FG München: Unwirksame Prüfungsanordnung und Verwertungsverbot
FG München, Urteil vom 12.9.2013 - 10 K 3728/10
Sachverhalt
Streitig ist die Höhe von Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4 EStG und ob in einer steuerlichen Außenprüfung gewonnene Erkenntnisse verwertet werden können.
I. Die Kläger wurden in den Streitjahren 1997 und 1998 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten Einkünfte aus den gewerblichen Betrieben der Klägerin und aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers.
In den Streitjahren bestand die gewerbliche Tätigkeit der Klägerin (bis 31.4.1998) in der Betreuung des EDV-Selbstlernzentrums bei der ... Ihren Gewinn für alle Streitjahre ermittelte die Klägerin durch Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG.
Nachdem der Beklagte (das FA) für das Jahr 1997 mangels Abgabe einer Steuererklärung durch die Kläger mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO stehendem Einkommensteuerbescheid vom 15.4.1999 die Besteuerungsgrundlagen geschätzt hatte, erklärte die Klägerin in der darauf eingereichten Steuererklärung 1997 einen betrieblichen Gewinn i. H. v. 8 452 DM. Das FA folgte zunächst den Angaben in der Steuererklärung mit Änderungsbescheid vom 8.9.1999 (festgesetzte Einkommensteuer: 9 436 DM), mit dem der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde. Für das Jahr 1998 erging ebenfalls zunächst am 24.5.2000 ein unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehender Schätzungsbescheid. Mit der Einreichung der Steuererklärung 1998 erklärte die Klägerin einen Gewinn aus Gewerbebetrieb i. H. v. 6 054,84 DM. Das FA folgte zunächst den Angaben in der Steuererklärung mit Änderungsbescheid vom 5.7.2000 (festgesetzte Einkommensteuer: 9 840 DM); der Vorbehalt der Nachprüfung wurde in diesem Bescheid aufgehoben.
Am 29.11.2005 wurde für die Jahre 1999-2003 gegen die Klägerin ein Verfahren wegen Einkommensteuer- und Umsatzsteuerhinterziehung eingeleitet.
Das FA führte in der Zeit von November 2005 bis Juli 2006 durch einen Prüfer der sog. Stelle für Betriebsnahe Veranlagung (BNV) eine steuerliche Außenprüfung für die Streitjahre durch. Die Prüfungsanordnung vom 8.11.2005 für den Prüfungszeitraum 2000 bis 2002 wurde mit Prüfungsanordnungen vom 7.12.2005 auf den Prüfungszeitraum 1998 und 1999 erweitert. Der Prüfer vertrat zuerst die Auffassung, dass die Klägerin im Jahr 1998 keine gewerblichen Einkünfte erzielt habe, da keine gewerbliche Tätigkeit festgestellt werden könne (Bericht über die Außenprüfung vom 30.12.2005 für den Prüfungszeitraum 1998 bis 2002). Die gegen diesen Betriebsprüfungsbericht erhobenen Einwendungen begründeten die Kläger u.a. durch die Übergabe eines Aktenordners mit Kontoauszügen für die Jahre 1997 bis 2002 an den Prüfer. Darauf wurde mit Prüfungsanordnung vom 7.7.2006 der Prüfungszeitraum auf die Jahre 1997 bis 1999 erweitert. Der Prüfer vertrat nun die Auffassung, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Klägerin für das Jahr 1997 um 75 118 DM auf 83 570 DM und für das Jahr 1998 um 10 628 DM auf 16 682 DM zu erhöhen seien (geänderter Bericht über die Außenprüfung vom 14.7.2006 für den Prüfungszeitraum 1997 bis 2002). Aufgrund der vorgelegten Kontoauszüge sei nachgewiesen, dass die Betriebseinnahmen für 1997 um 21 942,79 DM (netto) und Umsatzsteuer hierzu in Höhe von 3 291,42 DM und die Betriebseinnahmen für 1998 um 19 339,16 DM (netto) und Umsatzsteuer hierzu in Höhe von 2 903,61 DM zu erhöhen seien. Außerdem seien die Betriebsausgaben für 1997 um 44 867,32 DM (netto) nebst Vorsteuer hierzu in Höhe von 5 016,27 DM