des traditionellen deutschen Steuerrechts an (vgl. BVerfGE 7, 244 <252>; 14, 76 <91>; 110, 274 <296>; 123, 1 <16>; 145, 171 <193 Rn. 66>). Es sind diejenigen Merkmale zu ermitteln, die eine Steuer oder Steuerart nach dem herkömmlichen Verständnis typischerweise aufweist und − mit Blick auf die abgrenzende Funktion der Einzelsteuerbegriffe − zu ihrer Unterscheidung von anderen Steuern und Steuerarten notwendig sind (vgl. BVerfGE 145, 171 <193 Rn. 66>). Neue Steuern sind auf ihre Kongruenz mit den aus hergebrachter Sicht typusprägenden Merkmalen der Einzelsteuerbegriffe der Art. 105 GG und Art. 106 GG zu prüfen (vgl. BVerfGE 145, 171 <193 Rn. 67>). Innerhalb der durch Art. 105 GG und Art. 106 GG vorgegebenen Typusbegriffe verfügt der Gesetzgeber über eine weitgehende Gestaltungsfreiheit (vgl. BVerfGE 145, 171 <193 Rn. 64>). Änderungen bestehender Steuergesetze oder die Erschließung neuer Steuerquellen sind unter dem Blickpunkt der Zuständigkeitsverteilung zumindest so lange nicht zu beanstanden, wie sie sich im Rahmen der herkömmlichen Merkmale der jeweiligen Steuern halten (vgl. BVerfGE 31, 8 <19>; 145, 171 <194 Rn. 68>). Eine wie der Solidaritätszuschlag 1995 unter der Bezeichnung „Ergänzungsabgabe“ eingeführte Steuer darf also den Vorstellungen nicht widersprechen, die der verfassungsändernde Gesetzgeber erkennbar mit dem Charakter einer solchen Abgabe verbunden hat (vgl. BVerfGE 32, 333 <338>).

73        bb) Welche verfassungsrechtlichen Auswirkungen es hat, wenn eine vom Bundesgesetzgeber ursprünglich in kompetenzrechtlich zulässiger Weise eingeführte Steuer aufgrund nachträglicher Veränderungen aus dem Rahmen der herkömmlichen Merkmale dieser Steuer herausfällt, hat das Bundesverfassungsgericht bislang noch nicht entschieden. Hinsichtlich des vorliegend relevanten Steuertypus der Ergänzungsabgabe ist davon auszugehen, dass ein evidenter Wegfall der für ihre Erhebung erforderlichen Voraussetzungen eine Verpflichtung des Gesetzgebers begründet, die Abgabe aufzuheben oder ihre Voraussetzungen anzupassen.

74        (1) Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem grundlegenden Beschluss aus dem Jahr 1972 zur Ergänzungsabgabe hervorgehoben, dass die Entscheidung darüber, welche Aufgaben in Angriff genommen und wie diese finanziert werden sollen, zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers gehöre und sich grundsätzlich der Nachprüfung des Bundesverfassungsgerichts entziehe. Ausdrücklich offengelassen hat es dagegen die sich im Anschluss daran stellende Frage, ob sich angesichts des weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Aufhebung der Ergänzungsabgabe ergeben würde, wenn die Voraussetzungen für die Erhebung dieser Abgabe evident entfielen, etwa weil die dem Bund im vertikalen Finanzausgleich zufallenden Steuern, möglicherweise nach einer grundlegenden Steuer- und Finanzverfassungsreform, zur Erfüllung seiner Aufgaben für die Dauer offensichtlich ausreichen (vgl. BVerfGE 32, 333 <343>).

75        (2) Eine solche Verpflichtung lässt sich zwar noch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Überprüfungspflicht des Gesetzgebers bei einer auf längere Zeit angelegten Finanzierung einer in die spezifische Verantwortung einer Gruppe fallenden Aufgabe durch Erhebung einer Sonderabgabe aufgrund der Kompetenzvorschriften der Art. 73 ff. GG (vgl. BVerfGE 55, 274 <308>) ableiten. Danach ist der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten, stets zu überprüfen, ob seine ursprüngliche Entscheidung für den Einsatz des gesetzgeberischen Mittels „Sonderabgabe“ aufrechtzuerhalten oder ob sie wegen veränderter Umstände, insbesondere wegen Wegfalls des Finanzierungszwecks oder Zielerreichung, zu ändern oder aufzuheben ist (vgl. BVerfGE 49, 89 <130>; 55, 274 <308>). Denn die Sonderabgabe bedarf als ein Ausnahmeinstrument zur Steuer der fortdauernden Legitimation durch hinreichende Rechtfertigungsgründe (vgl. BVerfGE 55, 274 <308>). Die Ergänzungsabgabe nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG ist jedoch keine Sonderabgabe, sondern eine Steuer.

76        (3) Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Beendigung einer Ergänzungsabgabe bei evidentem Wegfall des ihr zugrunde gelegten zusätzlichen Finanzbedarfs ist aber im Hinblick darauf anzunehmen, dass die Ergänzungsabgabe gegenüber anderen Steuern, etwa gegenüber Verbrauchsteuern nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG oder den Gemeinschaftsteuern nach Art. 106 Abs. 3 GG (Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer), insoweit Besonderheiten aufweist, als sie nicht an einen steuerbegründenden Vorgang oder einen bestimmten Steuergegenstand anknüpft. Ihre Erhebung wird im Wesentlichen durch das Erfordernis eines finanziellen Mehrbedarfs des Bundes, der zur Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben benötigt wird, bestimmt (vgl. Rn. 100 ff.). Damit ist die Erhebung einer Ergänzungsabgabe weitgehend von den vom Gesetzgeber angetroffenen und bewerteten tatsächlichen Verhältnissen abhängig. Ändern sich diese später in solch signifikanter Weise, dass der ursprünglich angenommene finanzielle Mehrbedarf des Bundes evident entfallen ist, wird der Typusbegriff des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG nicht mehr gewahrt. Bei der Frage des Fortbestands des finanziellen Mehrbedarfs des Bundes besteht zwar ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, der zunächst auf eine mit gewissen Unwägbarkeiten verbundene ex-ante-Betrachtung angewiesen ist. Sieht der Gesetzgeber aber keinen Anpassungsmechanismus für den Fall einer (wesentlichen) Änderung der seiner Entscheidung zugrunde gelegten tatsächlichen Verhältnisse vor, überprüft das Bundesverfassungsgericht, ob die auf dieser Grundlage getroffene Regelung auch unter veränderten Rahmenbedingungen noch von der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers getragen wird und daher im Ergebnis weiter zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfGE 158, 282 <346 Rn. 155> m.w.N.- Vollverzinsung <zur Ungleichbehandlung durch typisierende Bemessung des Zinssatzes nach § 233a Abgabenordnung (AO)>). Dies ist dann nicht mehr der Fall, wenn sich eine Regelung unter veränderten tatsächlichen Bedingungen als evident nicht mehr realitätsgerecht erweist (vgl. BVerfGE 158, 282 <346 Rn. 155> m.w.N.).

77        (4) Insoweit trifft den Bundesgesetzgeber − bei einer länger andauernden Erhebung einer Ergänzungsabgabe − eine Beobachtungsobliegenheit (vgl. BVerfGE 133, 168 <235 f. Rn. 121>; 158, 282 <366 f. Rn. 200> m.w.N.). Er ist gehalten, in solchen Fällen seine ursprüngliche Entscheidung zur Einführung einer Ergänzungsabgabe in gewissen Abständen daraufhin zu überprüfen, ob die seinerzeit angenommene Entwicklung des finanziellen Bedarfs noch der Realität entspricht. Hierdurch wird er in die Lage versetzt, entweder zu belegen, dass die (materiellen) Voraussetzungen für die erhobene Ergänzungsabgabe nach wie vor erfüllt sind, oder Anpassungsmaßnahmen vorzunehmen, um so zu vermeiden, dass eine ursprünglich verfassungsgemäß eingeführte Ergänzungsabgabe verfassungswidrig wird.

78        cc) Es kommt damit maßgeblich darauf an, welche Merkmale eine Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG prägen und ob diese zum Zeitpunkt des Erlasses des Steuergesetzes vorlagen und auch heute noch nicht evident entfallen sind. Der Steuertypus der Ergänzungsabgabe wird in Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG nur in Ansätzen beschrieben. Ist der Gesetzeswortlaut aber nur eingeschränkt aussagekräftig, kommt anderen Auslegungsmethoden als der grammatischen Auslegung besondere Bedeutung zu.

79        (1) Nach dem Wortlaut der genannten Vorschrift ist die Ergänzungsabgabe dadurch gekennzeichnet, dass sie eine „Ergänzung“ zur Einkommen- und Körperschaftsteuer darstellt. Dies bedeutet nicht, dass es sich bei der Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG nicht um eine selbständige Steuer mit eigenständigen Voraussetzungen handelte. Denn ausweislich der Gesetzesmaterialien zur Finanzverfassung 1955 sollte die Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer als „eine selbständige, gesondert von der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer zu erhebende Abgabe eingeführt werden“, die nicht der Zustimmung des Bundesrats bedürfe (vgl. BTDrucks II/480, S. 229; vgl. auch BVerfGE 32, 333 <339>). Einen vom Bundesrat stattdessen vorgeschlagenen, von dessen Zustimmung abhängigen (unselbständigen) Bundeszuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer lehnte die Bundesregierung in ihrer hierauf abgegebenen Stellungnahme ausdrücklich ab (vgl. BTDrucks II/480, S. 228 f.). Der Alternativvorschlag des Bundesrats setzte sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durch.

80        (2) Gleichwohl kommt in der in Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG ausdrücklich erwähnten Ergänzungsfunktion zum Ausdruck, dass die genannte Abgabe in einer gewissen Akzessorietät zu der auf Dauer angelegten Einkommen- beziehungsweise Körperschaftsteuer steht (vgl. BVerfGE 32, 333 <340>). Sie ähnelt mithin in der Struktur diesen Steuern und baut auf ihrer Systematik auf (vgl. BVerfGE 32, 333 <339>). Die beschriebene Vergleichbarkeit mit Steuern, die wie die Einkommensteuer an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ausgerichtet sind, erlaubt auch die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte (vgl. BVerfGE 32, 333 <339>). Bei Steuern, die sich nach der Leistungsfähigkeit des Abgabepflichtigen bemessen, sind solche Erwägungen nicht nur zulässig, sondern sogar geboten (vgl. BVerfGE 32, 333 <339>; 43, 108 <125>; 135, 126 <144 Rn. 55> m.w.N.). Auch bei einer an die Einkommensteuer angelehnten Ergänzungsabgabe, die im Ergebnis eine Verschärfung der Einkommensteuer darstellt, kann daher die Steuererhebung mit einer sozialen Staffelung versehen werden, um dadurch der Verteilung der zusätzlichen Steuerlast nach der Leistungsfähigkeit in besonderem Maße Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 32, 333 <339>). Soweit dem im Schrifttum entgegen gehalten wird (vgl. Jachmann-Michel, jurisPR-SteuerR 10/2023 Anm. 1 unter D.II. und III.; Kube, StuW 2022, S. 3 <5>; ders., FR 2018, S. 408 <409>; ders., DStR 2017, S. 1792 <1800>; G. Kirchhof, DB 2021, S. 1039 <1040>; Hoch, DStR 2018, S. 2410 <2414 f.>), es sei kompetenzrechtlich unzulässig, über die Ausgestaltung einer Ergänzungsabgabe sozialstaatliche Mäßigungszwecke zu verfolgen, die mit dem abgaberechtfertigenden Finanzbedarf nichts gemein hätten, blenden diese Stimmen aus, dass Abgaben im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG ausdrücklich als Ergänzung zur Einkommen- und Körperschaftsteuer ausgestaltet sind und bei der Einkommensteuer die Zulässigkeit einer sozialen Staffelung gerade nicht am Erhebungszweck, sondern an der Leistungsfähigkeit gemessen wird.

81        (3) Über die gewisse Akzessorietät zur Einkommen- und Körperschaftsteuer hinaus sieht der Wortlaut des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG keine weiteren Einschränkungen für die Erhebung einer Ergänzungsabgabe vor. Der nach ihrem Wortlaut konturenarm ausgestalteten Ergänzungsabgabe sind allerdings angesichts des ihr vom verfassungsändernden Gesetzgeber verliehenen Charakters, ihrer in den Gesetzesmaterialien ausführlich beschriebenen Funktion innerhalb der bundesstaatlichen Finanzverfassungsordnung sowie der finanzverfassungsrechtlichen Systematik weitere Grenzen gezogen. Diese sind nicht so eng gesteckt, wie die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer dies im Einklang mit der überwiegenden Auffassung im Schrifttum annehmen.

82        Die Ergänzungsabgabe darf das finanzielle Ausgleichssystem des Grundgesetzes nicht zu Lasten der Länder in einer Art und Weise antasten, die Steuerarten oder Steuern aushöhlen würden, deren Aufkommen allein den Ländern zufließt oder die Bund und Ländern gemeinsam zustehen (a). Dagegen ist die Ergänzungsabgabe in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht als gegenüber anderen Steuern im Sinne des Art. 106 GG subsidiäres Finanzierungsinstrument ausgestaltet worden (b). Auch ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, eine Ergänzungsabgabe von vornherein zu befristen (c). Jedoch setzt sie als ungeschriebenes Merkmal einen finanziellen Mehrbedarf aufgrund einer vom Bund angeführten Aufgabe voraus (d). Ihre Erhebung ist aber nicht auf Notlagen oder kurzfristige Bedarfsspitzen beschränkt, sondern kann bei nicht evident feststellbarem Wegfall dieses Mehrbedarfs in den Grenzen des Aushöhlungsverbots längerfristig erhoben werden (e).

83        (a) Die Finanzverfassung des Grundgesetzes ist einer der tragenden Eckpfeiler der bundesstaatlichen Ordnung (vgl. BVerfGE 55, 274 <300>; 105, 185 <194>; 145, 171 <190 f. Rn. 57>). Das Funktionieren des bundesstaatlichen Systems erfordert eine Finanzordnung, die sicherstellt, dass der Gesamtstaat und die Gliedstaaten am Gesamtertrag der Volkswirtschaft sachgerecht beteiligt werden; Bund und Länder müssen im Rahmen der verfügbaren Gesamteinnahmen so ausgestattet werden, dass sie die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Ausgaben (vgl. Art. 104a Abs. 1 GG) leisten können (vgl. BVerfGE 32, 333 <338>; 55, 274 <300>; 108, 1 <15>; 108, 186 <214 f.>; 145, 171 <190 f. Rn. 57> m.w.N.). Gegen die diesem Ziel dienende Finanzordnung könnte verstoßen werden, wenn der Gesetzgeber bei der Einführung einer dem Bund zukommenden Steuer von den Vorstellungen des Grundgesetzes über eine derartige Steuer abweichen und damit das finanzielle Ausgleichssystem zulasten der Länder ändern würde (vgl. BVerfGE 32, 333 <338>). So darf der Bund beispielsweise keine Ergänzungsabgabe einführen, die wegen ihrer Ausgestaltung, insbesondere wegen ihrer Höhe, die Bund und Ländern gemeinschaftlich zustehende Einkommen- und Körperschaftsteuer (vgl. Art. 106 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG) aushöhlen würde (vgl. BVerfGE 32, 333 <338>). Dieses sogenannte Aushöhlungsverbot wirkt zugunsten der Länder als absolute Obergrenze des Zugriffs des Bundes auf das gemeinsame, dem Gesamtstaat nicht unbeschränkt zur Verfügung stehende Steuersubstrat.

84        (b) Dagegen ist die Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG vom verfassungsändernden Gesetzgeber nicht als subsidiäres Finanzierungsinstrument ausgestaltet worden, das gegenüber dem nach Art. 106 Abs. 3 GG gemeinschaftlich dem Bund und den Ländern zustehenden Aufkommen aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer oder aus anderen in Art. 106 Abs. 1 GG aufgeführten Bundessteuern nachrangig wäre (so jedoch Heintzen, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2021, Art. 106 Rn. 21; Kube, DStR 2017, S. 1792 <1797 f.>; Selmer/Hummel, in: Junkernheinrich/Korioth/Lenk/Scheller/Woisin, Jahrbuch für öffentliche Finanzen 2013, S. 365 <378 f.> <für Fälle einer dauerhaften Finanzierungslücke>; Matuschka, Das Nonaffektationsprinzip, 2019, S. 280). Der Bundesgesetzgeber ist daher aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht gezwungen, von der Erhebung einer Ergänzungsabgabe abzusehen, wenn auch eine Erhöhung der Einkommen- oder Körperschaftsteuer beziehungsweise eine Anhebung der dem Bund zustehenden Verbrauchsteuern in Betracht käme, dies aber aus politischen Gründen nicht opportun oder durchsetzbar erscheint.

85        Zwar ist der Bundesgesetzgeber nicht berechtigt, unter der Bezeichnung „Ergänzungsabgabe“ eine Steuer einzuführen, die den Vorstellungen widerspricht, die der verfassungsändernde Gesetzgeber erkennbar mit dem Charakter einer solchen Abgabe verbunden hat (vgl. BVerfGE 32, 333 <338>). Eine Subsidiarität der Ergänzungsabgabe gegenüber den Gemeinschaftsteuern des Art. 106 Abs. 3 GG oder den Verbrauchsteuern des Bundes lässt sich jedoch insbesondere nicht aus der Systematik des Art. 106 GG ableiten (aa) und kommt auch nicht durch die in den Gesetzesmaterialien zum Finanzverfassungsgesetz 1955 oder zur Finanzreform 1969 niedergelegten Vorstellungen und Zielsetzungen zum Ausdruck (bb). Demzufolge muss der Bund zur Deckung eines finanziellen Mehrbedarfs nicht zunächst auf andere Steuern zurückgreifen (cc).