zu mindern; die Betriebsausgaben für 1998 könnten in Höhe von 5 560,69 DM geschätzt werden. Das FA schloss sich der Auffassung des Prüfers an. Gegen die Einkommensteueränderungsbescheide für 1997 und 1998 vom 28.7.2006 legten die Kläger Einsprüche ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 29.10.2010 setzte das FA die Einkommensteuer für 1997 von 17 239,74 Euro auf 16 174,21 Euro herab und die Einkommensteuer für 1998 von 6 651,91 Euro auf 6 718,38 Euro herauf. Dabei ging das FA nun - hinsichtlich der im Klageverfahren allein streitigen - Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Klägerin davon aus, dass diese 74 230 DM im Jahr 1997 und 13 597 DM im Jahr 1998 betragen hätten (Gewinnerhöhung für 1997 in Höhe von 65 778 DM und für 1998 in Höhe von 7 543 DM). Im Übrigen wurden die Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen.
Gegen die Einspruchsentscheidung vom 29.10.2010 haben die Kläger am 30.11.2010 Klage erhoben und begehren, für das Jahr 1997 einen Gewinn aus Gewerbebetrieb i. H. v. 24 437 DM sowie für das Jahr 1998 einen Verlust aus Gewerbebetrieb i. H. v. 2 694 DM zu berücksichtigen. Sie begründen die Klage im Wesentlichen wie folgt: Die Erkenntnisse aus dem Außenprüfungsbericht für die Jahre 1997 und 1998 seien nicht verwertbar, da für diese Jahre keine Prüfungsanordnung an die Klägerin bekanntgegeben worden sei. Im Übrigen seien bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb der Klägerin weitere Betriebsausgaben zum Abzug zuzulassen, und zwar für 1997 in Höhe von 49 794 DM und für 1998 in Höhe von 16 292 DM.
Für die Streitjahre 1999, 2000 und 2004 haben die Kläger die Klage zurückgenommen.
Die Kläger beantragen, unter Änderung der Einkommensteuerbescheide 1997 und 1998, jeweils vom 28.7.2006, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.10.2010 die Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Klägerin für 1997 um 49 794 DM und für 1998 um 16 292 DM zu reduzieren sowie die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus: Alle Prüfungsanordnungen seien mit einfachem Brief bekannt gegeben worden. Selbst wenn das FA die Bekanntgabe der Prüfungsanordnungen nicht nachweisen könne, würde daraus kein Verwertungsverbot für die Erkenntnisse der steuerlichen Außenprüfung folgen. Im Übrigen habe das FA bei der Außenprüfung ausreichend Betriebsausgaben in den Streitjahren berücksichtigt.
Durch Urteil des Amtsgerichts Augsburg ....wurde die Klägerin für das Jahr 2002 wegen Einkommensteuer- und Umsatzsteuerhinterziehung verurteilt.
Das Verfahren wegen Umsatzsteuer für die Streitjahre wurde durch gerichtlichen Beschluss vom 17.2.2011 (Az. 10 K 3728/10) abgetrennt. Mit Beschluss vom 25.2.2013 (Az. 10 K 3728/10) hat der Senat den Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung von RA ... als Prozessbevollmächtigten für die Jahre 1997, 1998, 1999, 2000, 2001 und 2004 abgelehnt. Das Verfahren wegen Einkommensteuer 2002 wurde durch Beschluss des Senats vom 20.8.2013 abgetrennt.
Nach Maßgabe des Beschlusses vom 7.8.2013 ist in der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben worden durch Einvernahme des Zeugen.... Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 12.9.2013 verwiesen. Nach Maßgabe des Beschlusses vom 21.8.2013 ist Beweis erhoben worden durch schriftliche Einvernahme des Zeugen .... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Schreiben des Zeugen ... vom 23.8.2013 verwiesen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze, die vorgelegten Akten und das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 12.9.2013 Bezug genommen.
Aus den Gründen
II. Die Klage ist teilweise begründet.
Die Änderungsbescheide für die Jahre 1997 und 1998 jeweils vom 28.7.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.10.2010 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten. Die Prüfungsanordnungen für diese beiden Streitjahre waren mangels wirksamer Bekanntgabe unwirksam. Die aufgrund der Außenprüfung für diese beiden Streitjahre getroffenen Erkenntnisse unterliegen einem Verwertungsverbot.
1. Nach § 196 AO bestimmt die Finanzbehörde den Umfang der Außenprüfung in einer schriftlich zu erteilenden Prüfungsanordnung mit Rechtsbehelfsbelehrung (§ 356 AO). Die Prüfungsanordnung ist ein notwendiger, die Außenprüfung einleitender Verwaltungsakt nach § 118 Abs. 1 S. 1 AO. Er wird nach § 124 Abs. 1 S. 1 AO gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.
2. Im Streitfall konnte das FA nicht den Nachweis erbringen, dass die Prüfungsanordnungen vom 7.12.2005 für die Erweiterung der Außenprüfung auf die Jahre 1998 und 1999 und vom 7.7.2006 für die Erweiterung der Außenprüfung auf das Jahr 1997 den Klägern zugegangen sind.
a) Ein Zustell- oder Übergabevermerk für diese beiden Prüfungsanordnungen befindet sich nicht in den Akten. Der Senat geht deshalb - auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme - davon aus, dass die beiden Prüfungsanordnungen vom 7.12.2005 und vom 7.7.2006 vom FA mit einfachem Brief versendet werden sollten. Die Kläger führen in ihrem Schriftsatz vom 7.5.2013 aus, dass ihnen die Prüfungsanordnungen für diese Jahre nicht bekannt sind. Daher ist die Zugangsvermutung nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO widerlegt. Ein substantiiertes Bestreiten des Zugangs ist in diesem Fall nicht erforderlich. Denn bestreitet der Steuerpflichtige, dass ihm der Verwaltungsakt überhaupt zugegangen ist, kann weitere Substantiierung nicht verlangt werden, da dies objektiv unmöglich ist (Urteile des BFH vom 15.9.1994 - XI R 31/94, BFHE 175, 327, BStBl. II 1995, 41, BB 1995, 34 Ls; vom 29.4.2009 - X R 35/08, BFH/NV 2009, 1777). Daher obliegt es im Streitfall dem FA, den Zugang der Prüfungsanordnungen vom 7.12.2005 und 7.7.2006 sowie den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Nach der ständigen BFH-Rechtsprechung kann der Nachweis des Zugangs im Sinne der genannten Vorschrift nicht nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises (prima-facie- Beweis) geführt werden. Es gelten vielmehr die allgemeinen Beweisregeln, insbesondere der Indizienbeweis (BFH-Urteile vom 14.3.1989 - VII R 75/85, BFHE 156, 66, BStBl. II 1989, 534, BB 1989, 2385; vom 29.4.2009 - X R 35/08, BFH/NV 2009, 1777, und vom 12.3.2003 - X R 17/99, BFH/NV 2003, 1031). Als gewichtiges Indiz für die Annahme des Zugangs ist regelmäßig die Tatsache zu werten, dass der als Empfänger benannte Beteiligte sich mit seiner Behauptung, der betreffende Bescheid sei ihm nicht zugegangen, im Widerspruch zu früheren Äußerungen gesetzt hat (vgl. BFH-Urteile vom 14.1.1992 - VII R 112/89, BFH/NV 1992, 365, und vom 3.3.1993 - II R 11/90, BFH/NV 1994, 141). Demgegenüber kann ein geeignetes Indiz für den von der Behörde geltend gemachten Zugang nicht allein darin gesehen werden, dass der betroffene Beteiligte sich passiv verhält oder sich zu einzelnen Teilen des fraglichen Geschehensablaufs nicht äußert. So reicht es beispielsweise nicht aus, wenn ein Steuerpflichtiger über den Zeitraum von mehreren Jahren mehrfach die Gelegenheit gehabt hat, den Nichtzugang des betreffenden Steuerbescheids geltend zu machen. Auch kann von dem (potentiellen) Empfänger regelmäßig nicht verlangt werden, einen atypischen Geschehensablauf mit substantiierten Tatsachenangaben darzulegen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 175, 327, BStBl. II 1995, 41).