86        (aa) Wie bereits ausgeführt (vgl. Rn. 79), beschränkt sich schon der Wortlaut des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG darauf, die dort aufgeführte Steuer als „Ergänzungsabgabe zur Einkommen-steuer und zur Körperschaftsteuer“ zu beschreiben und damit eine von einem Aushöhlungsverbot flankierte Akzessorietät zu den genannten Steuerarten festzulegen. Eine Beschränkung dahin, dass das Finanzierungsinstrument der Ergänzungsabgabe nur nachrangig zur Einkommen- und Körperschaftsteuer oder zu den dem Bund zustehenden Verbrauchsteuern herangezogen werden darf, ergibt sich aus der Formulierung der genannten Verfassungsbestimmung hingegen nicht, obwohl die Aufnahme einer derartigen Einschränkung in den Normtext ohne weiteres möglich gewesen wäre.

87        Aus dem damit besondere Bedeutung gewinnenden systematischen Zusammenhang des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG mit den übrigen in Art. 106 GG vorgesehenen Steuern lässt sich ein Nachrang oder gar ein Ausnahmecharakter der Ergänzungsabgabe ebenfalls nicht ableiten. Vielmehr wurden bereits in Art. 106 GG in der Fassung, wie er sie durch das Finanzverfassungsgesetz 1955 erhalten hat (BGBl I S. 817), nicht etwa die Gemeinschaftsteuern (damals nur Einkommen- und Körperschaftsteuer) als vorrangige Steueraufkommen aufgeführt, sondern anknüpfend an die jeweilige Ertragshoheit zunächst die ausschließlich dem Bund vorbehaltenen Steueraufkommen (Art. 106 Abs. 1 GG a.F.), anschließend die allein der Ertragshoheit der Länder zugewiesenen Steuern (Art. 106 Abs. 2 GG a.F.) und erst im Anschluss daran die gemeinschaftlichen Steuerarten (Art. 106 Abs. 3 GG a.F.) bestimmt. Bereits diese bis heute im Wesentlichen unverändert gebliebene Regelungstechnik spricht gegen einen Vorrang der Gemeinschaftsteuern, der der Ergänzungsabgabe eine nur auf Ausnahmefälle beschränkte subsidiäre Bedeutung verliehe.

88        Hinzu kommt, dass Art. 106 Abs. 1 GG auch innerhalb seines Kataloges von Steuerarten, deren Aufkommen dem Bund zusteht, kein Rangverhältnis zwischen den verschiedenen Steuern aufstellt. In gleicher Weise knüpft Art. 106 Abs. 2 GG die Zuteilung der allein den Ländern zufließenden Steuern nicht an eine bestimmte Rangfolge. Art. 106 Abs. 3 GG, der Regelungen über die gemeinschaftlich dem Bund und den Ländern zustehenden Steuern trifft, sieht ebenfalls nicht vor, dass Bund und Länder ihre Finanzbedarfe zunächst aus diesen Gemeinschaftsteuern zu decken hätten. Vielmehr beschränkte sich die Regelung in der Fassung des Finanzverfassungsgesetzes 1955 zunächst darauf, die Einkommen- und Körperschaftsteuer als gemeinschaftliche Steuern mit konkret festgelegten Beteiligungsquoten auszugestalten, wobei in Art. 106 Abs. 4 GG a.F. zusätzlich vorgesehen war, dass die Beteiligungsquoten zwischen Bund und Ländern unter eng gefassten Voraussetzungen verändert werden konnten (sog. Revisionsklausel). Damit sollte eine flexible Verteilung des Steueraufkommens entsprechend den bundesstaatlichen Finanzbedarfen gewährleistet werden (vgl. BTDrucks II/480, S. 77 Nr. 115). Durch das Finanzreformgesetz 1969 vom 12. Mai 1969 (BGBl I S. 359) wurde das Aufkommen aus der Einkommen- und der Körperschaftsteuer mit Wirkung ab dem Jahr 1970 nicht mehr in Form von abänderbaren Quoten, sondern, soweit das Aufkommen aus der Einkommensteuer nicht den Gemeinden zugewiesen wird, jeweils zur Hälfte zwischen Bund und Ländern fest aufgeteilt (vgl. Art. 106 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG). Als weitere Gemeinschaftsteuer trat jedoch die Umsatzsteuer hinzu (vgl. auch Reissert, Wirtschaftsdienst 1982, S. 98 <99 Fn. 3>). Dieser kam nun anstelle von Einkommen- und Körperschaftsteuer die Funktion zu, als gemäß Art. 106 Abs. 3 Satz 3 und 4 GG bewegliches Steueraufkommen im Falle von Verschiebungen der finanziellen Bedarfe von Bund und Ländern deren angemessene Deckung sicherzustellen. Zu diesem Zweck sieht Art. 106 Abs. 4 GG nunmehr eine gegenüber der früher für die Einkommen- und die Körperschaftsteuer geltenden Klausel im Wortlaut nur leicht veränderte Revisionsklausel vor. Die Systematik des Art. 106 GG erschöpft sich damit in der Zuteilung der Erträge der einzelnen Steuerarten auf den Bund und die Länder, ohne diesen eine Reihenfolge vorzugeben, durch welche Steuerarten sie ihre jeweiligen Bedarfe decken.

89        (bb) Deutet damit auch der systematische Zusammenhang des Art. 106 GG nicht auf eine Subsidiarität der in Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG geregelten Ergänzungsabgabe gegenüber der Einkommen- und Körperschaftsteuererhebung hin, lässt sich eine solche Beschränkung noch weniger dem entstehungsgeschichtlich erkennbaren Sinn und Zweck dieser Steuer entnehmen.

90        Mit der Einfügung des Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG a.F. (heute Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG) verfolgte der verfassungsändernde Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung insbesondere das Ziel, zur Vermeidung von Verteilungskämpfen zwischen Bund und Ländern die Anwendung der im Gesetzentwurf in Art. 106e GG vorgesehenen und als Art. 106 Abs. 4 GG a.F. verabschiedeten Revisionsmöglichkeit der Beteiligungsquoten an den Gemeinschaftsteuern auf solche Fälle zu begrenzen, in denen der Bund Mehrbelastungen gerade nicht aus der „beweglichen Steuerreserve“ einer Ergänzungsabgabe decken könne (vgl. BTDrucks II/480, S. 72, 77; ebenso Tappe, NVwZ 2020, S. 517 <518>). Die Revisionsklausel sollte nur „bei erheblichen Veränderungen und nur insoweit zum Zuge komm[en], als der Ausgleich nicht durch andere, finanzpolitisch zumutbare Maßnahmen des ausgleichsbedürftigen Partners erzielt werden kann und die berechtigten Interessen des anderen Partners nicht unzumutbar beeinträchtigt werden“ (vgl. BTDrucks II/480, S. 77). Die so eingeschränkte Revisionsmöglichkeit erhalte damit „den Charakter einer ultima ratio, die nur für wirkliche Notbedürfnisse zur Verfügung steht und nicht dazu führen kann, praktisch den gegenwärtigen Zustand alljährlicher Auseinandersetzungen um die Beteiligungsquoten an der Einkommen- und Körperschaftsteuer aufrechtzuerhalten“ (vgl. BTDrucks II/480, S. 77). Damit sollte nach den Zielsetzungen des verfassungsändernden Gesetzgebers die Ergänzungsabgabe gerade nicht als nachrangige Finanzierungsmöglichkeit des Bundes greifen, sondern vielmehr die − nur eingeschränkt mögliche − Abänderung der Beteiligungsquote des Bundes an den Gemeinschaftsteuern das letzte Mittel darstellen.

91        Bestätigt werden diese Zielsetzungen durch die im späteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens abgegebenen Erklärungen der Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu Änderungsvorschlägen des Bundesrats. Dort führte sie wörtlich aus: „Wenn die Revisionsklausel die ihr nach […] der Begründung zugedachte Funktion einer ultima ratio erhalten soll, muß der Bund die Möglichkeit haben, einen etwaigen Mehrbedarf in beschränktem Umfange auch durch steuerpolitische Maßnahmen auf dem Gebiet der direkten Besteuerung eigenverantwortlich auszugleichen“ (vgl. BTDrucks II/480, S. 228). Diesem Zweck könne – so die Sicht der Bundesregierung – „nur eine Abgabe dienen, die nicht − wie der vom Bundesrat vorgeschlagene Bundeszuschlag zur Einkommensteuer und zur Körperschaft-steuer − von der Zustimmung des Bundesrates abhängig ist“ (vgl. BTDrucks II/480, S. 228 f.). Die Ergänzungsabgabe solle als „eine selbständige, gesondert von der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer zu erhebende Abgabe eingeführt werden“; sie bedürfe daher nicht der Zustimmung des Bundesrats (vgl. BTDrucks II/480, S. 229; vgl. auch Reissert, Wirtschaftsdienst 1982, S. 98 <98 f.>).

92        Daran anschließend führte die Bundesregierung die Folgen für die Länder und die Bürger an, die aus ihrer Sicht die Ablehnung der Möglichkeit einer Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer zeitigen würde. Sie machte ausdrücklich geltend: „Ohne diese Abgabe [d.h. die Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer] würde der Bund − abgesehen von der durch die Bundesregierung als nicht ausreichend erachteten Möglichkeit eines Bundeszuschlages zur Einkommen- und Körperschaftsteuer − vor die Wahl gestellt, zur Deckung eines zusätzlichen Bedarfs entweder allein die indirekten Bundessteuern stärker anzuspannen oder aber die Einkommen- und Körperschaftsteuer so übermäßig zu erhöhen, daß er seinen Mehrbedarf allein aus dem ihm zustehenden Anteil am Aufkommen dieser Steuern befriedigen“ könne. „Zwangsläufig würden damit auch den Ländern Mehreinnahmen zufließen, die sie u.U. überhaupt nicht benötigen“ (vgl. BTDrucks II/480, S. 229). Weiter heißt es in der Stellungnahme der Bundesregierung: „Die Ablehnung der Ergänzungsabgabe würde bedeuten, daß die auch vom Bundesrat als unerwünscht empfundenen ständigen Auseinandersetzungen über die Beteiligung des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer unvermindert fortgesetzt würden oder, falls nach dem Vorschlag des Bundesrates auch die Revisionsklausel abgelehnt werden sollte, ein zusätzlicher Finanzbedarf des Bundes ohne Rücksicht auf die sozialen Auswirkungen nur durch Erhöhung der indirekten Steuern (Verbrauchsteuern, Umsatzsteuer) gedeckt oder aber der unheilvolle Weg inflatorischer Maßnahmen beschritten werden müßte“ (vgl. BTDrucks II/480, S. 229). Nach der Konzeption des Art. 106 GG sollte die Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer gegenüber einer Anhebung dieser Gemeinschaftsteuern oder einer Erhöhung der indirekten Bundessteuern (Verbrauchsteuern) beziehungsweise einer Veränderung des Anteils des Bundes gerade nicht subsidiär sein.

93        (cc) Der Bund darf folglich im Falle eines finanziellen Mehrbedarfs nicht erst dann von dem Finanzierungsinstitut der Ergänzungsabgabe Gebrauch machen, wenn er zuvor entweder eine Erhöhung der ihm gemeinsam mit den Ländern zustehenden Gemeinschaftsteuern oder eine Revision der diesbezüglichen Beteiligungsquoten versucht beziehungsweise eine Erhöhung der ihm nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG zustehenden Verbrauchsteuern ausgeschlossen hat. Ein solches Vorgehen würde sowohl den Belangen der Steuerpflichtigen als auch der Länder zuwiderlaufen.

94        Eine Erhöhung der Einkommen- oder Körperschaftsteuer zur Deckung eines Mehrbedarfs allein des Bundes wäre für die Steuerpflichtigen mit nicht veranlassten Mehrbelastungen verbunden, weil die Gemeinschaftsteuern nicht allein um den Anteil des Bundes erhöht werden können. Das daraus erzielte Aufkommen steht vielmehr in gleicher Höhe den Ländern zu, soweit es nicht den Gemeinden zugewiesen ist (vgl. Art. 106 Abs. 3 Satz 1 GG). In Anbetracht der aktuell geltenden Verteilungsquoten müsste also der Gesetzgeber, um beispielsweise einen finanziellen Bedarf des Bundes von 10 Milliarden Euro zu decken, das Aufkommen aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer soweit vergrößern, dass ein Mehraufkommen von mehr als 20 Milliarden Euro erzielt würde. Dies würde aber bei fehlendem oder weniger starkem Finanzbedarf der Länder unnötige Zusatzbelastungen für die Steuerpflichtigen bedeuten (vgl. BTDrucks II/480, S. 229; vgl. auch BVerfGE 32, 333 <340 f.>).

95        Eine Verschiebung der grundgesetzlich verankerten Verteilungsquote bezüglich der Einkommen- und Körperschaftsteuer zugunsten des Bundes kann schon deshalb nicht vorrangig sein, weil sie eine Verfassungsänderung voraussetzen würde. Dessen ungeachtet führte eine solche Änderung wie auch eine Veränderung der Beteiligungsquoten an der Umsatzsteuer zugunsten des Bundes zu nachteiligen Auswirkungen für die Länder. Denn bei zumindest gleichbleibendem Finanzbedarf der Länder würde dies finanzielle Lücken auf deren Seite nach sich ziehen.

96        Auch zur Heraufsetzung der dem Bund nach Art. 106 Abs. 1 GG zustehenden anderen Steuern ist die Erhebung einer Ergänzungsabgabe nicht subsidiär. Die Einführung der Ergänzungsabgabe sollte nach den Gesetzgebungsmaterialien verhindern, dass der Bund gezwungen wäre, einen zusätzlichen Finanzbedarf ohne Rücksicht auf die sozialen Auswirkungen nur durch Erhöhung der indirekten Steuern oder durch inflatorische Maßnahmen zu decken (vgl. BTDrucks II/480, S. 229).

97        (c) Eine Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG ist von Verfassungs wegen auch nicht von vornherein zu befristen (vgl. BVerfGE 32, 333 <340>). Gegen eine Befristung spricht insbesondere die bereits beschriebene Funktion (vgl. Rn. 90 ff.), die die Ergänzungsabgabe als bewegliche Alternative zur Anpassung der Einkommen- oder Körperschaftsteuer als gemeinschaftliche Steuern oder zur Erhöhung der allein dem Bund zufließenden Verbrauchsteuern erfüllen soll (vgl. BVerfGE 32, 333 <340>; vgl. auch BTDrucks II/480, S. 72, 229).

98        (aa) Wenn die Ergänzungsabgabe auf diese Weise als Alternative zur Einführung oder Erhöhung (indirekter) Verbrauchsteuern des Bundes, die erfahrungsgemäß für längere Dauer erfolgen, konzipiert ist, kann bereits aus diesem Umstand geschlossen werden, dass auch die Ergänzungsabgabe nicht nur für einen ganz kurzen Zeitraum erhoben werden darf (vgl. BVerfGE 32, 333 <340>). Daraus folgt, dass dem Typusbegriff der Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG nicht von vornherein eine Befristung einer solchen Abgabe zu entnehmen ist (vgl. BVerfGE 32, 333 <340>). Gegen eine Befristung als wesens-eigenes Element der Ergänzungsabgabe sprechen zudem die in der Gesetzesbegründung und in der Stellungnahme der Bundesregierung zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrats angestellten Erwägungen, durch die Einführung der Ergänzungsabgabe eine allzu häufige Revision der Beteiligungsquote zwischen dem Bund und den Ländern bezüglich der Gemeinschaftsteuern zu verhindern (vgl. BVerfGE 32, 333 <340>; vgl. auch BTDrucks II/480, S. 72, 229).

99        (bb) Weiter wurde bei den Beratungen zum Finanzverfassungsgesetz 1955 ein längerfristiger Mehrbedarf des Bundes in den Blick genommen und dabei ein Vergleich der Auswirkungen insbesondere auf die Steuerzahler im Falle der Erhebung einer Ergänzungsabgabe des Bundes einerseits und im Falle der Anhebung der Einkommen- und Körperschaft-steuer als Gemeinschaftsteuern, die ein dauerhaftes Steueraufkommen sichern sollen, andererseits angestellt (vgl. BVerfGE 32, 333 <340 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. September 2010 - 2 BvL 3/10 -, Rn. 17). Die Möglichkeit, einen solchen Mehrbedarf durch eine Anhebung der Bund und Ländern gemeinschaftlich zustehenden Einkommen- und Körperschaftsteuer (vgl. Art. 106 Abs. 3 GG) zu decken, wurde wegen der damit verbundenen Notwendigkeit, diese Steuern so „übermäßig zu erhöhen“, dass der Bund seinen Mehrbedarf allein aus dem ihm zustehenden Anteil am Aufkommen dieser Steuern befriedigen könne, und wegen der damit zwangsläufig verbundenen Wirkung, dass den Ländern − unter Umständen gar nicht benötigte − Mehreinnahmen zuflössen, ausdrücklich verworfen (vgl. BTDrucks II/480, S. 229; vgl. auch BVerfGE 32, 333 <341>). Auch aus diesen Erwägungen lässt sich ableiten, dass die letztlich als vorzugswürdig bewertete Ergänzungsabgabe nicht auf eine nur kurzfristige Bedarfsdeckung zugeschnitten werden sollte (vgl. BVerfGE 32, 333 <340 f.>). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass während des Gesetzgebungsverfahrens zum Finanzverfassungsgesetz 1955 keine ernsthaften Versuche angestellt wurden, eine Befristung in das Gesetz einzuführen, obwohl der Bundesrat, um eine Begrenzung der verfassungsrechtlichen Ergänzungsabgabe der Höhe nach (auf 5 Prozent der Einkommen- oder Körperschaftsteuer) zu erreichen, den Vermittlungsausschuss angerufen hatte (vgl. BVerfGE 32, 333 <341> m.w.N.).