b) Das FA hat den Nachweis des Zugangs der Prüfungsanordnungen vom 7.12.2005 und vom 7.7.2006 nicht erbracht. Weder wurden entsprechende Unterlagen vorgelegt, noch ist das Gericht aufgrund der Aussagen der Zeugen... und ... von dem Zugang dieser Prüfungsanordnungen bei den Klägern überzeugt.
aa) Auf den in den Betriebsprüfungsakten abgelegten Entwürfen der Prüfungsanordnungen vom 7.12.2005 (Band V Bl 5 - 7) und vom 7.7.2006 (Band I Bl 9 - 11) sowie den weiteren Abdrucken der Prüfungsanordnungen ist nicht vermerkt, dass die Anordnungen entweder den Klägern ausgehändigt oder an die Deutsche Post zur Versendung übergeben wurden. Auf dem Entwurf der Prüfungsanordnung vom 7.12.2005 ist nur von dem damals zuständigen Sachgebietsleiter mit seinem Namenszeichen vermerkt, dass diese Prüfungsanordnung am 7.12.2005 abgesandt wurde. Ein Nachweis für die Versendung dieser Prüfungsanordnung mit einfachem Brief an die Klägerin ist dieser Vermerk jedoch nicht. Denn nach der ständigen BFH-Rechtsprechung reichen die einfache Zuleitung oder kommentarlose Übergabe des jeweiligen Schriftstücks an die amtsinterne Postausgangsstelle ebenso wenig aus wie ein bloßer Abgangsvermerk der Stelle, die das Schriftstück an diese Postausgangsstelle weiterleitet. Vielmehr ist regelmäßig ein Absendevermerk der Poststelle erforderlich (BFH-Beschluss vom 26.1.2010 - X B 147/09, BFH/NV 2010, 1081).
Auf dem Entwurf der Prüfungsanordnung vom 7.7.2006 wurde noch nicht einmal der Vermerk „abgesandt" vom Sachgebietsleiter abgezeichnet.
Da solche aussagekräftigen Absendevermerke der Poststelle des FA im Streitfall nicht vorliegen, muss der Senat nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung beurteilen, ob er die Absendung der beiden Prüfungsanordnungen für bewiesen hält oder nicht.
bb) Eine aussagekräftige Empfangsbestätigung der Klägerin findet sich in den Betriebsprüfungsakten nur für die Verfügung über die Einleitung des Steuerstrafverfahrens wegen der Einkommensteuer und Umsatzsteuer für die Jahre 1999 bis 2002 am 29.11.2005 (Band I Bl 12 f., Bl 3). Diese bekannt gegebene Verfügung kann jedoch nicht als Grundlage von Handlungen der Betriebsprüfung dienen.