100      (d) Die Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG setzt jedoch als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal einen finanziellen Mehrbedarf des Bundes voraus, der nach der vom Bundesverfassungsgericht nur beschränkt überprüfbaren Einschätzung des Gesetzgebers durch die Erfüllung einer vom Bund angeführten bestimmten Aufgabe voraussichtlich entstehen wird und zu dessen Deckung die Erhebung der Ergänzungsabgabe notwendig erscheint. Insoweit genügt – anders als bei sonstigen Steuern – nicht ein allgemeiner Finanzbedarf, also eine in ihren Ursachen nicht näher spezifizierte, allgemeine finanzielle Deckungslücke des Bundes. Umgekehrt unterliegt das Aufkommen aus der Ergänzungsabgabe aber auch keiner Zweckbindung. Vielmehr ist aufgrund der Konzeption der bundesstaatlichen Finanzverfassung lediglich ein aufgabenbezogener Mehrbedarf zu fordern. Es ist dementsprechend im Gesetzgebungsverfahren offenzulegen, dass dem Bund aus der Erfüllung einer bestimmten Aufgabe ein finanzieller Mehrbedarf entsteht (einen aufgabenbezogenen Mehrbedarf anführend auch der Gesetzentwurf zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995, vgl. BTDrucks 19/14103, S. 1).

101      (aa) Anders als der Ertrag aus Sonderabgaben nach Art. 73 ff. GG (vgl. BVerfGE 55, 274 <298, 302>) ist das Aufkommen aus der Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG als Steuer ausnahmslos in den Haushaltsplan des Bundes einzusetzen (vgl. Art. 110 Abs. 1 Satz 1 GG); wie grundsätzlich jede Steuer dient es dem allgemeinen Finanzbedarf des Staatswesens. Weder aus dem Wortlaut des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG noch aus den systematischen Zusammenhängen, in die diese Vorschrift eingebettet ist, ergeben sich bezüglich der Verwendung der Geldflüsse aus einer Ergänzungsabgabe hiervon abweichende Sonderregelungen. Dieser Umstand spräche an sich dafür, dass die Erhebung einer Ergänzungsabgabe von Verfassungs wegen bereits dann in Betracht kommt, wenn beim Bund eine allgemeine Finanzierungslücke auftritt, die nicht mit anderen Mitteln gedeckt werden kann oder soll.

102      Auch in den Materialien zum Finanzverfassungsgesetz 1955 und zum Finanzreformgesetz 1969 wird der Bedarf des Bundes, zu dessen Deckung die Ergänzungsabgabe erhoben wird, nicht näher beschrieben. Dort ist nur die Rede von „anderweitig nicht auszugleichende[n] Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt“, von „Mehrbelastungen des Bundes“, von der Deckung eines „zusätzlichen Bedarfs“ oder „Mehrbedarfs“ (vgl. BTDrucks II/480, S. 72, 229) beziehungsweise von der „Zunahme seines [gemeint des Bundes] Steuerbedarfs“ (vgl. BTDrucks V/2861, S. 21). Ebenso wenig äußerte sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1972 (BVerfGE 32, 333) zu der mit Gesetz vom 21. Dezember 1967 (vgl. BGBl I S. 1254) mit Wirkung ab dem Jahr 1968 eingeführten Ergänzungsabgabe zu dem Erfordernis eines durch eine konkrete Aufgabe ausgelösten Mehrbedarfs. In den Materialien zu diesem Gesetz waren auch keine konkreten Aufgaben benannt worden, die Anlass für die Einführung der damaligen Ergänzungsabgabe gegeben hatten. Vielmehr sollte die Ergänzungsabgabe in Höhe von 3 Prozent der Einkommen- und Körperschaftsteuer für „einkommenstärkere Schichten“ − neben der ebenfalls vorgesehenen Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes und dem Abbau von Steuerbegünstigungen im Kreditgewerbe − die Bundesfinanzen für die kommenden Jahre ordnen und stabilisieren und so die „Grundlage für eine zukunftsweisende Ordnung des Bundeshaushalts“ schaffen (vgl. BTDrucks V/2087, S. 8; vgl. ferner Reissert, Wirtschaftsdienst 1982, S. 98 <99>).

103      Dementsprechend sehen Stimmen im Schrifttum einen auf konkrete Aufgaben bezogenen Finanzbedarf des Bundes nicht als Voraussetzung für die Erhebung einer Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG an. Vielmehr ist für sie allein ein höherer Ausgabenbedarf des Bundes entscheidend (vgl. Tappe, StuW 2022, S. 6 <8>; ders., NVwZ 2020, S. 517 <519>; ders., ZRP 2018, S. 186 <jeweils nur ein im Vergleich zu den Ländern relativ höherer Finanzbedarf des Bundes gefordert>; vgl. auch Hilgers/Holly, DB 2010, S. 1419 <1420 f.> <allgemeiner finanzieller Mehrbedarf des Bundes>; Rohde/Geschwandtner, NJW 2006, S. 3332 <3334>; Kempny, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 106 Rn. 58).

104      (bb) Hiermit wird das Wesen einer Ergänzungsabgabe im Kontext der bundesstaatlichen Finanzordnung aber nicht vollständig erfasst. Der nur an einen allgemeinen zusätzlichen Finanzbedarf des Bundes geknüpfte – und damit (von der Akzessorietät und dem Aushöhlungsverbot abgesehen) voraussetzungslose – Anwendungsbereich der Ergänzungsabgabe nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG wäre mit den Grundgedanken der bundesstaatlichen Finanzverfassung der Art. 104a bis Art. 108 GG und den von dem verfassungsändernden Gesetzgeber mit diesem Finanzierungsinstrument verfolgten Zielsetzungen nicht in Einklang zu bringen. Insbesondere würde ein solches Verständnis dazu führen, dass der Bund letztlich jede Finanzierungslücke durch Erhebung einer Ergänzungsabgabe schließen könnte, ohne dass der Bundesrat hierfür seine Zustimmung erteilen müsste und ohne dass für die Länder im Rahmen der Verhandlungen über den vertikalen Finanzausgleich (vgl. Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1, Abs. 4 GG) hinreichend erkennbar wäre, aufgrund welcher Aufgabe ein zusätzlicher Finanzbedarf des Bundes entstanden ist. Die Benennung der Aufgabe, aus der der finanzielle Mehrbedarf des Bundes resultiert, ist für die Länder bei Verhandlungen über den vertikalen Finanzausgleich, bei denen es darum geht, die finanziellen Lasten aus den jeweiligen Aufgaben von Bund und Ländern angemessen auszugleichen, von nicht unerheblicher Bedeutung. Darüber hinaus liegt es im Interesse des Steuerzahlers, wenn durch Offenlegung der den finanziellen Mehrbedarf des Bundes auslösenden Aufgabe erkennbar wird, ob der für die Erfüllung ein und derselben Aufgabe anfallende Finanzbedarf mehrfach gedeckt und so die Steuerzahler über Gebühr belastet werden (vgl. zur Schutz- und Begrenzungsfunktion der Finanzverfassung in anderem Zusammenhang BVerfGE 145, 171 <191 f. Rn. 60>).

105      Auch der Bundesfinanzhof und die überwiegende Auffassung im Schrifttum gehen in unterschiedlichen Ausprägungen davon aus, dass ein aufgabenbezogener finanzieller Mehrbedarf des Bundes Voraussetzung für die Erhebung einer Ergänzungsabgabe ist, wobei teilweise noch stärker einschränkende Merkmale gefordert werden, wie etwa ein nur vorübergehender oder lediglich bei Bedarfsspitzen beziehungsweise in Notfällen bestehender aufgabenbezogener Mehrbedarf (vgl. BFH, Urteile vom jeweils 21. Juli 2011 - II R 52/10 -, BFHE 234, 250, Rn. 25; - II R 50/09 -, juris, Rn. 25; vom 17. Januar 2023 - IX R 15/20 -, BFHE 279, 403, Rn. 41; Drüen, in: Bonner Kommentar, Art. 106 Rn. 178 <Sept. 2021>; Seiler, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 106 Rn. 117 <Sept. 2017>; Schwarz, in: Huber/Voßkuhle, GG, Bd. 3, 8. Aufl. 2024, Art. 106 Rn. 49; Heintzen, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2021, Art. 106 Rn. 21; Kube, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Art. 106 Rn. 14 <Dez. 2024>; ders., StuW 2022, S. 3 <3>; ders., FR 2018, S. 408 <409>; ders., DStR 2017, S. 1792 <1796, 1798>; Wernsmann, ZG 2023, S. 103 <104 f.>; ders., NJW 2018, S. 916 <918>; G. Kirchhof, DB 2021, S. 1039 <1040>; Woitok, StuW 2021, S. 17 <22 f.>;

Papier, in: Festschrift für Moris Lehner, 2019, S. 511 <512 f.>; ders., ZRP 2018, S. 186; von Schweinitz, DB 2019, S. 2257 <2257>; Hoch, DStR 2018, S. 2410 <2411>; Bartone, in: Festschrift für Rudolf Wendt, 2015, S. 739 <744>; Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, DStR 2014, S. 1309 <1312>; Selmer/Hummel, in: Junkernheinrich/Korioth/Lenk/Scheller/Woisin, Jahrbuch für öffentliche Finanzen 2013, S. 365 <375>; Hidien/Tehler, StBW 2010, S. 458 <461>; Frank, Verfassungsmäßigkeit und Zukunft des Solidaritätszuschlags, 2019, S. 64 ff.; Matuschka, Das Nonaffektationsprinzip, 2019, S. 282 f.). Diesen Stimmen ist, soweit es um das Erfordernis eines aufgabenbezogenen finanziellen Mehrbedarfs des Bundes geht, aus den nachfolgend angeführten Gründen im Ergebnis zuzustimmen.

106      (α) Bei der Ertragsverteilung der Steuern handelt es sich gemeinsam mit der Verteilung der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen um eine zentrale Frage der politischen Machtverteilung in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. BVerfGE 55, 274 <301>; 145, 171 <191 Rn. 59>). Unsicherheiten in der Ertragszuordnung würden in diesem Kontext zu erheblichen Verwerfungen im Bereich der Befriedungsfunktion der Finanzverfassung führen (vgl. BVerfGE 145, 171 <191 Rn. 59>) und damit die ihr vom Verfassungsgeber zugewiesene überragend wichtige Aufgabe verfehlen. Die grundgesetzliche Finanzverfassung (Art. 104a bis Art. 108 GG) stellt eine in sich differenzierte, Gesamtstaat und Gliedstaaten in ihrem Anteil am Gesamtertrag der Volkswirtschaft ausbalancierende Regelung dar, die einen Eckpfeiler der bundesstaatlichen Ordnung bildet (vgl. BVerfGE 55, 274 <300>; 78, 249 <266>; 145, 171 <190 f. Rn. 57>). Der Finanzverfassung liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Finanzierung der staatlichen Aufgaben in Bund und Ländern einschließlich der Gemeinden in erster Linie aus dem Ertrag der in Art. 105 ff. GG geregelten Einnahmequellen erfolgt (Prinzip des Steuerstaats; vgl. BVerfGE 78, 249 <266 f.> m.w.N.; 82, 159 <178>; 93, 319 <342>). Dies bedeutet, dass die öffentliche Hand nur begrenzt auf Kredite zurückgreifen darf. In Anbetracht der durch Art. 115 Abs. 2 Satz 1 GG konkretisierten Vorschrift des Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG, wonach Bund und Länder ihre Haushalte grundsätzlich ohne Kredite auszugleichen haben (vgl. BVerfGE 167, 86 <118 Rn. 96> - Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021), gilt dies sogar in besonderem Maße.

107      Die Einschränkung der Kreditaufnahme und der Erhalt der Leistungsbereitschaft und -fähigkeit der Steuer- und Beitragszahler, gegenüber denen Zahlungsverpflichtungen zudem abwehrrechtlich gerechtfertigt sein müssen, stehen einer beliebigen Ausweitung staatlicher Einnahmen zur bestmöglichen Erfüllung aller dem Staat obliegenden Aufgaben entgegen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 23. September 2024 - 1 BvL 9/21 -, Rn. 50 - BAföG). Den Regelungen in Art. 104a GG bis Art. 108 GG kommt die zentrale Funktion zu, eine Finanzordnung sicherzustellen, die den Gesamtstaat und die Gliedstaaten am Gesamtertrag der Volkswirtschaft sachgerecht beteiligt; Bund und Länder müssen im Rahmen der verfügbaren Gesamteinnahmen so ausgestattet werden, dass sie die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Ausgaben (vgl. Art. 104a Abs. 1 GG) leisten können (vgl. BVerfGE 32, 333 <338>; 55, 274 <300>; 78, 249 <266 f.>; 93, 319 <342>; 101, 141 <147>; 105, 185 <194>; 108, 1 <15>; 108, 186 <214 f.>; 145, 171 <190 f. Rn. 57>; vgl. auch BTDrucks II/480, S. 42 ff., 46 ff.). Zu diesem Zweck weist die Finanzverfassung dem Bund und den Ländern jeweils aufeinander abgestimmte Gesetzgebungskompetenzen und Ertragshoheiten zu.

108      (β) Um dem Anliegen einer angemessenen Finanzausstattung von Bund, Ländern und Gemeinden zur Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben gerecht zu werden, sah der verfassungsändernde Gesetzgeber bei der Schaffung der Finanzverfassung 1955 nicht nur ein System vor, das mit festen Strukturen hinsichtlich der Voraussetzungen, der Art und des Ausmaßes quantitativer Veränderungen innerhalb des festgelegten Finanzgefüges ausgestattet war, sondern er war zugleich bestrebt, das System angesichts der einem ständigen Wandel unterliegenden Veränderungen bei den Einnahmen und Ausgaben von Bund und Ländern dynamisch auszugestalten (vgl. BTDrucks II/480, S. 77 Nr. 115). In dieses gleichermaßen von Stabilität und Elastizität geprägte Gesamtgefüge sollte sich die Ergänzungsabgabe des Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG a.F. nach den Zielsetzungen des verfassungsändernden Gesetzgebers dadurch einpassen, dass sie dem Bund − unter Vermeidung „ständige[r] Auseinandersetzungen über die Beteiligung des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer“ und ohne Zustimmungserfordernis des Bundesrats (vgl. BTDrucks II/480, S. 228, 229) − eine größere Flexibilität bei der Beschaffung erforderlicher Finanzmittel ermöglicht und zugleich eine häufige Revision der Beteiligungsquoten von Bund und Ländern an den Gemeinschaftsteuern vermeidet.

109      Ausweislich der Gesetzesbegründung war die Ergänzungsabgabe nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG a.F. ausdrücklich dazu bestimmt, „anderweitig nicht auszugleichende Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt zu decken, den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes in begrenztem Rahmen eine elastische, der jeweiligen Konjunkturlage und dem jeweiligen Haushaltsbedarf angepaßte Finanzpolitik zu ermöglichen und das Steuerverteilungssystem im Verhältnis zwischen Bund und Ländern dadurch zu festigen, daß die Notwendigkeit einer Revision der Steuerbeteiligungsquoten […] auf solche Mehrbelastungen des Bundes beschränkt wird, die nicht aus dieser beweglichen Steuerreserve gedeckt werden können“ (vgl. BTDrucks II/480, S. 72). Sie sollte − so die Stellungnahme der Bundesregierung auf Änderungsvorschläge des Bundesrats hin − „eine entscheidende Voraussetzung für die auch vom Bundesrat als erforderlich erachtete Stabilisierung der Steuerverteilung“ entfalten (vgl. BTDrucks II/480, S. 228).

110      Demnach ist die heute in Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG verankerte Ergänzungsabgabe geschaffen worden, um „in begrenztem Rahmen“ (vgl. BTDrucks II/480, S. 72) eine möglichst reibungslose und flexible Deckung eines finanziellen Mehrbedarfs des Bundes zu gewährleisten, ohne die sachgerechte und stabile Verteilung des Steueraufkommens zwischen Bund und Ländern infrage zu stellen. Da eine angemessene und sachgerechte Verteilung der von der volkswirtschaftlichen Ertragskraft abhängigen begrenzten Finanzmittel nach der Konzeption der Finanzverfassung an der Aufgabenverteilung (vgl. Art. 104a Abs. 1 GG) ansetzt, ist es für die Stabilität der Finanzordnung entscheidend, dass Klarheit über die Aufgabenverteilung und die dafür zu verwendenden finanziellen Mittel besteht.

111      (γ) Hieraus folgt, dass die Erhebung einer Ergänzungsabgabe nicht voraussetzungslos möglich sein soll, sondern ihre inhaltliche Ausgestaltung durch die mit ihr verbundene Zielsetzung, die notwendige finanzielle Flexibilität des Bundes bedarfsorientiert sicherzustellen, geprägt und begrenzt wird. Die erforderliche Beweglichkeit des Bundes in Finanzierungsfragen wäre ausweislich der Gesetzesmaterialien zur Finanzverfassung 1955 dann beeinträchtigt, wenn man stattdessen einen von der Zustimmung des Bundesrats abhängigen Bundeszuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer erheben würde (vgl. BTDrucks II/480, S. 228 f.). Dem verfassungsändernden Gesetzgeber ging es somit darum, die Ergänzungsabgabe ohne Zustimmung des Bundesrats aktivieren zu können, nicht aber darum, sie ohne Benennung eines Mehrbedarfs, dessen Deckung diese Abgabe dienen soll und an dessen Offenlegung sowohl für die Länder bei den Verhandlungen zu künftigen Finanzausgleichen als auch für die Steuerzahler ein berechtigtes Interesse besteht (vgl. Rn. 104), erheben zu dürfen.