cc) Im Streitfall vermag der Senat auch keine Anhaltspunkte (als Indizienbeweis) für die Annahme zu erkennen, die Klägerin bzw. die Kläger hätten sich mit ihrem Vorbringen, die beiden Prüfungsanordnungen vom 7.12.2005 und vom 7.7.2006 seien ihnen nicht zugegangen, zu vorangegangenen Verhaltensweisen in Widerspruch gesetzt. So hat auch der Zeuge... ausgesagt, dass er sich nicht daran erinnern kann, dass er sich mit den Klägern über die Prüfungsanordnungen, mit denen der Prüfungszeitraum erweitert wurde, gesprochen hat. Aber insbesondere kann der Senat einen solchen Widerspruch auch nicht im Verhalten der Kläger während der Betriebsprüfung erkennen. Den Klägern ging neben der Verfügung über die Einleitung des Steuerstrafverfahrens unstreitig die erste Prüfungsanordnung vom 8.11.2005 für den Prüfungszeitraum 2000 bis 2002 zu. Da die Kläger zu diesem Zeitpunkt steuerlich nicht beraten waren, hält es der Senat auch nicht für ausgeschlossen, dass die Kläger auch eine Erweiterung des Prüfungszeitraums durch das FA, die in den beiden Betriebsprüfungsberichten bereits ersichtlich war, zuerst hingenommen haben und die fehlende Bekanntgabe der beiden Prüfungsanordnungen über den erweiterten Prüfungszeitraum erst vom Prozessbevollmächtigten der Kläger im Klageverfahren geltend gemacht wurde. Als Laien dürften die Kläger nach Auffassung des Senats davon ausgehen, dass nach Bekanntgabe der ersten Prüfungsanordnung die rechtliche Grundlage für die Betriebsprüfung geschaffen war.
dd) Auch durch die schriftliche Stellungnahme des Zeugen... vom 23.8.2013 ist nicht bewiesen, dass die Prüfungsanordnungen vom 7.12.2005 und 7.7.2006 den Klägern zugegangen sind. Der Zeuge... hat in seinem Schreiben vom 23.8.2013 ausgeführt, dass ihm die Bekanntgabe der Prüfungsanordnungen vom 8.11.2005 und 7.12.2005 nicht bekannt sei, da er erst seit 1.6.2006 als Sachgebietsleiter in der Außenprüfungsstelle tätig gewesen sei. An die Art und Weise der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung vom 7.7.2006 und etwaige Besonderheiten diesbezüglich könne er sich nicht erinnern. Diese Aussage ist glaubhaft. Die Geschehnisse liegen einige Jahre in der Vergangenheit, sodass es nachvollziehbar ist, dass Erinnerungen nicht mehr präsent sind.
ee) Schließlich ist auch nach der Aussage des Zeugen... zur Überzeugung des Senats nicht der Zugang der Prüfungsanordnungen vom 7.12.2005 und 7.7.2006 bewiesen. Der Zeuge... sagte glaubhaft aus, dass er nach seiner Erinnerung davon ausgehe, dass auch diese beiden Prüfungsanordnungen im „normalen Verfahren", d. h. durch Versenden mit einfachem Brief, bekannt gegeben wurden. Er habe die beiden Prüfungsanordnungen, nachdem er sie erstellt hatte, wie üblich, mit der Hauspost an seinen Sachgebietsleiter geleitet. Dann sei der normale Verfahrensablauf, dass nach Unterschrift durch den Sachgebietsleiter der Bote die Prüfungsanordnungen im Zimmer des Sachgebietsleiters abhole und von dort in die Poststelle des FA bringe, wo sie dann an die Deutsche Post weitergeleitet werden, damit sie mit einfachem Brief versendet werden. Der Zeuge... konnte aber nicht darlegen, dass dieser normale Verfahrensablauf auch im konkreten Fall eingehalten worden ist und die Prüfungsanordnungen tatsächlich in der Poststelle des FA angekommen sind und dann von dort zur Versendung mit einfachem Brief der Deutschen Post übergeben worden sind. Daher konnte der Zugang bei den Klägern auch durch die Aussage des Zeugen... nicht bewiesen werden; denn der sog. Anscheinsbeweis, der auf einen typischen, nicht aber auf den tatsächlichen Geschehensablauf abstellt, gilt als Nachweis des Zugangs gerade nicht (BFHUrteil in BFHE 175, 327, BStBl. II 1995, 41). Der Zeuge... ist für das Gericht glaubwürdig. So hat er, nachdem die Vorkommnisse schon in älterer Vergangenheit liegen, nur den herkömmlichen Ablauf von Versendungen im FA dargelegt und angemerkt, dass nach seiner Meinung es auch im Streitfall so gelaufen sein müsste. Er hat nicht ausgesagt, dass es in jedem Fall auch so abgelaufen ist. Der Zeuge hat daher nichts hinzugefügt oder weggelassen, was er möglicherweise nach sieben bis acht Jahren nicht mehr erinnern könnte, sodass das Gericht von der Wahrheit der Aussage des Zeugen... überzeugt ist.