112      (δ) Durch die Finanzreform 1969 hat sich an den beschriebenen Zielsetzungen der bundesstaatlichen Finanzordnung und der Funktion der Ergänzungsabgabe im Wesentlichen nichts geändert. Zwar wurde die bis dahin geltende bloße Abgrenzung der Aufgaben des Bundes von denen der Länder nicht mehr als ausreichend erachtet, um den staatlichen Aufgaben gerecht zu werden, weswegen eine Regelung über das Zusammenwirken von Bund und Ländern auf bestimmten Gebieten (Gemeinschaftsaufgaben) für erforderlich gehalten wurde (vgl. BTDrucks V/2861, S. 24). Auch wurden zugleich die verfassungsrechtlichen Vorschriften über die Aufteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund und Ländern fortent-wickelt. Dabei wurde – im Einklang mit bereits bestehenden Grundsätzen – ein dauerhaft und überschaubar gestaltetes Steuerverteilungssystem gefordert, das „entsprechend der finanziellen Bedeutung der Aufgaben das Verhältnis zwischen Steuerbedarf und Steuereinnahmen bei Bund und Ländern möglichst im Zustand des Gleichgewichts erhält“ (vgl. BTDrucks V/2861, S. 33). Der bisherige Steuerverbund, der auf die Einkommen- und die Körperschaftsteuer beschränkt war, wurde nicht mehr als ausreichend erachtet, weil er wegen unterschiedlicher Entwicklung der Einnahmen bei Bund und Ländern zu ständigen Veränderungen des Beteiligungsverhältnisses zwang (vgl. BTDrucks V/2861, S. 33).

113      Aus diesen Gründen wurde die Umsatzsteuer zusätzlich zu Einkommen- und Körperschaftsteuer in den Steuerverbund einbezogen (vgl. BTDrucks V/2861, S. 33; vgl. auch Art. 106 Abs. 3 und 4 GG). Die finanzpolitisch wie auch finanzwirtschaftlich allseits anerkannte Forderung nach einer „möglichst großen Stabilisierung der Steuerverteilung“ könne „nur durch eine gleichmäßige Aufteilung der beiden großen Steuern (Einkommen-steuer und Umsatzsteuer) auf Bund und Länder im Rahmen eines umfassenden Steuerverbundes erreicht werden“ (vgl. BTDrucks V/2861, S. 33). Die für Einkommen- und Körperschaftsteuer geltende Revisionsklausel wurde gestrichen; die Beteiligungsquoten wurden als feste, unveränderliche Größen ausgestaltet. Stattdessen wurde mit Wirkung ab dem Jahr 1970 eine ähnlich gefasste Revisionsklausel für die Beteiligung von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer aufgenommen (vgl. Art. 106 Abs. 4 GG; vgl. auch Rn. 88).

114      Die mit der Finanzverfassung 1955 eingeführte Ergänzungsabgabe wurde dagegen keiner näheren Überprüfung unterzogen, sondern es wurde nur zusammenfassend als bisheriger Befund angeführt, ihr habe nach dem Finanzverfassungsgesetz 1955 die finanzpolitische Bedeutung zukommen sollen, dass der Bund künftig ohne Zustimmung des Bundesrats bei der „Zunahme seines Steuerbedarfs“ unter volks- und finanzwirtschaftlichen Gesichtspunkten zwischen einer Erhöhung der ihm zustehenden Verbrauchsteuern und der Erhebung einer Personalsteuer wählen könne (vgl. BTDrucks V/2861, S. 21). Eine weitere Erörterung der beibehaltenen Ergänzungsabgabe fand ausweislich der Gesetzesmaterialien nicht statt. Ihre Funktion als beweglichere Alternative zu der nur unter den hohen Hürden der neugefassten Revisionsklausel möglichen Abänderung der Beteiligungsquoten von Bund und Ländern an Gemeinschaftsteuern (nunmehr nicht mehr die Einkommen- und die Körperschaftsteuer, sondern die Umsatzsteuer; vgl. Art. 106 Abs. 3, 4 GG) wurde folglich nicht infrage gestellt.

115      (ε) Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seiner grundlegenden Entscheidung zur Ergänzungsabgabe (BVerfGE 32, 333) nicht ausdrücklich dazu verhalten, ob ein allgemeiner Finanzierungsbedarf ausreicht. Allerdings hat es die der Ergänzungsabgabe bei Schaffung des Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG a.F. vom verfassungsändernden Gesetzgeber zugeschriebene Funktion, einen zusätzlichen Finanzbedarf des Bundes zu decken, hervorgehoben (S. 340) und dazu ausgeführt, dass ein Mehrbedarf des Bundes auch für längere Zeit bestehen könne (S. 341) und sich für den Bund neue Aufgaben ergeben könnten, für deren Erfüllung die bei der allgemeinen Verteilung des Steueraufkommens zur Verfügung stehenden Einnahmen nicht ausreichten, so dass die erneute Einführung der Ergänzungsabgabe und damit auch die Fortführung einer bereits bestehenden gerechtfertigt wäre (S. 342 f.). Wenn das Bundesverfassungsgericht den allgemeinen Finanzbedarf des Bundes für die Erfüllung seiner Gesamtaufgaben hätte ausreichen lassen wollen, hätte es der Überlegungen zum Austausch der Aufgaben, deren Deckung die Ergänzungsabgabe dienen soll, nicht bedurft.

116      (ζ) Damit die Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG den ihr unverändert zugewiesenen Zweck erfüllen kann, dem Bund auf eine flexible Weise die erforderlichen finanziellen Mittel für die Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben zu verschaffen und sich dabei zugleich möglichst organisch in das Gesamtgefüge der bundesstaatlichen Finanzverfassung einzufügen, ist es notwendig, aber auch hinreichend, dass sich der finanzielle Mehrbedarf auf eine bestimmte Aufgabe zurückführen lässt. Die Identifizierung eines solchen aufgabenbezogenen finanziellen Mehrbedarfs des Bundes als Voraussetzung der Erhebung einer Ergänzungsabgabe sichert die Interessen der Länder, die mangels Zustimmungserfordernis des Bundesrats (vgl. Art. 105 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG) keinen entscheidenden Einfluss auf die einfachgesetzliche Erhebung einer Ergänzungsabgabe nehmen können und die selbst über kein vergleichbares Einnahmeinstrument verfügen. Dabei fällt auch ins Gewicht, dass eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer auf dasselbe Substrat zugreift wie diese Gemeinschaftsteuern. Angesichts der begrenzten Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen vermindert die Erhebung einer Ergänzungsabgabe damit regelmäßig auch den Spielraum dafür, durch Erhöhung der Einkommen- oder der Körperschaftsteuer das zur Hälfte den Ländern zustehende Aufkommen aus diesen Steuern auszuweiten, um auf diesem Wege gegebenenfalls neuen oder erhöhten finanziellen Bedarfen der Länder gerecht zu werden. Vor diesem Hintergrund bewirkt die Bindung einer Ergänzungsabgabe des Bundes an einen aufgabenbezogenen Mehrbedarf einen (relativen) Schutz der Steuerbasis der Gemeinschaftsteuern schon im Vorfeld des (absoluten) Aushöhlungsverbots. Zugleich wird damit auch den Belangen der Steuerpflichtigen Rechnung getragen, indem offengelegt wird, dass nicht für dieselbe Aufgabe eine Mehrfachdeckung (etwa durch die Erhebung einer Ergänzungsabgabe und durch eine größere Beteiligung des Bundes an der Umsatzsteuer) eintritt. Angesichts der grundsätzlich strikten Trennung zwischen steuerlicher Staatsfinanzierung und haushaltsrechtlicher Verwendungsentscheidung (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 26. August 1992 - 2 BvR 478/92 -, NJW 1993, S. 455 <456> und vom 2. Juni 2003 - 2 BvR 1775/02 -, NJW 2003, S. 2600; vgl. ferner Urteil des Ersten Senats vom 28. November 2024 - 1 BvR 460/23, 1 BvR 611/23 -, Rn. 78 - Strompreisbremse; Urteil des Ersten Senats vom 14. Januar 2025 - 1 BvR 548/22 -, Rn. 60 - Polizeikosten Hochrisikospiele) muss der Gesetzgeber den aufgabenbezogenen Mehrbedarf allerdings nur in seinen Grundzügen umreißen.

117      (cc) Entsprechende Aufgaben des Bundes, die mit einem finanziellen Mehrbedarf verbunden sind, können vielfältiger Natur sein. Sie können in zeitlich und inhaltlich beschränkten Vorhaben, aber auch in umfangreichen Projekten und Reformvorhaben bestehen, wie zum Beispiel dem Ausbau des Bildungswesens oder der Bundeswehr (vgl. BVerfGE 32, 333 <342>). Die Entscheidung darüber, welche (auch langfristigen) Aufgaben, insbesondere welche Reformmaßnahmen in Angriff genommen werden und wie sie finanziert werden sollen, gehört zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und entzieht sich grundsätzlich der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 32, 333 <343>; vgl. auch BFH, Urteile vom jeweils 21. Juli 2011 - II R 52/10 -, BFHE 234, 250, Rn. 21; - II R 50/09 -, juris, Rn. 21; vom 17. Januar 2023 - IX R 15/20 -, BFHE 279, 403, Rn. 37). Dieses kann nicht prüfen, ob der Gesetzgeber im Einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat (vgl. BVerfGE 123, 1 <20 f.>; 149, 1 <22 Rn. 46>; 162, 178 <186 Rn. 19> - Verwertungsschutz für Hausgrundstücke).

118      (dd) Die Aufgabenbezogenheit der Ergänzungsabgabe hat zugleich eine zeitliche Komponente. Eine Ergänzungsabgabe darf dann nicht mehr erhoben werden, wenn der aus der betreffenden Aufgabe folgende finanzielle Mehrbedarf des Bundes evident nicht mehr besteht (vgl. oben Rn. 73 ff.). Allein auf den eindeutigen und offensichtlichen Wegfall dieses Bedarfs kommt es nach der beschriebenen Konzeption der bundesstaatlichen Finanzverfassung an, nicht aber auf den Ablauf ausschließlich zeitlich definierter Fristen wie etwa diejenige eines „Generationenabstands“ (vgl. Ratschow, BFH/PR 2023, S. 133 <133>; a.A. BFH, Urteil vom 17. Januar 2023 - IX R 15/20 -, BFHE 279, 403, Rn. 54-57: im Fall der Deutschen Einheit Überprüfungspflicht nach 30 Jahren - „Generationenaufgabe“), ebenso wenig auf ähnliche, letztlich nicht greifbare und damit nicht justiziable Kriterien wie etwa die Wandlung der Aufgabe zu einer „Daueraufgabe“, das Aufgehen des durch die Aufgabe ausgelösten Mehrbedarfs in einer „allgemeinen Finanzlücke“ oder der Eintritt einer „finanzverfassungsrechtlichen Normallage“ (so aber BFH, Urteil vom 17. Januar 2023 - IX R 15/20 -, BFHE 279, 403, Rn. 48, 57; Drüen, in: Bonner Kommentar, Art. 106 Rn. 178 <Sept. 2021>; Jachmann-Michel, jurisPR-SteuerR 10/2023 Anm. 1 unter D.VI.; Trossen, jM 2023, S. 170 <173>; Wernsmann, ZG 2020, S. 181 <186 f.>; Papier, in: Festschrift für Moris Lehner, 2019, S. 511 <513>; Kube, FR 2018, S. 408 <409>; ders., DStR 2017, S. 1792 <1798>; Hidien/Tehler, StBW 2010, S. 458 <461>; dazu nachfolgend unter (e)).

119      (ee) Die schutzwürdigen Interessen der Länder und der Steuerzahler schließen es grundsätzlich auch aus, dass der Bund im Falle eines evidenten Wegfalls des ursprünglichen Mehrbedarfs eine bestehende Ergänzungsabgabe auch im Hinblick auf eine andere zu finanzierende Aufgabe ohne weiteres weitererheben kann (anders noch BVerfGE 32, 333 <342 f.>; zur sog. Umwidmung wie hier Wagner, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Anhang zu § 51a EStG Rn. 3d <Juli 2023>; Bartone, in: Festschrift für Rudolf Wendt, 2015, S. 739 <757 f.>; kritisch auch Jachmann-Michel, jurisPR-SteuerR 10/2023 Anm. 1 unter D.I.; Kessler/Feurer/Schneider/Wardenberg, DStR 2021, S. 2929 <2937>; Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, DStR 2014, S. 1309 <1313 f.>; a.A. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Mai 2022 - 10 K 1693/21 -, juris, Rn. 82 ff.; Woitok, StuW 2021, S. 17 <26 ff.>; Drüen, in: Bonner Kommentar, Art. 106 Rn. 179 <Sept. 2021>; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl. 2024, Rn. 2.6; Kube, StuW 2022, S. 3 <4 f.>; Hidien/Tehler, StBW 2010, S. 458 <461>; Hilgers/Holly, DB 2010, S. 1419 <1420>; tendenziell auch Schwarz, in: Huber/Voßkuhle, GG, Bd. 3, 8. Aufl. 2024, Art. 106 Rn. 49; Hey, NJW 2021, S. 2777 <2779>). Vielmehr ist hierfür − um die nötige Klarheit zu schaffen und gegebenenfalls eine verfassungsgerichtliche Nachprüfung des geltend gemachten neuen Mehrbedarfs zu ermöglichen − eine Gesetzesänderung vorzunehmen (vgl. auch Frank, Verfassungsmäßigkeit und Zukunft des Solidaritätszuschlags, 2019, S. 104; a.A. Tappe, StuW 2022, S. 6 <8 f.>).

120      (e) Neben dem aufgabenbezogenen Mehrbedarf, der zu den Merkmalen der Akzessorietät der Ergänzungsabgabe und des als absolute Obergrenze zu verstehenden Aushöhlungsverbots hinzutritt, ergeben sich aus den Vorstellungen des verfassungsändernden Gesetzgebers, die für die Bestimmung des Typus „Ergänzungsabgabe“ maßgeblich sind (vgl. BVerfGE 32, 333 <338>), keine weiteren Einschränkungen. Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG beschränkt den Bundesgesetzgeber − anders als dies vor allem im Schrifttum, aber auch in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung vertreten wird (vgl. BFH, Urteil vom 17. Januar 2023 - IX R 15/20 -, BFHE 279, 403, Rn. 41; Drüen, in: Bonner Kommentar, Art. 106 Rn. 178 <Sept. 2021>; Seiler, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 106 Rn. 117<Sept. 2017>; Kube, StuW 2022, S. 3 <3>; Woitok, StuW 2021, S. 17 <22 f.>; Wernsmann, ZG 2020, S. 181 <185>; Bartone, in: Festschrift für Rudolf Wendt, 2015, S. 739 <755 f.>; Hidien/Tehler, StBW 2010, S. 458 <461>) − auch nicht darauf, eine Ergänzungsabgabe nur während einer „Notlage“ oder „Ausnahmelage“, nicht aber auch in einer „finanzverfassungsrechtlichen Normallage“ zu erheben. Der Begriff der Normallage wird von den genannten Stimmen nicht definiert oder näher beschrieben. Er wird von ihnen als Gegensatz zu einer Notlage verwendet, die ihrerseits nicht näher definiert, jedenfalls aber nicht mit einem aufgabenbezogenen Mehrbedarf an sich gleichgesetzt wird, indem ein „notlagenbedingter Mehrbedarf“ vorausgesetzt wird.

121      (aa) Abgesehen davon, dass sich ein Übergang von einer Notlage zu einer Normallage häufig kaum trennscharf feststellen lassen wird, würde ein solches zusätzliches Kriterium nicht der vom verfassungsändernden Gesetzgeber der Ergänzungsabgabe nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG zugewiesenen Funktion gerecht, als flexible Alternative zur Erhöhung von Verbrauch- oder Personensteuern zu dienen beziehungsweise eine an hohe Hürden geknüpfte Änderung der Beteiligungsquoten an den Gemeinschaftsteuern zu vermeiden und dem Gesetzgeber eine sachgerechte Finanzplanung sowie Haushalts- und Konjunkturpolitik zu ermöglichen (vgl. zu den letztgenannten Punkten BVerfGE 32, 333 <342>). Eine solche weitere Begrenzung ist auch weder zur Wahrung der Interessen der Länder noch der Steuerzahler erforderlich, weil der zu fordernde Aufgabenbezug die Dauer der Erhebung der Ergänzungsabgabe zwingend mitbestimmt (vgl. Rn. 118). Letztlich hängt es von der ausgewählten Aufgabe und dem für ihre Erfüllung notwendigen Mehrbedarf ab, für welchen Zeitraum eine Ergänzungsabgabe erhoben werden kann.