c) Im Streitfall ist es dem FA nicht gelungen, nachzuweisen, dass die Klägerin (bzw. die Kläger) die Prüfungsanordnung vom 7.12.2005 und vom 7.7.2006 über die Erweiterung des Prüfungszeitraumes für die Einkommensteuer auf die Jahre 1997 bis 1999 erhalten hat (haben). Nach den allgemeinen Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast; BFH-Urteil vom 14.3.1989 - VII R 75/85, BFHE 156, 66, BStBl. II 1989, 534, BB 1989, 2385) geht der fehlende Beweis des Zugangs zu Lasten des FA. Aufgrund der fehlenden Bekanntgabe sind die Prüfungsanordnungen vom 7.12.2005 und 7.7.2006 nicht wirksam geworden. Die den Steuernachforderungen zugrunde liegenden Prüfungsfeststellungen für die Jahre 1997 und 1998 sind ohne dafür gültige Prüfungsanordnungen getroffen worden. Damit unterliegen diese Feststellungen nach der Rechtsprechung des BFH einem Verwertungsverbot, das unmittelbar gegen die Änderungsbescheide geltend gemacht werden kann (BFH-Urteile vom 25.11.1997 - VIII R 4/94, BFHE 184, 255, BStBl. II 1998, 461, BB 1998, 577 Ls; vom 20.2.1990 - IX R 83/88, BFHE 160, 391, 394, BStBl. II 1990, 789, BB 1990, 1763 Ls, und vom 14.8.1985 - I R 188/82, BFHE 144, 339, 341, BStBl. II 1986, 2, BB 1986, 725; Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl. 2012, § 196 Rz. 48; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 196 Rz. 37, je m. w. N.). Der erkennende Senat schließt sich dieser ständigen BFH-Rechtsprechung (zitiert u. a. in BFH-Urteil in BFHE 184, 255, BStBl. II 1998, 461) an.
aa) Nach Auffassung des Senats greift der Einwand des FA, das Verwertungsverbot erfasse nicht das Jahr 1997, nicht durch. Zwar wurden, wie in der mündlichen Verhandlung durch das FA dargelegt wurde, die Kontoauszüge der Klägerin für 1997 dem Prüfer schon am 21.3.2006, und damit vor Erlass der Prüfungserweiterungsanordnung am 7.7.2006 übergeben. Aber selbst wenn die Außenprüfung für 1997 dann schon im Zeitraum zwischen 21.3.2006 und 7.7.2006 - d. h. vor Erlass der Prüfungsanordnung für 1997 - mit der Durchsicht und Überprüfung der Kontoauszüge begonnen hat, handelt es sich doch um Ermittlungen der Außenprüfung und nicht um reine Sachverhaltsfeststellungen des Innendienstes des FA, die das FA auch ohne Außenprüfung treffen hätte können. Unter „Ermittlungen" i. S. des § 194 Abs. 1 AO fallen nämlich alle diejenigen Maßnahmen eines Prüfers, die auf eine umfassende Überprüfung der Besteuerungsgrundlagen gerichtet sind (BFH-Urteil vom 8.7.2009 - XI R 64/07, BFHE 226, 19, BStBl. II 2010, 4). Im Streitfall wurden die Kontoauszüge dem Prüfer übergeben, nachdem die Kläger - vor der Auswertung - Einwendungen i. S. des § 202 Abs. 2 AO gegen den ersten Betriebsprüfungsbericht vom 30.12.2005 erhoben hatten. Da dieses Einwendungsverfahren in die Zuständigkeit der steuerlichen Außenprüfung und nicht in die der Veranlagung gehört, hält der Senat die Überlegung des FA, die Kontoauszüge seien nicht von der steuerlichen Außenprüfung, sondern vom Innendienst ausgewertet worden, für unzutreffend. Zwar war im Streitfall die steuerliche Außenprüfung nicht von einem Betriebsprüfer der Betriebsprüfungsstelle des beklagten FA durchgeführt worden, sondern von der sog. BNV. Die BNV zählt zwar grundsätzlich nach der Verwaltungsauffassung zum Innendienst (vgl. Anwendungserlass zur AO - AEAO - zu § 85, Nr. 3 m. w. N.); allein aus dieser organisatorische Zuordnung kann aber im Streitfall nicht darauf