122      (bb) Dafür, dass die Ergänzungsabgabe nur in „Notfällen“ erhoben werden soll, gibt es in den Gesetzesmaterialien zum Finanzverfassungsgesetz 1955 und auch in der Begründung zum Finanzreformgesetz 1969 (vgl. BTDrucks V/2861, S. 21) keinen tragfähigen Anhaltspunkt. Eine entsprechende Passage findet sich lediglich in der Einführung des damaligen Bundeskanzlers Adenauer zur Vorlage eines Entwurfs über eine (einfachrechtliche) Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer. Dort werden die Gründe des Bundesrats für die bereits erfolgte Ablehnung des Regierungsentwurfs unter anderem wie folgt wiedergegeben: „Er [der Bundesrat] erkennt […] die Notwendigkeit eines Zuschlagsrechts des Bundes zu den oben bezeichneten Steuern grundsätzlich an. Von dem Zuschlagsrecht sollte jedoch nur in besonderen Notfällen Gebrauch gemacht werden“ (vgl. BTDrucks II/484, S. 1). Diese Erwägungen beziehen sich gerade nicht auf die verfassungsrechtliche Verankerung der Ergänzungsabgabe, sondern betreffen allein die einfachrechtliche Umsetzung dieses verfassungsrechtlichen Steuertypus. Davon abgesehen ist der Gesetzentwurf nie verabschiedet worden. Auch soweit der damalige Bundesminister der Finanzen Schäffer vor dem Bundesrat die verfassungsrechtliche Ergänzungsabgabe nur für Notfälle als einschlägig angesehen hat (vgl. BRPlenarpr 150, S. 353 A), wurde dies weder im weiteren Gesetzgebungsverfahren aufgegriffen noch hat dies in der weit gefassten Verfassungsnorm Niederschlag gefunden.

123      (cc) Der Erhebung einer Ergänzungsabgabe unabhängig von einer wie auch immer gearteten Notlage steht auch nicht entgegen, dass in der Gesetzesbegründung zum Finanzverfassungsgesetz 1955 unter anderem ausgeführt wird, die Ergänzungsabgabe sei dazu bestimmt, „anderweitig nicht auszugleichende Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt zu decken“ (vgl. BTDrucks II/480, S. 72). Der anderweitig nicht zu erreichende Ausgleich von Bedarfsspitzen ist in den Gesetzesmaterialien zum Finanzverfassungsgesetz 1955 nicht als isolierte Zielstellung formuliert, sondern in eine untrennbare Aufzählung mit weiteren, miteinander eng verknüpften Zwecken gestellt worden. Die Ergänzungsabgabe soll demnach dazu dienen, „anderweitig nicht auszugleichende Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt zu decken, den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes in begrenztem Rahmen eine elastische, der jeweiligen Konjunkturlage und dem jeweiligen Haushaltsbedarf angepaßte Finanzpolitik zu ermöglichen und das Steuerverteilungssystem im Verhältnis zwischen Bund und Ländern dadurch zu festigen, daß die Notwendigkeit einer Revision der Steuerbeteiligungsquoten […] auf solche Mehrbelastungen des Bundes beschränkt wird, die nicht aus dieser beweglichen Steuerreserve gedeckt werden können“ (vgl. BTDrucks II/480, S. 72).

124      Die beschriebene Gesamtzielsetzung macht deutlich, dass das Instrument der Ergänzungsabgabe dem Bund eine flexiblere (ohne Zustimmung des Bundesrats durchsetzbare) Alternative insbesondere zu einer häufig mit Auseinandersetzungen verbundenen (vgl. BTDrucks II/480, S. 229) Anpassung der Steuerbeteiligungsquoten zwischen Bund und Ländern zur Verfügung stellen, nicht aber das bundesstaatliche Gesamtgefüge der Steuerverteilung infrage stellen soll („in begrenztem Rahmen“; „Mehrbelastungen des Bundes […], die nicht aus dieser beweglichen Steuerreserve gedeckt werden können“). Abschließend heißt es in der Begründung zum Gesetzentwurf: „Aus dieser Funktion der Ergänzungsabgabe ergibt sich die Notwendigkeit, das Aufkommen ausschließlich dem Bund zuzuweisen“ (vgl. BTDrucks II/480, S. 72).

125      (dd) Schließlich bezeichnet der Begriff „Bedarfsspitze“ für sich genommen zunächst nur den größten Bedarf und stellt damit lediglich eine Relation zwischen einem durchschnittlichen beziehungsweise üblichen Bedarf und dessen Anstieg her, trifft aber noch keine Aussage über seine Zeitdauer. Zwar werden Bedarfsspitzen häufig für bestimmte Zeiträume, also vorübergehend, zu verzeichnen sein, weil ihnen gegenzusteuern ist. Zwingend ist dies angesichts der Vielfältigkeit staatlicher Aufgaben und der begrenzten Finanzierungsmittel der öffentlichen Hand sowie der Unwägbarkeiten bei der Bewältigung von Bedarfsspitzen jedoch nicht. Länger anhaltende Bedarfsspitzen können dann auftreten, wenn der Bundeshaushalt über längere Zeiträume hinweg erheblich unter Druck gerät. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zu der mit Gesetz vom 21. Dezember 1967 eingeführten Ergänzungsabgabe insbesondere die Begrifflichkeiten „anderweitig nicht auszugleichende Bedarfsspitzen“ und „Notfälle“ für sich genommen als zu unbestimmt bewertet, um daraus abzuleiten, eine Ergänzungsabgabe dürfe nur befristet eingeführt werden (vgl. BVerfGE 32, 333 <341>). Weder in den Gesetzesmaterialien zum Finanzverfassungsgesetz 1955 beziehungsweise zur Finanzreform 1969 noch im Verfassungstext des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG werden den Erhebungszeitraum eingrenzende Formulierungen wie etwa „vorübergehend“ oder „nur für eine begrenzte Zeit“ verwendet. Anders ist dies bei dem ebenfalls durch das Finanzverfassungsgesetz 1955 eingeführten Art. 106 Abs. 1 Nr. 5 GG, der explizit von „einmaligen“ Vermögensabgaben spricht.

126      dd) In Anbetracht der genannten Maßstäbe besaß der Bund im Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 am 10. Dezember 2019 die dafür erforderliche Gesetzgebungskompetenz. Er ist von Verfassungs wegen auch nicht verpflichtet, das die Grundlage für die Weitererhebung des Solidaritätszuschlags bildende Gesetz wegen eines späteren evidenten Wegfalls des für den Solidaritätszuschlag 1995 angeführten aufgabenbezogenen Mehrbedarfs aufzuheben.

127      (1) Zunächst wird durch die mit dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 ab dem Jahr 2021 erheblich ausgeweitete Staffelung des Solidaritätszuschlags die eine Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG prägende Akzessorietät zur Einkommen- und Körperschaftsteuer nicht infrage gestellt und damit der Typus dieser Steuer nicht schon deshalb verfehlt.

128      (a) Der Solidaritätszuschlag 1995 knüpft nach wie vor systematisch und seiner Struktur nach an die Einkommen- beziehungsweise die Körperschaftsteuer an, denn diese Steuern sind Bemessungsgrundlage des Solidaritätszuschlags. Besonders eng ist die Anlehnung des Solidaritätszuschlags 1995 an die Körperschaftsteuer, weil er insoweit unvermindert von allen Abgabepflichtigen weitererhoben wird. Aber auch der Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer wahrt die notwendige Akzessorietät, da er an der Einkommensteuer ansetzt. Die hiermit hergestellte Akzessorietät wird nicht dadurch infrage gestellt, dass der Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer einen Großteil der Zahler von veranlagter Einkommen-steuer und Lohnsteuer (nach Angaben der Bundesregierung in der Gesetzesbegründung 90 Prozent, vgl. BTDrucks 19/14103, S. 2) von der Abgabepflicht ausnimmt und weitere Gruppen entlastet. Die mit ihm verbundene (faktische) Verschärfung (vgl. hierzu BVerfGE 32, 333 <339>) der Einkommensteuer beschränkt sich damit zwar auf die oberen Einkommensgruppen bei der veranlagten Einkommensteuer und der Lohnsteuer sowie die Bezieher von privaten Kapitaleinkünften und führt bei diesen zu einer im Verhältnis zu den durch das Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 begünstigten Abgabepflichtigen − relativ − höheren Steuerbelastung. Eine solche soziale Staffelung wäre aber im Rahmen der Einkommensteuer bis zur Grenze des Art. 3 Abs. 1 GG zulässig (vgl. BVerfGE 32, 333 <339>). Dem Bundesgesetzgeber ist es unter dem Gesichtspunkt der Akzessorietät der Ergänzungsabgabe als an die Einkommensteuer angelehntes Instrument damit auch nicht verwehrt, den Solidaritätszuschlag 1995 aus sozialen Gründen nur von einem geringen Teil der Einkommen- und Lohnsteuerpflichtigen zu erheben.

129      (b) Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht bereits der mit Gesetz vom 21. Dezember 1967 eingeführten Ergänzungsabgabe, die eine ähnliche Struktur wie der Solidaritätszuschlag 1995 in seiner aktuellen Fassung aufwies, ihre Akzessorietät nicht abgesprochen (vgl. BVerfGE 32, 333 <339>). Auch diese Ergänzungsabgabe enthielt eine erhebliche, durch Freigrenzen bewirkte soziale Staffelung (nach Berechnungen der damaligen Bundesregierung waren von ihr nur etwa 600.000 Einkommensteuerpflichtige betroffen, vgl. BTDrucks V/2087, S. 9). Der Heranziehung dieser im Jahr 1972 ergangenen Entscheidung für die Beurteilung des Solidaritätszuschlags 1995 in seiner aktuellen Ausgestaltung lässt sich nicht entgegenhalten, dass das steuerliche Existenzminimum heutzutage in der Einkommensteuer in einem erheblich größeren Maße als zum damaligen Zeitpunkt verschont werde (so aber Kube, StuW 2022, S. 3 <5 Fn. 37>; Wernsmann, ZG 2020, S. 181 <188>; ders., NJW 2018, S. 916 <917>; von Schweinitz, DB 2019, S. 2257 <2257>). Denn dieser Aspekt berührt nicht die Akzessorietät des Solidaritätszuschlags zur Einkommensteuer, sondern wirft vielmehr die hiervon zu unterscheidende, weitgehend dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers überantwortete Frage der Notwendigkeit der Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte auf. Zwar mag der Gesetzgeber bei einer Ergänzungsabgabe wie dem Solidaritätszuschlag nicht zu einer sozialen Abstufung verpflichtet sein; dies ändert aber nichts daran, dass er in Anbetracht des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) und der unterschiedlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Einkommensteuerpflichtigen zu einer solchen Abstufung berechtigt ist (vgl. BVerfGE 32, 333 <339>; Tappe, in: Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 1 SolZG 1995 Rn. 32 <Nov. 2023>). Dies gilt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer auch dann, wenn die sozialen Erwägungen – wie beim Solidaritätszuschlag 1995 – nicht bereits bei dessen Einführung, sondern erst bei dessen teilweiser Rückführung berücksichtigt werden. Zum gesetzgeberischen Entscheidungsspielraum gehört es auch, im Falle einer dauerhaften Verringerung des aufgabenbezogenen Mehrbedarfs zwischen einer gleichmäßigen Entlastung aller Abgabepflichtigen und der Implementierung beziehungsweise Ausweitung einer sozialen Staffelung wählen zu können.

130      (c) Es bedarf auch keiner akzessorischen oder sonstigen Verknüpfung zwischen der sozialen Staffelung einer Ergänzungsabgabe und ihrem finanziellen Erhebungszweck (vgl. BFH, Urteil vom 17. Januar 2023 - IX R 15/20 -, BFHE 279, 403, Rn. 72; Wernsmann, ZG 2023, S. 103 <107>; Tappe, NVwZ 2020, S. 517 <520>; a.A. Jachmann-Michel, jurisPR-SteuerR 10/2023 Anm. 1 unter D.II. und III.; Kube, StuW 2022, S. 3 <5>; ders., FR 2018, S. 408 <409>; ders., DStR 2017, S. 1792 <1800>; G. Kirchhof, DB 2021, S. 1039 <1040>; Hoch, DStR 2018, S. 2410 <2414 f.>).

131      (aa) Bei der Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG handelt es sich – wie bei der Einkommen- und der Körperschaftsteuer, an die sie anknüpft – um eine nicht zweckgebundene Steuer (vgl. BFH, Urteil vom 17. Januar 2023 - IX R 15/20 -, BFHE 279, 403, Rn. 58; Drüen, in: Bonner Kommentar, Art. 106 Rn. 178 <Sept. 2021>; Tappe, ZRP 2018, S. 186; Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, DStR 2014, S. 1309 <1310>; a.A. Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl. 2024, Rn. 2.6 und 2.16). Zudem ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Steuern, die – wie die Einkommen- und die Körperschaftsteuer – an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ausgerichtet sind, die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte grundsätzlich zulässig und geboten (vgl. Rn. 80, 129; vgl. auch BVerfGE 32, 333 <339>; 36, 66 <72>; 43, 108 <125>; 135, 126 <144 Rn. 55>).

132      (bb) Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht eine soziale Staffelung der an die Einkommensteuer angelehnten Ergänzungsabgabe nicht für unvereinbar mit dem Wesen dieses verfassungsrechtlichen Steuertypus gehalten (vgl. BVerfGE 32, 333 <339>). Die von ihm damals zu beurteilende Situation unterscheidet sich von dem heute erhobenen Solidaritätszuschlag 1995 nicht grundlegend. Zwar erfolgte die sozial gestaffelte Erhebung der mit Gesetz vom 21. Dezember 1967 eingeführten Ergänzungsabgabe vor dem Hintergrund einer zugleich vorgenommenen Umsatzsteuererhöhung, welche die unteren Einkommensgruppen stärker belastete (vgl. BTDrucks V/2087, S. 8). Das Bundesverfassungsgericht hat diesem Gesichtspunkt jedoch keine für die verfassungsrechtliche Beurteilung maßgebende Bedeutung zugemessen. Vielmehr hat es eine an der unterschiedlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit orientierte Schonung der unteren und mittleren Einkommensgruppen aus sozialen Gründen generell als mit dem Steuertypus „Ergänzungsabgabe“ vereinbar angesehen (vgl. BVerfGE 32, 333 <339>). Dessen ungeachtet wäre eine von manchen Stimmen im Schrifttum befürwortete Begrenzung einer Befreiung von der Ergänzungsabgabepflicht auf die untersten Einkommensgruppen (so Kube, StuW 2022, S. 3 <5>; ähnlich Wernsmann, ZG 2020, S. 181 <189>) angesichts der Schwierigkeiten einer Grenzziehung schwerlich mit dem Gebot der Formenklarheit der Finanzverfassung und der weitgehenden Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers innerhalb der durch Art. 105 GG und Art. 106 GG vorgegebenen Typusbegriffe (vgl. BVerfGE 145, 171 <191 Rn. 58 und 192 ff. Rn. 64, 68 >) in Einklang zu bringen.

133      (cc) Schließlich ist zu berücksichtigen, dass nicht nur der Ansatz eines alle Steuerpflichtigen gleichermaßen treffenden geringeren Abgabesatzes bei der Erhebung der Ergänzungsabgabe, sondern gerade auch die Belastung nur eines kleinen Teils der Steuerzahler dazu dienen kann, eine Aushöhlung der Einkommensteuer zu vermeiden (vgl. Frank, Verfassungsmäßigkeit und Zukunft des Solidaritätszuschlags, 2019, S. 36 f. und 111; vgl. auch BTDrucks II/480, S. 229: „Die Befürchtung des Bundesrates, die Ergänzungsabgabe könne eine Aushöhlung der Einkommen- und Körperschaftsteuer zur Folge haben, ist unbegründet. Der Höhe der Ergänzungsabgabe sind schon im Hinblick auf die beschränkte steuerliche Belastbarkeit der Volkswirtschaft und aus politischen und sozialen Gründen natürliche Grenzen gesetzt“).

134      (d) In der im Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 ab dem Veranlagungszeitraum 2021 ausgeweiteten sozialen Staffelung liegt auch keine Umgehung der Zustimmungspflicht des Bundesrats zu Änderungen der Einkommen- und der Körperschaft-steuer nach Art. 105 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 106 Abs. 3 GG (a.A. Wagner, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Anhang zu § 51a EStG Rn. 3d <Juli 2023>; Wernsmann, ZG 2023, S. 103 <107 f.>; ders., ZG 2020, S. 181 <188 f.>; ders., NJW 2018, S. 916 <918>; Kube, StuW 2022, S. 3 <5 f.>; von Schweinitz, DB 2019, S. 2257 <2257>). Eine Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG, die dem Bundesgesetzgeber eine flexiblere Alternative zur Erhöhung der Einkommen- und Körperschaftsteuer zur Verfügung stellen soll (vgl. Rn. 108 ff.), hat nach ihrer Konzeption stets Auswirkungen auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer. Wenn von dem mit Zustimmung des Bundesrats zum Finanzverfassungsgesetz 1955 geschaffenen Finanzierungsinstrument der Ergänzungsabgabe, deren Erhebung gerade nicht von der Zustimmung des Bundesrats abhängen soll (vgl. BTDrucks II/480, S. 228 f.), Gebrauch gemacht wird, kann von einer „Umgehung“ keine Rede sein (ähnlich Frank, Verfassungsmäßigkeit und Zukunft des Solidaritätszuschlags, 2019, S. 110). Eine äußerste Grenze für die Gestaltungsmacht des Bundesgesetzgebers stellt insoweit das Aushöhlungsverbot (vgl. Rn. 83) dar. Es ist allerdings weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass die auf Bezieher höherer Einkommen beschränkte Weitererhebung des Solidaritätszuschlags 1995 ab dem Veranlagungszeitraum 2021 das Aufkommen der Bund und Ländern gemeinsam zustehenden Einkommensteuer aushöhlen würde (a.A. wohl Hoch, DStR 2018, S. 2410 <2415>).