geschlossen werden, dass die Ermittlungen in den beiden Streitjahren nicht im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung, sondern im Rahmen von Maßnahmen des Innendienstes erfolgt sind. Im Streitfall war nämlich der Prüfer nicht damit befasst, dass er nur Sachverhaltsermittlungen i. S. der §§ 85, 88, 93 ff. AO als „verlängerter Arm" des Innendienstes des FA durchführte; vielmehr war er aufgrund von Prüfungsanordnungen tätig, hatte einen ersten Prüfungsbericht erstellt, bearbeitete nun die Einwendungen gegen diesen Bericht und handelte damit im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung (Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl. 2012, § 203 Rz. 1 m. w. N.; vgl. BFH-Urteil vom 6.7.1999 - VIII R 17/97, BFHE 189, 302, BStBl. II 2000, 306, BB 1999, 2232). Im Übrigen hat u. a. auch die Durchsicht und Auswertung der Kontoauszüge dazu geführt, dass die Besteuerungsgrundlagen nochmals umfassend überprüft wurden. Denn nun stellte der Prüfer über die Kontoauszüge fest, dass - anders als im ersten Betriebsprüfungsbericht vom 30.12.2005 noch angenommen - sehr wohl eine gewerbliche Tätigkeit von der Klägerin in den Jahren 1997 und 1998 entfaltet wurde. Nach dem für die Abgrenzung zwischen Ermittlungen im Rahmen einer Außenprüfung von daneben zulässigen Einzelermittlungen entscheidendem Kriterium, wie sich das Tätigwerden des Prüfers aus der Sicht des Betroffenen (der Kläger) darstellt (BFH-Urteil in BFHE 184, 255, BStBl. II 1998, 461), können demgemäß die Handlungen des Prüfers nur als Maßnahmen der steuerlichen Außenprüfungen (und als Ermittlungen i. S. des § 194 Abs. 1 AO) betrachtet werden. Die hierdurch in den geänderten Betriebsprüfungsbericht vom 14.7.2006 eingeflossenen Erkenntnisse unterliegen deshalb einem materiell-rechtlichen Verwertungsverbot.
bb) Die Auffassung des Gerichts, dass im Streitfall ein materiell-rechtliches Verwertungsverbot besteht, widerspricht auch nicht der - vom FA in der mündlichen Verhandlung zitierten - Rechtsprechung des BFH zur Nichtannahme eines verfahrensrechtlichen Verwertungsverbots bei erstmaliger Steuerfestsetzung oder Änderung eines unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Steuerbescheids (BFH-Urteile vom 4.10.2006 - VIII R 53/04, BFHE 215, 12, BStBl. II 2007, 227, BB 2006, 2802 Ls, unter II.4.b m. w. N.; und in BFHE 184, 255, BStBl. II 1998, 461). Bei solchen Bescheiden hat der BFH ein allgemeines verfahrensrechtliches Verwertungsverbot verneint. Begründet wurde dies damit, dass das FA zur Ermittlung des Sachverhalts für eine erstmalige Steuerfestsetzung keiner förmlichen Prüfungsanordnung bedarf, sondern es vielmehr zur Erforschung des steuerrechtlich erheblichen Sachverhalts nach den §§ 85, 88 f. AO von Amts wegen verpflichtet ist und den Steuerpflichtigen dazu gemäß § 90 Abs. 1 AO heranziehen darf. Ebenso verhält es sich nach der Rechtsprechung des BFH bei Vorbehaltsbescheiden. Im Streitfall handelte es sich bei den Änderungsbescheiden 1997 und 1998 nach Außenprüfung aber weder um Erstveranlagungen noch um Vorbehaltsbescheide; der Vorbehalt der Nachprüfung in beiden Bescheiden wurde schon vor der Außenprüfung aufgehoben (für 1997 mit Bescheid vom 8.9.1999 und für 1998 mit Bescheid vom 5.7.2000). Daher führte im Streitfall der Mangel der Bekanntgabe der Prüfungserweiterungsanordnungen vom 7.12.2005 und 7.7.2006 zu einem endgültigen Verwertungsverbot.