135      (2) Der Solidaritätszuschlag 1995 hält sich auch in einem nicht zu beanstandenden Verhältnis zur Einkommen- und Körperschaftsteuer. Sein Zuschlagsatz von höchstens 5,5 Prozent lässt eine Aushöhlung der beiden Steuern nicht befürchten (so auch BFH, Urteile vom jeweils 21. Juli 2011 - II R 52/10 -, BFHE 234, 250, Rn. 14 ff.; - II R 50/09 -, juris, Rn. 14 ff.; vom 17. Januar 2023 - IX R 15/20 -, BFHE 279, 403, Rn. 35; Drüen, in: Bonner Kommentar, Art. 106 Rn. 180 <Sept. 2021>; Wernsmann, ZG 2023, S. 103 <103 f.>; Kube, DStR 2017, S. 1792 <1796 f.>; Bartone, in: Festschrift für Rudolf Wendt, 2015, S. 739 <743 f.>; Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, DStR 2014, S. 1309 <1311>; Hilgers/Holly, DB 2010, S. 1419 <1420>). Des Weiteren ist es unschädlich, dass seine Erhebung nicht von vornherein befristet war (vgl. BFH, Urteile vom jeweils 21. Juli 2011 - II R 52/10 -, BFHE 234, 250, Rn. 17; - II R 50/09 -, juris, Rn. 17; vom 17. Januar 2023 - IX R 15/20 -, BFHE 279, 403, Rn. 36; Mues, in: Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 1 SolZG 1995 Rn. 10 <Juni 2020>; Wernsmann, ZG 2023, S. 103 <104>; Kube, DStR 2017, S. 1792 <1797>). Der Typus der Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG setzt nicht voraus, dass eine solche Abgabe von vornherein befristet oder nur kurzzeitig erhoben wird (vgl. Rn. 97 ff.; vgl. BVerfGE 32, 333 <340 ff.>). Maßgebend ist vielmehr, ob ein (identifizierbarer) aufgabenbezogener Mehrbedarf nicht evident entfallen ist (vgl. Rn. 100 ff.). Auch ist es nicht von Belang, ob der Bundesgesetzgeber vor einer Weitererhebung des Solidaritätszuschlags 1995 eine Erhöhung der Einkommen- und der Körperschaftsteuer erwogen hat. Denn der Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe ist kein gegenüber diesen Steuern subsidiäres Finanzierungsinstrument (vgl. Rn. 84 ff.).

136      (3) Dem mit Wirkung zum 1. Januar 1995 eingeführten Solidaritätszuschlag lag ein aufgabenbezogener finanzieller Mehrbedarf des Bundes zugrunde, der diesem durch die Wiedervereinigung Deutschlands erwachsen ist (a). Dieser Mehrbedarf hat sich inzwischen zwar verringert – worauf der Gesetzgeber mit der Abschmelzung des Solidaritätszuschlags ab dem Jahr 2021 reagiert hat –, ist aber noch nicht in evidenter Weise entfallen (b).

137      (a) Das mit Wirkung zum 1. Januar 1995 eingeführte SolZG 1995 wurde vom Bundesgesetzgeber zur Deckung der im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung entstandenen finanziellen Belastungen beziehungsweise zur Finanzierung der Vollendung der Einheit Deutschlands erlassen (vgl. BTDrucks 12/4401, S. 4, 51). Der darin liegende, seinerzeit im Gesetzgebungsverfahren näher aufgeschlüsselte (vgl. BTDrucks 12/4401, S. 6) aufgabenbezogene Mehrbedarf des Bundes stellte ursprünglich einen hinreichenden Grund für die Erhebung einer Ergänzungsabgabe in Form des Solidaritätszuschlags dar (vgl. BFH, Urteile vom jeweils 21. Juli 2011 - II R 52/10 -, BFHE 234, 250, Rn. 18 f.; - II R 50/09 -, juris, Rn. 18 f.; vom 17. Januar 2023 - IX R 15/20 -, BFHE 279, 403, Rn. 36; Seiler, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 106 Rn. 118 <Sept. 2017>; Wernsmann, ZG 2023, S. 103 <104>; ders., ZG 2020, S. 181 <181>; Kube, StuW 2022, S. 3 <4>; ders., FR 2018, S. 408 <409>; ders., DStR 2017, S. 1792 <1793, 1796, 1799>; Woitok, StuW 2021, S. 17 <23 f.>; Papier, in: Festschrift für Moris Lehner, 2019, S. 511 <513>; ders., ZRP 2018, S. 186; Hoch, DStR 2018, S. 2410 <2413>; Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, DStR 2014, S. 1309 <1312>; Frank, Verfassungsmäßigkeit und Zukunft des Solidaritätszuschlags, 2019, S. 90 ff.; vorsichtiger Siekmann, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 106 Rn. 7; a.A. wohl Rohde/Geschwandtner, NJW 2006, S. 3332 <3334>).

138      (b) Der wiedervereinigungsbedingte finanzielle Mehrbedarf des Bundes war bei Erlass des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 noch nicht in evidenter Weise entfallen. Auch heute kann ein offensichtlicher Wegfall des auf den Beitritt der damals neuen Länder zum Bundesgebiet zurückzuführenden – wenn auch verringerten – Mehrbedarfs des Bundes (noch) nicht festgestellt werden. Ausweislich der Gesetzesbegründung zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 vom 10. Dezember 2019 verzeichnet der Bund weiterhin einen wiedervereinigungsbedingten zusätzlichen Finanzierungsbedarf, etwa im Bereich der Rentenversicherung, beim Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz, für den Arbeitsmarkt sowie für andere überproportionale Leistungen aus dem Bundeshaushalt für die ostdeutschen Länder (bisheriger Korb II des Solidarpakts II; vgl. BTDrucks 19/14103, S. 1). Diese Einschätzung hält sich im Rahmen des dem Bundesgesetzgeber bei der Bestimmung einer Aufgabe und des durch sie bedingten finanziellen Mehrbedarfs zukommenden Spielraums. Dieser besteht zwar angesichts der langen Erhebungszeit des Solidaritätszuschlags 1995 nicht mehr in dem ursprünglichen Umfang. Er bleibt dem Gesetzgeber aber insoweit erhalten, als das Bundesverfassungsgericht lediglich nachprüfen kann, ob die Aufgabe, auf die die Einführung des Solidaritätszuschlags 1995 gestützt worden war, im Jahr 2020 oder danach offensichtlich in keiner Weise mehr einen finanziellen Mehrbedarf des Bundes begründet. Dies ist jedenfalls derzeit noch nicht der Fall.

139      (aa) Das vom Bundesministerium der Finanzen vorgelegte, im April 2020 unter Mitwirkung des ifo Instituts erstellte, ausführliche Gutachten des DIW führt nachvollziehbar auf der Grundlage verschiedener Szenarien aus, dass es auch noch bis 2030 in bestimmten Bereichen wiedervereinigungsbedingte Belastungen des Bundeshaushalts gibt. Dabei hat das – vor der mündlichen Verhandlung aktualisierte – Gutachten nur solche Belastungen des Bundes berücksichtigt, die über die Zahlungen an das finanzschwächste westdeutsche Land hinausgehen (überproportionale Zahlungen). Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass selbst 30 Jahre nach der Wiedervereinigung trotz positiver Entwicklungen noch strukturelle Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland verbleiben. Auch wenn nach dem Auslaufen des Solidarpakts II seitens des Bundes keine „Sonderleistungen“ für die ostdeutschen Länder mehr ausgewiesen würden, erfordere der Fortbestand der strukturellen Unterschiede und der dadurch bedingten Unterschiede in der Wirtschafts- und Steuerkraft der ostdeutschen Länder im Vergleich zu den westdeutschen Ländern weiterhin auf die Wiedervereinigung zurückzuführende Zahlungen des Bundes, beispielsweise für die Wirtschaftsförderung oder für die Gewährleistung einer angemessenen Finanzausstattung der ostdeutschen Länder und ihrer Kommunen im Rahmen des neugeregelten Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern. Zudem lägen die Ausgaben der Sozialversicherungen in den ostdeutschen Ländern nach wie vor höher als in den westdeutschen Ländern.

140      Zu den vereinigungsbedingten Geldflüssen des Bundes an die neuen Länder ab dem Jahr 2020 zählen nach dem Gutachten unter anderem Zuweisungen des Bundes an die ostdeutschen Flächenländer im Rahmen des Finanzausgleichs, namentlich überproportional hohe allgemeine Bundesergänzungszuweisungen nach § 11 Abs. 2 FAG, Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen nach § 11 Abs. 3 FAG (Ausgleich von Sonderlasten durch strukturelle Arbeitslosigkeit) sowie überproportional hohe Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen nach § 11 Abs. 5 FAG (Ausgleich besonders geringer kommunaler Steuerkraft). Des Weiteren bestünden wiedervereinigungsbedingte Zahllasten des Bundes aufgrund des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG), mit dem für bestimmte Berufsgruppen aus Sondersystemen entstandene Ansprüche von Versicherten der ehemaligen DDR in die gesetzliche Rentenversicherung überführt worden sind. Daneben leiste der Bund überproportionale Ausgaben beziehungsweise Zuschüsse an die gesetzliche Rentenversicherung, für Leistungen nach dem SGB II und insbesondere zur Forschungsförderung. Soweit diese Belastungen des Bundes nicht ohnehin originär durch die Wiedervereinigung bedingt sind (wie z.B. beim AAÜG), hat das Gutachten unter Darstellung der wirtschaftlichen und demographischen Verhältnisse in Ostdeutschland und deren teilungsbedingten Ursachen nachvollziehbar dargelegt, inwieweit die ausgewiesenen überproportionalen Ausgaben des Bundes nach wie vor (noch) im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung stehen.

141      Die erhobenen, in dem Gutachten ausgewerteten Daten und die daraus von den beteiligten sachkundigen Dritten gezogenen Schlussfolgerungen zeigen, dass von einem evidenten Entfallen des wiedervereinigungsbedingten Mehrbedarfs des Bundes noch nicht ausgegangen werden kann. Dieser Befund wird nicht dadurch infrage gestellt, dass der sachkundige Dritte Prof. Gropp in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, das Gutachten sei zwar für sich genommen vertretbar, wenn man seine Grundannahmen teile. Er sei jedoch der Ansicht, dass nur ein geringerer Teil der ausgewiesenen Zahlungen des Bundes an die ostdeutschen Länder noch auf die Wiedervereinigung zurückzuführen sei. Vielmehr seien die strukturellen Unterschiede in der Wirtschafts- und Steuerkraft von Ost- und Westdeutschland seiner Einschätzung nach inzwischen auf die – seiner Meinung nach gesondert zu bewertende – Abwanderung von Teilen der Bevölkerung aus den ostdeutschen Ländern nach Westdeutschland zurückzuführen. Der Umstand, dass unter den angehörten Ökonomen insoweit keine einheitliche Bewertung zu erzielen war, macht aber gerade deutlich, dass von einem evidenten Wegfall des wiedervereinigungsbedingten finanziellen Mehrbedarfs des Bundes nicht ausgegangen werden kann. Angesichts des weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers ist nicht der lückenlose Nachweis eines überwiegenden Kausalzusammenhangs zwischen auslösendem Ereignis und daraus resultierenden finanziellen Belastungen zu fordern. Gerade die Anhörung der sachkundigen Dritten in der mündlichen Verhandlung hat gezeigt, dass die Frage, ob Ausgaben des Bundes jedenfalls auch auf ein bestimmtes Ereignis (hier: Wiedervereinigung) (mit) zurückgeführt werden können oder möglicherweise vollständig durch andere Einflussfaktoren bestimmt sind, je nach ökonomischer Grundannahme unterschiedlich beantwortet werden kann. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, eine Auswahl zwischen diesen Annahmen zu treffen, solange – wie dies hier der Fall ist – die Annahme, auf die der Gesetzgeber sich gestützt hat, nicht evident neben der Sache liegt.

142      (bb) Das Auslaufen des Solidarpakts II mit Ablauf des Jahres 2019, den die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer als Indiz für einen Wegfall eines vereinigungsbedingten Mehrbedarfs des Bundes anführen, ist hingegen unerheblich (ebenso Hoch, DStR 2018, S. 2410 <2413>: „keine derart enge <verfassungs->rechtliche Verbindung […], dass allein durch das Auslaufen des Solidarpaktes II die Legitimation des Solidaritätszuschlags als Ergänzungsabgabe sozusagen ‚ipso iure‘ entfiele und dessen Erhebung zwangsläufig verfassungswidrig würde“; Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, DStR 2014, S. 1309 <1312>; Selmer/Hummel, in: Junkernheinrich/Korioth/Lenk/Scheller/Woisin, Jahrbuch für öffentliche Finanzen 2013, S. 365 <379>: „der insoweit maßgebliche Zeitpunkt [darf] nicht unreflektiert auf den Ablauf des Jahres 2019 datiert werden, […] mit dem […] noch keine unumstößliche Vorentscheidung über die Existenz oder Nichtexistenz eines ungedeckten finanziellen Mehrbedarfs des Bundes getroffen ist“ <sich ihnen anschließend BFH, Urteil vom 17. Januar 2023 - IX R 15/20 -, BFHE 279, 403, Rn. 58 a.E.>). Durch das Auslaufen des Solidarpakts II ist lediglich die bis dahin erfolgte konkrete Ausgestaltung der Unterstützung der neuen Länder durch den Bund zu ihrem Ende gekommen. Dies bedeutet aber nicht, dass der Bund − wie er im vorliegenden Verfahren hinreichend dargetan hat − nicht auch nach diesem Zeitpunkt wiedervereinigungsbedingte Bedarfe der neuen Länder im gesamtstaatlichen Interesse, namentlich zur Herstellung möglichst gleichwertiger Lebensbedingungen, finanziell auszugleichen hat. Bezeichnenderweise finden sich in den Gesetzgebungsmaterialien zu dem ab dem Jahr 2020 geltenden Finanzausgleich keine Aussagen dahingehend, dass von keinem wiedervereinigungsbedingten Mehrbedarf mehr auszugehen sei (vgl. BTDrucks 18/11135).

143      (cc) Gegen einen weiterhin bestehenden aufgabenbezogenen Mehrbedarf des Bundes spricht auch nicht der vom Beschwerdeführer zu 1. in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Gesichtspunkt, dass der Bund zugunsten sämtlicher Länder überobligatorisch Länderaufgaben finanziell unterstütze und somit selbst aufzeige, dass er an sich über genügend Einnahmen verfüge, diese allerdings nicht hinreichend wirtschaftlich verwende. Eine solche Ausgabenkontrolle unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten ist dem Bundesverfassungsgericht angesichts des weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers verwehrt (vgl. Rn. 117) und allein dessen politischer Beurteilung überantwortet.

144      b) Das SolZG 1995 in der hier maßgeblichen Fassung genügt auch den materiellen Anforderungen an eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Es verstößt weder gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (aa) noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG (bb).

145      aa) Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Schrankenbestimmung durch Auferlegung von Steuerlasten, die an vermögenswerte Rechtspositionen anknüpfen, wird durch den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt (vgl. BVerfGE 115, 97 <114>).

146      (1) (a) Allerdings bietet die Belastung mit Steuern den im Verhältnismäßigkeitsprinzip enthaltenen Geboten der Eignung und der Erforderlichkeit kaum greifbare Ansatzpunkte für eine Begrenzung. Jenseits „erdrosselnder“, die Steuerquelle selbst vernichtender Belastung werden Steuern mit dem Zweck, Einnahmen zur Deckung des staatlichen Finanzbedarfs zu erzielen, gemessen an diesem Zweck grundsätzlich immer geeignet und erforderlich sein (vgl. BVerfGE 16, 147 <161>; 38, 61 <80 f.>; 115, 97 <115>). Allein aus der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, im Rahmen einer Gesamtabwägung zur Angemessenheit und Zumutbarkeit der Steuerbelastung, können sich Obergrenzen für eine Steuerbelastung ergeben (vgl. BVerfGE 115, 97 <115>).

147      Auch hier stößt jedoch die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Abwägungen des Gesetzgebers zum Verhältnis zwischen öffentlichen Interessen an der Steuererhebung und privaten Interessen an einer möglichst eigentumsschonenden Besteuerung auf besondere Schwierigkeiten. Jede wertende Einschränkung des staatlichen Finanzierungsinteresses durch Steuern läuft Gefahr, dem Gesetzgeber mittelbar eine verfassungsgerichtliche Ausgaben- und damit eine Aufgabenbeschränkung aufzuerlegen, die das Grundgesetz nicht ausdrücklich vorsieht. Die Finanzverfassung – mit Ausnahme der speziellen Regelung in Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG zur Vermeidung einer „Überbelastung“ der Steuerpflichtigen bei der Verteilung der Umsatzsteuer – erwähnt keine materiellen Steuerbelastungsgrenzen (vgl. BVerfGE 115, 97 <115>). Immerhin zeigt gerade auch die spezielle Norm des Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG, dass die Vermeidung einer Überbelastung der Steuerpflichtigen – gleichsam selbstverständlich – als verfassungsgerechter Grundsatz zu gelten hat. Die Gewährleistung einklagbarer, auch den Gesetzgeber bindender Grundrechte verbietet es, speziell für das Steuerrecht die Kontrolle verfassungsrechtlicher Mäßigungsgebote dem Bundesverfassungsgericht gänzlich zu entziehen (vgl. BVerfGE 115, 97 <115 f.>).

148      Bei der zu bewertenden Intensität der Steuerbelastung ist vor allem zu beachten, dass diese, insbesondere bei der Einkommensteuer, nicht allein durch die Höhe des Steuersatzes, sondern erst durch die Relation zwischen Steuersatz und Bemessungsgrundlage bestimmt wird (vgl. BVerfGE 115, 97 <116>). Das Verbot übermäßiger Steuerbelastung (Art. 14 GG) gibt jedoch keinen konkreten Tarifverlauf vor; vielmehr setzt dieses nur den unmittelbar demokratisch legitimierten Entscheidungen des Parlaments einen äußeren Rahmen, der nicht überschritten werden darf (vgl. BVerfGE 115, 97 <117>).

149      Bei der Einkommensteuer liegt es im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, ob der Tarif linear oder progressiv ausgestaltet wird. Wählt der Gesetzgeber einen progressiven Tarifverlauf, ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, hohe Einkommen auch hoch zu belasten, soweit beim betroffenen Steuerpflichtigen nach Abzug der Steuerbelastung ein – absolut und im Vergleich zu anderen Einkommensgruppen betrachtet – hohes, frei verfügbares Einkommen bleibt, das die Privatnützigkeit des Einkommens sichtbar macht (vgl. BVerfGE 115, 97 <117>). Ist letzteres gewährleistet, liegt es weitgehend im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, die Angemessenheit im Sinne vertikaler Steuergerechtigkeit selbst zu bestimmen (vgl. BVerfGE 115, 97 <117>). Auch wenn dem Übermaßverbot keine zahlenmäßig zu konkretisierende allgemeine Obergrenze der Besteuerung entnommen werden kann, darf allerdings die steuerliche Belastung auch höherer Einkommen für den Regelfall nicht so weit gehen, dass der wirtschaftliche Erfolg grundlegend beeinträchtigt wird und damit nicht mehr angemessen zum Ausdruck kommt (vgl. BVerfGE 115, 97 <117> m.w.N.).

150      (b) Bei einer Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG ist der Bundesgesetzgeber – wenn auch nicht als Aspekt dieses Steuertypus selbst, wohl aber unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten – gehalten, durch die Ausgestaltung der Ergänzungsabgabe deren Aufkommen nicht außer Verhältnis zur Höhe des aufgabenbezogenen Mehrbedarfs, der mit der Ergänzungsabgabe gedeckt werden soll, geraten zu lassen (vgl. Drüen, in: Bonner Kommentar, Art. 106 Rn. 180 a.E. <Sept. 2021>). Falls das Aufkommen aus der Ergänzungsabgabe den aufgabenbezogenen Mehrbedarf des Bundes dauerhaft evident übersteigen sollte, wäre der Bundesgesetzgeber, den auch insoweit eine Beobachtungsobliegenheit trifft (siehe auch Rn. 73 ff. zum evidenten Wegfall des Mehrbedarfs), zu entsprechenden Anpassungen verpflichtet.

151      (2) Gemessen an diesen Maßstäben ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass vorliegend mit dem Ansatz des Solidaritätszuschlags in Höhe von 5,5 Prozent der Einkommen- beziehungsweise Körperschaftsteuer eine übermäßige, mit einer verfassungsrechtlichen Obergrenze zumutbarer Besteuerung nicht mehr vereinbare Steuerbelastung verbunden wäre. Dies gilt sowohl für das Jahr 2020, in dem – mit wenigen Ausnahmen – grundsätzlich von allen Einkommen- beziehungsweise Körperschaftsteuerpflichtigen die Abgabe erhoben wurde, als auch für die Jahre ab 2021, in denen in Bezug auf die Einkommensteuerpflichtigen grundsätzlich nur noch höhere Einkommensgruppen der Ergänzungsabgabe unterworfen sind.

152      Auch steht der Zuschlagsatz in Höhe von 5,5 Prozent derzeit noch nicht evident außer Verhältnis zu der Höhe des aufgabenbezogenen Mehrbedarfs, der mit dem Solidaritätszuschlag gedeckt werden soll. Zwar betrug das Aufkommen aus dem Solidaritätszuschlag im Jahr 2020 18,7 Milliarden Euro (vgl. Bundesministerium der Finanzen, Die Steuereinnahmen des Bundes und der Länder im Haushaltsjahr 2020, Monatsbericht des Bundesministeriums der Finanzen Januar 2021, S. 61), wohingegen die Summe der zumindest auch vereinigungsbedingten (vgl. Rn. 141) überproportionalen Belastungen des Bundeshaushalts nach dem vom Bundesministerium der Finanzen vorgelegten, im April 2020 fertiggestellten Gutachten des DIW (unter Mitwirkung des ifo Instituts) in den Jahren ab 2020 lediglich rund 13 Milliarden Euro beträgt. Der Bundesgesetzgeber reagierte jedoch hierauf entsprechend seiner verfassungsrechtlichen Beobachtungsobliegenheit mit dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995, indem er den Solidaritätszuschlag nicht mehr von allen einkommensteuerpflichtigen Personen erhob und damit das Aufkommen für die Jahre ab 2021 deutlich verringerte. Im Jahr 2021 betrug das Aufkommen aus dem Solidaritätszuschlag nur noch 11 Milliarden Euro (vgl. Bundesministerium der Finanzen, Die Steuereinnahmen des Bundes und der Länder im Haushaltsjahr 2021, Monatsbericht des Bundesministeriums der Finanzen Januar 2022, S. 21).

153      bb) Eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG muss weiter mit allen anderen Verfassungsnormen vereinbar sein, insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 52, 1 <27>; 62, 169 <183>; 110, 1 <28>; 164, 76 <114 f. Rn. 119>; 164, 139 <174 Rn. 101>). Da der Gesetzgeber bei der Gestaltung der Eigentümerbefugnisse und deren Schranken auch an den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden ist, darf eine Differenzierung innerhalb der Ausgestaltung von Eigentümerbefugnissen nicht sachwidrig sein, sondern muss von einem hinreichenden Sachgrund getragen sein (vgl. BVerfGE 164, 76 <115 Rn. 119>; 164, 139 <174 Rn. 101>). Das SolZG 1995 verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.

154      (1) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 160, 41 <63 Rn. 51> - Privilegierung von Gewinneinkünften; 164, 347 <393 Rn. 129> - Körperschaftsteuererhöhungspotenzial; 168, 1 <48 Rn. 139> - Beteiligungsidentische Schwesterpersonengesellschaften; stRspr). Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 160, 41 <63 Rn. 51>; 164, 347 <393 Rn. 129>; 168, 1 <48 Rn. 139>; stRspr). Zwar ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und die er so als rechtlich gleich qualifiziert. Diese Auswahl muss er jedoch sachgerecht treffen (vgl. BVerfGE 160, 41 <63 Rn. 51>; 164, 347 <393 Rn. 129>; 168, 1 <48 Rn. 140>; stRspr).

155      (a) Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (vgl. BVerfGE 160, 41 <63 f. Rn. 52>; 164, 347 <393 f. Rn. 130>; 168, 1 <48 f. Rn. 140>; stRspr). Dabei ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz im Sinne eines stufenlosen am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Prüfungsmaßstabs unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. BVerfGE 160, 41 <64 Rn. 52>; 164, 347 <394 Rn. 130>; 168, 1 <49 Rn. 140>; stRspr). Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfGE 160, 41 <64 Rn. 52>; 164, 347 <394 Rn. 130>; 168, 1 <49 Rn. 140>; stRspr).

156      Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt (vgl. BVerfGE 160, 41 <64 Rn. 53>; 164, 347 <394 Rn. 131>; 168, 1 <49 Rn. 141>; stRspr). Willkür des Gesetzgebers kann zwar nicht schon dann bejaht werden, wenn er unter mehreren Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat (vgl. BVerfGE 55, 72 <90>; 89, 132 <141 f.>). Es genügt aber eine tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit der Regelung in Bezug auf den zu ordnenden Gesetzgebungsgegenstand, das heißt Willkür im objektiven Sinn (vgl. BVerfGE 160, 41 <64 Rn. 53>; 164, 347 <394 Rn. 131>; 168, 1 <49 Rn. 141>; stRspr). Der Spielraum des Gesetzgebers endet dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt (vgl. BVerfGE 160, 41 <64 Rn. 53>; 164, 347 <394 f. Rn. 131>; 168, 1 <49 Rn. 141>; stRspr).

157      Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich insbesondere ergeben, wenn und soweit sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann (vgl. BVerfGE 160, 41 <64 f. Rn. 54>; 164, 347 <395 Rn. 132>; 168, 1 <50 Rn. 142>; stRspr). Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für Einzelne verfügbar sind (vgl. BVerfGE 160, 41 <65 Rn. 54>; 164, 347 <395 Rn. 132>; 168, 1 <50 Rn. 142>; stRspr).

158      (b) Art. 3 Abs. 1 GG belässt dem Steuergesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstands ebenso wie bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weit reichenden Entscheidungsspielraum (vgl. BVerfGE 158, 282 <328 Rn. 113>; 160, 41 <65 Rn. 55>; 162, 277 <308 Rn. 76> - Kindergeld für Drittstaatsangehörige; stRspr). Der Gleichheitssatz bindet ihn aber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit, der gebietet, die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten (vgl. BVerfGE 160, 41 <65 Rn. 55>; 164, 347 <395 Rn. 133>; 168, 1 <50 Rn. 143>; stRspr). Das gilt insbesondere im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht (vgl. BVerfGE 160, 41 <65 Rn. 55>; 164, 347 <395 Rn. 133>; 168, 1 <50 Rn. 143>; stRspr). Für die Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG gilt nichts anderes (vgl. BVerfGE 32, 333 <339>).

159      Im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit muss darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen muss (vgl. BVerfGE 152, 274 <313 Rn. 99> - Erstausbildungskosten; 160, 41 <65 Rn. 56>; 168, 1 <50 Rn. 143>; stRspr). Unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung der betroffenen Steuerpflichtigen muss die Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands folgerichtig im Sinne von belastungsgleich erfolgen (vgl. BVerfGE 160, 41 <65 Rn. 56>; 164, 347 <395 Rn. 134>; 168, 1 <50 Rn. 144>; stRspr). Ausnahmen von einer belastungsgleichen Ausgestaltung der mit der Wahl des Steuergegenstands getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung (folgerichtigen Umsetzung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands) bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung nach Art und Ausmaß zu rechtfertigen vermag (vgl. BVerfGE 160, 41 <65 f. Rn. 56>; 164, 347 <395 f. Rn. 134>; 168, 1 <51 Rn. 144>; stRspr).

160      Das Gebot vertikaler Steuergerechtigkeit gibt grundsätzlich keinen konkreten Steuertarifverlauf vor; vielmehr wird insoweit nur den unmittelbar demokratisch legitimierten Entscheidungen des Parlaments ein äußerer Rahmen gesetzt, der nicht überschritten werden darf (vgl. BVerfGE 115, 97 <117>). Allerdings muss nach dem Gebot der Steuergleichheit bei direkten Steuern der wirtschaftlich Leistungsfähigere grundsätzlich einen höheren Prozentsatz seines Einkommens als Steuern zahlen als der wirtschaftlich Schwächere (vgl. BVerfGE 127, 224 <247>). Vor diesem Hintergrund widerspricht es dem Gebot der Steuergleichheit etwa, wenn bei Ertragsteuern wirtschaftlich Leistungsfähigere einen geringeren Prozentsatz ihres Einkommens als Steuer zu zahlen haben als wirtschaftlich Schwächere, es sei denn, dies ist durch einen besonderen Sachgrund gerechtfertigt (vgl. BVerfGE 135, 126 <144 Rn. 54>). Wählt der Gesetzgeber dementsprechend einen progressiven Tarifverlauf, ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, hohe Einkommen auch hoch zu belasten, soweit dem betroffenen Steuerpflichtigen nach Abzug der Steuerbelastung ein – absolut und im Vergleich zu anderen Einkommensgruppen betrachtet – hohes, frei verfügbares Einkommen verbleibt, das die Privatnützigkeit des Einkommens sichtbar macht. Ist letzteres gewährleistet, liegt es weitgehend im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, die Angemessenheit im Sinne vertikaler Steuergerechtigkeit selbst zu bestimmen (vgl. BVerfGE 115, 97 <117>; 116, 164 <181>; 160, 41 <66 Rn. 57>). Zu vermeiden sind allerdings Progressionssprünge, welche die vertikale Gleichheit im Verhältnis geringerer zu höheren Einkommen außer Acht lassen (vgl. BVerfGE 87, 153 <170>).

161      (2) Das SolZG 1995 verletzt Art. 3 Abs. 1 GG weder im Hinblick auf die soziale Staffelung dieser Ergänzungsabgabe (a) noch in Bezug auf die Behandlung von Kapitalerträgen (b) beziehungsweise von Körperschaftsteuersubjekten (c).

162      (a) Auf der Grundlage der genannten Maßstäbe verstößt das SolZG 1995 mit seiner ab dem Veranlagungszeitraum 2021 erheblich ausgeweiteten sozialen Staffelung nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (vgl. auch BVerfGE 32, 333 <343>).

163      (aa) Insoweit ist bereits zweifelhaft, ob eine für Art. 3 Abs. 1 GG relevante Ungleichbehandlung vorliegt von Steuerpflichtigen einerseits, deren Bemessungsgrundlage die Freigrenzen des § 3 Abs. 3 bis 5 SolZG 1995 aktueller Fassung übersteigt, im Verhältnis zu solchen Steuerpflichtigen andererseits, bei denen die Bemessungsgrundlage unterhalb der vorgesehenen Freigrenzen liegt. Dass das angegriffene Gesetz den Solidaritätszuschlag ab dem Jahr 2021 (vgl. § 6 Abs. 21 SolZG 1995 in der aktuellen Fassung) nur für bestimmte Einkommensgruppen bis zu bestimmten Freigrenzen zunächst gar nicht und ab dem Überschreiten dieser Grenzen dann kontinuierlich ansteigend bis zum vollen Zuschlagsatz von 5,5 Prozent der Bemessungsgrundlage erhebt, ist Ausdruck der Verwirklichung der vertikalen Steuergerechtigkeit, die eine Ungleichbehandlung wirtschaftlich leistungsschwächerer und leistungsstärkerer (Einkommen-)Steuerpflichtiger gebietet. Ob eine grundrechtsrelevante Ungleichbehandlung der genannten Gruppen von Steuerpflichtigen darin liegen könnte, dass sich der Gesetzgeber (durch eine Gleitzone abgemilderter) Freigrenzen und keiner alle Steuerpflichtigen entlastenden Freibeträge bedient beziehungsweise sich nicht dafür entschieden hat, alle Steuerpflichtigen gleichmäßig (durch einen einheitlichen, herabgesetzten Zuschlagsatz) zu belasten, kann offenbleiben, weil eine solche jedenfalls gerechtfertigt wäre (vgl. auch BVerfGE 32, 333 <343 i.V.m. 339>).

164      (bb) Nimmt man eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung an und unterstellt zudem, dass die Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen genügen muss, ist die Ungleichbehandlung der beschriebenen Gruppen von Steuerpflichtigen in Anbetracht der mit dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 verfolgten Ziele dennoch verhältnismäßig. Dies gilt sowohl für die vom Gesetzgeber angestellten sozialstaatlichen Erwägungen (vgl. BTDrucks 19/14103, S. 2, 11) als auch für das von ihm – unter der überzeugenden Annahme, dass mittlere und niedrige Einkommensgruppen eine deutlich höhere Konsumquote als Spitzenverdienende hätten – daneben verfolgte Ziel, eine Stärkung der Arbeitsanreize, Kaufkraft und Binnenkonjunktur zu erreichen (vgl. BTDrucks 19/14103, S. 2, 9, 12).

165      (α) Beide Zielsetzungen stellen legitime Zwecke für die gestaffelte Erhebung des Solidaritätszuschlags dar. Die Fortführung des Solidaritätszuschlags 1995 mit einer ab dem Jahr 2021 angeordneten teilweisen Abschmelzung des Zuschlags in Form einer sozialen Staffelung ist zur Erreichung dieser Zwecke geeignet und erforderlich. In einer entsprechenden Erhöhung des Einkommensteuertarifs läge kein gleich geeignetes und verhältnismäßiges Mittel (so aber Wagner, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Anhang zu § 51a EStG Rn. 3d <Juli 2023>). Denn angesichts der unterschiedlichen Verteilung der Ertragskompetenzen von Bund und Ländern im Hinblick auf die Ergänzungsabgabe einerseits (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG) und die Einkommensteuer als Gemeinschaftsteuer andererseits (Art. 106 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 GG) müsste die Anhebung der Einkommensteuer mehr als doppelt so hoch ausfallen wie die entsprechende Erhebung des Solidaritätszuschlags, um dem Bund Einnahmen in derselben Höhe zu verschaffen. Auch eine Erhöhung der dem Bund zustehenden Verbrauchsteuern, insbesondere der Energie- und der Stromsteuer, würde die vom Gesetzgeber aus sozialen Erwägungen und aus Gründen der Stärkung von Arbeitsanreizen, Kaufkraft und Binnenkonjunktur verfolgte Entlastung der unteren und mittleren Einkommensgruppen nicht in gleicher Weise wie die Erhebung des Solidaritätszuschlags nur von den oberen Einkommensgruppen gewährleisten.