cc) Dieses Verwertungsverbot bedeutet, dass in den angefochtenen Änderungsbescheiden die bei der Prüfung bekanntgewordenen Tatsachen, z. B. hinsichtlich der neu festgestellten Betriebseinnahmen und der fehlenden Abziehbarkeit von Betriebsausgaben, nicht berücksichtigt werden dürfen (BFH-Urteil vom 1.12.1992 - VII R 53/92, BFH/NV 1993, 515).
Dies führt dazu, dass die von der Betriebsprüfung festgestellten Gewinnerhöhungen für 1997 in Höhe von ... und für 1998 in Höhe von ... (Betriebsprüfungsbericht vom 10.7.2006, Tz. 1.2.2 bis 1.2.4) bzw. die noch in der Einspruchsentscheidung vom 29.10.2010 aufrechterhaltenen Gewinnerhöhung für 1997 in Höhe von ... und für 1998 in Höhe von ... nicht berücksichtigt werden dürfen. Demgemäß sind grundsätzlich die Einkommensteuerfestsetzungen in den vor der Außenprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheiden, nämlich dem Einkommensteuerbescheid 1997 vom 8.9.1999 und Einkommensteuerbescheid 1998 vom 5.7.2000 zugrunde zu legen und die Einkommensteuer ist in den Streitjahren dementsprechend mit ... (entspricht ...) für 1997 und mit ... (entspricht ...) für 1998 festzusetzen.
In Hinblick auf das Jahr 1997 können die Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Klägerin allerdings nur - wie durch die Kläger beantragt - um ... auf ... herabgesetzt werden, da das Gericht nicht über den Antrag der Kläger hinausgehen darf (§ 96 Abs. 1 S. 1 FGO).
3. Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Für das Jahr 1998 ist die Einkommensteuer lediglich - wie im Bescheid vom 5.7.2000 festgesetzt - auf ... (entspricht ...) herabzusetzen (vgl. oben unter 2.c.cc) und nicht wie von den Klägern beantragt auf eine Einkommensteuer, die sich ergibt, wenn die Einkünfte aus Gewerbebetrieb wie beantragt von ... auf ... herabgesetzt würden. Aus dem Verwertungsverbot folgt eine unzulässige Erhöhung des Gewinns aus Gewerbebetrieb der Klägerin von ... auf ... (lt. Einspruchsentscheidung).
Weitere Änderungen bei der Einkommensteuer 1998 sind bereits aufgrund der Bestandskraft des Bescheids vom 5.7.2000 nicht möglich. So ist keine Änderungsmöglichkeit zugunsten der Kläger aus § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO hinsichtlich der geltend gemachten Minderung des Gewinns aus Gewerbebetrieb auf den mit der Klage - erstmals - geltend gemachten Betrag gegeben. Änderungen zu Lasten der Kläger - wie die im Einspruchsverfahren vorgenommene Kürzung der Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers - scheiden ebenfalls, aus (§ 169 Abs. 1 S. 1, Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO: Abgabe der Einkommensteuererklärung am 9.6.2000).