166      (β) Die vorgenommene Staffelung ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Zwar ist das Aufkommen durch den Solidaritätszuschlag ab dem Jahr 2021 nicht mehr von einer breiten Gruppe von Steuerpflichtigen, sondern nach der Einschätzung in der Gesetzesbegründung nur noch von 10 Prozent aller Einkommensteuerpflichtigen sowie von sämtlichen Körperschaftsteuersubjekten zu erbringen. Jedoch führt der Umstand, dass die Abschmelzung des Solidaritätszuschlags nicht auf alle Einkommensgruppen, etwa durch eine gleichmäßige Herabsetzung des Zuschlagsatzes, erstreckt wurde oder den weiterhin Abgabepflichtigen nicht Freibeträge anstelle von (durch eine Gleitzone abgemilderter) Freigrenzen eingeräumt wurden, gemessen an den mit der schrittweisen Herabsetzung des Solidaritätszuschlags verfolgten gewichtigen Zielsetzungen nicht zu einer unzumutbaren Belastung der höheren Einkommensgruppen. Das Bestreben des Gesetzgebers, mit der stärkeren Besteuerung höherer Einkommen der Verteilung der zusätzlichen Steuerlast nach der Leistungsfähigkeit in besonderem Maße Rechnung zu tragen, kann eine Befreiung eines großen Teils der unterhalb einer Freigrenze liegenden Einkommensteuerpflichtigen von der Pflicht zur Zahlung einer Ergänzungsabgabe rechtfertigen (vgl. BVerfGE 32, 333 <343 i.V.m. 339>). Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht die mit Gesetz vom 21. Dezember 1967 eingeführte Ergänzungsabgabe 1968, die im Jahr 1971 nur von rund 6,5 Prozent der Einkommensteuerpflichtigen entrichtet wurde (in diesem Jahr zahlten rund 1,38 Millionen Einkommensteuerpflichtige die Ergänzungsabgabe bei einer Gesamtzahl von rund 21 Millionen Einkommensteuerpflichtigen, vgl. Einkommensteuerstatistik 1971, Tabellen 1.4 und 2.15), als mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar angesehen (vgl. BVerfGE 32, 333 <343 i.V.m. 339>). Auch die zusätzliche Erwägung in der Gesetzesbegründung, dass Steuerzahler mit niedrigen oder mittleren Einkommen eine höhere Konsumquote haben, während Spitzenverdienende bei zusätzlichem Nettoeinkommen ganz überwiegend ihre Ersparnisse erhöhen und damit ihre Befreiung vom Solidaritätszuschlag einen deutlich geringeren konjunkturellen Impuls setzen würde als die Abschaffung des Zuschlags für die Steuerzahler mit niedrigen und mittleren Einkommen (vgl. BTDrucks 19/14103, S. 2), ist ein im Rahmen der Gesamtabwägung zu berücksichtigender gewichtiger Belang. Damit kann die bei Überschreiten der jeweiligen Freigrenzen einsetzende Erhebung des Zuschlags von höchstens 5,5 Prozent bei höheren Einkommen, auch angesichts des Umstands, dass die Auswirkungen der jeweiligen Freigrenzen durch die von § 4 Satz 2 SolZG 1995 angeordnete Gleitzone erheblich entschärft werden (vgl. auch BVerfGE 32, 333 <343>), nicht als unzumutbar und damit unangemessen gewertet werden.

167      (b) Soweit die durch das Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 erheblich erweiterten Freigrenzen nach § 3 Abs. 3 Satz 1 SolZG 1995 grundsätzlich nicht auf die im Wege des Kapitalertragsteuerabzugs erhobene, sondern nur auf die veranlagte Einkommensteuer und Lohnsteuer Anwendung finden, bewirken sie bereits keine nach Art. 3 Abs. 1 GG relevante Ungleichbehandlung. Es handelt sich hierbei nicht um im Wesentlichen vergleichbare Sachverhalte.

168      (aa) Dies folgt allerdings nicht schon daraus, dass bei der Kapitalertragsteuer grundsätzlich ein proportionaler Steuersatz in Höhe von 25 Prozent zur Anwendung kommt (vgl. § 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG), während der in der Veranlagung zur Einkommensteuer maßgebliche Tarif progressiv ausgestaltet ist (vgl. § 32a Abs. 1 EStG). Allein dieser Unterschied in der Steuertarifgestaltung kann für die unterschiedlichen Anwendungsbereiche der Freigrenzen des angegriffenen Gesetzes keine Bedeutung haben. Denn im Hinblick auf die von dem Gesetzgeber mit den Freigrenzen verfolgten sozialen und konjunkturellen Zwecke besteht kein tragfähiger Unterschied zwischen einem Steuerpflichtigen, der einem pauschalen Steuersatz von 25 Prozent unterliegende Kapitalerträge erzielt, und einem progressiv besteuerten Einkommensteuerpflichtigen, dessen Gesamteinkünfte einem Durchschnittsteuersatz von 25 Prozent unterliegen.

169      (bb) Ein wesentlicher Unterschied zwischen der veranlagten Einkommensteuer beziehungsweise der Lohnsteuer einerseits und der Kapitalertragsteuer andererseits besteht jedoch im Hinblick auf die Zwecksetzungen und Wirkungen des Kapitalertragsteuerabzugs.

170      (α) Dieser führt nach § 43 Abs. 5 Satz 1 1. Halbsatz EStG grundsätzlich dazu, dass die für die betroffenen Kapitalerträge anfallende Einkommensteuer (und nach § 1 Abs. 3 SolZG 1995 auch der Solidaritätszuschlag) mit dem Steuerabzug abgegolten ist. Dieses prägende Element der Abgeltungsteuer auf private Kapitaleinkünfte dient unter anderem einer erheblichen Verwaltungsvereinfachung (vgl. BTDrucks 16/4841, S. 35), denn nach § 25 Abs. 1 EStG unterbleibt in diesen Fällen eine Veranlagung. Bei den zum Kapitalertragsteuerabzug Verpflichteten handelt es sich in erster Linie um Kreditinstitute (vgl. § 44 Abs. 1 EStG). Diese verfügen – im Gegensatz zu den Finanzämtern im Veranlagungsverfahren – in der Regel nicht über umfassende Informationen über die Einkommensverhältnisse des Steuerpflichtigen. Nur beim Vorliegen dieser Informationen wären sie aber in die Lage versetzt, auf den einzelnen Kapitalertrag Freigrenzen für den Solidaritätszuschlag anzuwenden, die auf die Höhe der progressiv ausgestalteten Einkommensteuer des Steuerpflichtigen bezogen sind. Eine Berücksichtigung der in § 3 Abs. 3 Satz 1 SolZG 1995 geregelten Freigrenzen scheidet deshalb im geltenden Kapitalertragsteuerabzugsverfahren aus.

171      (β) Der Gesetzgeber ist nicht gehalten, das Verfahren zum Kapitalertragsteuerabzug so umzugestalten, dass eine Berücksichtigung der Freigrenzen bei Kapitalerträgen erfolgen könnte. Dies wäre ersichtlich nur durch ein nachträgliches Veranlagungsverfahren möglich, wodurch der mit der Abgeltungsteuer verfolgte Vereinfachungszweck verloren ginge (vgl. insoweit die Ausführungen der Sachverständigen Thomas Eigenthaler <Deutsche Steuer-Gewerkschaft e.V.>, Dr. Isabel Klocke <Bund der Steuerzahler Deutschland e.V.> und Sylvia Mein <Deutscher Steuerberaterverband e.V.> in der öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses des Bundestages am 4. November 2019, Prot.-Nr. 19/57, S. 14 f., 24, 28 f.). Dem Gesetzgeber kann insoweit auch nicht widersprüchliches Verhalten zur Last gelegt werden. Zwar können Steuerpflichtige nach § 32d Abs. 6 EStG im Rahmen der sogenannten Günstigerprüfung auf Antrag eine Veranlagung ihrer Kapitalerträge nach dem allgemeinen Tarif des § 32a EStG erreichen. Für den Solidaritätszuschlag ist die Relevanz dieser Möglichkeit jedoch auf solche (Einzel-)Fälle begrenzt, in denen die Veranlagung mit dem allgemeinen Einkommensteuertarif für den Steuerpflichtigen vorteilhafter ist, obwohl dieser Tarif bei ihm über dem Abgeltungsteuersatz von 25 Prozent liegt (§ 32d Abs. 1 EStG). Dies kann nur dann eintreten, wenn durch die Veranlagung für den Solidaritätszuschlag die Freigrenzen nach § 3 Abs. 3 Satz 1 SolZG 1995 zum Tragen kommen und dadurch im Gesamtergebnis trotz des höheren Einkommensteuersatzes eine geringere Steuerlast entsteht. Eine solche nur in Einzelfällen relevante Durchbrechung der Abgeltungswirkung des Kapitalertragsteuerabzugs im Rahmen einer Günstigerprüfung ist schon strukturell nicht vergleichbar mit einem generellen Veranlagungswahlrecht für alle Solidaritätszuschlagpflichtigen, bei denen Kapitalertragsteuer erhoben wird.

172      (γ) Schließlich geht auch der von den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern angestellte Vergleich mit der Lohnsteuer, die ebenfalls im Wege des Steuerabzugs erhoben wird, fehl. Bei deren Bemessung konnte der Gesetzgeber im Gegensatz zu Kapitaleinkünften realitätsgerecht davon ausgehen, dass ein Arbeitnehmer in der Regel keine weiteren Einkünfte erzielt (vgl. § 38a Abs. 2 EStG). Sollte dies doch in erheblichem Umfang der Fall sein, besteht ohnehin eine gesetzliche Veranlagungspflicht nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG.

173      (c) Der Gesetzgeber hat Art. 3 Abs. 1 GG auch nicht dadurch verletzt, dass die ab dem Jahr 2021 geltenden Freigrenzen nach § 3 Abs. 3 Satz 1 SolZG 1995 nur auf Einkommensteuer- und nicht auch auf Körperschaftsteuersubjekte Anwendung finden. Insoweit liegen ebenfalls keine im Wesentlichen vergleichbare Sachverhalte vor.

174      Wie im Falle der Kapitalertragsteuer folgt dies allerdings nicht schon daraus, dass der Körperschaftsteuersatz von 15 Prozent anders als der Einkommensteuertarif proportional ausgestaltet ist (vgl. § 23 Abs. 1 KStG). Vielmehr ist entscheidend, dass die gesetzgeberischen Absichten, die hinter der Regelung der Freigrenzen nach dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 stehen, bei Körperschaftsteuersubjekten nicht verfangen.

175      Die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte ist der Tarifverlaufsgestaltung der Körperschaftsteuer von vornherein fremd (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Jürgen Brandt <Bergische Universität Wuppertal> in der öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses des Bundestages am 4. November 2019, Prot.-Nr. 19/57, S. 17: „Dabei zwingt das Körperschaftsteuergesetz in keiner Weise zur Berücksichtigung sozialer Komponenten. Das wäre im Bereich des Körperschaftsteuerrechts systemfremd.“ Ähnlich Tappe, NVwZ 2020, S. 517 <521>: „Da das sozialstaatliche Argument bei einer schrittweisen Abschaffung für eine soziale Staffelung [des Solidaritätszuschlags] spricht, sozialstaatliche Erwägungen bezogen auf die Körperschaftsteuer aber keine Rolle spielen…“). Soziale Gerechtigkeit als ethischer Maßstab besteht ausschließlich zwischen natürlichen, nicht aber zwischen juristischen Personen; auch die hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen rechtfertigen eine soziale Abstufung nicht, da der pauschale Rückschluss von einem hohen Einkommen der Körperschaft auf ein ebenfalls hohes Einkommen der Anteilseigner nicht möglich ist (vgl. Desens, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Einführung zum KStG Rn. 7 m.w.N. <Febr. 2020>; vgl. ferner BVerfGE 149, 160 <190 Rn. 92>, wonach sich juristische Personen nicht auf den personalen Schutz der Menschenwürde <und damit auch nicht auf das steuerliche Existenzminimum gemäß Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG> berufen können). Auch die weitere, auf konsumtheoretischen Erwägungen des Gesetzgebers beruhende Absicht, mit den Freigrenzen konjunkturelle Impulse zu setzen, passt nicht auf Körperschaftsteuersubjekte. Diese konsumieren nicht, sondern investieren (vgl. Lang, StuW 1989, S. 3 <9 f.>). Dementsprechend hat es das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Entscheidung zur Ergänzungsabgabe 1968 nicht beanstandet, dass Freigrenzen dort nur bei dem Zuschlag zur Einkommensteuer, nicht aber bei dem Zuschlag zur Körperschaftsteuer vorgesehen waren (vgl. BVerfGE 32, 333 <343 i.V.m. 339>).

176      II. Das SolZG 1995 verletzt, wie sich im Rahmen der Prüfung des Art. 14 Abs. 1 GG erwiesen hat, den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht (vgl. Rn. 153 ff.).

177      D. Da die Verfassungsbeschwerde unbegründet ist, scheidet die von den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern beantragte Auslagenerstattung aus (vgl. § 34a Abs. 2 BVerfGG). Auch eine vollständige oder nur teilweise Auslagenerstattung aus Gründen der Billigkeit (vgl. § 34a Abs. 3 BVerfGG) kommt nicht in Betracht, obwohl die Verfassungsbeschwerde – wenn auch nicht im Sinne der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer – zur Klärung einer Frage von grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung beigetragen hat (vgl. BVerfGE 152, 345 <383 Rn. 100> - Entfernung aus dem öffentlichen Dienst durch Verwaltungsakt). Eine Auslagenerstattung ist vorliegend insbesondere mit Blick auf den aus dem Gebot der Kostenfreiheit folgenden Grundsatz des Selbstbehalts eigener Auslagen und dem sich hieraus ergebenden Regel-Ausnahme-Charakter nicht angezeigt (vgl. BVerfGE 152, 345 <383 Rn. 100>).

 

Abweichende Meinung der Richterin Wallrabenstein

zur Begründung des Urteils des Zweiten Senats vom 26. März 2025

- 2 BvR 1505/20 „Solidaritätszuschlag 2020/2021“ -

1          Die Maßstabsbildung und den damit konstruierten Kontrollanspruch des Senats darüber, ob vom Gesetzgeber angeführte Finanzbedarfe (fort)bestehen, halte ich für verfehlt.

I.

2          Auch wenn der Senat diese Kontrolle zurückgenommen ausübt, erschweren die neue Benennungspflicht (Rn. 100, 104, 111) und Beobachtungsobliegenheit (Rn. 77, 118 f.) die Erhebung einer Ergänzungsabgabe. Dies schafft verfassungsrechtliche Unsicherheit mit der Folge, dass der Gesetzgeber in Zukunft nicht nur auf den Solidaritätszuschlag, sondern auf diese Abgabeform überhaupt verzichten dürfte. Damit steht das Urteil mit seiner Wirkung in der Tradition des Vermögensteuerbeschlusses (BVerfGE 93, 121).

3          Die damals errichtete Hürde für die Steuergesetzgebung, den obiter dictum entwickelten „Halbteilungsgrundsatz“, hat der Senat später im Beschluss zur Einkommen- und Gewerbesteuer (BVerfGE 115, 97) beseitigt. Nun zitiert das Urteil zwar Passagen dieser Entscheidung (Rn. 146 ff.), übergeht dabei aber gerade die Zurücknahme der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Sie beruht auf der Kernaussage, dass der Schutz vor einer Steuerlast durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG wesentlich auch durch Art. 14 Abs. 2 GG geprägt ist. Der grundsätzlichen Privatnützigkeit vermögenswerter Rechte steht gegenüber: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen (BVerfGE 115, 97 <113 f.>).

4          Gerade wegen der Entscheidung des Grundgesetzes für den Schutz des Privateigentums sind Steuern das wesentliche Instrument für eine regelmäßige und damit nachhaltig freiheitssichernde Korrektur der Eigentumsentwicklung, die der Umverteilung bedarf (vgl. abweichende Meinung BVerfGE 93, 121 <162 f.>, unter Berufung auf Forsthoff, VVDStRL 12 <1954>, S. 8 <31 f.>, der den Steuerstaat als Alternative zu einer Eigentumsneuordnung versteht, die in den ersten Jahren der Bundesrepublik unter Bezugnahme auf das Sozialstaatsprinzip und Art. 15 GG diskutiert wurde; vgl. auch abweichende Meinung BVerfGE 138, 136 <252 Rn. 3>). Erfasst man den grundgesetzlichen Gestaltungsrahmen für den Steuergesetzgeber anhand von Art. 14 GG, bilden Privatnützigkeit und Sozialbindung seine beiden Pole.

5          Indem der Senat dem die steuerrechtliche Fachliteratur dominierenden Anliegen nachgibt, die Ergänzungsabgabe an materielle Voraussetzungen zu binden, verkürzt er diesen Gestaltungsspielraum einseitig. Er schränkt gerade die Erhebung derjenigen Steuer ein, mit der der Bundesgesetzgeber eine kontinuierliche Umverteilungswirkung erzielen kann, ohne hierfür auf die Zustimmung des Bundesrates angewiesen zu sein. Der Bundestag muss dadurch seine Budgetentscheidungen – also für welche Aufgaben er welche Ausgaben vorsieht und wie er sie finanziert – nicht nur allen Bürgerinnen und Bürgern gegenüber demokratisch verantworten. Zusätzlich ist er nun speziell denjenigen, deren Eigentum er durch eine Ergänzungsabgabe belastet, nochmals rechenschaftspflichtig. Diese Erweiterung der Eigentümerstellung zu einem Kontrollrecht über Staatsausgaben ist mit Art. 14 Abs. 1 und 2 GG nicht in Einklang zu bringen.

II.

6          Zudem belegt der Senat die Ergänzungsabgabe mit einem für das Steuerrecht grundlegend neuartigen Kassationsrisiko. Die Verfassungsmäßigkeit einer Ergänzungsabgabe nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG hängt nicht nur von ihrer Höhe und ihrer leistungsgerechten und vertrauensschützenden Ausgestaltung ab, sondern auch noch von der Entwicklung der Staatsausgaben: Ob der aufgabenbezogene Mehraufwand, den der Bundestag zur Rechtfertigung einer Ergänzungsabgabe angeben muss, tatsächlich und in der Höhe des durch die Ergänzungsabgabe erzielten Steuervolumens besteht und nicht in evidenter Weise entfallen ist, will der Senat entscheiden (Rn. 137 ff., 152). Dies zeigt seine Bereitschaft, in die Finanzpolitik einzugreifen. Das widerspricht meinem Grundverständnis der aus dem Demokratieprinzip und der Gewaltenteilung folgenden Kompetenzgrenzen des Bundesverfassungsgerichts.

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